Österreich 2, Deutschland 3 – so sind sie, die Deutschen

30 Minuten vor Mitternacht, über eine Stunde nach Spielschluss. Barbara Dunst, wie Sarah Puntigam neben ihr immer noch im roten Trikot und der schwarzen Hose, eruiert gestenreich und mit verzagtem Gesicht wieder und wieder das Geschehene mit ORF-Expertin Lisi Tieber, selbst ehemalige Teamspielerin. Was da zuvor passiert ist, in den 95 Minuten auf dem Rasen, ließ niemanden im österreichischen Lager so leicht los.

Und die Deutschen? Sie rennen der Musik eine Halbzeit lang hinterher, wirken phasenweise hilflos. Spielidee gibt’s keine. Und dann nützen sie zwei Unachtsamkeiten, verwerten einen schwindligen Elfmeter und fahren doch mit den drei Punkten nach Hause. Tja, so sind sie, die Deutschen.

Österreich – Deutschland 2:3 (2:1)

Konsterniertes österreichisches Lager

Was macht man jetzt als Österreich mit dieser 2:3-Heimniederlage gegen Deutschland, nach einer frühen 2:0-Führung? Ärgern, weil die Gegentore wirklich nicht sein mussten – oder anerkennen, dass Deutschland in der zweiten Halbzeit um zwei Klassen besser war als in der ersten? „Heute ärgern. Morgen nicht mehr“, sagt Isabel Hochstöger, Abteilungsleiterin Frauenfußball im ÖFB. Das Lächeln wirkt gequält.

Kein Wunder. Denn zumindest in den ersten 45 Minuten merkte man nicht viel vom verletzungsbedingen Fehlen des Bayern-Duos Zadrazil und Naschenweng. Teamchefin Irene Fuhrmann schob Celina Degen aus der Abwehr auf die Sechs neben Puntigam auf die Zadrazil-Position; Kathi Schiechtl startete rechts hinten statt Naschenweng. Wobei – was heißt „hinten“?

Von Beginn an schoben die ÖFB-Frauen, im gewohnten 4-4-1-1 angetreten, weit nach vorne, pressten schon auf die deutschen Innenverteidigung und Torhüterin Frohms. Deutschland kam kaum heraus und das Angriffspressing zeitigte schnell zählbare Ergebnisse – Campbell profitierte erst von Doorsouns Panik, hatte dann auch gegen Hendrich Ballglück, und versenkte zum 1:0 nach neun Minuten. „Wir haben uns ein Spiel aufdrücken lassen, das wir nicht können“, monierte Deutschlands Trainer Horst Hrubesch nach dem Spiel.

Wo ist Lena Oberdorf?

Die große Problemzone der Deutschen war vor allem das Mittelfeld-Zentrum. Das sehr gegnerorientierte Deckungsspiel, das zuletzt beim 2:7 gegen England so dramatisch schief gegangen war, wurde in abgeschwächter Form gezeigt, und es zeigte Wirkung. Die beiden Achter Nüsken und Lohmann hatten sofort Puntigam und Degen auf den Zehen stehen und Lena Oberdorf war kaum mehr als körperlich anwesend.

„Ich finde, Lena Oberdorf hat ein super Spiel gezeigt“, sollte Hrubesch nach dem Match zu Protokoll geben. Er kann nur die zweite Halbzeit gemeint haben. Denn zuvor hatte sich die hoch veranlagte Sechserin vom Spiel treiben lassen, anstatt es in die Hand zu nehmen, sie bot sich angepressten Mitspielerinnen nicht an, ging kaum auf lose Bälle. Genau eine solche Aktion, in der die 22-Jährige nur teilnahmslos zuschaute, führte zum Freistoß in der 16. Minute, aus dem Österreich sogar das 2:0 erzielte.

Deutschland nicht pressingresistent

Der VfL Wolfsburg hat ein großes Problem mit der Pressingresistenz. Der deutsche Vizemeister hat sich in der Europacup-Qualifikation vom FC Paris buchstäblich rauspressen lassen, hat auch in der Liga mit anlaufenden Gegnern Probleme. Die Eindrücke der jüngsten Vergangenheit legen diesbezüglich eine gewisse Wolfsburgisierung des DFB-Teams Nahe, zumal das Gerüst des Teams eher vom (ehemaligen?) nationalen Nonplusultra aus dem Norden kommt als vom neuen aus München. In Linz standen nur vier Wolfsburgerinnen auf dem Feld, aber auch die anderen – Nüsken und Lohmann, Linder und vor allem die komplett indisponierte Doorsoun – wirkten kaum besser gerüstet.

„Alle bei uns haben genau gewusst, was auf uns zukommt. Und doch haben wir überhaupt nicht dagegen gehalten, haben die Zweikämpfe nicht angenommen, haben die Österreicherinnen einfach machen lassen“, zeigte sich Hrubesch geradezu verstört von der ersten Halbzeit, „wenn wir da das 0:3 kassieren, weiß ich nicht, ob das noch so glatt geht. Ich bin heilfroh, dass wir aus der Nummer noch rausgekommen sind.“ Zumal der Spielaufbau langsam war, unpräzise und so ideenlos, dass die wie mit der Brieftaube versendeten Passideen mit Leichtigkeit von den aufmerksamen Österreicherinnen abgefangen wurden.

Auch DFB-Frauen-Direktorin Nia Künzer stapfte wortlos und mit übersichtlichem Gesichtsausdruck in Richtung Mannschaftsbus. Sie wussten genau, im Lager des DFB, dass sie da mit einem kräftigen blauen Auge davon gekommen waren. „Wir wissen, dass wir uns jetzt was anhören dürfen“, lächelte Klara Bühl etwas kleinlaut. Nur DFB-Geschäftsführer Andreas Rettig machte einen recht entspannten Eindruck. Ist ja nochmal gut gegangen.

Billig die Führung hergegeben

Gegen Ende der ersten Halbzeit schon ließ der Druck, den Österreich zuvor ausgeübt hatte, nach – völlig logisch, eine solche Intensität kann man nicht über einen so ausgedehnten Zeitraum aufrecht erhalten. „Unsere Laufwege wurden weniger präzise“, bestätigte Irene Fuhrmann. Dass man Marina Georgieva nicht und nicht half, den Ball irgendwie anzubringen, sie die Kugel folgerichtig verlor und Klara Bühl zum 1:2 traf (39.), hätte dennoch nicht sein müssen. „Na, das hatte sich jetzt aber nicht gerade abgezeichnet“, registrierte es Frank Hellmann von der Frankfurter Rundschau im Pressebereich trocken.

„Das Tor hat sicher was gemacht mit Deutschland“, vermutete Fuhrmann, „und ganz sicher hat es was mit uns gemacht.“ Die extreme Intensität der ersten halben Stunde forderte nach dem Seitenwechsel ihren Tribut und Hrubesch stellte für die zweite Halbzeit um. Laura Freigang kam für die überforderte Lohmann und sie stellte sich als hängende Spitze in einem 4-4-1-1 auf, dazu ersetzte Debütantin Bibiana Schulze-Solano in der Abwehr Doorsoun. Hrubesch schwärmte schon im Vorfeld von der Ballsicherheit der Deutsch-Spanierin, sie bewahrte auch viel mehr Ruhe als Doorsoun.

Mit einer feinen Kombination über die halblinke Seite, wiederum von Bühl abgeschlossen, stellte Deutschland rasch nach Wiederbeginn das 2:2 her, und es war schon ein wenig zu spüren: Einen Weg zurück zur Führung wird es für Österreich kaum mehr geben.

Da ist Oberdorf!

Horst Hrubesch wand sich um präzise Aussagen herum. Die Vermutung, dass er Lena Oberdorf in der Halbzeit ganz besonders in seine Gebete eingeschlossen hat, liegt aber nahe. Sie riss das Mittelfeld nun komplett an sich und übernahm Verantwortung, ging Bällen entgegen, ging in Zweikämpfe und hatte das Spiel nun vor sich.

Überhaupt rückte auch die Abwehr nun viel weiter auf, gewährte Österreich nicht mehr die großen Räume zwischen den Mannschaftsteilen, in die die ÖFB-Frauen zuvor so konsequent hineingekontert hatten. Viele Torchancen erarbeiteten sich die Deutschen nicht, aber sie neutralisierten Österreich in dieser Phase sehr geschickt. Und dann kam der Elfmeter.

Nach dem Elfer fehlen die Mittel

„War keiner“, konstatierte Almuth Schult am ARD-Mikro sofort. „Muss man nicht geben“, bestätigte auch Horst Hrubesch. „Aus meiner Sicht kein Elfer, oba es is eh wurscht, wos i jetzt sog – er zählt und wir haben verloren“, sprach Manu Zinsberger selbst. Sie klärte den Ball, ehe Laura Freigang den am Boden liegenden Oberschenkel der Torhüterin suchte, einhakte und hinfiel. Giulia Gwinn ließ sich das Geschenk von Referee Tess Olofsson nicht entgehen – das 3:2 für Deutschland nach einer Stunde.

Ab ca. 60. Minute

Es war schon beim EM-Viertelfinale zu sehen, in dem Österreich lange mitgehalten hat, Chancen hatte, aber am Ende verlor: Wenn nach einer Stunde die Kräfte ein wenig nachlassen, kann Deutschland mit den Wechseln neue Impulse setzen, die Gesamt-Qualität oben halten. Den Vorteil einer so langen Bank hat Österreich nicht, vor allem, wenn von Haus aus schon zwei Leistungsträger fehlen. Laura Feiersinger, bei der AS Roma nicht mehr als Ergänzungsspielerin, kam rein, aber sonst hatte Fuhrmann nicht viele Möglichkeiten.

Im Nations-League-Herbst gab es einige Spiele, in denen man nach Seitenwechsel eine schlechte erste Hälfte auszubügeln hatte: In Oslo, in Wien gegen Frankreich, in Altach gegen Portugal. Das gelang, weil man selbst Umstellungen vornehmen konnte und gesehen hat, was falsch lief. Nun ist die Lage anders gewesen: Man war absolut on top, aber wenn ein Gegner von der Qualität Deutschlands reagiert – und gut reagiert – ist das eine andere Hausnummer.

Die aktivere Rolle von Oberdorf, die Präsenz von Freigang im Angriffsdrittel, die an Sicherheit gewonnene Abwehr – all das, verbunden mit der schwindenden Puste, sorgte dafür, dass Österreich nie wieder den Druck der ersten Halbzeit aufbauen konnte. In der Schlussphase verwaltete Deutschland die knappe Führung sogar relativ komfortabel.

Bitterkeit, Trauer, Frust

„Eine 2:0-Führung dürfen wir nicht so hergeben“, stöhnte Sarah Puntigam, „es tut einfach weh, aus so einem Spiel mit null Punkten rauszugehen.“ Irene Fuhrmann stapfte mit dem finsterst-möglichen Gesicht zur Pressekonferenz, sprach von „einem der bittersten Fußball-Abende für mich als Teamchefin, weil ich es sehr schade finde, dass wir uns für diese erste Halbzeit nicht belohnen konnten.“

Sarah Zadrazil stand in zivil in den Katakomben, ihr Mitwirken hätte sicher geholfen. „Und trotzdem mussen wir stolz sein darauf, wie wir aufgetreten sind, wie mutig und wie aggressiv und wie präsent wir gegen den Ball agiert haben“, so Fuhrmann. „Aber vom Zufrieden sein kann man sich auch nichts kaufen“, weiß Zinsberger, „wir wussten, dass Deutschland wenig Chancen braucht. Wir müssen da cleverer sein.“ Und Doppel-Torschützein Eileen Campbell? „Sicher ist es ein schönes Gefühl, zwei Tore zu machen. Aber die Trauer überwiegt.“

„Holen uns die Punkte zurück“

So realistisch muss man sein: Angesichts der punktegenauen Adaptierungen von Hrubesch für die zweite Halbzeit und der fehlenden Alternativen von der ÖFB-Bank war es trotz der schnellen 2:0-Führung wahrscheinlich für Österreich kaum möglich, das Spiel wirklich zu gewinnen – dafür hätte es wohl ein drittes Tor gebraucht. Aber: Das Match zu verlieren, war wirklich nicht nötig. Das erste Gegentor war zu billig und vor dem dritten hat Marina Georgieva weder konsequent genug auf den Ball geschoben noch hat sie die Tiefe abgedeckt – in ihrem Rücken ist Freigang auf Zinsberger zu und hat den Elfmeter geschunden. Dieser war beileibe nicht zwingend, aber auch nicht frei erfunden. Fuhrmann an der Seitenlinie schlug ob Georgievas Stellungsfehler schon die Hände über dem Kopf zusammen, noch ehe Freigang überhaupt am Ball war.

Wenn dieses Spiel mit einem 2:2 endet, ist niemand wirklich traurig darüber. So oder so: Die ÖFB-Frauen haben gezeigt, dass das 2:7 gegen England vor fünf Wochen nicht mehr als ein missglücktes Experiment mit zu vielen naiven Momenten war, quasi das untere Ende des Leistungsvermögens. Die erste Hälfte in Linz, vor 7.500 Zusehern – „nur“, dass man das mal sagen darf in diesem Kontext – die aber Krach gemacht haben wie doppelt so viele, war das obere Ende.

Deutschland sah eine Halbzeit lang eben doch aus wie ein sturmreif geschossener Schein-Riese. „Wir sind keine Mannschaft, die eingespielt ist, die probieren kann. Seit ich hier bin, ging es in jedem Spiel nur darum, zu gewinnen, das Resultat zu holen“, verteidigte sich Hrubesch, „die Möglichkeit auszuprobieren haben wir nicht!“

Und am Ende schauten auch die Österreicherinnen wieder nach vorne. Zum Spiel in Gdynia am Dienstag, dem Pflichtsieg in Polen. „Es gilt das jetzt rasch zu verdauen, aber das Spiel muss uns auch Mut geben, wir haben einer Top-Nation wieder alles abverlangt“, sagt Fuhrmann. Polen hat das Auftaktspiel in Island erwartungsgemäß 0:3 verloren. Ja, es ist ein anderes Spiel, andere Ausgangsposition. Wurscht, sagt Manuela Zinsberger. „Mich interessiert unsere Rolle nicht. Es geht nur darum, das am Platz umzusetzen, was wir uns vornehmen.“

Und am 16. Juli, beim abschließenden Gruppenspiel, gilt es dann noch eine Rechnung zu begleichen, wie Sarah Puntigam ankündigt. „Wir haben noch ein Rückspiel in Deutschland“, sagt sie. „Da wollen wir unsere Punkte zurück!“

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.