Bitteres EM-Aus nach 120 Minuten: Österreich hatte Italien am Haken

Was wäre gewesen, wenn Marko Arnautovic bei seinem Tor zehn Zentimeter weiter hinten gestartet wäre…? So hatte Österreich im EM-Achtelfinale die Italiener am Haken, aber in der Verlängerung rettete sich die Squadra Azzurra zu einem 2:1-Sieg. Dennoch darf das Match als Höhepunkt der Ära Foda betrachtet werden – und als eines der erinnerungswürdigsten Spiele überhaupt in den letzten Jahrzehnten.

Italien – Österreich 2:1 n.V. (0:0, 0:0)

Die Formationen

Fast alles wie erwartet: Franco Foda setzte auf das selbe Personal wie beim 1:0 gegen die Ukraine, mit dem Unterschied, dass Schlager etwas höher postiert war und das System ein 4-1-4-1 wurde. Bei Italien kehrte die Einser-Formation wieder zurück, die bereits in den ersten beiden Gruppenspielen am Feld war; Di Lorenzo und Acerbi waren wieder für den verletzten Florenzi und Chiellini aufgeboten.

Engagierter Beginn von Österreich

In den ersten Minuten war das ÖFB-Team bemüht, die Italiener schon in deren eigener Hälfte zu stören; allerdings eher als Gegenpressing, nicht so sehr als volles Angriffspressing. Die Absicherung war wiederum gut (vor allem Schlager und Grillitsch postierten sich hierbei geschickt). Überhaupt war Grillitsch sofort der Dreh- und Angelpunkt im österreichischen Spiel.

So hielt man die Italiener in den ersten zehn Minuten gut vom eigenen Tor weg und die Sieger der Gruppe A mussten sich erst einmal etwas neu orientieren. Recht früh allerdings war schon die bekannt offensiv-starke linke Seite mit Spinazzola und Insigne die bevorzugte Route. Bei Ballgewinnen wurde vornehmlich auf diese Seite verlagert, auch Abwürfe von Donnarumma landeten in der Regel bei Spinazzola.

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Wie vorm Sprint auf der Radrennbahn

Nach etwa 10 Minuten zog sich Österreich zunächst ein wenig, dann immer spürbarer zurück. Der Druck auf den Gegner wurde weniger, auch weil Italien nun den Ball vermehrt den Österreichern überließ und durch kurze Anlaufbewegungen im Mittelfeld einen vertikalen Aufbau beim ÖFB-Team verhindert. So gelang es Italien, selbst die Kontrolle über das Spiel und in der Folge auch über den Ballbesitz zu etablieren.

Baute Italien von hinten heraus auf, geschah dies aus einer Dreierkette; Di Lorenzo rückte ein, dafür orientierte sich Spinazzola sehr hoch. Österreich zog sich immer weiter zurück, Italien ließ geduldig den Ball zirkulieren und wartete darauf, dass sich eine Lücke auftut. Es gab einige Halbchancen, aber Österreich hielt dicht.

Italien hielt das Tempo sehr gering und auch das ÖFB-Team zeigte über eine halbe Stunde keine Ambition, dieses anzuziehen. Es wirkte wie bei einem Sprint auf der Radrennbahn, wo die Kontrahenten beinahe stehen bleiben und darauf lauern, dass sich der andere zuerst bewegt. Lainer und Laimer isolierten Spinazzola gut; Verratti und Jorginho standen sich ein wenig selbst auf den Füßen.

Druck auf Jorginho und Verratti

Es war das Team aus Österreich, das sich nach der Pause als erstes bewegte. Der ganze Block schob sehr viel weiter nach vorne und wie zu Beginn der ersten Hälfte wurde schon in der italienischen Hälfte Druck auf den Ballführenden ausgeübt. Dies geschah sehr zielgerichtet: Das Mittefeld-Trio mit Grillitsch, Schlager und Sabitzer ging nun sehr präzise daran, die Kreise von Jorginho und Verratti einzuengen – Schlager kümmerte sich vornehmlich um Verratti; Sabitzer und Grillitsch gingen Jorginho an.

So gelangen zahlreiche Ballgewinne in der gegnerischen Hälfte und die Italiener kamen kaum mehr dazu, einen eigenen Aufbau zu etablieren. So kam Österreich zu einigen Möglichkeiten, wie durch den Freistoß an der Strafraumgrenze (52.), durch Sabitzer (62.) und Arnautovic nach der folgenden Ecke – und letztlich das vermeintliche 1:0 durch Arnautovic in der 64. Minute, dass wegen einer knappen Abseitsstellung beim Anspiel von Alaba annulliert wurde. Es folgten Sabitzers Möglichkeit (68.) und das mögliche Ellbogen-Elfer-Foul an Laimer, wobei dieser aber wiederum knapp im Abseits war.

Mancini versucht, das Spiel zu retten

Die Italiener zeigten Wirkung. Nicolò Barella, der statt des defensiveren Di Lorenzo als Unterstützung für Rechtsaußen Berardi vom Nachschub zunehmend abgeschnitten war und auch schon die gelbe Karte gesehen hatte, beschäftigte sich mehr mit dem Referee als mit dem Spiel. Zudem ließen bei Verratti – der in der Saison selten wirklich fit war und auch aus dem Spiel gedrückt wurde – die Kräfte nach. Mancini brachte für die beiden Pessina und Locatelli.

Die Ausrichtung wurde dadurch auf dem Papier offensiver, vertikaler – es galt in den Rücken der aufgerückten österreichischen Abwehrlinie zu kommen, wenn man schon nicht mehr zwischen die Linien kam. Es gab auch tatsächlich nun einige Situationen, aber die Abwehr konnte stets genug verzögern, dass es nicht zu einem allzu gefährlichen Abschluss kam.

Kurz vor Ablauf der 90 Minuten warf Mancini, wiederum positionsgetreu, Chiesa und Belotti für Berardi und Immobile in die Schlacht. Bei Foda war die Auswechslung des müdegelaufenen Baumgartner der erste Tausch. So ging es mit 0:0 in die Verlängerung.

Italien schlägt schnell zu

Österreich wollte dort anschließen, wo man in der regulären Spielzeit aufgehört hatte, aber innerhalb weniger Minuten gelang Italien das Tor zum 1:0 – Alaba hatte sich vom in den Strafraum nachrückenden Pessina aus der Position ziehen lassen und Chiesa und Laimer kam nicht mehr ganz rechtzeitig, um das Tor zu verhindern.

Nun hatte Italien Österreich dort, wo man sie haben wollte. Die Squadra Azzurra konnte den Österreichern nun den Ball wieder vermehrt überlassen und im Mittelfeld wiederum mit kurzen Anlaufbewegungen stören, auf Ballgewinne lauern und hinter die aufgerückte Abwehr kontern. Kalajdzic kam für den körperlich völlig bedienten Arnautovic, aber Italien schien dem 2:0 nun näher zu sein. Bachmann hatte schon einen Freistoß aus dem Winkel gekratzt, nach dem folgenden Eckeball aber konzentrierten sich Dragovic und Hinteregger beide auf Acerbi, vergaßen aber Pessina im Rücken. Der traf.

Österreich wirft weiter alles rein

Zweite Hälfte der Verlängerung

Realistischerweise geschlagen, steckte Österreich aber nicht auf. Für die zweite Hälfte der Verlängerung kam nun ein 4-2-4-Brechstange-System zum Einsatz; Schaub führte sich gleich mit einem krachenden Weitschuss ein, Sabitzer zielte etwas zu hoch – und dann versenkte Kalajdzic eine Ecke per Kopf knapp über Bodenlevel zum 1:2-Anschlusstreffer im Netz.

Die Italiener drehten aber geschickt an der Uhr und ließen in den letzten Minuten nichts mehr zu. Österreich war knapp ausgeschieden.

Fazit: Beste Vorstellung unter Foda

Wie die erste Halbzeit gegen die Ukraine hat nun auch die zweite Halbzeit gegen Italien gezeigt, wie gut Österreich sein kann, wenn das Team entsprechend der Stärken der Spieler agieren darf. Der Schachzug, Verratti und vor allem Jorginho ukaus dem Spiel zu pressen, war goldrichtig und ging gut auf. Wenn es der Matchplan von Foda war, die Italiener in der ersten Hälfte einzulullen und in der zweiten zu überrumpeln, haben nur ein paar Zentimeter beim Arnautovic-Tor gefehlt, dass er auch aufgeht.

Mit den letzten beiden Spielen hat sich der Teamchef mit Sicherheit viel Kredit zurückgeholt, der in den Monaten und Jahren davor verspielt worden war. Österreich hatte Italien am Haken und die Italiener haben sich kraft ihrer individuellen Klasse und durch ein wenig Glück davon befreit. Ein Reality Check war das nach dem Gruppenspielen gegen schwache Kontrahenten – wie auch das 0:4 von Wales gegen Dänemark zuvor offenbart hat – aber durchaus.

Österreich kann die EM mit erhobenem Haupt verlassen. Ja, man will in einer EM-K.o.-Phase keine moralischen Siege, sondern echte. Aber es ist doch oft eher das „Wie“, das in Erinnerung bleibt, nicht so sehr das „was“. Und das „Wie“ war vor allem in den letzten beiden Spielen mehr als in Ordnung.

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.