Deutschland, die Tradition und das Wespennest Hoffenheim

Deutschland ist ein Land miteiner großen Begeisterung für den Fußball. Das wissen wir nicht erst seit der Weltmeisterschaft im eigenen Land vor zwei Jahren, das lässt sich auch an anderen Sachen messen. In keinem Land der Welt ist beispielsweise die durchschnittliche Zuschauerzahl bei Spielen der höchsten Spielklasse höher als in diesem Land. Und das nicht erst seit gestern, sondern schon seit vielen Jahren. Gewaltige Stadien wie die Allianz Arena in München, das Westfalenstadion von Dortmund, die Arena auf Schalke und das Oval im Hamburger Volkspark sind Woche für Woche rappelvoll. Über 40.000 kommen im Schnitt zu jedem der 306 Spiele einer Saison. Hinzu kommt der Pokal, der ebenso eine große Bedeutung hat. Und nicht zuletzt hat die Nationalmannschaft bereits sechs Endrundenturniere von Welt- und Europameisterschaften gewonnen.

Aber die Deutschen Fußball-Fans sind im Aufruhr.

Die TSG 1899 Hoffenheim schaffte den Aufstieg in die Bundesliga. Die bislang kleinste Gemeinde, die einen Verein in der Bundesliga hatte, war der Münchner Vorort Unterhaching: Die Kicker aus der 20.000-Einwohner-Gemeinde spielten zwei Jahre lang, von 1999 bis 2001, oben. Die Fans der arrivierten Teams aus den Großstädten fanden Haching cool bis ulkig, etwas süffisant waren die Bemerkungen, als Dortmund 99/00 nach einer schlechten Saison „unter Haching“ war. In der zweiten Saison machte sich damals die mangelnde Substanz aber doch bemerkbar und der Spuk hatte ein Ende: Unterhaching stieg ab und kam nie wieder auch nur in die Nähe der Bundesliga.

Was ist also nun der Unterschied?

Der starke mann hinter Unterhaching war (und ist) der CSU-Regionalpolitiker Engelbert Kupka. Dank seiner hervorragenden Kontakte zur Wirtschaft war es Haching möglich, überhaupt so weit nach vorne zu kommen. Trainer Lorenz-Günter Köstner verstand es zudem, den zum Verein geholten Spielern – zumeist anderswo Aussortierte – klar zu machen, dass sie in der Münchner Vorstadt die Möglichkeit hatten, es allen zu zeigen. Heute in Unterhaching in der 3. Liga und fühlt sich dort ganz wohl. Die Zeiten, als 15.000 Leute kamen, sind indes längst vorbei: Zuletzt hatten sogar die Bayern-Amateure mehr Zuschauer.

Der starke Mann hinter Hoffenheim, dem Verein aus der 3.000-Seelen-Gemeinde im Württembergischen, ist Dietmar Hopp, Mitbegründer des Software-Giganten SAP und einer der reichsten Deutschen. Die nach ihm benannte Stiftung ist (wegen der Beteiligung an der SAP AG) gut situiert und unterstützt die verschiedensten Bereiche – von Medizin über Bildung bis zum Sport. Und genau hier ist der wunde Punkt. Wobei – nein, beim Sport selbst ist das Problem noch nicht zu finden. Hopp unterstützt seit Jahren den vielfachen Eishockey-Meister Adler Mannheim, ebenso wie das Handball-Team der Rhein-Neckar Löwen, die ebenso im nahe gelegenen Mannheim spielen. Das war alles noch kein Problem, schließlich waren es keine Fußball-Teams.

Aber auch im Fußball hatte Hopp früh seine Finger mit im Spiel: Er entschloss sich, dem Verein, bei dem er selbst als junger Mann einst spielte, kräftig unter die Arme zu greifen. Das war aber keiner der arrivierten Klubs wie der KSC oder Waldhof Mannheim – das war die TSG Hoffenheim. Ein bedeutungsloser Kreisligist aus einem bedeutungslosen kleinen Örtchen, das seit 36 nicht mal mehr eine eigene Gemeinde ist. Langsam, aber sicher arbeitete sich der Verein nach oben: Vier Jahre Landesliga, vier Jahre Verbandsliga – zehn Jahre nach Hopps Einstieg, im Jahr 1999, war Hoffenheim in der viertklassigen Oberliga angekommen. Durch die marschierte man durch, es folgte die Etablierung in der Regionalliga. Sechs Jahre lang fristete Hoffenheim dort ein zwar nicht besonders attraktives, aber doch anerkanntes und respektiertes Dasein. Ja, Hoffenheim wurde wegen seiner als gut geplante und profesionelle Arbeit (nicht nur, aber vor allem im Jugendbereich) sogar weithin geschätzt und als vorbildlich angesehen. Der ehemalige Stuttgart- und Schalke-Trainer Rangnick führte den Verein 2007 schließlich zum zweiten Platz der Regionalliga Süd und damit zum Aufstieg in die 2. Liga – mit einer Mannschaft, in der gerade zwei Spieler seiner Mannschaft überhaupt schon mal gespielt hatten. Sogar der SV Wehen Taunusstein, der vor Hoffenheim Meister wurde (und sich danach in Wehen Wiesbaden umbenannte), kam auf mehr als doppelt so viele.

Mit dem Auftreten in der 2. Liga begann jedoch der Spießrutenlauf: Denn die breite Öffentlichkeit nahm vom Umfeld und der finanziellen Basis, die Hopp zur Verfügung stellte, kaum Notiz. Die eingefleischten „Traditionalisten“ unter den Fangruppen fingen nun jedoch prompt an, gegen den Verein zu polemisieren und ihm mangels „Tradition“ das Existenzrecht im Profifußball abzusprechen.

Das ist einerseits seltsam – andererseits auch wieder nicht.

Fakt ist: In keinem Land Europas hat der Profi-Fußball so wenig Traidtion wie in Deutschland. Erst 1963 wurde eine landesweite Liga installiert, es dauerte danach aber noch etliche Jahre, bis auch der durchschnittliche Bundesliga-Spieler von seinem Sport leben konnte. Aus dieser Nicht-Existenz des Profifußballs mit hinein in die Zeit des Farbfernsehens ist, so meine ich, die bis heute andauernde Skepsis der Angänger gegenüber all jenem begründet, dass an ihrer eben viel länger gewachsenen Vorstellung am Fußballer, der den Fußball als edle Beschäftigung ansieht, und nicht als Beruf wie jeden anderen auch, rüttelt.

Bei vielen Fangruppen, vor allem die Ultras, haben Maßstäbe aus den 1950er-Jahren und davor, als es eben keinen Profi-Fußball und auch nicht die damit verbundenen anderen Arbeits- und Denkweisen gab, bis ins 21. Jahrhundert überlebt: Das Spielen für den eigenen Verein hat eine Ehre zu sein, wer zu einem anderen Verein wechselt – womöglich noch zu einem stark rivialisierten – gleicht einem Vaterlandsverräter, und wer nur des Geldes wegen Fußball spielt, ist ein Söldner und somit im Grunde das ultimative Böse.

Andere Länder sind da schon weiter.

Weil sie schon lange vor 1970 erkannt haben, dass „Fußballer“ genauso ein Beruf ist wie Dachdecker, Lehrer oder Fabrikarbeiter. Man geht der Arbeit nach, die man am Besten kann, um dafür Geld zu verdienen und davon leben zu können. Wenn eine andere Firma, eine andere Privatschule oder ein anderer Verein ein besseres Angebot macht – sei es finanziell, oder andere Umstände betreffend – dann wechselt man eben. Alle wissen, dass es so ist, und alle würden es bedenkenlos genauso machen.

In England startete man schon 1888 mit dem Berufsfußballertum, in Österreich beispielsweise startete man im Jahr 1911 – also noch vor dem 1. Weltkrieg. In Frankreich hatte man lange Minderwertigkeits-Komplexe, weil man (und der Meinung ist man dort bis heute) viel zu spät mit dem Profi-Fußball angefangen hat – nämlich 1932. Zum Vergleich: In Deutschland gab es 1963 erst die erste bundesweite Liga – von Profifußball konnte aber noch keine Rede sein!

Und darum klammern sich die Deutschen an alles, was „Tradition“ hat.

Die 16 Vereine, die damals Gründungsmitglieder der Bundesliga waren, gelten fast durch die Bank bis heute als Hochburgen der Fußballtradition – lediglich Münster, Saarbrücken und Duisburg konnten den Boom nicht nützen. Diese Vereine waren zum richtigen Zeitpunkt – nämlich zur Einfühung der Bundesliga – vorne dabei und wurden eingegliedert. Damals knapp (und sehr umstritten) übergangene und gescheiterte Vereine, wie Neunkirchen, Wormatia Worms, die SpVgg Fürth, die Tasmania und TeBe Berlin konnten sich nie etablieren. Ähnlich wie in England in den letzten Jahren: Man Utd, Arsenal, Chelsea und Liverpool hatten das Glück, gerade vorne zu sein, als Rupert Murdoch mit dem Geld kam. Prägende Vereine der Jahre zuvor – Blackburn, Newcastle, Aston Villa und Nottingham haben schlicht Pech gehabt.

Auch, wer 1963 nicht dabei war, hatte Pech gehabt.

Von den 1963 knapp gescheiterten konnte sich später nur der FC Bayern, Borussia Mönchengladbach und der VfL Bochum über mehr als zehn, fünfzehn Jahre in der Bundesliga etablieren. Hinzu kamen dann noch die Werksklubs aus Leverkusen (1978) und Wolfsburg (1997). Und das war’s. Kleine Teams und Neuankömmlinge werden so lange als netter Farbtupfer und „Bereicherung für die Liga“ angesehen, so lange sie im Grunde harmlos sind. Die Rasselbande von Waldhof Mannheim überlebte 4 Jahre, der „Karnevalsverein“ aus Mainz schaffte es drei Jahre, Unterhaching eben zwei. Cottbus und Rostock sind Ost-Teams und gehören halt auch irgendwie dazu, zu mehr als drei UEFA-Cup-Teilnahmen (davon eine für Zweitligist Union als Cupfinalist) hat es seit der Wiedervereinigung für die Vereine aus den neuen Bundesländern aber auch nicht gereicht – dafür zu Stammplätzen im Abstiegskampf.

Und jetzt kommt Hoffenheim.

Alle sind sich einig: Mit dem Background von Dietmar Hopp hat auch Hoffenheim das Zeug, sich über Jahre des Abstiegskampfes zu erheben, und auf Sicht vielleicht sogar um die internationalen Plätze mit zu spielen. Damit haben die Anhänger der alt-eingesessenen Vereine ihre Probleme – wer hat schon gerne einen neuen, derart gefährlichen Konkurrenten? Und auch die Fans derjenigen „alten“ Vereine, die in der Versenkung verschwunden sind, machen lieber Werks- und Mäzenatenteams wie Wolfsburg und Hoffenheim für den eigenen Niedergang verantwortlich – weil es leichter ist. Denn in Wahrheit können Wolfsburg und Hoffenheim rein gar nichts für das Unvermögen der eigenen Führung in sportlicher wie finanzieller Hinsicht.

In der Vergangenheit zu leben, bedeutet Stillstand…

…und wer still steht, wird aufgefressen. Von Vereinen, die in ihrem Denken schon im 21. Jahrhundert angekommen sind und eben genau wissen, dass genau die „Tradition“, an die man sich paradoxerweise gerade in Deutschland klammert, ein wirtschaftlich nicht messbarer Faktor und damit im Grunde völlig irrelevant ist.

Wobei – das stimmt so richtig auch nicht.

Denn die Vereine selbst haben den Profifußball schon lange als das gesehen, was er nun mal ist – als einen Wirtschaftszweig. Bundesligavereine, aber auch solche in der zweiten und dritten Liga, selbst die halbe vierte Liga in Deutschland wird natürlich nicht mehr wie ein „klassischer“ Fußballverein zwischenkriegszeit-gleich geführt, sondern knallhart wie die Wirtschaftsunternehmen, die sie nun mal sind. Manche sind eben die Global Player – wie Bayern, Bremen oder Schalke – und andere sind die regionalen Kleinbetriebe. Das große Problem – das ja in Wirklichkeit nicht das Ankommen im 21. Jahrhundert ist, sondern die grundsätzliche Akzeptanz des Profi-Fußball an sich – haben die Fans.

Fußball hat weniger mit Sport zu tun. Und mit Emotionen noch viel weniger.

In der Wirtschaft kommt es schon mal vor, dass sich ein Betrieb nach oben kämpft. In der Welt des Kapitalismus geht das nur mit Geld und mit akribischer Arbeit. Das eine ist ohne das andere wertlos: Man kann noch so viel Geld verpulvern – hat man keine Ahnung, wird sich der Erfolg nicht einstellen. Wenn man zwar tolle Ideen hat, aber nicht das Geld, sie umzusetzen, sieht es genauso trübe aus. In der Welt des Fußballs ist es nicht anders: Man kann nur mit Geld nach oben. Mit viel Geld. Ob nun eine dubiose Organisation wie Gazprom sich ganz offiziell als Sponsor bei Schalke einkauft, oder Hopp mit SAP-Millionen einen Dorfverein in die Bundesliga bringt, macht hierbei nicht den geringsten Unterschied. Beide erwarten sich einen Gegenwert – schließlich sehen durch das Engagement in der Bundesliga sowohl Gazprom als auch SAP einem gesteigerten Bekanntheitsgrad entgegen.

Sensibilität den Fans gegenüber kann natürlich helfen.

Sie ist aber genauso wenig notwendig wie die altbackene Forderung von Fans, die die Voraussetzungen des Profi-Fußballs ganz offensichtlich nicht begriffen haben, diese Einzufordern. Natürlich hatten von Red Bull viele das Bild eines Elefanten im Porzellanladen, weil die Konzernführung nicht einmal das Torwart-Dress im traditionellen Violett halten wollte, wie es die Fans des übernommenen Vereins haben wollten. Was sie nicht gesehen haben: Hätte Red Bull im Frühjahr 2005 Salzburg nicht übernommen, wäre der „alte“ Verein genauso gestorben, es hätte aber keinen Bundesliga-Fußball mehr in Salzburg gegeben. Drei Jahre später ist Red Bull Salzburg – man kann von dem Verein halten, was man will – der einzige Fußballverein in ganz Österreich, der zumindest auf halbwegs international relevantem profesionellem Niveau arbeitet. Vor allem, was das Umfeld angeht.

Zu Red Bull Salzburg kommen doppelt so viele Zuschauer wie zum alten SV Salzburg.

Liegt das am sportlichen Erfolg und am Eventcharakter? Ja, natürlich – daran, und an nichts anderem. Aber auch die Fans in Deutschland sollten beim Jammern über Erfolgs- und Eventfans nicht vergessen: 42.000 Zuschauer kommen in Deutschland im Schnitt, und das sind natürlich zu einem erheblichen Teil „Erfolgsfans“. Ohne solche sind diese Zahlen nicht zu erreichen.

Hoffenheim ist das Beste, was der Bundesliga passieren konnte.

Denn durch den Aufstieg dieses Vereins kommt nicht nur ein hochprofessioneller Verein, der mit ebenso modernen Methoden arbeitet wie die Spitze in Europa, sondern darüber hinaus eine blutjunge, brandgefährliche Rasselbande von hochtalentierten Spielern, die mit ihrer attraktiven Fußballphilosophie zumindest jene begeistern wird, denen es wirklich um den Fußball geht. Hier kommt ein Verein, dessen erstes Ziel nicht das permanente Vermeiden des Abstiegs und eine dementsprechend destruktive und unattraktive Spielweise – so gesehen war der Klassenerhalt von Arminia Bielefeld eine absolute Katastrophe.

Hoffenheim steht nicht für wildes Drauf-Los-Einkaufen ohne Rücksicht auf Verluste. Sondern mit hochintelligenter Aufbauarbeit, um etwas Nachhaltiges zu schaffen, das nicht sofort zusammenbricht, wenn ein oder zwei Spieler die Mannschaft verlassen. Das sinnvolle Haushalten mit Ressourcen und langfristige Aufbauarbeit verdienen ebenso viel Respekt wie Vereine wie Energie Cottbus, die trotz eines kleinen Umfelds nun schon in ihre sechste Bundesliga-Saison gehen.

Mit dem Aufstieg von Hoffenheim jedoch geht das Fußball-Abendland der Deutschen mit Sicherheit nicht unter. Im Gegenteil: Fans des Sports können sich freuen.

Auf schönen Fußball nämlich.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.