Deutschland ist raus – wie konnte das passieren?

„Ein schwarzer Tag des deutschen Fußballs! Unsere Mannschaft spielte immer nervöser, immer verkrampfter gegen die Uhr, die schließlich ein übermächtiger Gegner wurde. Das Selbstvertrauen des Gegners nahm von Minute zu Minute zu.“

Was das deutsche Fußball-Magazin „kicker“ am 18. Dezember 1967 nach dem 0:0 in Albanien schrieb, mit dem man den Einzug in das EM-Final-Four verpasste, hätte auch heute, am Tag nach dem erstmaligen Aus in einer WM-Vorrunde, geschrieben stehen können. Wie konnte es so weit kommen – und wie geht es mit dem noch zweieinhalb Wochen amtierenden Weltmeister weiter?

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Deutschland – Südkorea 0:2 (0:0)

Zu offen für Konter beim 0:1 gegen Mexiko. Überlegen, aber auch wegen schwacher Chancenverwertung lange zittern müssen beim 2:1 gegen Schweden. Verunsichert und zu lange zu vorsichtig gegen Südkorea, ehe man in der hektischen Schlussoffensive noch in zwei späte Konter lief.

Der Turnierverlauf aus deutscher Sicht liest sich so, wie sich der Turnierverlauf eines Teams eben liest, das früher scheitertet als erwartet: Eine Mischung aus unglücklichen Umständen, eigener Schwäche und „dumm gelaufen“. Das kennen die Spanier von 2014 (offen für Konter beim 1:5 gegen Holland, völlig verunsichert beim 0:2 gegen Chile, und schon war’s vorbei). Oder die Franzosen von 2002 (überheblich und ohne Zidane beim 0:1 gegen Senegal, zu vorsichtig und lange in Unterzahl beim 0:0 gegen Uruguay, völlig verunsichert beim 0:2 gegen Dänemark).

Und das Spiel von Kasan erinnerte frappant an jenes von Cordoba vor exakt 40 Jahren: Deutschland muss gewinnen, verliert aber in der Schlussphase gegen ein bereits ausgeschiedenes Team und scheidet aus. Damals war es Österreich, diesmal Südkorea.

Von 2014 bis 2018

Das WM-Team 2014

Das Team, welches vor vier Jahren Weltmeister wurde, hatte die richtige Mischung aus Routine (Klose, Lahm, Schweinsteiger), Erfahrung aus internationalen Ligen (Khedira, Özil, Klose) und Spielern von europäisch konkurrenzfähigen, heimischen Top-Klubs (Bayern, Dortmund).

Vergleicht man das Team von 2014 mit jenem von 2018, fällt aber auch auf: Lahm, Schweinsteiger und Klose haben ihre Team-Karrieren beendet, und von diesem Trio abgesehen ist von der WM-Stammformation nur noch Benedikt Höwedes rausgefallen – und seine Karriere ist mit seinem Abgang von Schalke vor einem Jahr auf die Tribüne des Turiner Stadions auch eher in einer Sackgasse gelandet.

Nibelungentreue zum Weltmeisterteam wurde auch schon Marcello Lippi vorgeworfen (wobei 2010 eine lange Verletztenliste dafür sorgte, dass die zweite Reihe bei der WM ran musste – und scheiterte), Vicente del Bosque 2014 genauso (zumal Xavi und Xabi Alonso da schon alt wirkten). Joachim Löw hingegen hat viele Spieler ausprobiert, verschiedene Systeme spielen lassen, eine B-Elf hat letztes Jahr den Confederations Cup gewonnen und die U-21 wurde zeitgleich Europameister.

Wenn’s zählt, vertraut Löw nur den „Alten“

Deutschland beim Confed Cup 2017

Vor einem Jahr gewann Deutschland die WM-Generalprobe mit einem Team voller Perspektiv-Spieler, und zwar fast durchgängig in einem 3-4-3-System. Dieses Team legte den Schluss nahe, dass das DFB-Team langfristig gut aufgestellt sein würde. Und, dass einige vom Confed-Cup-Team auch eine ernsthafte Chance im WM-Team erhalten würden.

Letztlich war aber (abgesehen von Draxler, Kimmich und Hector, den einzigen drei A-Stammspielern, die mit waren) nur Timo Werner wirklich erste Wahl.

Rudy spielte statt Khedira gegen Schweden und verletzte sich, Rüdiger spielte als Hummels-Ersatz gegen Schweden schwach, Goretzka war erst gegen Südkorea mit dabei – und das auch nur eine Stunde. Ter Stegen musste dem frisch genesenen Neuer weichen, Plattenhardt glänzte nicht gerade als Hector-Ersatz, Ginter spielte als einziger Feldspieler keine einzige WM-Minute.

Amin Younes, der 2017 als Joker stark spielte, handelte sich mit überheblichen Kindereien eine Versetzung ins Ajax-Reserveteam ein. Kerem Demirbay, Diego Demme und Benjamin Henrichs waren kein realistisches Thema für die WM. Sandro Wagner, Leroy Sané, Shkodran Mustafi und Emre Can wurden nicht berücksichtigt, Stindl hatte sich im WM-Vorfeld verletzt.

Deutschland bei der EM 2016 (links) und bei der WM 2018 (rechts).

Jene Mannschaft, die bei der EM vor zwei Jahren ins Halbfinale kam (und dort gegen Frankreich als klar bessere Mannschaft nur wegen individueller Fehler verlor; Schweinsteiger war 2016 schon nur noch Einwechselspieler) unterscheidet sich von der aktuellen in nur zwei Positionen – und da Draxler beim ersten Spiel gegen Mexiko begann, war es beim 0:1 sogar nur eine einzige.

Das heißt: Wenn es hart auf hart kommt, vertraut Löw praktisch nur auf seinen langjährigen Stammkräfte. Das galt auch in der WM-Qualifikation.

Auch hier fällt auf: Solange die Qualifikation nicht gesichert war, waren fast nur die bekannten Namen im Einsatz. Nur gegen San Marino und an den schon weitgehend bedeutungslosen letzten zwei Doppelspieltagen durften sich die Reservisten ein wenig austoben.

In die Jahre gekommen

Das blutjunge Team, das sich 2010 in Südafrika mit einem 4:1 über England und einem 4:0 über Argentinien ins WM-Halbfinale gespielt hat, hatte ein Durchschnittsalter von 24,8 Jahren. Neuer, Boateng, Khedira, Müller und Özil waren damals mit dabei. Nur zwei Spieler aus der Stammformation waren älter als 26 Jahre (Miro Klose und Arne Friedrich).

Das in die Jahre gekommene Team, das sich 2018 in Russland nach der Vorrunde verabschiedet, hat in seiner Stammformation nur zwei Spieler, die jünger sind als 28 Jahre (Joshua Kimmich und Timo Werner). Angesichts der Altersstruktur und dem spektakulären sportlichen Scheitern muss man kein Prophet sein, um zu sagen: Da wird jetzt ein ziemlicher Schnitt kommen.

Die Schwäche der Bundesliga

Ein Jahr vor dem WM-Titel war die deutsche Bundesliga auf ihrem internationalen Höhepunkt, als Bayern München und Borussia Dortmund im Finale der Champions League gegeneinander spielten. Die ballbesitzorientierten Heynckes-Bayern und das Pressing-und-Umschaltspiel von Klopps Borussia waren auf ihrem Höhepunkt, von der Mischung profitierte die Nationalmannschaft.

Nun, fünf Jahre nach dem deutschen Finale von Wembley, ist die Bundesliga aus den Top-3 der Fünfjahres-Wertung herausgefallen, die Bayern – um Lichtjahre das beste Team der Liga – scheiterte in der Champions League am ersten echten Gegner in der K.o.-Runde. Das liegt auch daran, dass man national völlig unterfordert ist.

Dortmund ist nach dem Abgang von Klopp und dem zwischenmenschlichen Krach unter Tuchel auf der Suche nach sich selbst, Leipzig zu grün, Leverkusen zu unkonstant, Schalke erst seit einem Jahr im ruhigeren Fahrwasser; Hoffenheim erlitt in der Europa League gegen wirklich nicht besonders gute Gegner völligen Schiffbruch. Es gibt in der Liga keine Handvoll Teams, die tatsächlich Fußballspielen wollen. Die überwiegende Mehrheit ist spielerisch schwach, will nur den Gegner neutralisieren und zeigt Einheitsbrei.

Warnende Stimmen wie jene der geschätzten Kollegen von Spielverlagerung.de um Tobias Escher und Constantin Eckner warnten schon vor Monaten vor überzogenen Erwartungen, nach dem Motto: Dass Löw aus dieser spielerisch minderbemittelten Liga ein Team formen soll, das gewinnen und dabei noch glänzenden Fußball zeigen soll, ist eine steile Forderung.

„Es wird schon werden“

Die Länderspiele der jüngsten Vergangenheit waren kein Spaß. Die Niederlage gegen Österreich und der Zittersieg gegen Saudi-Arabien in den Wochen vor der WM wurden zwar bemängelt, aber letztlich war die Stimmung ähnlich wie bei uns selbst: Ja mei, sind nur Testspiele, die sind öfter nicht gut, aber beim Turnier selbst hat’s noch immer funktioniert.

Das stimmt auch. 2006 (mit Klinsmann als Teamchef und Löw als „Co“) Halbfinale, 2008 Finale, 2010 Halbfinale, 2012 Halbfinale, 2014 Weltmeister, 2016 Halbfinale.

Es ist aber das eine, ob Medien und Fans glauben, dass es eh schon werden wird. Es ist aber etwas anderes, ob Team und Stab tief drinnen das auch glauben. Und alles deutet darauf hin, dass dies der Fall war – selbst nach den Warnschüssen der Spiele gegen Mexiko und Schweden.

Der mediale Umgang

Die völlig überzogene Kritik an Mesut Özil – er war einer der besseren Deutschen bei dieser WM – seitens abgehalfterter Fußball-Proleten wie Mario Basler („Körpersprache eines toten Frosches“) und Lothar Matthäus („Fühlt sich im DFB-Trikot nicht wohl“) wurde natürlich auch von der dämlichen Foto-Aktion mit dem türkischen Präsidenten befeuert, passt aber auch in den latent bis offen rassistischen, neuen deutschen AfD-CSU-Zeitgeist.

Die TV-Runde des ZDF nach dem Südkorea-Spiel, bestehend aus Christoph Kramer, Oliver Kahn und Holger Stanislawski, analysierte das Scheitern angenehm sachlich, war weder schönfärberisch noch vernichtend. Die „Bild“ hingegen – auch bezeichnend für den aggressiven Kurs unter Chefredakteur Julian Reichelt – weigerte sich, die Spieler zu bewerten, weil „Noten dieses Debakel nicht beschreiben könnten“; ist in der Analyse der generellen Lage aber bemerkenswert un-polemisch.

Der fußballkulturell sehr konservative „kicker“ sieht im Aus u.a. ein „Armutszeugnis für die mit viel technischem Schnickschnack und Personal ausgestattete Scouting-Abteilung“. Die Artikelreihe über das Ausscheiden nennt das Blatt in Anlehnung an #zsmmn, den vom DFB kreierten Hashtag für das Turnier, wohl nicht ganz ohne Häme „zsmmn-Bruch eines Weltmeisters“.

Die Rezeption

Er habe den Eindruck, viele Deutsche wären glücklich oder schadenfroh, wenn Deutschland früh scheitert, gab Toni Kroos nach dem Schweden-Spiel zu Protokoll. Da hat er sicher nicht ganz unrecht, das hängt aber nicht nur mit den Erdogan-Fotos zusammen (wiewohl das den Effekt sicher noch verstärkt hat, keine Frage). Günter Klein vom Münchner Merkur schrieb es in einer Kolumne sehr treffend:

„Es hat schleichend eine Entfremdung stattgefunden. (…) Die Selbstinszenierung der Nationalmannschaft ist für viele, die ja eigentlich ihre Sympathisanten sind, kaum noch zu ertragen: Fünfter-Stern-Gedöns, „Die Mannschaft“-Markengetue, Best Never Rest und #zsmnn. (…) Dann die Unfähigkeit und der Unwille, sich im Fall Özil/Gündogan zu erklären – aber für sich neunmalklug zu reklamieren, man wisse schon um die perfekte Strategie.“

Bei der Fragerunde der nächsten Pressekonferenz wurde Klein übrigens demonstrativ nicht drangekommen.

All diese Dinge sind auf einen Namen zurückzuführen, der in direkter Kritik seltsamerweise nie offen genannt wird: Nationalteam-Manager Oliver Bierhoff.

Der Nachwuchs

Die Finals der U-21-EM von 2009 (links) und 2017 (rechts)

2009 wurde Deutschland U-21-Europameister. ALLE ELF Spieler der Starformation beim 4:0 im Finale wurden (bzw. waren bereits) A-Nationalspieler, sechs von ihnen (plus der eingewechselte Schmelzer) wurden 2014 Weltmeister. Fabian Johnson spielte eine WM für die USA, Sebastian Boenisch eine EM für Polen.

2017 wurde Deutschland erstmals danach wieder Europameister. Bei allem Respekt, aber es fällt schwer zu glauben, dass die Quote von 2009 auch nur annähernd wieder erreicht wird – zumal die Europameister von letztem Jahr mittlerweile 23 bis 24 Jahre alt sind (Geburten-Stichtag war 1.1.1994) – der Kern der Südafrika-Halbfinalisten war damals in genau diesem Alter.

2014 war Deutschland U-19-Europameister (mit Kimmich und Brandt, im Halbfinale gegen Österreich erfolgreich), scheiterte danach aber stets bereits in der Gruppenphase und bei der WM vor einem Jahr im Achtelfinale gegen Sambia. Die U-17 erreichte die EM-Endspiele von 2011 (mit Emre Can und Mitchell Weiser), 2012 (mit Werner, Brandt, Süle, Goretzka, Meyer und Kempf) und 2015.

Und jetzt?

Im Herbst steht die Nations League an (Deutschland spielt in einer Gruppe mit Holland und Frankreich), was für das DFB-Team wohl eher vier glorifizierte Freundschaftsspiele gegen gute Kontrahenten werden. Im März 2019 startet die EM-Qualifikation und, bei aller Krise, so blöd kann sich Deutschland gar nicht anstellen, dass man die EM verpasst (notfalls ließe es sich immer noch über die Nations-League-Playoffs richten).

Es wird mit Sicherheit ein personeller Schnitt im Kader stattfinden, das wäre aber so oder so unvermeidlich gewesen. Was nun etwas unerwartet dazu kommt, ist die Diskussion um Löw. Bleibt er, geht er?

Klar ist: DFB-Präsident Grindel hat Löw den Rücken gestärkt, Bierhoff wird ihn vermutlich nicht entlassen – zumal der Vertrag eben erst vor Kurzem verlängert wurde. Wenn Löw geht, dann geht er selbst.

Diese Entscheidung wird sicher demnächst fallen.

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.