Dt. Bundesliga | 25. Spieltag
Niedersachsenstadion (AWD-Arena), 5. März 2011
Hannover 96 - Bayern München
3-1
Tore: 16' Abdellaoue, 51' Rausch, 62' Pinto bzw. 55' Robben

Hannover sägt Van Gaals Trainerstuhl ein weiteres Bein ab

Wie lange ist Louis van Gaal noch Trainer bei den Bayern? Nach dem 1:3 in Hannover scheint die Antwort eher „Tage“ zu sein als „Wochen“. Denn beim Überraschungsteam der Bundesliga machten die Bayern einmal mehr erstaunlich viel schon in der Herangehensweise an die Partie falsch.

Hannover 96 - Bayern München 3:1

Es war als Schicksalsspiel für Bayern-Trainer Louis van Gaal angekündigt worden – und die Bayern versagten nach dem Cup-Aus gegen Schalke nun auch beim Überraschungsteam in der Bundesliga – und das, obwohl bei Hannover der an sich beste Stürmer Didier Ya-Konan verletzt nicht dabei sein konnte – für ihn spielte Ex-Bayer Jan Schlaudraff als zweite Spitze in einem recht klassischen 4-4-2.

Deutlich mehr umstellen musste indes Van Gaal: Der zuletzt formschwache Schweinsteiger musste gelbgesperrt aussetzen, Luiz Gustavo war krank. So agierte Kroos in der tiefen Rolle vor der Abwehr und – was schon in den letzten Spielen nicht funktioniert hat – Linksverteidiger Pranjic als Achter, dafür mit Badstuber wieder ein spieler links hinten, der sich dort nicht allzu wohl fühlt. Folgerichtig kam vom gelernten Innenverteidiger nicht allzu viel Unterstützung für Ribéry.

Numerische Überlegenheit ohne Vorteil abgegeben

Das Hauptproblem war aber einmal mehr das zentrale Mittelfeld. Gegen die zwei Hannoveraner im Zentrum gaben die Bayern – mit nominell drei Zentralen – die Überlegenheit auf, indem sich Müller weiter nach vorne orientierte und Kroos sehr tief stand. Das muss nicht verkehrt sein, Dortmund hat so zum Rückrundenstart das 4-4-2 von Leverkusen absolut zerlegt. Großer Unterschied: Der angehende Meister hat Leverkusen mit eigenem Pressing entnervt und konnte so auf die Zentrale verzichten. Hier waren es aber die Hannoveraner, die zum Teil recht heftig gegen die Bayern pressten.

Vor allem die Tatsache, dass bei Hannover zwei Spitzen da waren, die volle Kanne pressten und somit schon die Spieleröffnung der Bayern extrem störten, brachte den vermeintlichen Favoriten schwer ins Wanken. So war Lahm gezwungen, umso mehr nach vorne zu tun. Ein weiteres Problem war – einmal mehr – Danijel Pranjic. Er war auf der Acht völlig unsichtbar und für Kroos selten eine Option, weil er, wie auch der Rest der Mannschaft, sehr hoch stand und die Bayern somit auf lange Bälle zurückgreifen mussten. Die sehr selten ankamen. Da half es auch nicht, dass Robben und vor allem Ribéry viel einrückten, um in der Zentrale wieder einen numerischen Vorteil herzustellen.

Und die Tatsache, dass die Bayern versuchten, sich sehr hoch anspielen zu lassen, spielte dem explosiven Konterfußball, den Mirko Slomka (wir erinnern uns mit Wehmut, der wäre nach der EM fast ÖFB-Teamchef geworden!) seinem Team eingeimpft hat, voll in die Karten. So konnte Rausch einen Vorstoß von Lahm nützen, um in dessen Rücken freie Fahrt zu haben, seine Flanke fand den Norwegen Abdellaoue, und es stand 1:0 für die Hausherren.

Hannover mit Plan, Bayern ohne Ordnung

Defensiv stand Hannover exzellent, vor allem Robben hatten die Norddeutschen gut im Griff. Kam der Holländer mit Tempo, standen wie in den letzten Wochen auch immer zwei bis vier Gegenspieler um ihn herum. Wurde Robben allerdings stehend angespielt ohne Gefahr für Tempoläufe, ließ Hannover komplett von ihm ab und stellte den Strafraum voll. Ähnliches praktizierten sie auf der anderen Seite mit dem dennoch etwas aktiveren Ribéry. So blieben den Bayern fast nur Fernschüsse.

Der ärmste Hund bei den Münchnern war aber nicht Gomez, der zwar vorne viel arbeitete – und ebenso einige Male vom schwachen Schiedsrichter Drees benachteiligt wurde wie Hannover bei einigen falschen Abseitsentscheidungen – aber dem wenig gelang. Nein, das war Anatoli Tymoschuk: Er musste nicht nur den Innenverteidiger spielen, sondern zunehmend auch dem etwas hilflosen Kroos in der Spieleröffnung helfen und zudem die rechte Seite abdecken, die der defensiv haarsträubend schlechte Lahm freiließ. Denn nicht nur, dass der Kapitän seine Flanke offen ließ, auch im Zweikampf im Strafraum schaute er zumeist nur andächtig zu.

Symptome behandeln und wiederkehrende Fehler korrigieren

Dass Tymoschuk an dieser Dreifach-Aufgabe scheitern musste, war aufgelegt, seine Auswechslung zur Halbzeit war allerdings nur ein Behandeln der Symptome der Schwäche anderer, anstatt dass Van Gaal die Ursachen für die Überforderung angetastet hatte. Für den Ukrainer kam Daniel van Buyten, der nun nicht mehr hinter dem etwas disziplinieren Lahm aufräumen musste, zudem kam mit Ottl eine sich besser anbietende Anspielstation statt Pranjic ins defensive Mittelfeld. Es ist schon erstaunlich: Van Gaal ließ Pranjic zuletzt fast immer im Mittelfeld beginnen, um Luiz Gustavo (Achter) oder diesmal Badstuber (Innenverteidiger) auf der LV-Position beginnen zu lassen. Jedesmal korrigierte er diesen Missstand im Laufe des Spiels, weil es schlicht nicht funktioniert hat. Und doch stellt er Pranjic immer wieder ins Mittelfeld.

Der Kroate fühlt sich links sichtbar wohler, und nun kam auch etwas mehr Unterstützung für Ribéry, als das der ausgewechselte Badstuber geliefert hatte. Doch bevor diese Maßnahme wirklich greifen konnte, stand es schon 0:2 – nach einer Ecke ließen die Bayern Rausch völlig frei von der Strafraumgrenze schießen, Gomez fälschte den Schuss noch leicht ab. Ganz hatten sich die Münchner aber noch nicht aufgegeben und vier Minuten später zeigten sie auch, wie gut Hannover daran tat, sie nicht in den Strafraum kommen zu lassen. Ein Ball von (dem sonst indiskutabel schlechten) Müller fand etwas glücklich Ribéry, der setzte sich gegen Pogatetz durch und bediente Robben, der nur noch einschieben musste.

Robben erst nach Schlampigkeitsfehler mit mehr Einsatz

Dass Robben aber seit Wochen seltsam abwesend wirkt, wurde ihm aber kurz darauf wieder zum Verhängnis. Leichtfertiger Ballverlust in der Vorwärtsbewegung, und wieder ging’s bei Hannover schnell. Weder Kroos noch Ottl und schon gar nich Van Buyten griffen den aufs Tor zustürmenden Pinto an, und auch Kraft machte beim folgenden Schuss keine gute Figur – und es stand 3:1 für Hannover.

Offensichtlich hat Robben diesen Fehler gebraucht, denn nun drehte er auf und schwang sich zu einem Aktivposten auf. Und zwar so sehr, dass in der Folge sein Gegenspieler Rausch – der die Freiheiten lange genoss – gegen den defensiv stärkeren Chahed ausgewechselt wurde. Allerdings zu einem Zeitpunkt, als die Partie schon vorentschieden war. Breno hatte in der 71. Minute nach einer Tätlichkeit die rote Karte gesehen.

Dreierkette ohne Innenverteidiger

Van Gaal musste nun alles riskieren und tat das auch. Er löste die Verteidigung komplett auf, indem er mit Van Buyten den verbliebenen IV als Kopfballoption in die Spitze schickte, nachdem er schon zuvor Klose für Kroos eingewechselt hatte. Hinten spielten die Bayern nun de facto mit einer Dreierkette, gebildet aus den Außenverteidigern Lahm und Pranjic sowie dem verbliebenen defensiven Mittelfelspieler, Ottl. In der letzten Viertelstunde gab es nur noch die Devise „Brechstange“.

Slomka brachte einen fünften Verteidiger für den fleißigen Stindl, nachdem er mit der Einwechslung von Stoppelkamp (für Schlaudraff) schon eher auf ein 4-5-1 umgestellt gehabt hatte. Man kann Hannover vorwerfen, die sich durchaus bietenden Kontermöglichkeiten in der Schlussphase nicht gut ausgespielt zu haben. Das machte aber in diesem Spiel nichts mehr aus, weil die Bayern ohnehin nie den Eindruck hinterlassen hatten, tatsächlich noch zwei Tore aufholen zu können.

Fazit: Van Gaal arbeitet an seiner Entlassung

Es ist schon erstaunlich, wie viel man falsch machen kann. Pranjic als Achter, Lahm zu offensiv, Tymoschuk mit drei aufgaben, offensives Mittelfeld zu hoch, Notlösungen auf links hinten. Und dann noch individuelle Aussetzer wie von Robben und Kraft (beim dritten Gegentor), sowie Breno (beim dämlichen Ausschluss). Und Van Gaals Reaktionen auf diese Unzulänglichkeiten. Wenn mal ein Spiel vercoacht wird, kann das ja mal passieren. Aber der „Tulpengeneral“ macht seit Wochen nicht den Eindruck, diese Fehler wirklich korrigieren zu wollen.

Hannover hingegen machte so ziemlich alles richtig. Aktives Pressing von beiden Sturmspitzen (was deren Verwendung auch tatsächlich rechtfertigt), bekannt explosives Umschalten von Defensive auf Offensive, konsqeuentes Ausnützen der Fehler der Bayern. Nicht umsonst rangiert Hannover, letztes Jahr erst am letzten Spieltag vor dem Abstieg gerettet, auf dem dritten Platz und befindet sich auf dem Weg in die Champions-League-Quali – auf die viertplatzierten Bayern sind’s nun schon fünf Punkte Vorsprung…

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.