In ihrem siebenten Turnier als Bundestrainerin war Silvia Neid erstmals mit einer Brille aufgereuzt. Das auffällige weiße Modell, passend abgestimmt zur weißen Weste des deutschen Olympia-Teams, suggerierte eine Weiterentwicklung gegenüber der inhaltlichen Kurzsichtigkeit, mit der Neid ihr Team in den letzten Jahren stets auf das Feld geführt hatte. Doch dem Turniersieg zu ihrem Abschied vom Posten zum Trotz: Noch nie haben die DFB-Frauen im Vergleich mit ihrer Gegnerschaft so steinzeitlich und im Vorwärtsgang so ideenarm agiert wie nun in Brasilien.
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Die Erkenntnisse der Frauen-WM 2015
Es war die goldene Idee von Jill Ellis und ihrem „Co“, Tony Gustavsson – auch wenn es für manche im ersten Moment wie Majestätsbeleidigung aussah. Ab dem Viertelfinale gab es für Weltrekord-Stürmerin Abby Wambach keinen Platz mehr in der Startformation des US-Teams. So kam Schwung ins Spiel, was mit dem WM-Titel belohnt wurde.
Nach dem souveränen 5:2-Finalsieg über Japan manifestiert sich darin die größte Erkenntnis der 7. Frauen-WM: Eine funktionierende Taktik, adaptierte Matchpläne und ein homogenes Teamgefüge sind nun auch bei den Frauen endgültig wichtiger als individuelle Klasse. Das zeigte neben den USA vor allem England. Es gibt aber noch einige andere Schlüsse, die sich ziehen lassen.
Die endgültige Abkehr von der Eigeninitiative: Umschaltspiel nun auch bei den Frauen „in“
Es sah so aus, als wäre Norwegen dazu bestimmt, Schwedens EM-Erfahrungen bei diesem Turnier innerhalb eines Matches im Schnelldurchgang zu absolvieren. Zwei schwache Elfmeter in einem Spiel, beide pariert? Japp. Ein Stellungsfehler zum 0:1 gegen Deutschland? Das vermeintliche 1:1 erzielen, das wegen Abseits nicht zählt? Oh ja. Gegen Deutschland verlieren? Auch.
– Simon Bank, Aftonbladet, 29. Juli 2013
Wieder verloren! Seit 18 Jahren heißt Schwedens Albtraum „Tyskland“
Schweden drückte.Warf alles nach vorne, traf einmal aus Abseitsstellung, einmal den Pfosten, mehr als einmal rettete Nadine Angerer in höchster Not. Nachdem man selbst den offensivsten Fußball des Turniers gezeigt hat und sich Deutschland ins Halbfinale gewurschtelt hatte, war am Ende doch alles wie immer: Es ist knapp, es ist eng, aber am Ende hat die DFB-Elf die Nase vorn. Diesmal, im Halbfinale der schwedischen Heim-EM, hieß es 0:1. So war es in den letzten 18 Jahren immer: Nie konnte Sverige in diesem Zeitraum ein wichtiges Spiel gegen Tyskland gewinnen…
Deutschland im Halbfinale: Durchwurschteln, schönreden, Favoritenrolle wegschieben
Hauptsache gewonnen. Deutschland war zwar einmal mehr weit von einer überzeugenden Leistung entfernt, für Italien reichte es in diesem EM-Viertelfinale aber. Viel Selbstkritik war nach dem 1:0-Sieg aber nicht zu hören, obwohl es dazu reichlich Grund gegeben hätte – nur eine starke Simone Laudehr rettete mit ihrer sehr präsenten Leistung ein Team, das von der schlechten Vorrunde gezeichnet schien. Am offensivsten war Deutschland, wenn es darum ging, sich für das Halbfinale gegen Schweden in die Außenseiterrolle zu reden.
Beim DFB beliebt – aber unter Beobachtern gibt’s kaum noch Neid-Fans
Ein müdes 0:0 gegen jenes Team aus Holland, das danach sang- und klanglos Gruppenletzter wurde. Das 0:1 gegen Norwegen, mit einer ganz mauen Leistung, die erste deutsche EM-Endrunden-Niederlage seit 20 Jahren. Für DFB-Präsident Niersbach kein Grund zur Besorgnis. Das wäre auch ein Viertelfinal-Aus gegen Italien nicht. Der DFB wird Silvia Neid nicht fallen lassen, hat er angekündigt. „Sie weiß, wie sie das Team einstellen muss“, sagte er.
Aber: Praktisch jeder mitgereiste Deutsche, dem man hier in Schweden über den Weg läuft, sagt das genaue Gegenteil. Abgehoben und beratungsresistent, dabei aber ahungslos in Taktik-Fragen und das Einsetzen von Spielerinnen an völlig falschen Positionen, lauten die Hauptvorwürfe. Sie sind sich einig: Silvia must go.
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Island sensationell im Viertelfinale – der letzte freie Platz könnte aber ausgelost werden!
„Unsere Handball-Herren haben 2008 Olympia-Silber geholt“, sagte Islands Teamchef Siggi Eyjólfsson nach dem 1:0 seiner Fußball-Frauen über Holland, „aber gleich danach kommen jetzt wir, sporthistorisch gesehen!“ Als größter Außenseiter des Turniers gestartet, holten die Kickerinnen von der 300.000-Seelen-Insel ein Remis gegen Norwegen und nun auch einen Sieg gegen Holland. Womit sensationell das Viertelfinale erreicht wurde.
Der deutschen 0:1-Niederlage gegen Norwegen zum Trotz – das den Effekt hatte, dass man nun im vermeintlich leichteren Turnier-Ast „umzieht“ und Frankreich erst im Finale bekommen zu können: Island war die eigentliche Story des Tages.
12 Teilnehmer, 3 Titel-Kandidaten: Fußball-Europa sucht seine Königinnen
Natürlich: Wer nur auf das Tempo, die Athletik oder allgemein das, um es mal platt zu formulieren, Offensichtliche schaut, wird mit dem Frauenfußball nie eine Herzensbeziehung eingehen. Darum versuchen wir es vor der Europameisterschaft in Schweden mal mit Inhaltlichem. Mit Taktischem. Mit etwas Hintergrund-Information. Denn wer mit einem Mindestmaß an Wissen um die Personen, die Teams, die Leiungsstärken im Vergleich zur Konkurrenz, ihre Stärken und Schächen in ein Turnier geht – auch als Zuseher – der ist schon mal grundsätzlich im Vorteil.
Hier also: Acht Fragen und acht Antworten zu Schweden 2013.