„Für jede Krankheit gibt’s bestimmte Pillen. Bei Fußball-Taktik ist es ganz genauso!“

Die nackten Zahlen beeindrucken kaum: Zwei Punkte aus drei Gruppenspielen, per Los-Entscheid überhaupt nur ins Viertelfinale gekommen. Dann im Viertel- und Halbfinale jeweils 1:1, einmal das Elferschießen gewonnen (gegen Frankreich), dann verloren (gegen Norwegen). Da ist kein „echter“ Sieg dabei.

Dennoch: Dänemark war durchaus verdient im Halbfinale. Obwohl das Team auf dem Papier sicher nicht zu den besten vier der Frauen-EM gehört. Wohl auch nicht zu den besten sechs. Womöglich nicht mal zu den besten acht. Aber Teamchef Kenneth Heiner-Møller verpasste seinem Team in jeder Partie eine andere taktische Marschroute. Und inhaltlich war das Team des 42-Jährigen immer der Punktsieger.

Norwegen - Dänemark 1:1 n.V. (1:1, 1:0), 4:2 i.E.
Norwegen – Dänemark 1:1 nV (1:1, 1:0), 4:2 iE

Das Turnier der Däninnen: Gegen Schweden ein 4-2-3-1 mit abkippender Sechs und brutal hohen Außen-Verteidigerinnen, um die eng stehende schwedische Viererkette zu fordern. Gegen Italien mit defensiveren AV aber verstärktem Zentrum, womit man die Italienerinnen bis zu deren Doppelschlag überfuhr. Volle Offensive gegen Finnland, wo Dänemark trotz 20:4 Torschüssen nur 1:1 spielte. Ein defensives 4-4-1-1 gegen Frankreich. Und eine wagemutigen Umstellung auf ein 3-3-4 gegen Norwegen, als es nötig wurde.

Letztlich endete die Reise für Dänemark und auch für Kenneth Heiner-Møller, der nach acht Jahren sein Amt als Teamchef zurücklegt, im Elfmeterschießen gegen Norwegen. Ballverliebt hat sich mit dem aus taktischer Sicht interessantesten Trainer der Frauen-EM danach unterhalten.

Ballverliebt: Erstmal gratuliere ich zu einem tollen Turnier. Ich muss ehrlich sein: Vor zehn Monaten, nach eurem 1:3 in der EM-Quali gegen Österreich in St. Pölten, hätte ich euch das Halbfinale nie im Leben zugetraut. Seid ihr an dieser Niederlage sogar gewachsen, weil ihr daraus gelernt habt?

Heiner-Møller: Das Spiel damals sehe ich ein wenig anders. Wir können hervorragend spielen, aber auch ziemlich schlecht. In St. Pölten waren wir ziemlich schlecht und Österreich hat unsere Schwächen sehr gut ausgenützt. Wir haben ein hohes und ein niedriges Level. Das niedrige Level muss in Zukunft höher werden.

Kenneth Heiner-Møller kurz nach dem verlorenen Elferschießen
Kenneth Heiner-Møller nach dem verlorenen Elferschießen

Ballverliebt: Nun, im Halbfinale gegen Norwegen, spielte die gelernte Innenverteidigern Janni Arnth links hinten, die gelernte Außenverteidigerin Line Røddik dafür innen. Was war die Überlegung hinter dieser Maßnahme?

Heiner-Møller: Das haben wir im Viertelfinale gegen Frankreich auch schon so gespielt. Janni ist eine gute Innenverteidigerin, aber auf international hohem Level ist mir mit Line innen wohler. Zudem kann Janni auch außen spielen, genau wie Mia Brogaard. Gegen Finnland habe ich Cecilie Sanvdej links hinten hingestellt. Sie ist gut, aber gegen die echten Top-Teams brauchen wir etwas mehr. Auch Mia Brogaard kann dort spielen, wie gegen Schweden und Italien, aber ihre Passgenauigkeit ist auch im zentralen Mittelfeld gefragt. Darum spielte sie gegen Frankreich und Norwegen auch dort. Und, ach ja, mit Caroline Hansen hat Norwegen da eine richtig gute Flügelstürmerin. Das könnte auch ein Grund für meine Maßnahme gewesen sein, Janni als Linksverteidigerin einzusetzen… (grinst)

Ballverliebt: Sie haben in diesem Turnier generell von Spiel zu Spiel einiges an Formation, Personal und individuellen Aufgaben verändert.

Heiner-Møller: Das hängt mit den verschiedenen Qualitäten der Spielerinnen zusammen. Wir sind lange zusammen und wissen, wie wir uns jeweils verhalten müssen, wenn verschiedene Teams verschiedene Angriffs-Systeme gegen uns spielen. Dementsprechend ändert sich auch immer unser Defensiv-Spiel, während unser Offensiv-Spiel fast immer ziemlich gleich ist. Dieses Turnier hat uns gezeigt, in den Spielen gegen Schweden und Frankreich vor allem, dass dieser Ansatz richtig ist und wir damit Erfolg haben können.

Anfang März beim Algarve Cup, dem alljährlichen stark besetzten Test-Turnier, ließ Heiner-Møller kein aktives 4-2-3-1 mit stark aufrückenden Außen und abkippender Sechs spielen, sonden ein extrem defensives 4-4-2. Es gab ein 0:0 gegen Deutschland und ein 0:0 gegen Norwegen – also genau gegen die beiden EM-Finalisten.

Dänemarks 0:0 gegen Norwegen beim Algarve Cup
Dänemarks 0:0 gegen Norwegen beim Algarve Cup

Ballverliebt: Wenn man sich eure Spiele beim Algarve Cup angesehen hat, sah es so aus, als hättet ihr dort den defensiven Zugang gedrillt. Stimmt der Eindruck?

Heiner-Møller: Wir haben getestet, was wir tun müssen, wenn wir auf ein Team wie eben im Viertelfinale Frankreich treffen. Das haben wir beim Algarve Cup gegen Deutschland und Norwegen probiert, das haben wir bei unserem Test-Turnier in Brasilien im Dezember probiert. Man braucht für verschiedene Krankheiten verschiedene Pillen, und bei Fußball-Taktik ist es genau dasselbe. Die muss man auch testen. Und meistens erwischen wir die richtige Pille.

Ballverliebt: Wenn ich sagen würde: Hättet ihr eine echte Knipserin, dann hättet ihr nach der Gruppenphase hier bei der EM sieben Punkte gehabt und nicht nur zwei – hätte ich dann recht?

Heiner-Møller: Manchmal rettet einen der Keeper, manchmal die Stürmer; manchmal patzt der Keeper und die Stürmer treffen nicht. Ich denke, dass Pernille Harder ein gutes Turnier für uns gespielt hat.

Ballverliebt: Trotzdem hättet ihr den Viertelfinal-Einzug auch leichter haben können als durch den Los-Entscheid gegen Russland.

Heiner-Møller: Hätten wir absolut, ja. Wenn man sich die Anzahl der Chancen ansieht, die wir uns in allen Gruppenspielen erarbeitet haben, kann man nicht mehr verlangen. Tormöglichkeiten herausgespielt haben wir mehr als genug. Wir haben aber auch ein paar zu viele zugelassen.

Heiner-Møller hat eine durchschnittliche Karriere als Aktiver hinter sich. Der Stürmer spielte ein Jahr bei Ferencváros in Ungarn, zurück in der Heimat war er bei B1903 Kopenhagen, Aarhus und Velje unter Vertrag. Eine Verletzung beendete die Karriere mit 30 Jahren. Als Trainer braucht er keinen Mental-Coach – weil er als ausgebildeter Psychologe eigentlich ja selbst einer ist.

Kenneth Heiner-Møller
Kenneth Heiner-Møller

Ballverliebt: Was hat eure tolle Leistung beim 1:1 im Eröffnungsspiel gegen Schweden für eure Psyche bewirkt?

Heiner-Møller: Wir haben viel darüber geredet und ich sage meinen Spielerinnen immer wieder: Wir können jedes Team dieser Welt schlagen. Aber, wie gesagt, wir können auch fürchterliche Aussetzer haben. Gegen Italien haben wir zwischen der 30. und der 60. Minute ganz schlecht gespielt, und die ersten 35 Minuten hier gegen Norwegen waren unsere schlechtesten im ganzen Turnier. Nach dem Schweden-Spiel dachten wir insgeheim, dass wir besser wären als wir eigentlich sind.

Ballverliebt: Für Sie war es nach acht Jahren das letzte Spiel als Teamchef von Dänemark. Wie geht es mit Ihnen weiter?

Heiner-Møller: Am 1. August werde ich meinen neuen Job antreten. Der hat nichts mit Fußball zu tun, sondern in einem Institut für die Entwicklung von Führungskräften in Dänemark.

Ballverliebt: Also erstmal kein Fußball?

Heiner-Møller: So sieht es aus.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.