Mit einem 1:0-Sieg über die Ukraine springt Österreich zum Abschluss der EM-Gruppenphase auf den zweiten Platz der Gruppe C und hat damit erstmals seit der WM 1982 die Vorrunde eines großen Turniers überstanden. Schlüssel zum Erfolg war ein mutiger Auftritt in der ersten Halbzeit: Hier nagelte man die Ukrainer hinten fest, sorgte mit wirksamem Offensiv- und giftigem Gegenpressing für viele Ballgewinne im Angriffsdrittel. Zwar lehnte sich das ÖFB-Team etwas gar früh zurück, aber es reichte zum Sieg.
Die Formationen
Franco Foda stellte umfassend um: Erstmals im Turnier war das Team wieder in einem 4-2-3-1 formiert. Alaba war statt als zentraler Verteidiger auf der linken Seite aufgeboten, dafür musste Ulmer weichen. Grillitsch und Schlager waren hinter Sabitzer im Mittelfeld-Zentrum daheim, Konrad Laimer wurde auf die rechte Außenbahn geschoben. Vorne begann Arnautovic nach abgesessener Sperre.
Bei der Ukraine kehrte gegenüber dem 2:1-Sieg über Nordmazedonien auf der Sechs Sidorchuk wieder für den am Knie lädierten Stepanenko zurück, ansonsten war es das gleiche Personal in der gleichen 4-1-4-1-Formation.
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Druckvoller Beginn
Statt einem langsamen Beginn ohne Risiko – schließlich konnten beide Mannschaften davon ausgehen, mit einem Remis weiter zu sein – wollte das ÖFB-Team von Beginn an nichts wissen. Im Gegenteil: Bei Ballverlusten im Angriffsdrittel wurde sofort ein giftiges Gegenpressing gezeigt. Auch die Spieleröffnung der Ukraine wurde aggressiv angelaufen, und zwar aus einem sehr frontalen Winkel. Damit war es den Ukrainern nicht möglich, den Rückraum der österreichischen Pressingwelle zu bespielen.
Das Team der Ukraine produzierte derart unter Druck gesetzt viele Ballverluste und blinde Bälle ins Nirgendwo. Vor allem Grillitsch und Sabitzer waren extrem aufmerksam und sammelten solche freien Bälle beinahe im Minutentakt auf. Der druckvolle Beginn der Österreicher zeigte früh Wirkung, wie Matvienkos unbedrängter 40-Meter-Querpass ins Seitenaus nach etwa einer Viertelstunde zeigte.
Hilflose Ukrainer – direkte Österreicher
Andrej Shevchenko und sein Team hatten einen derart forschen Gegner offenkundig nicht erwartet, zumal nach dem behäbigen und eher leblosen Auftritt des ÖFB-Teams zuletzt in Holland. Die Ukrainer kamen überhaupt nicht in Kontersituationen (von einem schnellen Einwurf in der 2. Minute abgesehen), und wenn, war sich im österreichischen Team niemand zu schade, auch nach hinten zu arbeiten. Das zeigte beispielsweise Christoph Baumgartner, der für den aufgerückten Alaba am eigenen Strafraum einen ukrainischen Angriff entschärfte
War es gegen Holland noch ein großer Schwachpunkt, dass das Spiel in die Spitze so gut wie gar nicht vorkam – und wenn doch, dann viel zu langsam – war Österreich in diesem Spiel darauf bedacht, möglichst schnell und direkt ins Angriffsdrittel zu kommen. Die Genauigkeit beim Pass aus dem Zentrum nach vorne war dabei gar nicht so entscheidend, weil schnell auf den zweiten Ball gepresst wurde, um vorne den Ballbesitz etablieren zu können.
Der Lohn für die dominant geführte erste halbe Stunde war das hochverdiente 1:0 durch Christoph Baumgartner nach einem Eckball. Schon zuvor hatte es ein
Leichter Bruch nach einer halben Stunde
Baumgartner war zuvor bei einem Kopfballduell mit Zabarny zusammengestoßen, nach einer halben Stunde musste er vom Feld. Der für ihn eingewechselte Alessandro Schöpf ging auf die rechte Seite, Laimer auf die linke. In der Folge wurde die Intensität beim ÖFB-Team spürbar zurückgefahren.
Das ist nach einer solchen Phase wie den ersten 30 Minuten kein Wunder und es muss gar nicht zwingend am Fehlen des starken und umtriebigen Baumgartner liegen. Jedenfalls konnten die Ukrainer mit etwas mehr Ruhe im Spiel ein wenig durchatmen und sie konnten Ballbesitzphasen verlängern, gefährlich wurden sie aber nicht – sie schlossen die erste Halbzeit mit einem geradezu peinlichen xG-Wert von 0,04 ab.
Das ist noch weniger, als Österreich in den ersten 45 Minuten in Amsterdam produziert hatte. Das ÖFB-Team hätte hingegen durch Schlager (37.) und Arnautovic (43.) auf 2:0 stellen können.
Fair to say Austria’s new formation is working very well! #xG #AUS #EURO2020 pic.twitter.com/fLOosyMtVp
— Between The Posts (@BetweenThePosts) June 21, 2021
Die zentrale Figur: Florian Grillitsch
Dass die Ukraine so harmlos war, lag zu einem großen Teil an David Alaba. Als Linksverteidiger neutralisierte er Andrej Jarmolenko komplett, womit den Ukrainern viel von ihrer Gefährlichkeit genommen wurde. Das Team von Shevchenko wurde damit gezwungen, mehr durch das Zentrum zu spielen.
Und dort war Florian Grillitsch. Er hatte Alexander Zinchenko, immerhin in Manchester bei Pep Guardiola im Training, so bombenfest im Griff, dass der 24-Jährige schon früh sich selbst mental fertig machte. Wo und wann immer Zinchenko einen Ball annehmen und was damit machen wollte, war Grillitsch längst da. Auch die Außenbahnen – der gegen Mazedonien so starke Malinovski und der flinke Jarmolenko – entfalteten keine Wirkung, Linksverteidiger Alaba hatte Jarmolenko sprichwörtlich in der Westentasche eingesteckt.
Grillitsch war aber auch der Dirigent im österreichischen Zentrum. Ukrainische Versuche, ihn anzupressen, prallten wirkungslos an ihm ab. Dafür fand er fast immer einen Raum in seiner Nähe, in den er den Ball hinein spielen konnte. Bei ihm war der Ball sicher: 85 Prozent seiner Pässe fanden einen Abnehmer, nur Innenverteidiger Dragovic (der fast jeden zweiten Ball bei Lainer oder eben Grillitsch ablieferte) kam auf einen höheren Wert.
Weniger direkte in die Tiefe nach der Pause
Das österreichische Spiel nach der Pause wirkte deutlich weniger offensiv, das lag aber nicht daran, dass man den Ukrainern mehr Zeit ließ. Zumindest nicht generell. Denn die Ukrainer bekamen immer noch kaum Zeit für ein zielgerichtete Spieleröffnung. Was sich allerdings änderte: Es gab deutlich weniger direkte Bälle in die Spitze, wie das noch vor der Pause der Fall gewesen war.
Die Folge war, dass es den Ukrainern leichter fiel, im eigenen Verteidigungsdrittel an den Ball zu kommen. Aber das Spiel nach vorne war immer noch davon geprägt, dass dem Mittelfeld keinerlei Wirkung zugestanden wurde.
Durch die fehlenden Pässe in die Tiefe sah das eigene Offensivspiel der Österreicher aber ähnlich bruchstückhaft aus wie gegen die Niederlande. Es gab einige Pässe im Aufbau, die in die Isolation führte; Laimer wurde einige Male in den Schwitzkasten zwischen Außenlinie auf der einen und zwei bis drei Ukrainern auf der anderen Seite geschickt.
Über die Zeit gelangweilt
Der Expected-Goals-Wert in der zweiten Halbzeit weist 0,19 für Österreich und 0,20 für die Ukraine aus. Das heißt: Was Torszenen angeht, war in den zweiten 45 Minuten auf beiden Seiten bis auf einige (bestenfall) Halbchancen so gut wie nichts mehr los. Österreich drehte an der Uhr: Ilsanker kam für Laimer und ging auf die Sechs neben Grillitsch, dafür wechselte Schlager auf jene linke Abwehrseite, auf der eingewechslte Marlos und Jarmolenko mit Tempo durchstoßen sollten.
Österreich machte es sehr geschickt, den Ukrainern ihre größte Stärke – das schnelle Konterspiel – nicht zuzugestehen und zwang ihnen auf, das Spiel in einem Rückstand selbst gestalten zu müssen. Das ÖFB-Team störte diese Versuche über weite Stecken gut: Wenn ein Spieler aus dem Verbund herausrückte, wurde hinter ihm abgesichert; die generelle Struktur wurde beibehalten, die Ukrainer hatten nicht die zündenden Ideen.
In den letzten 15 Minuten zog Österreich die Daumenschrauben sogar wieder ein wenig an. Man hatte nie den Eindruck, dass sich die Ukrainer ernsthaft einem Ausgleich annähernd würden.
Fazit: Eines der besten Spiele unter Foda
Das 90-minütige Nichts von Amsterdam wurde etwa in der Totally Football Show von The Athletic als „grindige Ödnis“ verrissen, der Guardian bezeichnete das ÖFB-Team als „deutlich schlechter als die Summer seiner Einzelteile“. Einem der inhaltslosesten und planlosesten Auftritte der Ära Foda folgte noch eines der besten Spiele unter dem Teamchef, der seit Herbst 2017 die Geschicke der Mannschaft leitet.
Man hat die Ukrainer, die sich offenbar geistig auf eine Mischung aus Vorsicht und Nichtangriffspakt eingestellt hatte, komplett überrumpelt. Die erste halbe Stunde war wie aus einem Guss, auf den Punkt ausgeführt und das 1:0 das Minimum, was man sich verdient hat. In dieser Phase hat man die Ukrainer so mürbe gemacht, dass sie selbst dann noch verzagt waren, als der Druck längst nachgelassen hatte.
Bis auf Shaparenkos Schuss von der linken Seite und der von Lainer abgefälschten Flanke musste Bachmann kaum eingreifen. Österreich habe die taktische Herangehensweise verändert „and bulldozed right over Ukraine“ konstatierte Between The Posts. Österreich habe der Ukraine „Angst eingeflößt und weiche Beine verursacht“, kommentierte die Gazzetta dello Sport, die sich schon auf ein Duell mit Ex-Milan-Star Shevchenko gefreut hatte.
Was das Spiel vor allem gezeigt hat: Wie gut Österreich sein kann, wenn das Team das spielen darf, was es am besten kann.