Was Andorra und Italien über die EM-Quali aussagen

Aserbaidschan, Estland, Schweden, Belgien. Drei dieser vier Teams muss Österreich in diesem Jahr hinter sich lassen, um sich auf direktem Wege für die dritte EM-Endrunde in Folge zu qualifizieren. Was können die letzten beiden Testspiele vor der WM – den Siegen über Andorra und Italien – darüber verraten, was man von ÖFB-Team erwarten kann?

Aufschlussreicher Andorra-Aufgalopp

In Erinnerung wird von diesem Doppelspieltag natürlich vor allem der hochverdiente 2:0-Erfolg über den immer noch amtierenden Europameister bleiben, aufschlussreicher war aber der durch ein spätes Arnautovic-Traumtor gesicherte 1:0-Erfolg über Andorra in Málaga.

Warum? Ganz einfach: Die sechs Rangnick-Länderspiele davor fanden gegen Kroatien, Frankreich und Dänemark statt, allesamt über Österreich zu stellen, allesamt geradezu ideale Gegner für den vertikalen Pressing- und Umschaltfußball der Marke Rangnick. Andorra war der erste Gegner, bei dem Österreich ohne Wenn und Aber die Bürde des Aufbaus hat und das war unter Foda eines der ganz großen Mankos gewesen.

Tatsächlich hatte Österreich 81 Prozent Ballbesitz in einem Match, das jene gegen Aserbaidschan und Estland deutlich besser simulierten konnte als es gegen Italien oder Frankreich der Fall ist. Auffällig bei dem Match im gähnend leeren Stadion von Málaga – die Kulisse erinnerte an die Corona-zeit – waren die zwei völlig unterschiedlichen Zugänge vor und nach der Pause.

1. Halbzeit (links) und 2. Halbzeit (rechts)

1. Halbzeit: Kurze Klatschpässe

In der gegnerischen Hälfte operierte man nämlich mit vielen kurzen Klatschpässen, um die Ballzirkulation in hohem Tempo zu halten. Sowohl als Doppelpass als auch als Weitergabe an Dritte gezeigt, sollte damit wohl die dichte Deckung im 5-4-1 von Andorra auseinander gezogen werden. Die Laufwege wirkten deutlich einstudiert, der Ballführende hatte auch in engen Situationen immer eine, oft auch zwei Anspielstationen.

Schnelles Denken und schnelles Handeln waren gefragt, die kurzen Pässe kamen an, man bewegte sich und den Gegner damit rasch von einem Kanal in den nächsten. Die Formation – ein 3-5-2 – erlaubte dies auch, da die Österreicher unkompliziert im Zentrum verdichten konnten und dort leicht Überzahl in Ballnähe herstellen konnten.

Das Problem dabei war bei aller Spielkontrolle, dass die Andorraner das Spiel rasch durchschauten und keine Löcher anboten, durch die Österreich vertikal in den Strafraum kommen hätte können. Wenn es vor das Tor ging, dann zumeist aus Flanken; Gregoritsch und Kainz im Zentrum kamen gegen die verdichtete Dreierkette von Andorra aber kaum zur Geltung.

2. Halbzeit: Mehr Dribblings, längere Pässe

Für die zweite Hälfte wechselte Rangnick nicht nur das Personal, sondern auch die Spielweise. Gegen die tief stehenden Andorraner tat man sich weiterhin schwer, wirklich Vertikalität ins eigene Spiel zu bekommen, die kurzen Pässe wurden nun aber durch jene aus der Kategorie Mitteldistanz ersetzt. Außerdem wurde das Spiel nun deutlich mehr mit dem Ball am Fuß nach vorne getragen.

Also: Gegner nicht durch kurze, schnelle Pässe zum schnellen Handeln zwingen (in der Hoffnung, dass dies mangels Klasse schief geht), sondern durch Dribblings in Zweikämpfe und Laufduelle zwingen bzw. durch die Bewegung des Balles über mehr als vier, fünf Meter Unklarheiten in der Zuständigkeit in der Abwehr von Andorra zu erzeugen.

Optisch war die Herangehensweise in der ersten Halbzeit ansprechender, weil das Spiel schneller, durchdachter, athletischer wirkte. Was den offensiven Output angeht, erwies sich die zweite Halbzeit als gewinnbringender: Es gab mehr Torchancen, auch in besseren Abschlusspositionen. Der klare Pressingtrigger (wenn nämlich der Halbspieler in der Fünferkette den Ball führte) verhinderte andorranisches Aufbauspiel und provozierte wiederum Ballgewinne.

Der Endstand von 1:0 ist nichts, mit dem man hausieren gehen könnte, aber man kann sehr wohl annehmen, dass das Match im Sinne des Erkenntnisgewinns seinen Zweck erfüllt hat.

Das Spiel gegen Italien

Österreich – Italien 2:0 (2:0)

Das Gastspiel von Italien war natürlich eine völlig andere Angelegenheit, aber hier spielte Österreich so, wie man es erwarten konnte. Womöglich nicht vom reinen Ergebnis oder auch von der erstaunlichen Vielzahl an weiteren guten Einschussmöglichkeiten, damit war in dem Ausmaß nicht zu rechnen, aber doch von der Strategie her.

Da Italien – gerade unter Robert Mancini – selbst aktiv ist, mussten sich die Österreicher nicht so quälen, Vertikalität ins eigene Spiel zu bekommen. Italien hatte viel Ballbesitz, hatte aber aber nie Ruhe vor dem österreichischen Angriffspressing. Die ÖFB-Spieler brachten überall schnell Spieler in Ballnähe, nervten die ballführenden Italiener, zwangen sie zu ungenauen Pässen und forcierten somit Ballgewinne. Danach ging’s schnell und direkt in Richtung italienisches Tor, wie in der 6. Minute: Ballgewinn am Mittelkreis, Arnautovic zieht auf Donnarumma zu, Querpass zu Schlager, 1:0.

Vertikalpässe und Dump-&-Chase

Wenn es die Italiener erlaubten, zirkulierte der Ball in der österreichischen Eröffnung in der Abwehrkette, in der Hoffnung, dass sich ein Steilpass nach vorne ergibt – vornehmlich über die Außenverteidiger. Wenn einer der beiden (üblicherweise eher Wöber links als Posch rechts) nach vorne ging, verblieb Schlager als Absicherung zwischen Wöber und Alaba; All-In ging Österreich also verständlicherweise nicht. Wozu auch.

Geriet man in der eigenen Hälfte bzw. im Verteidigungsdrittel selbst unter Gegnerdruck, folgte in der Regel der lange Ball nach vorne. Dieser erfüllte zwei Zwecke: Zum einen war der Ball hinten weg und zum anderen war das aber auch gleich der Startschuss zum Angriffspressing: So wurde umgehend mit mehreren Mann der italienische Verteidiger angelaufen, um ihm wiederum in Strafraumnähe den Ball abnehmen zu können.

Quasi Dump & Chase: Ball nach vorne und gleich nachlaufen, um ihn in Tornähe zu gewinnen, damit aus der Bedrängnis sofort in die eigene Aktion zu kommen. So sind Japans Frauen 2011 Weltmeister und 2012 Olympia-Finalist geworden, so hat es Rangnick beispielsweise auch im starken Heimspiel gegen Dänemark angewiesen.

Was das für die EM-Quali bedeutet

In der nun beginnenden Qualifikation für die EM 2024 in Deutschland hat Österreich zwei nominell starke Gegner (Belgien und Schweden) sowie zwei schwache (Aserbaidschan und Estland). Es braucht Platz zwei, um sich direkt für die Endrunde zu qualifizieren, andernfalls kann man immer noch mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es die zweite Chance im Playoff gibt (über Platz 13 in der Nations-League-Gruppe A).

Realistischerweise wird es dafür 12 Punkte gegen Aserbaidschan und Estland brauchen. Beide Teams sind besser als Andorra, werden es aber wohl recht ähnlich anlegen wie die Kicker aus dem Pyrenäen-Zwergstaat. So seltsam es klingt: Diese Spiele werden womöglich die größere Herausforderung als jene gegen Belgien.

Im Grunde seines Herzens ist Rangnicks Pressing- und Umschaltspiel eher Underdog-Fußball. Damit ist es *relativ* leicht, gegen starke Teams gut auszusehen – wie in den Spielen gegen Kroatien, dem Heimspiel gegen Dänemark oder dem überzeugenden Sieg gegen Italien.

Lösungen im eigenen Ballbesitz zu finden, ist aber eine ganz andere Angelegenheit. Positiv ist, dass im bisher einzigen Spiel, wo dies wirklich vonnöten war – in Málaga gegen Andorra – mehrere verschiedene Optionen gezeigt wurden, die allesamt zumindest danach aussahen, dass man sich über die Ballzirkulation und die Bewegungsabläufe im Angriffsdrittel Gedanken gemacht hat und das auch umzusetzen versucht hatte.

Gegen Aserbaidschan und Estland kann man davon ausgehen, dass die schiere individuelle Qualität – auch ohne Schlager und Arnautovic – reicht. Gegen Belgien, das von seinem Spielerpool und den Vorlieben des neuen Teamchefs Domenico Tedesco ähnlichen Fußball wie Österreich spielen dürfte, wird es wohl offene, wenn auch eher athletisch als ästhetisch ansprechende Matches geben.

Die Schnittpartien sind jene gegen die Schweden, die (den jüngeren Troubles inklusive krachendem Abstieg in die C-Gruppe der Nations League zum Trotz) eine ansprechende Qualität besitzen, sich gleichzeitig aber sauwohl darin fühlen, ohne gestalterische Ambition den eigenen Strafraum zu verbarrikadieren. Dafür sind die beiden Heimspiele gegen die „Kleinen“ in der Gruppe wohl recht wertvoll, um sich auf dieses Spiel einzuschießen.

Gewonnen sollten die beiden Ballbesitz-Testspiele aber natürlich trotzdem.

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.