Erschütternd harmlos: Österreich in Holland ohne echte Torchance

Mit einer ausgesprochen dünnen Vorstellung verliert Österreich das zweite Gruppenspiel der EM gegen Holland in Amsterdam mit 0:2. Nach dem frühen Rückstand gab es keine Idee, wie man in Abschlusspositionen kommen sollte. Je länger das Match dauerte, umso mehr fiel das österreichische Spiel in sich zusammen. Letztlich muss man nach dieser erschütternd harmlosen Darbietung froh sein, nur 0:2 verloren zu haben.

Holland – Österreich 2:0 (1:0)

Die Formationen

Foda brachte die exakt gleiche Formation im grundsätzlich gleichen System wie beim Auftaktsieg gegen Nordmazedonien. Einziger Unterschied: Gregoritsch begann in der Spitze statt Kalajdzic. Im Ganzen standen die Wing-Backs aber deutlich tiefer. War vor allem Ulmer im ersten Spiel noch auf Höhe des gegnerischen Sechzehners herumgeturnt, war gegen die Niederlande das System ein klares 5-3-2.

Bei Oranje war De Ligt nach seiner leichten Blessur zurück, er spielte zentral in der Abwehr-Dreierkette; De Vrij rückte nach rechts, Timber rotierte auf die Bank. Wie beim turbulenten 3:2 gegen die Ukraine war es wieder ein 3-5-2 mit einem sehr fluiden Mittelfeld-Zentrum.

Die Anfangsphase

Die Niederländer überließen Österreich zu Beginn den Ball und ließen es zu, dass das ÖFB-Team sich damit ins Mittelfeld spielt – dort wurde aber schnell um den Ballführenden verdichtet und österreichische Ballverluste provoziert. Die Österreicher liefen ihrerseits bereits die holländische Spieleröffnung an und es wurde in dieser Anfangsphase auch gut von hinten nachgepresst – so hatten es auch die Gastgeber schwer, sich zu befreien.

Aus einem der provozierten Ballverluste im Mittelfeld resultierte letztlich auch die Szene nach acht Minuten, in der Alaba Dumfries an genau dem einen Körperteil traf, den der Holländer innerhalb des Strafraumes hatte. Depay ließ sich die Chance nicht entgehen und traf per Elfmeter zum frühen 1:0 für die Niederlande.

Holland mit vollem Zugriff im Zentrum

Gegen die Ukraine wirkte das extrem fluide Zentrum mit De Jong, De Roon und Wijnaldum eher wie ein Risikofaktor. Das war gegen Österreich anders, und das hatte einen simplen Grund: Die Ukraine zwangen Holland den Ball auf – nun hatte Österreich den Ball. So konnte sich das Trio genüsslich so positionieren, dass man idealen Zugriff auf den ballführenden Österreicher bekam bzw. die Dreierkette des ÖFB-Teams so anlaufen, dass deren Möglichkeiten im Aufbau streng limitiert waren.

So stellte sich nämlich Wijnaldum, nominell als Zehner aufgeboten, gegen den Ball de facto als Rechtsaußen auf und verunmöglichte so Martin Hintereggers Eröffnungspässe sehr geschickt. Weil auch Alaba und Dragovic mit Weghorst und Depay quasi direkte Gegenspieler hatten, die sie beim Herausspielen störten, kam das ÖFB-Spiel nie mehr wirklich in Schwung.

Österreich macht Pressinglöcher auf

Nach etwa 25 Minuten rückte Xaver Schlager von der Sechs vermehrt nach vorne auf, um im Anlaufen der holländischen Eröffnung zu helfen. Anders als in den ersten 10 Minuten des Spiels erfolgte nun aber keinerlei Abdecken im Rücken der „Pressing“-Welle mehr, wodurch sich Löcher ergaben.

Noch deutlich auffälliger war dies bei Konrad Laimer, der in mehreren Situationen einen Holländer anlief – zumeist war es De Jong – aber Lainer hinter ihm nichts tat, um zu verhindern, dass die Gastgeber genau in den in Laimers Rücken entstandenen Freiraum spielen konnte. Dadurch passierte genau das und der Ball war in kürzester Zeit am österreichischen Strafraum.

Lainer offensiv ohne Impulse – aus Gründen

War Lainer gegen Mazedonien noch ein offensiver Schwungbringer auf der rechten Außenbahn, gab es diesmal praktisch überhaupt keine Impulse von ihm. Das hat einen ganz simplen Grund: Er war einfach völlig in der Defensive gebunden, da das Quartett mit Blind, De Jong, Van Aanholt und Depay nach Belieben schalten konnte und mit Laimer und Lainer nur zwei echte Gegenspieler auf dem Weg nach vorne hatte.

So war das österreichische Team im 5-3-2 nach hinten gedrückt, ohne jegliche Strategie, wie man mit der limitierten Manpower nach vorne kommen sollte, geschweige denn, sich in Abschlusspositionen zu bringen. Der Expected-Goals-Wert in der ersten Hälfte betrug erschütternde 0,06 Tore – verglichen mit 1,68 bei den Niederländern. Neben dem Elfmeter hatte Depay noch zwei weitere gute Chance (24., Außennetz sowie 40., aus kurzer Distanz drüber); auch Wijnaldum hätte schon für das 2:0 sorgen können (41.).

Das Spiel zerfällt in die Einzelteile

Für die zweite Halbzeit war genau gar kein Impuls zu sehen, der dem Team in der Pause mitgegeben worden wäre. Im Gegenteil: Man lief die Holländer immer wieder an, aber völlig ohne Strukturen dahinter. Man versuchte schon aufzubauen, aber ohne jeden Esprit und Plan. Man war schon versucht, keinen weiteren Gegentreffer zu kassieren, aber konsequent verteidigt wurde auch nicht.

Das Spiel des ÖFB-Teams zerfiel komplett in seine Einzelteile. Es wirkte, als wären elf Spieler auf dem Feld, von denen jeder einzelne eine Idee suchte, wie man das Match irgendwie in die Hand nehmen könnte, und letztlich spielten darin alle aneinander vorbei.

Keine Idee vorhanden

Holland überließ Österreich in dieser Phase wieder mehr den Ball – am Ende standen 53 Prozent Ballbesitz für das ÖFB-Team zu Buche – und die Österreicher rückten auch mit der Abwehrlinie bis zur Mittelinie auf. Es waren nur überhaupt keine Laufwege zu erkennen, kein übergeordneter Plan. So war der Raumgewinn überschaubar, es gab keinen Druck auf den Gegner bei den sich nun dramatisch häufenden Fehlpässen.

Beim 0:2 nach rund einer halben Stunde wurde einer dieser Ballverluste genützt, um schnell umzuschalten, innerhalb von wenigen Sekunden in eine gute Abschlussposition zu kommen und durch den rechten Wing-Back Dumfries zu treffen.

Österreich hingegen blieb behäbig, ideenlos und auf der Suche nach Einzelaktionen, die nicht kamen. Der ballführende Österreicher musste stets schauen, sich selbst aus Drucksituationen zu befreien, weil niemand zur Hilfe kam.

Seltsame Umstellung

Nach 70 Minuten wechselten Alaba und Hinteregger wieder ihre Plätze. Der Move, der gegen die Mazedonier das Spiel wieder unter Kontrolle brachte, verpuffte aber wirkungslos. Etwa zur gleichen Zeit kam Lazaro für Baumgartner, wodurch sich bei Österreich ein eher seltsames 3-1-5-1 ergab. Auch diese Umstellung verpuffte: Weder erhielt man dadurch verstärkten Zugriff auf das Zentrum, noch wurde dadurch irgendetwas in puncto Strafraumbesetzung besser.

Ab der 70. Minute packte Österreich endgültig die Brechstange aus – aber mit nur einem Stürmer (Kalajdzic), und selbst der zog sich immer wieder ins Mittelfeld zurück.

Im Gegenteil, der nach einer Stunde für den wirkungslosen Gregoritsch eingewechselte Kalajdzic ließ sich teilweise sogar in die eigene Hälfte fallen, um sich dort die Bälle abzuholen. Erst die Einwechslung von Onisiwo in den letzten Minuten brachte eine Ahnung von Schwung ins österreichische Spiel, aber es war natürlich too little, too late.

Fazit: Man machte es Holland leicht

Der holländische Sieg stand spätestens mit dem Tor zum 1:0 nach elf Minuten niemals auch nur im Ansatz in Frage. Der Umstand, dass das ÖFB-Team zunächst im Mittelfeld die Nerven verlor und Pressingläufe nicht abgedeckt wurden, machte es Oranje leicht, Kontrolle auszuüben. Dass die Vorstellung des österreichischen Teams in der zweiten Halbzeit selbst mit „Stückwerk“ noch wohlwollend umschrieben ist, erlaubte der Niederlande einen Heimsieg, der ohne größere Anstreungung unter Dach und Fach gebracht werden konnte.

Man konnte die eklatanten Schwächen des ÖFB-Teams durch die offenkundig nicht vorhandenen einstudierten Spielzüge mit Leichtigkeit nützen. Man konnte den ballführenden Österreicher stets schnell isolieren, weil niemand zum helfen nachrückte. Man konnte die hohe Abwehrlinie der Gäste nützen, weil Österreich extrem viele leichte Ballverluste provozierte. Und man kam defensiv nie ins Wackeln, weil das Team von Franco Foda stets das Tempo herausnahm, anstatt im Vorwärtsgang Tempo aufzunehmen.

Eben weil niemand da war, der die gleiche Idee hatte wie ein Teamkollege.

Das 0:2 bedeutet nun, dass ein Remis gegen die Ukraine nicht reicht, um die Gruppe als Zweiter zu beenden. Die Rechnung ist nun also relativ leicht: Besiegt man die Ukraine, ist Österreich als Gruppenzweiter weiter und trifft höchstwahrscheinlich im Achtelfinale auf Italien. Mit einem Remis ist man auf vier Punkten und damit als Gruppendritter so gut wie sicher auch im Achtelfinale. Und bei einer Niederlage muss man hoffen, dass es sich mit drei Punkten und einer negativen Tordifferenz noch ausgeht.

Das kann klappen. Kann aber auch danebengehen.

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.