So spielte Europa, Teil 1: Plätze 55 bis 33

Die EM-Qualifikation ist beendet, 21 der 24 Teilnehmer stehen fest. Zeit, Bilanz zu ziehen – und wir tun das, indem wir allen europäischen Teams ein wenig Raum geben. Wie haben die Nationalteams 2023 gespielt, mit welchen Spielern von welchen Klubs, in welcher Grundformation – und was lässt sich zu ihnen sagen?

Wir haben uns am Elo-Rating orientiert, um die Mannschaften nach ihren tatsächlichen Resultaten unter Berücksichtigung der Stärke der Gegner in den letzten Jahren zu sortieren. Hier der ersten von drei Teilen unserer Bilanz, die Plätze 55 bis 33.

Platz 55: San Marino

Mit dem vierten Punktgewinn der Verbandsgeschichte wurde es nichts, aber immerhin hat San Marino erstmals in drei Spielen hintereinander getroffen. Außerdem durfte man sich rühmen, dass Dänemark beim 2:1 Wechsel in der Nachspielzeit zum Zeitschinden brauchte. Immerhin.

Platz 54: Liechtenstein

Ja also das Team aus dem Fürstentum war auch schon mal besser aufgestellt. Spieler aus den Ligaklassen zwei bis vier in der Schweiz und Österreich, damit reichte es in der 15. Qualifikation, die Liechtenstein bestreitet, erst zum vierten Mal nicht für einen Punkt.

Platz 53: Gibraltar

Im Europacup haben die Lincoln Red Imps im Sommer gegen Qarabağ und Ballkani verloren. Das Gerüst des Nationalteams kommt auch von Gibraltars Meister, viel besser ging es auch in der EM-Quali nicht – das 0:14 in Frankreich war für die alten Chipolina und Casciaro, Teamkicker der ersten Stunde, wohl der internationale Schlusspunkt.

Platz 52: Andorra

Vor einem Jahr hätte Andorra beinahe ein 0:0 gegen Österreich über die Zeit gebracht. In der EM-Quali hat man das daheim gegen Weißrussland tatsächlich geschafft, im Kosovo gab es ein 1:1. Das ist für das Land, das etwa so viele Einwohner hat wie der Großraum Wels, durchaus vorzeigbar.

Platz 51: Malta

Der Anreiz, die Mittelmeer-Insel fußballerisch zu verlassen, ist offenbar nicht besonders groß. Diesmal gab es gegen England, Italien, die Ukraine und Mazedonien keine Punkte – ein bisserl Pech war, dass Malta als Topf-5-Team keine Sechsergruppe bekommen hat. Denn ein Salto Nullo ist den Maltesern zuletzt vor 24 Jahren passiert.

Platz 50: Färöer

Einmal im Jahr kommt auf den Schafsinseln im Atlantik Möwenfleisch auf den Teller. Das ist zäh und den Gestank bekommt man tagelang nicht aus der Küche raus, aber Tradition ist Tradition. Tradition war auch, dass sich Gästeteams immer wieder blaue Augen abholen. Diesmal nicht, die Färinger verloren alle vier Heimspiele. Dafür hielt man sich mit einem 0:0 bei Gruppensieger Albanien und einem 1:1 in Moldawien auswärts schadlos.

Platz 49: Litauen

Der schlechtestklassierte Flächenstaat im aktuellen Elo-Rating kommt aus dem Baltikum und Litauen zahlt dabei ein wenig die Zeche für eine schwache Vergangenheit. Ein tolles Team hat der ehemalige FC-Porto-Stürmer Edgaras Jankauskas da zwar immer noch nicht unter seinen Fittichen, aber in der Hälfte der Spiele blieb man ungeschlagen und man ließ immerhin Bulgarien hinter sich.

Platz 48: Zypern

Die Liga in Zypern ist mittelmäßig vernünftig, zahlt gut und zieht tonnenweise Spanier, Portugiesen und Brasilianer an. Heimische Spieler bekommen kaum Spielzeit und die Handvoll Legionäre reißen das Nationalteam nicht raus. Temur Ketsbaia war 2008 der Trainer von Anorthosis Famagusta, als der Klub im Europacup Rapid in einer taktischen Lehrstunde 3:0 besiegte. Sein aktuelles Nationalteam? Nicht der Rede wert. Acht Spiele, acht Niederlagen, 3:28 Tore.

Platz 47: Moldawien

Vor einem Jahr lag die Truppe aus dem Armenhaus Europas noch hinter Malta in diesem Ranking. In der EM-Quali blieb Moldawien nun daheim ungeschlagen, es kamen Auswärtssiege auf den Färöer (ja, okay) und in Polen (oha!) hinzu, ebenso wie ein Testspiel-Remis in Österreich. Zehn Punkte in acht Spielen, so gut war man schon lange nicht mehr.

Platz 46: Lettland

Es ist jetzt genau 20 Jahre her, dass sich Lettland für die EM 2004 qualifiziert hat, auf dem Weg dahin den damals amtierenden WM-Dritten Türkei eliminierte. Längst sind die Letten komplett auf dem Boden angekommen. Bis auf den Heimerfolg gegen Armenien setzte es einmal mehr nur Niederlagen. Mehr als zwei Siege in einer Qualifikation gelangen zuletzt vor zwölf Jahren.

Platz 45: Estland

Vier Siege gegen Malta und San Marino im Herbst 2022 bescheren Estland die Chance, im Playoff um eines der drei verbleibenden EM-Tickets noch mitzumachen – als bester Gruppensieger in der D-Leistungsstufe der Nations League. Seither ärgerten die Ersten zwar Österreich, mehr gelang aber nicht. Ein Pünktchen gegen Aserbaidschan, dafür sieben Niederlagen. Und man braucht kein Prophet sein: Im Playoff gegen Polen wird es die nächste geben.

Platz 44: Bulgarien

Sommer 1994: Bulgarien erreicht das WM-Halbfinale. Sommer 2004: Bulgarien nimmt zum bis heute letzten Mal bei einem großen Turnier teil. Und 2023: Erstmals seit den Fünfzigern bleibt Bulgarien eine komplette Qualifikation lang ohne einen einzigen Sieg – ein einmaliger Tiefpunkt in der an Tiefpunkten nicht gerade armen jüngeren Vergangenheit. Erfolglos-Teamchef Mladen Krstajić musste im Oktober gehen. Es lag aber sicher nicht nur an ihm.

Platz 43: Weißrussland

Als Putins Schoßhündchen wurde Weißrussland zwar nicht ausgeschlossen, war aber doch gezwungen, die Heimspiele vor leerem Haus in Budapest zu absolvieren. Dafür ist die Bilanz aber doch recht vernünftig: Gegen jedes Team der Gruppe hat Weißrussland zumindest einmal gepunktet, gegen Rumänien ebenso wie gegen die Schweiz und Israel.

Platz 42: Armenien

In Armenien haben sie sich einen serbischen Torhüter eingebürgert, einen Sechser aus Nigeria, dazu zwei Argentinier und einen talentierten Deutschen von Mönchengladbachs Regionalliga-Mannschaft. Ein Aufwärtstrend ist ebenso wenig erkennbar wie eine Abwärtsentwicklung, nachdem sich Henrikh Mkhitaryan nach der letzten WM-Quali zurückgezogen hat: Zwei Siege gegen Lettland, ein Remis gegen Wales und eines gegen die Türkei.

Platz 41: Island

Huh, wo sind sie denn? Das EM-Viertelfinale 2016 und die WM-Teilnahme 2018 sind nur noch eine Erinnerung für Island. Das sportliche Hoch war angesichts der geringen Einwohnerzahl ohnehin kaum aufrechtzuerhalten, ein Missbrauchs- und Vertuschungsskandal im Verband tat sein Übriges. Neben den beiden Erfolgen über Liechtenstein gab es zwar nur noch einen einzigen Sieg (gegen Bosnien), dank der Teilnahme an der A-Liga der letzten Nations League ist Island aber dennoch im Playoff.

Platz 40: Kasachstan

Bis zum letzten Spiel hatte völlig überraschend Kasachstan die Chance, sich auf direktem Weg für die EM zu qualifizieren: Ein Sieg im in Slowenien, und die Kasachen wären statt den Slowenen zum Turnier gefahren. Man kassierte in der Schlussphase das 1:2, den bisherigen Punkterekord hat das Team dennoch beinahe verdoppelt und im Playoff hat man immer noch die Chance.

Platz 39: Bosnien-Herzegovina

Pures Chaos begleitete das bosnische Nationalteam in dieser Qualifikation. Im Juni feuerte man Trainer Hadžibegić, sein Nachfolger Kodro war nach nur zwei weiteren Spielen ebenfalls wieder entlassen, in der Gruppe ließ man gerade mal Liechtenstein hinter sich. Das Personal auf dem Feld wurde ebenso wahllos herumgewürfelt wie das Spielsystem. Schlimmer als 2023 kann es eigentlich nicht mehr werden.

Platz 38: Nordirland

Zum Abschluss gab es einen 2:0-Heimsieg gegen ein dänisches B-Team, für das es um nichts mehr ging. Davon abgesehen hat Nordirland, immerhin EM-Achtelfinalist von 2016, sämtliche Matches verloren, bei denen der Gegner nicht San Marino hieß. Selbst mit doppelt so vielen Punkten wäre das aus Zweitliga-Kickern zusammengesetzte Team Vorletzter geblieben.

Platz 37: Aserbaidschan

Der sensationelle 3:0-Sieg gegen Schweden war der größte Erfolg der Verbandsgeschichte – das alleine macht diese EM-Quali für Aserbaidschan zu einem Erfolg. Damit setzte man sich trotz des 1:1 in Tallinn letztlich doch deutlich von Estland ab und kann sich nach den jeweils sieglosen Quali-Kampagnen für die WM 2022 und die EM 2020/21 über einen deutlichen Schritt nach vorne freuen.

Platz 36: Kosovo

Der kosovarische Verband setzt weiterhin zu beträchtlichen Teilen auf in der Diaspora aufgewachsene Spieler, im Ganzen tritt man aber auf der Stelle. An der zu hoch gegriffenen Ambition, ernsthaft um einen EM-Platz zu spielen, konnte Alain Giresse nur scheitern. Ein breiteres Team um die bekannten Namen Rrahmani, Muriqi und Rashica lässt sich aber kaum aufstellen.

Platz 35: Luxemburg

Der Aufschwung kommt keineswegs völlig aus dem Nichts, er hat sich in den letzten Jahren absolut angedeutet. Aber: Luxemburg, so groß wie Vorarlberg und so viele Einwohner wie Kärnten, bis kurz vor Schluss mit einer Chance auf die Top-2 und letztlich souverän vor Bosnien und Island? Das ist schon beeindruckend. Und wer weiß, vielleicht geht im Playoff (gegen Georgien, dann würden Griechenland oder Kasachstan warten) ja wirklich noch was.

Platz 34: Montenegro

Das wäre was gewesen: Für ein paar Minuten hatte Montenegro den großen Nachbarn Serbien am letzten Spieltag vom zweiten Gruppenplatz und damit aus der EM raus verdrängt. Am Ende ging es sich nicht ganz aus und auch im Playoff ist Montenegro nicht dabei, aber der dritte Platz – deutlich vor Litauen und Bulgarien – ist in einer (zugegeben schwachen) Gruppe recht ordentlich. Für mehr muss halt wirklich alles zusammen passen, der Spielerpool ist klein: Montenegro hat weniger Einwohner als Luxemburg.

Platz 33: Nordmazedonien

Seine 15 Minuten im Rampenlicht hatte Nordmazedonien zuletzt gleich zweimal: Erst, als man bei der EM 2021 teilnahm und eine anständige Figur abgab, und dann nochmal ein Jahr später, als man Italien im WM-Playoff eliminierte. Ganz wachsen die Bäume aber nicht in den Himmel. Neben den Pflichtsiegen gegen Malta gab es achtbare Heim-1:1 gegen England und Italien, für die Anwartschaft auf eine erneute EM-Teilnahme reichte das aber nicht aus.

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.