Immer schon rein in die Wunde und darin herumbohren! Die ÖFB-Frauen haben in ihrem De-facto-Achtelfinale gegen Norwegen eine knappe Stunde lang alles getan, um sich einen Sieg zu verdienen. Sie gaben den mental nach dem 0:8 gegen England lädierten Gegner lange keine Gelegenheit, zu sich zu finden und am Ende wurde der 1:0-Erfolg über die Zeit verteidigt. Damit wurde wie 2017 die EM-Vorrunde überstanden, nun wartet im Viertelfinale Deutschland.
Irene Fuhrmann musste auf die corona-positive Katharina Naschenweng verzichten, dafür war die corona-genesene Laura Wienroither wieder mit dabei. Dunst (links) und Hickelsberger (rechts) spielten also auf den Außenstürmer-Positionen im österreichischen 4-3-3. Norwegens Teamchef Martin Sjögren griff auf das Team zurück, das zum Auftakt 4:1 gegen Nordirland gewonnen hatte – nur Innenverteidigerin Maria Thorisdottir, die beim 0:8 gegen England unter vielen Schlechten die Allerschlechteste war, musste draußen bleiben. Bergsvand spielte statt ihr.
Immenses Gegenpressing
Österreich machte sich von Anpfiff weg daran, Norwegen gar nicht erst Selbstvertrauen aufbauen zu lassen. Mit einem aggressiven Pressing wurde die Ballführende – wie kaum anders zu erwarten war – schnell gedoppelt und Abspielfehler somit provoziert, und zwar schon im Angriffsdrittel; rund um die Mittellinie sowieso.
Norwegen kam damit gar nicht dazu, auch nur mehr als zwei oder drei Pässe hintereinander spielen zu können und ein geregelter Aufbau war sowieso unmöglich. Nur über Einzelaktionen – und hier vor allem über Caroline Hansen – schafften sie es situativ, für so etwas wie Entlastung zu sorgen.
Hegerbergs Präsenz war spürbar
Man merkte den ÖFB-Frauen aber an, dass schon die schiere Präsenz von Ada Hegerberg für Respekt sorgte. Anstatt im Mittelfeld quer zu spielen und bei einem möglichen Ballverlust womöglich gleich Hegerberg gegen sich zu haben, wurde immer wieder lange Rückpässe auf Zinsberger gespielt, um dieses Risiko zu minimieren. Und auch im Aufbau von hinten galt eher die Devise „Lang und weit bringt Sicherheit“: Keine kurzen Pässe auf Puntigam wurden gespielt, die Kugel ging auf möglichst direktem Weg ins Angriffsdrittel.
Das spielte aufgrund der Gegebenheiten – den spielerischen wie den psychischen – Österreich in die Hände. Die ÖFB-Frauen gingen immer schön rein in die norwegischen Schwächen und die damit beim 0:8 aufgerissenen mentalen Wunden und bohrten mit Genuss darin herum. Das 1:0 durch Billa nach 37 Minuten war überfällig und hochverdient.
Kein Fuß auf den Boden
Denn Linksverteidigerin Blakstad sah gegen Hickelsberger null Land, brachte in der ersten Hälfte gefühlt keinen einzigen Vorwärtspass an die Mitspielerin. Reiten war bei Wienroither weitgehend abgemeldet, Engen ließ schon nach einer Viertelstunde die Schultern hängen, Bergsvands Stellungsspiel stand in puncto haarsträubend jenem von Thorisdottir gegen England um nichts nach und Mjelde rammte einmal das Knie und einmal den Ellbogen in Billas Gesicht – ungestraft.
Das scharfe Gegenpressing der ÖFB-Frauen lähmte die norwegischen Lebensgeister und Österreich hingegen spielte die Mind-Games auch genüsslich aus. Wenningers ewig hinausgezögerter Freistoß aus der eigenen Hälfte machte die Norwegerinnen sichtbar fuchtig, beispielsweise. Auch die Verletzungspause von Torhüterin Pettersen brach Österreichs Rhythmus nicht.
ÖFB-Druck lässt nach
Erst nach 50 Minuten nahmen die ÖFB-Frauen erstmals den Fuß ein wenig vom Gas. Man ging dazu über, Norwegen eher an der Mittellinie zu erwarten und nicht mehr im Angriffsdrittel schon draufzugehen. Allzu kreativ ist diese Truppe nicht, sie war aber sehr wohl bemüht, diesen kleinen österreichischen Finger zu nehmen und sich so die ganze Hand zu schnappen. „Wir können nicht 95 Minuten lang nur draufdrücken“, hatte Irene Fuhrmann schon vor der EM gesagt, „das geht sich athletisch einfach nicht aus.“
Was sich aber nicht änderte, war die generelle Panik in der norwegischen Abwehr, wenn sich ein Ball näherte. Da wurde nichts gesichert, sondern nur rausgedroschen – bis irgendwann keine Österreicherin mehr nachlief, die gefährlich werden konnte. Torhüterin Guro Pettersen mühte sich, Sicherheit auszustrahlen und sie hielt, was zu halten war, aber ein bisschen wackelig wirkte sie dennoch immer.
Norwegen macht Druck
Nach einer Stunde versuchte Norwegens Teamchef Martin Sjögren nachzulegen, stellte Hansen auf ihre beste Position (am rechten Flügel) und bracht datür in Ildhusöy eine neue Stürmerin statt Eikeland auf das Feld. Wenig später brachte Tuva Hansen eine scharfe Flanke vor das Tor, die an allen vorbei zischte – die wohl heikelste Szene.
Nach 20 Minuten mit mehr Abwehr- als Angriffsarbeit erlöste Fuhrmann die erschöpfte Hickelsberger und wechselte Lisa Makas ein, die sich gleich einmal mit einem etwas zu zögerlichen Abschluss alleine vor Torhüterin Pettersen einführte. Das 2:0 in dieser 75. Minute wäre die Entscheidung gewesen. So aber war Norwegen immer mehr bemüht, irgendwie den Ball in den Strafraum zu bekommen, um dort die Kugel über die Linie stochern zu können. Viel Plan war nicht dahinter, eher Brechstange und Mut der Verzweiflung
Die Vermutung liegt nahe, dass dieses sich Zurückdrängen lassen zumindest in diesem zeitlichen Ausmaß wohl eher nicht geplant war – denn statt einem weiteren offensiven Wechsel wurde in der Schlussphase eher noch mehr der Rückwärtsgang eingelegt. Statt Stürmerin Billa kam Verteidigerin Georgieva, mit einem 5-4-1 wurden die restlichen Minuten über die Zeit gebracht. Einmal war Zinsberger vor Hegerberg am Ball, einmal lenkte sie einen Ildhusoy-Schuss noch knapp über die Latte. Norwegen hätte einen Sieg gebraucht, es gab nicht mal das Remis.
Fazit: Nein, 2017 war kein Zufall
Erstmals in seiner 32-jährigen Geschichte hat das ÖFB-Frauen-Nationalteam einen Sieg gegen einen Weltmeister gegeben. Der Lohn für den 1:0-Erfolg gegen den Welt-Champion von 1995 ist das zweite Erreichen der K.o.-Runde bei der zweiten EM-Teilnahme. War 2017 noch eine Überraschung, bei der man unvorbereitete Gegner mit dem Ausmaß der eigenen Stärke düpiert hat, ist diese zweite Viertelfinale-Teilnahme die Bestätigung, dass 2017 keine Eintagsfliege war.
Jetzt kennen die Gegner Österreich. Und trotzdem ist Österreich weiter – gerade nach diesem Spiel, zumindest den ersten 50 Minuten davon, sowas von verdient. Norwegen sah nicht aus wie eine Frauenfußball-Großmacht mit dem Selbstverständnis, auch nach einer bitteren Niederlage natürlich ein gutes Mittelklasse-Team wie Österreich zu besiegen. Sondern wie ein vom Anlass eines Entscheidungsspiels komplett überfahrenen Duckmäuser, der hofft, das Ausmaß der sportlichen Katastrophe möge sich im ertragbaren Rahmen halten. Nein, ein 0:8 wurde es nicht. Aber die Art und Weise, wie man 50 Minuten lang von Österreich vorgeführt wurde, kann nach dem Debakel gegen England nur bedeuten, dass der ohnehin in der Kritik stehende Martin Sjögren seinen Hut nehmen muss. Wie es mit Ada Hegerberg weitergeht, die den gleichen leeren Gesichtsausdruck hatte wie nach dem punkt- und torlosen Vorrunden-Aus vor fünf Jahren, wird sich weisen.
Für Österreich gibt es nun hingegen die nächste Belohnung nach dem Eröffnungsspiel im Old Trafford (übrigens: Norwegen hat 0:8 gegen England verloren und Nordirland 0:5, Österreich „nur“ 0:1). Am Donnerstag gibt es im Stadion von Brentford das Viertelfinale gegen Deutschland. Das wird wieder eine komplett andersartige Partie: Die DFB-Elf hat bisher vollends überzeugt, strotzt vor Selbstvertrauen und geht auf den EM-Titel los – und will nicht, so wie Norwegen, nur eine totale Blamage verhindern.