0:1 zum EM-Start gegen England: Nicht Fisch, nicht Fleisch

Mit einer 0:1-Niederlage gegen Gastgeber England starteten Österreichs Frauen in die EM. Der Gegentreffer nahm nach einer couragierten Anfangsphase die Luft aus dem ÖFB-Spiel und es dauerte lange, bis man merkte, dass die Engländerinnen vor knapp 70.000 erstaunlich leisen Zusehern im Old Trafford verwundbar gewesen wären.

England – Österreich 1:0 (1:0)

Österreichs Teamchefin Irene Fuhrmann musste in Folge des Schüsselbeinbruchs von Maria Plattner etwas herumschieben: Laura Feiersinger, die sonst auf dem Flügel gestartet wäre, rückte auf die Acht und Katharina Naschenweng kam auf der nominell offensiven Außenbahn zum Einsatz. Bei England kam exakt die erwartete Elf auf den Platz.

Ambitionierte Anfang

Österreich begann in der Anfangsphase, durchaus couragiert schon in der gegnerischen Hälfte die Engländerinnen anzulaufen und auch konsequent zu doppeln. Das sorgte für einen frühen Abschluss und einen Eckball und zwar sonst nicht für große Torgefahr, aber man beschäftigte die Lionesses ein wenig und signalisierte ihnen: Passt nur auf, wir können schon, das wird kein Spaziergang für euch.

Hatte sich England mal mit dem Ball zur Mittellinie gespielt, stellte sich Österreich in einem tiefen Block in einem 4-5-1 auf, aber zumindest in der Anfangsphase ließ man auch weiterhin in der englischen Hälfte seine Präsenz wissen – bis zum Gegentor nach einer Viertelstunde. Puntigam brachte zweimal den Ball nicht an Kirby vorbei, diese sah Mead alleine Richtung zweiten Pfosten gehen; Zinsberger wurde überhoben und Wenninger kam um zwei Hundertstelsekunden zu spät.

Wirkungstreffer

Das Tor war ein Wirktungstreffer für Österreich. Das hohe Anlaufen wurde komplett eingestellt, man überließ England den Ball und igelte sich zunehmend hinten ein. Feiersinger stellte sich mit vollem Einsatz dagegen und erkämpfte Bälle, aber weil man sich nicht im Verbund auf einen Gegenstoß committen wollte oder konnte, blieben Ballbesitzphasen kurz und England konnte sich die ÖFB-Frauen zurechtlegen. Fran Kirby war nicht ganz so omnipräsent wie vor acht Monaten, aber doch immer anspielbar und immer mit einer Idee in petto.

Ein Feature, das beim englischen 1:0-Heimsieg in der laufenden WM-Quali gewinnbringend zum Einsatz gekommen ist, waren Überladungen auf der Seite des Strafraums, vor allem der linken Seite. Dieser Move wurde auch in diesem Match wieder auffällig konsequent gespielt: Die hoch agierende Bronze und Mead vor ihr, dazu wahlweise White oder Kirby zogen Schnaderbeck aus dem Zentrum heraus, um Hanshaw zu helfen. In das entstehende Loch vor dem Tor kamen die Bälle, in Sunderland letzten November entstand so das einzige Tor, auch diesmal wurde es aus diesen Situationen oft gefährlich.

Linke Abwehrseite ein Problem

Überhaupt war die linke Abwehrseite bei Österreich problematisch. Durch die Verletzung von Plattner musste Feiersinger auf die Acht rücken, dafür stand die körperlich nicht ganz so robuste Naschenweng gegen Bronze ein wenig auf verlorenem Posten. Schnaderbeck kaschierte ihre fehlende Spielpraxis nach Kräften, aber auch sie konnte Brände nur austreten, nicht nachhaltig löschen.

Rechts biss sich Wienroither, wie sie es eben macht, an Hemp fest und Dunst hielt Daly (die sich rechts wohler fühlt) halbwegs gut in Schach. Einmal vertändelte Wenninger den Ball leichtfertig gegen White, in dieser und noch zwei anderen Situationen rettete Zinsberger. Dass Österreich nur mit einem 0:1 in die Pause ging, war eher schmeichelhaft.

Fans und Gegner eingelullt

Offiziell waren es 68.800 Zuschauer im Old Trafford, die Atmosphäre war aber unglaublich flach und sie wurde nach dem Seitenwechsel noch flacher. Ob es Absicht war oder nicht, aber Österreich hat sowohl die Gegenspielerinnen als auch die Zuseher auf den Rängen erfolgreich vermittelt, dass von ihnen keine Gefahr ausgeht. Naschenweng versuchte es mal aus der Distanz, nach einer Stunde musste sie für Hickelsberger weichen. Frische Beine und Tempo über die linke Seite sollten für Entlastung sorgen.

In der Folge brachte auch Wiegman drei neue Offensivkräfte (Russo, Toone und Kelly statt White, Kirby und Mead), die kurz mal etwas neuen Wind brachten, aber schnell trottete das Spiel wieder vor sich hin. Das Publikum blieb kein Faktor, England schaltete zunehmend in den Verwalte-Modus.

Spatz Hand, Taube Dach?

Womöglich versuchte Österreich nach dem Gegentreffer einfach, möglichst ohne zweites Gegentor in die Pause zu kommen, um sich dort zu sammeln, man müsste Manuela Zinsberger fragen, was sie im Huddle nach dem Tor gesagt hat. Aber: In der zweiten Hälfte vermittelten die ÖFB-Frauen lange den Eindruck, nicht genau zu wissen, was denn nun die Ambition ist. Wieder mehr draufgehen und höher aufrücken vorne, um bei einem Ballgewinn nur 40 Meter vor sich zu haben, keine 70 Meter? Oder doch lieber weiter defensiv diszipliniert verteidigen?

So machten sie letztlich nichts davon wirklich und die Folge war, dass die Absicherung hinter der ersten Pressing-Welle – eigentlich die ganz große Stärke dieses Teams – jede Struktur vermissen ließ und man im Gegenteil Räume für die Lionesses öffnete. Diese bespielten die Räume nicht mit Nachdruck, wohl auch, weil Kirby nicht mehr da war, England ließ Österreich am Leben.

Da geht noch was

In der 77. Minute passierten zwei Dinge. Zum einen zwang Barbara Dunst die englische Torhüterin Earps zu einer ersten wirklichen Parade und zum anderen verließ Viktoria Schnaderbeck zugunsten von Marina Georgieva das Feld. Österreich hatte mit ersterem erkannt, dass England absolut verwundbar ist, vielleicht das Match geistig schon halb abgehakt hatte. Und Österreich rückte nun wieder mehr im Verbund auf, mit einer zweifelsfrei fitten Innenverteidigerin mit Spielpraxis neben Wenninger.

In diese letzten 15 Minuten waren die ÖFB-Frauen dem Ausgleich näher als die Lionesses der Entscheidung. Ein Hand-Elfmeter wurde nach VAR-Check (zu Recht) nicht gegeben, Hickelsberger zog einmal ab, auch die für die an der Schulter angeschlagenen Feiersinger eingewechselte Höbinger brachte neue Verve ins abgekämpfte Mittelfeld. Eine wirklich zwingende Chance zum 1:1 war aber nicht mehr dabei.

Fazit: Zwiespältig mit Höhen und Tiefen

Also, was war es denn nun? Ein brauchbares Resultat gegen den gastgebenden Turnierfavoriten, das Norwegen erst einmal toppen muss? Oder eine verpasste Chance gegen ein nicht allzu überzeugendes Heim-Team vor einer Kulisse, die größer aussah als sie war? Denn die orangen Wände auf Hollands Tribünen vor fünf Jahren machten erheblich mehr Betrieb als die vor sich hin murmelnde und Papierflieger werfende Rekord-Kulisse im Old Trafford.

Einiges lief nicht nach Wunsch, auch von der Zentimeterentscheidung beim Gegentor abgesehen. An Sarah Zadrazil lief das Spiel eher vorbei. Barbara Dunst war wie immer bemüht hoch drei, aber oft kam am Ende die falsche Entscheidung heraus. Nici Billa hing so in der Luft, dass sie sich die Bälle zuweilen ganz tief holen musste. Andere spielten groß auf: Laura Wienroither nahm die hochgelobte Lauren Hemp komplett aus dem Spiel, Manuela Zinsberger rettete einige Male stark und Laura Feiersinger bosste das österreichische Mittelfeld, wie es sonst Zadrazil macht. Hoffentlich ist ihrer Schulter nicht allzu viel passiert.

Auch die Engländerinnen werden nicht so recht wissen, was sie mit dem Spiel nun anfangen sollen. Es gab den erwarteten Sieg, aber überzeugend war der nicht und womöglich war das der bisher blasseste Auftritt unter Wiegman. Österreich hat den großen Auftakt ohne Schrammen überstanden, aber eben auch ohne Punkt. Die adrenalingedröhnte Positivität von Zadrazil im Flash-Interview mag befremdlich gewirkt haben, ebenso wie die krampfhafen Bemühungen der ORF-Crew, eine über weite Strecken nicht allzu ambitionierte Darbietung als großartigen moralischen Sieg zu verkaufen.

Es macht aber durchaus Sinn, wenn man im ÖFB-Lager die Positiva betont, denn das kommende Match gegen Nordirland wird überhaupt nichts mit diesem gegen England zu tun haben und das letzte, vermutlich oder hoffentlich entscheidende gegen Norwegen wahrscheinlich auch nicht. Und so bleibt als Antwort auf die Frage, ob das eine verpasste Chance war oder ein halbwegs brauchbarer Auftakt, vermutlich:

Beides.

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.