Dieser Job hat ihr die Welt bedeutet. Und doch haben am Ende die Mechanismen des Geschäfts gegriffen: Vier Jahren und vier Monaten nach dem ersten Spiel ihrer Amtszeit ist Irene Fuhrmann nicht mehr Teamchefin des österreichischen Frauenfußball-Nationalteams.
Die erste Amtszeit einer Frau in diesem Posten hat viel Schönes gebracht – wie das EM-Viertelfinale 2022 und Platz zwei in der Nations-League-Gruppe 2023. Dazu einiges, was notwendig war – 14 Spielerinnen haben unter Fuhrmann debütiert, darunter zukünftige Stützen wie Annabel Schasching, Lilli Purtscheller und Eileen Campbell.
Aber es war eben auch das verhackte WM-Playoff in Schottland dabei und vor allem dieses verflixte Jahr 2024. Die Entwicklung stagnierte, der Generationswechsel stagnierte, spielerisch ging nichts mehr weiter und einige der verlorenen Matches gingen auch auf sie. Die mit den beiden Playoff-Niederlagen gegen Polen verpasste EM-Teilnahme war die Kulmination einer schon länger sichtbaren Fehlentwicklung.
ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel spricht von einer „Entscheidung, die sehr schwer zu treffen war“ und Fuhrmann selbst sagt: „Ich habe immer betont, dass es am Ende nicht um meine Person geht, sondern um die Weiterentwicklung des Frauen-Nationalteams, dem Zugpferd des gesamten österreichischen Frauenfußballs.“ Darum sei es jetzt die richtige Entscheidung, für „Platz für neue Impulse an der Spitze zu sorgen.“
Ob es nun mehr ein Rauswurf oder mehr ein Rücktritt war, lässt sich anhand der Zitate aus der ÖFB-Aussendung nicht wirklich festmachen, es tut aber am Ende auch nicht wirklich etwas zur Sache. Fakt ist: Die Ära Fuhrmann ist vorbei und damit ist die Gelegenheit da, Bilanz zu ziehen.
Komplexität raus, Talente rein
Dominik Thalhammer hatte vor ihr das Team auf die Landkarte gebracht, 2017 das EM-Semifinale erreicht, aber auch ein taktisches Konstrukt von zunehmender Komplexität gebaut. Von Kathi Schiechtls Debüt 2014 bis zu seinem Abgang 2020 hat es nur eine einzige Spielerin geschafft, neu reinzukommen und Stammkraft zu werden – Julia Hickelsberger im Herbst 2019, deren simple Rolle im WW-System es war, möglichst schnell die Seitenlinie auf- und abzulaufen.
Fuhrmann musste beginnen, junge Spielerinnen neu reinzubringen. Es blieb dabei, dass man sich am Wohlsten fühlte, wenn man einen Gegner hoch anpressen konnte, aber System- und Taktikexperimente hatten ein Ende, das Grundkonstrukt blieb ein 4-3-3. Selbst, wenn sie gewollt hätte, wären Experimente in den begrenzten Möglichkeiten der Corona-Zeit auch gar nicht sinnvoll möglich gewesen.
Höbinger, Wienroither und Naschenweng – unter Thalhammer maximal Wechselspielerinnen – wurden Stammkräfte. Barbara Dunst, unter Thalhammer nur sechs Mal in vier Jahren in Pflichtspiel-Startformationen, sollte jedes einzelne der 53 Spiele unter Fuhrmann absolvieren. Degen, Campbell und Purtscheller sind neue Gesichter des Teams geworden, Annabel Schasching wird dies sicher auch bald, Maria Plattner wäre ohne ihr Verletzungspech womöglich längst Stammkraft im Mittelfeld-Zentrum.
Auch, wenn einige der Routiniers noch dabei sind – Puntigam, Zadrazil, Hanshaw, Kirchberger: Das Team von 2023/24 hatte schon ein ganz anderes Aussehen als das von 2019/20. Als Fuhrmann übernommen hat, war Österreich im FIFA-Ranking auf Platz 14 im europäischen Vergleich, sie übergibt die ÖFB-Frauen auf Platz 11 – gegenüber damals vorbei an der Schweiz, Belgien und Schottland.
Ihre Amtszeit ist schön in die fünf Kalenderjahre einteilbar: 2020 ging es ums sportliche Überleben. 2021 war eine etwas ziellos wirkende Suche nach der Stärke, die 2022 gefunden war und mit dem EM-Viertelfinale ausgespielt wurde. 2023 war die Zeit des erfolgreichen Generationswechsels, ehe 2024 alles erstarrte und man keine Lösungen mehr fand.
2020: Kaltstart in Corona
Ende Juli 2020 wurde Irene Fuhrmann nach dem Wechsel von Vorgänger Dominik Thalhammer zum LASK von der Co-Trainerin zur Teamchefin befördert, also mitten im ersten Corona-Sommer. Viel Zeit ging für die komplizierte Anreise inklusive Covid-Tests drauf, dazu gab es die ständige Möglichkeit, nach positiven Tests kurzfristige Ausfälle verkraften zu müssen. Einmal musste etwa die komplette dreiköpfige Abordnung von Sturm Graz fernbleiben, weil man als Kontaktpersonen in Quarantäne steckte.
Das erste Spiel war auswärts in Kasachstan und das Ambiente passte. Es roch penetrant nach verbrannten Reifen, von der leeren Haupttribüne aus sah man auf die endlose braune Steppe, die sich außerhalb der Millionenstadt Shymkent erstreckt. Das Sport-Internat dahinter sieht eher aus wie eine sowjetische Militär-Baracke. Österreich gewann mit 5:0, es war das Startelf-Debüt von Marie Höbinger und das Pflichtspiel-Debüt von Laura Wienroither, zwei Namen, welche die Ära Fuhrmann prägen sollten. Andererseits verlor man schon in der 2. Minute Julia Hickelsberger mit einer fürchterlichen Knieverletzung.
„Wir sind dankbar, das professionell ausüben zu können, aber das spielt alles mit“, sagte Fuhrmann im Herbst 2020, „es ist so viel positive Energie da, trotz der Covid-Situation.“ Man war froh, dass die ÖFB-Frauen-Akademie schon relativ früh wieder trainieren durfte, anders als etwa in Deutschland. Österreich ermauerte sich ein 0:0 gegen Frankreich, das war für das EM-Ticket lebensnotwendig. Einem 0:3 in Guingamp folgte ein unendlich mühsames Match gegen Serbien, das erst spät und eher schmeichelhaft 1:0 gewonnen wurde. Das sollte letztlich knapp für das direkte EM-Ticket reichen.
2021: EM-Verschiebung und zähe Phase
Die EM-Verschiebung von 2021 auf 2022 nahm den Zeitdruck ein wenig raus. Man lief im Trainingslager auf Malta in ein 1:6 gegen Schweden, was schlimmer aussah, als es war und gewann gegen die Slowakei mit 1:0, was besser aussah, als es war. Im April 2021 lud Fuhrmann mal ganz viele junge Spielerinnen ein: Lilli Purtscheller, Celina Degen, auch Lara Felix und Julia Kofler; Annabel Schasching und Valentina Kröll fehlten coronabedingt.
„Es gibt mehr Inhalte für die Jungen, dass die sich auf dem Niveau mal messen können, das ist in ihrem Alltag anders“ – was man bei einer damals 18-Jährigen von Abstiegskandidat Wacker Innsbruck auch sah. „Purtscheller muss bei ihrem Klub den Ball schleppen, damit die anderen aufrücken können. Dazu kommt sie hier nicht, weil sie die Zeit am Ball gar nicht kriegt: Andribbeln, Freispielen, Strafraumbesetzung!“ Im Frühjahr 2021 ging der Lilli das alles noch zu schnell, im Herbst 2023 dann nicht mehr.
Es gab ein 2:2 gegen Finnland (nach rascher 2:0-Führung) und zwei Monate später ein 2:3 gegen eine italienische Experimental-Elf mit kaum zwei ernsthaften Startelf-Anwärtern, das eine annähernd in Bestbesetzung angetretene ÖFB-Elf nie verlieren darf. Die sportlich wertlosen ersten Matches in der angelaufenen WM-Qualifikation – 8:1 in Lettland, 6:0 in Nordmazedonien und 5:0 gegen Luxemburg – kann man inhaltlich kaum werten.
Den Auftritt am Nationalfeiertag 2021 in Belfast schon. Österreich presste Nordirland an die Wand, machte aber nur ein Tor. Nach Wiederanpfiff schlug es zweimal in kurzer Zeit ein – ein Konter und ein Freistoß – und die Nordirinnen zogen das Spiel auf ihr Niveau runter, nahmen Österreich den Rhythmus. Steffi Enzinger glich in der Nachspielzeit zumindest zum 2:2 aus.
Das Jahr 2021 – das mit einem braven Auftritt in Sunderland beim 0:1 in England und einem gebrochenen Schien- und Wadenbein von Gini Kirchberger beim 8:0 in Luxemburg endete – war bestenfalls durchwachsen. Das Fallobst sammelte man mühelos ein, aber bei den Auftritten gegen vernünftige Mannschaften war nicht viel Vergnügliches dabei.
2022: Höhenflug und Tiefschlag
Viel inhaltliche Arbeit war in der Corona-Zeit nicht möglich gewesen. Man behalf sich mit viel online vermittelter Theorie (Fuhrmann: „Die sind taktisch einiges gewöhnt, die können das zur Not auch auf diesem Wege aufnehmen“), die dann in der kurzen gemeinsamen Trainingszeit ohne lange Erklärungen umgesetzt werden sollte.
Beim Trainingslager in Spanien im Februar 2022 war gegenüber dem zähen Vorjahr eine dramatische Steigerung zu erkennen. Rumänien (6:1) und die Schweiz (3:0) waren dem erbarmungslosen Angriffspressing in keinster Weise gewachsen, Fuhrmann imponierte vor allem die Nachdrücklichkeit, mit der diese Spielweise in den beiden Tests in Marbella auch bei klarer Führung durchgezogen wurde. „Das war in aller Konsequenz wohl das Beste, was wir seit Jahren gespielt haben“, schwärmte die Teamchefin.
Im Sturmregen von Wr. Neustadt erarbeitete sich das Team danach ein 3:1 gegen Nordirland, womit Platz zwei in der Quali-Gruppe und damit das Playoff-Turnier für die erstmalige WM-Teilnahme nervenschonenderweise schon vor der verschobenen EM eingetütet war. Nur: Wie gut war Österreich wirklich? Das 8:0 gegen Lettland und ein 4:0 gegen Montenegro gaben darüber nicht wirklich Aufschluss. Solide Leistungen bei Testspielen gegen Dänemark (1:2) und in Belgien (1:0) deuteten an: Das wird schon passen.
Und wie es dann passte.
Vor 68.000 Zusehern im Old Trafford sah der Auftritt von Österreich so ähnlich aus wie neun Monate zuvor in Sunderland: Sehr solide, zuweilen unangenehm für die Lionesses, nach vorne relativ harmlos, aber defensiv auch nicht viel zugelassen. Es gab wieder eine 0:1-Niederlage, aber allenthalben Lob, zuweilen auch in Form geharnischter Kritik an den englischen Gastgeberinnen formuliert.
Mit einem weiteren Arbeitssieg gegen Nordirland (2:0) hatte man das erste Ziel erreicht, nämlich mit einer Chance auf das erneute Erreichen der K.o.-Runde in das letzte Gruppenspiel gegen Norwegen zu gehen. Dank des historischen 0:8-Debakels von Norwegen zuvor gegen England hätte Österreich sogar schon ein Unentschieden gereicht, darauf hatte man aber keine Lust. „Wie die Monster zertrampelten sie den letzten Rest norwegischen Stolzes unter einer nicht enden wollenden Kaskade von Angriffs- und Gegenpressing. Bei Norwegen haben sie Spielerinnen von Olympique Lyon, dem FC Barcelona und von Chelsea, aber klein wurden sie, ganz klein“, formulierten wir es an dieser Stelle.
Es war wohl das beste Spiel, das jemals ein österreichisches Frauen-Nationalteam auf den Rasen gezaubert hat, vor allem die erste Halbzeit. Einige Tage später hielt man das Viertelfinale gegen Deutschland trotz frühen Rückstandes zumindest 60 bis 70 Minuten lang offen und bereitete den DFB-Frauen einiges an Kopfschmerzen, bis die längere Bank das Pendel in die deutsche Richtung kippen ließ, in der Nachspielzeit schluckte man noch eher blöd das 0:2, aber es machte keinen echten Unterschied mehr.
Diese zwei Wochen in England waren der Höhepunkt der Ära Fuhrmann.
Die Resonanz war groß, das Stadion in Wr. Neustadt für das folgende WM-Quali-Heimspiel gegen England (0:2) deutlich zu klein – die Bilder von der benachbarten Wasserrutsche, von der aus einige Kiddies zuschauten, gingen um die Frauenfußball-Welt, begleitet mit Aufforderungen, man solle sich bitte angemessen schämen. Für das 10:0 gegen Mazedonien war die Anlage dann aber doch ausreichend.
Den EM-Schwung wollte man ins WM-Playoff mitnehmen, das Los meinte es nicht so schlecht mit Österreich – Schottland auswärts und Irland daheim sollte man schon bezwingen, wenn man zu einer WM will. Im schottischen Mistwetter von Glasgow ging aber 120 Minuten lang nichts für Österreich. 0:1 nach Verlängerung, der Horror von Hampden bedeutete einen schmerzhaften Schlag in die Magengrube.
Unmittelbar nach der EM hatten Viktoria Schnaderbeck und Lisa Makas das Ende ihrer Karrieren erklärt, einige Monate später auch Carina Wenninger (wiewohl diese nach einem Jahr Auszeit nun doch wieder spielt). Nach dem WM-Aus war eine ganze Saison da, um sich für die neue Nations League vorzubereiten – man startete im November mit einem 1:0-Sieg in Italien und einem 3:0 gegen widerstandslose Slowakinnen.
2023: Königinnen des Comebacks
Im Februar-Trainingslager auf Malta gab es dann den ersten großen Auftritt von Eileen Campbell. Die Vorarlbergerin mit nordirischer Mama sorgte im ersten von zwei Testspielen gegen die Niederlande für den späten Ausgleich, ehe Sarah Zadrazil in der Nachspielzeit sogar zum 2:1-Sieg treffen sollte. Vier Tage später gab es gegen den selben Gegner ein 0:4 und einige Wochen später lag man auch gegen Belgien nach zwei wunderlichen Gegentoren schon 0:2 im Rückstand – Österreich gewann aber dank Treffern in den Minuten 78, 84 und 90 noch 3:2.
Comebacks sollten ein bestimmendes Element von 2023 werden.
Beim Purtscheller-Debüt im April gewann Österreich 2:0 gegen Tschechien, es folgte ein ordentliches Spiel und ein Nachspielzeit-Gegentor beim 0:1 gegen Island, ehe die Nations League startete. In Oslo lief man der Musik eine Halbzeit lang eher hilflos hinterher, lag aber „nur“ 0:1 im Rückstand. Es folgte eine stark verbesserte zweite Hälfte, in der Campbell zum 1:1-Endstand traf. Dann, beim Rekordspiel im Stadion der Wiener Austria, waren erstmals über 10.000 Zuseher bei einem Frauen-Spiel in Österreich dabei, sie sahen eine frühe französische Führung und eine stark verbesserte zweite Hälfte der ÖFB-Frauen.
Dem 0:1 gegen Frankreich folgte eine hilflose erste Halbzeit in Altach gegen Portugal, ehe eine stark verbesserte zweite Hälfte folgte, in der ein Doppelschlag den 2:1-Sieg sicherte. „Ich will eigentlich gar nimmer wirklich was dazu sagen“, war Verena Hanshaw da die ständigen Fragen schon ein wenig leid, warum man immer eine Halbzeit brauche, um in Fahrt zu kommen. In Portugal war das Team dann sofort da, belohnte sich zwar nicht gleich, erarbeitete sich aber einen weiteren 2:1-Sieg – damit war der Klassenerhalt in der Leistungsgruppe A im Grunde fix.
Der mutige Auftritt in Frankreich Anfang Dezember machte durchaus Laune, auch wenn der spätere NL-Finalist doch zu einem zu hohen 3:0-Erfolg kam. Wie anderthalb Jahre zuvor hätte damit ein Remis gegen Norwegen zum zweiten Platz gereicht, wie anderthalb Jahre zuvor hatte Österreich darauf aber keine Lust. Angeführt von einer entfesselten Lilli Purtscheller ließen die ÖFB-Frauen die namhaften Konkurrentinnen bei klirrenden Minusgraden in der ziemlich schütter besuchten NV-Arena von St. Pölten aussehen wie plumpe Baumstämme. Norwegen kam nur zu einem bedeutungslosen Tor in der Nachspielzeit, Österreich gewann 2:1, „mia san verdammte Scheiße zweiter Platz“.
Die Systemumstellung von 4-3-3 auf 4-4-1-1 im Herbst hatte gegriffen. Höbinger, Campbell und Purtscheller wurden zunehmend zu tragenden Säulen, mit Georgieva und Degen gab es eine neue, verjüngte Innenverteidigung. Das Team sah bei sich Fortschritte im Ballbesitzspiel durch die vielen starken Gegner und es zeigte sich als mental sehr widerstandsfähig. Nur die Probleme auf der rechten Seite nach dem Kreuzbandriss von Laura Wienroither sorgten für Kopfschmerzen. Man startete aber mit großer Zuversicht in die EM-Quali.
2024: Stagnation, Rückfall, das Aus
Zurecht, diesen Eindruck vermittelte zumindest die erste halbe Stunde im Heimspiel gegen Deutschland in Linz. Schnell führte Österreich da 2:0, hetzte verunsicherte Deutsche in Fehler. Horst Hrubesch beruhigte sein Team in der Halbzeit, es glich aus und ein geschenkter Elfmeter brachte sogar den deutschen 3:2-Sieg. Vier Tage später zeigte Österreich in Polen großen Respekt vor den über die schnelle Ewa Pajor gespielten Konter, kam aber zu einem 3:1-Arbeitssieg.
Andererseits hatte Österreich bereits vor dem Quali-Start im Trainingslager eine neue Defensiv-Strategie ausprobiert, Gegnerorientierungen mit Übergabe der Deckungs-Aufgaben, um mehr Spielerinnen nach vorne bringen zu können, auf Kosten der defensiven Absicherung. Es ging spektakulär schief, 2:7 gegen England, noch in der Nachspielzeit lief ein weit aufgerücktes Österreich in zwei Gegentore. Es folgte ein sehr wackeliges Spiel gegen Dänemark mit einem schmeichelhaften 1:1.
Wo lag die Wahrheit im Frühjahr 2024?
Die beiden Spiele gegen Island würden über Gruppenplatz zwei und das direkte EM-Ticket entscheiden, das war schon vorher abzusehen. In Ried lähmte Island den österreichischen Aufbau, es war mühsam, nach dem 1:0 per Elfmeter nach einer halben Stunde schien man aber auf Schiene. Im Bemühen, den knappen Sieg zu verwalten, bekam der Gegner in der 75. Minute einen Elfmeter geschenkt, das Ergebnis von 1:1 war über das Spiel gesehen für Island aber mindestens verdient. Österreich redete sich gut zu, das wird schon in Reykjavík, wir holen die drei Punkte dort nach.
Doch auf den nordatlantischen Wind reagierte man überhaupt nicht. Erst bekamen hohe Bälle im Rückenwind ein Eigenleben, dann konnte man mit Gegenwind und unter Gegnerdruck nicht mehr hinten rausspielen. Am Ende stand es 1:2, aber es war ein inhaltliches Debakel und das Ergebnis war noch der erfreulichste Aspekt daran. Erwin Hujecek und Lisi Tieber waren sichtlich erschüttert, als sie im TV-Studio danach mit leerem Blick diese Katastrophen-Leistung einzuordnen versuchten. Das Direkt-Ticket war verspielt, man beendete die Gruppe nach einem sehr soliden 3:1 daheim gegen Polen und einem ziemlich naiven 0:4 in Deutschland als Dritter.
Jeglicher personeller Mut war in diesem Jahr aus der sportlichen Leitung gewichen, von einzelnen Verletzungen abgesehen spielte immer die selbe Mannschaft. Selbst, als nach dem glanzlosen 3:0-Arbeitssieg in Slowenien die Möglichkeit zur Rotation da gewesen wäre, wurde das nicht gemacht. Ein Jahr davor sind fast alle Spielerinnen auch in ihren Vereinen auf einer Erfolgswelle geschwommen, nun kämpften fast alle gegen Formdellen. Es gab im Rückspiel ein 2:1 gegen Slowenien, Pflicht erfüllt, zufrieden war aber keiner.
Das Jahr war geprägt von vielen Fehlpässen im Aufbau, kaum herausgespielten Chancen, inhaltlicher wie personeller Stagnation. Vor dem Island-Rückspiel gab man sich übertrieben überzeugt von sich selbst, nach den Slowenien-Spielen war die ernüchterte Erkenntnis aber längt manifest, dass man große Probleme hatte. Polen – ein vernünftiges, aber weiß Gott nicht angsteinflößendes Team, das zuvor in der A-Leistungsgruppe der EM-Quali alle sechs Spiele verloren hatte – wurde zum gefährlichen Kontrahenten hochgeredet.
Was kam, wissen wir: Man bekam nie Tempo ins eigene Spiel, die Strafraumbesetzung war zu dünn, die spielerischen Lösungen kaum da und als die Polinnen merkte, dass sie nichts zu befürchten hatten, wurden sie mutiger und gewannen das Hinspiel in Danzig verdient mit 1:0. Vier Tage später in Wien war bei Österreich viel Wille da, aber kaum spielerische Struktur. Man arbeitete sich an Polen ab, kam zu einigen Abschlüssen, wirklich gefährlich waren die wenigsten. In der Nachspielzeit traf Polen sogar noch, gewann auch das Auswärtsspiel mit 1:0.
Es war das letzte Spiel unter der Leitung von Irene Fuhrmann.
Numerische und ideelle Bilanz
In den 53 Spielen stehen insgesamt 33 Siege und 19 Niederlagen zu Buche. Gegen im FIFA-Ranking höher klassierte Teams gab es sechs Erfolge in 26 Spielen (zweimal gegen Norwegen, je einmal gegen die Niederlande, Italien, Belgien und die Schweiz). In Matches gegen schwächer klassierte Mannschaften gab es 22 Siege in 27 Spielen, dazu zwei Remis und drei Niederlagen – davon eine nach Verlängerung (in Schottland) und zwei in regulärer Spielzeit. Das waren genau die letzten beiden, jene gegen Polen.
Eine gewisse Schwäche in Playoff-Spielen lässt sich also nur schwer dementieren.
Irene Fuhrmann wird immer die erste Frau bleiben, die das Team hauptamtlich betreut hat. Die schönen Erfolge bei der EM 2022 und in der Nations League 2023 kann ihr keiner nehmen, sie hat weite Teile des Generationswechsels moderiert, lange ohne an sportlicher Potenz einzubüßen. Das ist ihr hoch anzurechnen. Sie stand wesentlich mehr im medialen Fokus als Dominik Thalhammer vor ihr, zum einen durch ihr Dasein als Frau, zum anderen aber auch, weil Thalhammer lange quasi im Verborgenen werken hatte können, mehr oder minder unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Das war Fuhrmann nicht möglich. Unterlief Thalhammer bzw. den von ihm betreuten Spielerinnen Fehler, bekam das zumindest vor 2017 praktisch niemand mit, der nicht auf Ballverliebt davon gelesen hat. Nur von einem einzigen der 53 Fuhrmann-Spiele gab es keine ORF-Übertragung (das war jenes in Kasachstan im September 2020), 31 wurden auf ORF Sport plus gezeigt, 19 auf ORF1 und zwei in der ORF TVThek.
Zum Vergleich: Von den ersten 50 Thalhammer-Spielen wurden sieben auf ORF Sport plus gezeigt, eines im ÖFB-Stream und 42 gar nicht.
Mit größerer medialer Präsenz vergrößert sich auch das Ausmaß, in dem man öffentlicher Kritik ausgesetzt ist. Unter Thalhammer hat lange niemand etwas von den ÖFB-Frauen erwartet, die Erfolge von 2017 und letztlich auch von 2022 haben die Erwartungshaltung entsprechend steigen lassen – auch zurecht. Verpasst man ein hoch gestecktes Ziel (WM-Teilnahme) aufgrund eines einzelnen schlechten Spiels, lässt sich das wegmoderieren.
Verpasst man hingegen die EM-Teilnahme, die längst gemeinhin als Mindestziel angesehen wird – auch von ehemaligen Spielerinnen wie Viktoria Schnaderbeck und Lisa Makas durchaus öffentlich formuliert – fällt das schwerer, zumal dieser Misserfolg eben nicht aus dem Nichts kam.
Die Geometrie des Spiels ging verloren
„Die Spielerinnen lernen, selbstständig Dreiecke zu bilden und nicht nur eingeübte Passwege zu stellen. Das ist ein großer, weiterer Schritt in Richtung Flexibilität und Systemunabhängigkeit!“ Dies sagte Dominik Thalhammer im Herbst 2019.
Solange man unter Fuhrmann gegen starke Teams pressen konnte, sah man gut aus, aber mit dem Ball ging immer weniger weiter. Das war 2020/21 etwa gegen Serbien oder Finnland oder Nordirland zu sehen, machte in der Folge aber wenig aus, weil man entweder gegen wirklich namhafte Mannschaften spielte, wo die ÖFB-Frauen ohnehin nicht selbst gestalten mussten – oder, wie in der WM-Quali, gegen heillos unterlegene.
2024 aber, da hießen die Kontrahenten Island, Polen, Slowenien und wiederum Polen – gutklassige bis vernünftige Teams ohne Ambition, selbst zu gestalten. Da wurde die vernachlässigte Kunst der Spielgestaltung offenkundig. Man baute ein wenig aneinander vorbei auf, das Spiel ohne Ball war ungenügend, die Ballführende war immer ein wenig auf sich alleine gestellt. Die Geometrie des Spiels ist verloren gegangen – und damit Irene Fuhrmanns Argumente zum Weitermachen. Ihre Nachfolge soll bis Jänner geklärt sein, heißt es seitens des ÖFB. Angesichts des für sich gesehen aus dem Nichts kommenden Rücktritts von Liése Brancão als langjährige Trainerin von Serienmeister SKN St. Pölten darf zumindest vermutet werden, dass die Entscheidung intern bereits gefallen ist.
Einsätze und Tore unter Irene Fuhrmann
Einsätze: Dunst 53, Puntigam 51, Hanshaw 47, Zadrazil 47, Billa 46, Feiersinger 45, Zinsberger 43, Höbinger 42, Georgieva 41, Naschenweng 35, Kirchberger 34, Wienroither 34, Wenninger 31, Hickelsberger 26, Campbell 22, Schasching 22, Kolb 21, Schiechtl 21, Degen 20, Pinther 19, Purtscheller 18, Enzinger 16, Makas 13, Wienerroither 11, Plattner 10, Eder 9, Schnaderbeck 9, Kresche 6, Klein 5, Pal 5, Wenger 5, Magerl 3, Croatto 2, Felix 2, Weilharter 2, Krammer 1, Leitner 1, Mayr 1.
Tore: Billa 20, Dunst 11, Campbell, Puntigam 9, Höbinger 7, Naschenweng 6, Enzinger, Feiersinger 5, Kirchberger, Plattner, Schiechtl, Zadrazil 4, Degen, Hanshaw, Wenninger 3, Hickelsberger, Purtscheller, Schasching, Wienerroither, Wienroither 2, Kolb, Magerl, Makas, Pinther 1.