Premier Leaks #5: Immer diese Tormänner

Seit Rob Green bei der WM gegen die USA fatal neben den Ball griff haben die süffisanten Schenkelklopfer wieder Hochkonjuktur. Typisch, diese englischen Torhüter, so typisch. Das schwingt sogar bei jeder Glanztat eines Schlussmanns von der Insel mit. Nun wird – besonders von kontinentalen Experten und Kommentatoren – immer ein „Die Engländer haben ja doch gute Goalies“ ausgepackt. Zwinker, zwinker. Das Problem am versuchten Originellsein ist: Es kann ganz schnell aufdecken, dass man eigentlich keine Ahnung hat. Provokante These dieser Premier Leaks: Englische Tormänner sind nicht schlecht.

Wer nämlich glaubt, Green wäre ein schlechter Torhüter, der hat die letzten beiden Jahre offensichtlich keinen englischen Fußball gesehen. Green hatte in der vergangenen Saison wesentlichen Anteil am Klassenerhalt von West Ham United aus der Premier League und schlicht das Pech, im falschen Moment gepatzt zu haben. Er muss seitdem damit fertig werden, dass sich Expertentum meist darin erschöpft, gängige Klischees zu bestätigen. Und diese englischen Torhüter, die sind ja wirklich nicht gut oder?

Wahr ist, dass Green (30) vor der Weltmeisterschaft nur einer von drei Tormännern im englischen Team war, die sich um die Nummer 1 gematcht haben. Neben dem später zum Einsatz kommenden David James (40), der zwar in der Vergangenheit einige Patzer auf sein Konto transferierte, aber ebenfalls mehr als eine gute Saison hinter sich hatte (und dann auch eine vom Schenkelklopfertum unbeachtet gute WM spielte) war da auch noch Joe Hart (23). Der löst nach einer Spitzensaison im Tor von Birmingham mit großartigen Leistungen bei Manchester City gerade den starken Iren Shay Given als Nummer 1 ab.

Alle drei (und noch eine Reihe anderer englischer Keeper) waren über Jahre hinweg hervorragend in ihrem Job. Sie hatten mit den imn Gedächtnis verankerten Untaten in der Euro 2008-Qualifikation nicht viel zu tun.

Ein Problem für englische Torhüter ist, dass ihre Fehler im Ausland als nationales Identitätsmerkmal interpretiert werden. Greift ein Green daneben, werden seine sonstigen individuellen Leistungen ebensowenig gewürdigt, wie zwischen ihm und einem Joe Hart getrennt. Er ist Engländer und als solcher logischerweise schlecht – so ist das Klischee. Und wenn einer doch gut hält, dann ist die Expertenpartie immer ganz überrascht. Auch in solch einer Anerkennung kann man Ahnungslosigkeit erkennen.

Noch schlimmer als Engländer haben es übrigens Schlussmänner aus Afrika. Dieses Afrika wird in unseren Gefilden ohnehin als ein großes Land begriffen. Wenn ein Tormann von diesem Kontinent danebengreift, ist das Vorurteil bestätigt. Afrikanische Keeper können jahrelang so gut halten wie Richard Kingson (Ghana) oder Vincent Enyeama (Nigeria), von ihren guten Leistungen wird so mancher Kommentator trotzdem überrascht sein. Die Legenden werden dann erzählt, dass man in Afrika gezwungen wird im Tor zu stehen, weil das ja niemand freiwillig und gern macht.

Gerade am vergangenen Dienstag konnte man zwei Gegenbeispiele bei anderen großen Fußballnationen beobachten.

Da war zum einen der Ausrutscher von Pepe Reina im Spiel gegen Argentinien. Obwohl der Liverpool-Schlussmann damit (nach dem PL-Auftaktspiel gegen Arsenal) bereits zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit schwer patzte, würde ihn niemand als schlechten Mann bezeichnen (was auch absurd wäre). Aber den Fehler wird auch niemand als spanische Torhütereigenschaft bezeichnen. Dass Iker Casillas in Spanien vor der WM wegen einigen Fehlern kritisiert wurde und beim entscheidenden Gegentreffer gegen die Schweiz nicht gut aussah (jaja, im Gegensatz zu seiner hinter dem Tor postierten Freundin) und andere spanische Keeper wie Manuel Almunia im Arsenal-Tor oft wie ein wandelndes Kuriositätenkabinett agieren, tut nichts zur Sache.

Zeitpunkt und Konsequenzen dieser Fehler waren nicht so schlimm und deshalb taugen sie nicht zu Legendenbildung. Spanische Torhüter gelten deshalb nicht als typisch unsicher, sondern im Gegenteil als sehr gut, auch wenn sie im Großen und Ganzen nicht weniger Mist bauen als englische. Es kommt halt auch auf den Zusammenschnitt an.

Der andere Fauxpas vom Dienstag passierte Deutschlands Manuel Neuer beim Gegentreffer Aserbaidschans, als er sich den Ball selbst ins Tor boxte. Nach dem Spiel wurde aber vom Unsinn abgesehen, das als typisch deutsche Eigenschaft zu interpretieren. Deutschland, das ist ja eine „Torhüternation“. Tim Wiese mag wie Werbebanden-Bewässerer Jens Lehmann schon ab und zu gepatzt und der große Oliver Kahn einmal sogar ein WM-Finale verpfuscht haben, aber das wird als jener Ausrutscher erkannt, der es ist, weil die Experten die Spieler besser kennen. ARD-Experte Mehmet Scholl bekräftigte am Dienstag noch, dass er Neuer trotzdem für einen Klassetormann hält. Selbst in der Schenkelklopfer-Festung von Waldis Fußballstudio machte man dem Keeper keinen Vorwurf und interpretierte das als Folge des Drucks des teaminternen Kampfs mit Rene Adler. Nichts von dieser klugen Differenzierung bekam in Rezeption Robert Green bei der WM oder Paul Robinson bei seinem Patzer in der EM-Qualifikation 2008 gegen Kroatien zu spüren.

Bei den einen sind Fehler eben Fehler. Die werden logischerweise gemacht und sie gehören zum einzelnen Tormann dazu. Bei den anderen ist es ein nationales Schicksal (das manchmal noch zur selbsterfüllenden Prophezeihung wird). Wo man keine Ahnung hat, da regiert eben das Klischee.

Cool? Sag das doch anderen!