Island sensationell im Viertelfinale – der letzte freie Platz könnte aber ausgelost werden!

„Unsere Handball-Herren haben 2008 Olympia-Silber geholt“, sagte Islands Teamchef Siggi Eyjólfsson nach dem 1:0 seiner Fußball-Frauen über Holland, „aber gleich danach kommen jetzt wir, sporthistorisch gesehen!“ Als größter Außenseiter des Turniers gestartet, holten die Kickerinnen von der 300.000-Seelen-Insel ein Remis gegen Norwegen und nun auch einen Sieg gegen Holland. Womit sensationell das Viertelfinale erreicht wurde.

Der deutschen 0:1-Niederlage gegen Norwegen zum Trotz – das den Effekt hatte, dass man nun im vermeintlich leichteren Turnier-Ast „umzieht“ und Frankreich erst im Finale bekommen zu können: Island war die eigentliche Story des Tages.

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Die Ketten zusammen schieben, Holland nicht das Tempo von Spitze Manon Melis ausspielen lassen. Nach Ballgewinn schnell umschalten, über die Außenbahnen kommen, den Weg zum Tor suchen – so sah der Plan von Island aus. Die Holländerinnen? „Wir haben zu viel Platz im Zentrum gelassen“, war Bondscoach Reijners zerknirscht, „die zwei im defensiven Mittelfeld standen zu tief, die vier vorne waren zu viel auf sich alleine gestellt!“ Darüber hinaus war bei Holland viel zu wenig Bewegung ohne Ball, es gab oft keine sinnvollen Anspielstationen im Aufbau.

Holland - Island 0:1 (0:1)
Holland – Island 0:1 (0:1)

Und Island hatte Platz zum Kontern, erwischte Holland immer wieder auf dem falschen Fuß. Dass nur der Versuch von Dágny Brynjársdóttir nach einer halben Stunde zum 1:0 im Tor war, schmeichelte Holland durchaus. Für die zweite Hälfte brachte Reijners mit Dekker statt Slegers einen neuen Achter, dazu tauschten Solo-Spitze Melis und LM Martens die Plätze. Durch das Tempo von Melis bekam Oranje nun deutlich mehr Zugriff auf dieser Außenbahn und drückte Island ordentlich hinten rein.

Aus eigenen Aktionen wurde Holland zwar kaum gefährlich, aber Island ist nun mal immer für einen Schnitzer in der Abwehr gut. Aber nachdem Torfrau Guðbjörg Gunnarsdóttir zweimal in höchster Not rettete, war das 1:0 nach einer Abwehrschlacht in der zweiten Hälfte über die Zeit gebracht. Island im Viertelfinale – da sprangen sogar die isländischen Journalisten beim Schlusspfiff auf und jubeleten.

Auch die Journalisten aus Island waren aus dem Häuschen
Auch die Journalisten aus Island waren nach dem Schlusspfiff aus dem Häuschen

Margrét-Lara Viðarsdóttir (im Jubelbild oben die Blonde mit der Nr. 9), die auch schon für Duisburg und Potsdam in Deutschland gespielt hat und nun für Kristiansand in der Damallsvenskan in Schweden unter Vertrag steht, ist gemeinsam mit Sara-Björk Gunnarsdóttir (von Malmö) die einzige echte Top-Spielerin im Team. Sie sicherte mit ihrem Tor gegen Norwegen im ersten Gruppenspiel den ersten Punkt. Sie sagt: „Unsere große Stärke ist, an verrückte Sachen zu glauben!“

Margrét-Lara, ihr seid gerade zum Vorbild für andere Länder geworden – auch mit wenig Einwohnern kann man gleich viele Punkte holen wie Deutschland!

Es ist schon verrückt, wenn man nur daran denkt. In Island leben so viele Menschen wie in Berlin in einer Straße. Aber wenn man an etwas glaubt und eine Gruppe von Leuten hat, die alle an einem Strang ziehen, ist alles möglich. Das haben wir gezeigt.

Wenn man sich die Wettquoten vorm Turnier angesehen hat, war kein Team beim Turnier ein so großer Außenseiter wie ihr. Spielte bei euch auch eine „Wir-zeigen-es-euch-allen“-Mentalität mit?

Natürlich. Das entspricht auch der isländischen Mentalität. Obwohl wir so klein sind, und so wenige – wenn uns andere nicht ernst nehmen, sind wir am Besten. Denn dann rücken wir zusammen und schaffen Außergewöhnliches. Und ich bin auch sehr stolz, Isländerin zu sein und Teil dieser Gruppe zu sein. Jetzt leben wir natürlich schon in so etwas wie einem Traum. Jetzt sind wir im Viertelfinale und haben natürlich das Halbfinale im Sinn.

"Nach unseren Handball-Herren kommen in Island historisch gesehen jetzt schon wir": Teamchef Siggi Ejyolfsson
„Nach unseren Handball-Herren kommen in Island historisch gesehen jetzt schon wir“: Teamchef Siggi Ejyolfsson

Noch vor ein paar Monaten bezog Island beim Algarve-Cup ziemliche Prügel, kassierte ein 1:6 gegen Schweden und ein 0:3 gegen die USA – allerdings auch ohne dich und ohne Sara-Björk Gunnarsdóttir. Was ist jetzt anders, macht ihr beiden so einen Unterschied aus?

Es ist schon entscheidend, dass wir unsere besten Leute alle beisammen haben, weil wir einfach ein weniger großes Reservoir haben als Deutschland, Schweden und die anderen großen Länder. Aber es ist einfach wichtig, dass wir einen guten Team-Spirit haben. Das ist unsere große Stärke: Positiv zu denken und an verrückte Sachen zu glauben. Wir haben Europa gezeigt, dass wir bei der EM sind, um auch etwas zu erreichen – und nicht nur, um halt dabei zu sein.

Im ersten Spiel gegen Norwegen hast du mit deinem 1:1 kurz vor Schluss den ersten EM-Punkt überhaupt für Island gesichert. Wäre eine Leistung und ein Ergebnis wie jetzt beim 1:0 über Holland ohne dieses Erfolgserlebnis überhaupt möglich gewesen?

Der Punkt gegen Norwegen war extrem wichtig. Wir wussten, dass es auf diesen Punkt ankommen kann, und jetzt haben wir schon vier, wie Deutschland, und sind fix durch. Wir haben auch gegen Deutschland gekämpft, da hat es halt nicht geklappt, wir haben 0:3 verloren, die Deutschen waren halt besser. Aber gegen Holland waren wir in der ersten Hälfte das bessere Team. Wir wussten, dass wir das 1:0 über die Zeit bringen müssen und sind dann sehr tief gestanden. Aber es hat funktioniert.

Gab’s einen Zeitpunkt im Spiel, an dem dir klar war: Das wird klappen, Holland wird noch bis Mitternacht spielen können und kein Tor schießen?

Schwer zu sagen. Ich musste nach einer Stunde mit einer Muskelzerrung raus, und wenn man draußen sitzt und zusehen muss, wie Holland uns ziemlich hinten reindrückt, ist man schon nervös. Aber es sah schon so aus, als könnten wir noch zwei Stunden spielen und das Zu-Null halten, weil wir so gut gestanden sind und Guðbjörg im Tor so fantastisch war und der Team-Spirit so toll… Heute passte einfach alles!

Die Sache mit den zwei besten Dritten

tabellenIsland ist mit den vier Punkten auf der sicheren Seite, ist fix einer der beiden besten Gruppendritten. Aber wer wird der andere Dritte, der in die Runde der letzten acht kommt? Nicht ganz unwahrscheinlich ist, dass darüber das Los entscheidet. Weil Gruppen natürlich unterschiedlich stark sind, haben es manche Teams leichter, auf eine gute Tordifferenz zu kommen, als in anderen – was bei Punktgleichheit zwischen mehreren Gruppendritten ja durchaus den Ausschlag geben kann. Zudem wissen die Kandidaten aus den hinteren Gruppen genau, welches Resultat reicht, die aus den vorderen natürlich nicht.

So taten sich vor vier Jahren im letzten Gruppenspiel Schweden und Italien nicht mehr weh – die einen waren mit einem Punkt Gruppensieger, die anderen kamen mit einem Punkt noch auf einen der besseren beiden dritten Plätze. Es endete 1:1, Italien war weiter, Dänemark – zwei Tage zuvor schon fertig – war raus.

Weshalb sich die UEFA etwas ziemlich sportliches ausgedacht hat: Wenn mehrere Gruppendritte punktgleich sind, zählt nicht mehr die Tordifferenz – nein, dann wird sofort ausgelost, wer weiterkommt und wer nicht. Dann nämlich, wenn Russland oder England mit zwei Punkten Dritte werden – also es zu einem Remis gegen Spanien bzw. die fast sicher mit der Zweier-Panier spielenden Französinnen kommt. Dann hätte der Dritte der Gruppe C ebenso zwei Punkte wie mit Dänemark jener der Gruppe A.

Deutschland: Niederlage als Vorteil?

„Die Neid hat Angst vor Spanien und Frankreich“, konstatierten deutsche Fans nach ihrer Rückkehr nach Växjö vom 0:1 der DFB-Auswahl 75 Auto-Minuten entfernt in Kalmar gegen Norwegen. Der ersten EM-Endrunden-Niederlage seit zwanzig Jahren. Denn mit der Pleite gegen Norwegen und einer, wie man hört, recht uninspirierten Leistung verhindert man ein Viertelfinale gegen Spanien (gegen dieses Team gab’s in der Quali ein 2:2) und vor allem ein Halbfinale gegen jene Französinnen, die bisher die ganz klar stärkste Mannschaft im Turnier waren.

Kommt Deutschland nun über Italien im Viertelfinale drüber, wartet im Semifinale fast sicher Schweden. Zwar gegen 13.000 gelb-blaue Fans in Göteborg, aber sportlich wäre Schweden wohl ein leichterer Kontrahent als Frankreich.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.