3:0 gegen Milan: Inter auf dem Weg zum Scudetto?

Inter hat im Derby della Madonnina 3:0 gegen Milan gewonnen und damit den Vorsprung an der Spitze der Serie A auf vier Punkte auf den zweitplatzierten Lokalrivalen und fünf Verlustpunkte auf Serienmeister Juventus ausgebaut. Schlüssel zum letztlich klaren Sieg war, dass das Ungleichgewicht durch den weit aufrückenden Milan-Linksverteidiger Théo Hernández geschickt genützt wurde – und dass die Tore im richtigen Moment erzielt wurden. Kann Inter Meister werden? Ja, durchaus.

Milan – Inter 0:3 (0:1)

Den unterschiedlichen Zugang von Inter und Milan, den Weg zurück an die Spitze zu suchen, hat Jonathan Wilson hier schön erklärt – Inter wirft Geld auf den Markt und kauft fertige, ältere Spieler, währen Milan ein wenig den Leipzig-Weg geht und mit jungen Spielern (inklusive Weiterverkaufs-Wert) ein Team formen versucht.

Und das hat man im Derby, das zum ersten mal seit vielen Jahren auch ein tabellarisches Spitzenspiel war, auch gesehen.

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Kessié mit drei Jobs…

Der Vorwärtsdrang von Milan-Linksverteidiger Théo Hernández ist eines der größte Assets bei Milan. Seine hohe Positionierung erlaubt es Rebić einzurücken, was wiederum den Zehnerraum besetzt hält, wenn Çalhanoğlu sich andere Positionen sucht, um das Spiel zu gestalten. Im Optimalfall.

Wenn Hernández aufrückt, kippt Sechser Kessié nach hinten, um einen Quasi-Linksverteidiger zu geben. Weil nun aber sein Nebenmann Sandro Tonali – der seinerseits nur der Back-up für den dauer-angeschlagenen Bennacer ist – große Probleme damit hatte, sich aus dem Deckungsschatten der Inter-Zentrale zu befreien, musste Kessié quasi drei Jobs machen: Seinen eigenen im Sechserraum, den von Hernández als Absicherung am Flügel und den des unsichtbaren Tonali.

… und Inter nützt das

Diesen Umstand bohrte Inter konsequent an. Schon nach vier Minuten spielte Hakimi, weit in der eigenen Hälfte von Hernández nur halbherzig gestellt, einen Pass in den Lauf von Lukaku. Kessié stand auch sehr hoch und war aus dem Spiel, Lukaku hatte deutliche Tempo-Vorteile gegen Romagnoli und Lautaro löste sich geschickt von seinen Gegenspielern. Lukaku konnte zwar von Kjaer noch abgedrängt werden, er konnte aber noch einmal flanken und Lautaro verwertete zum 1:0.

Vor dem Tor zum 1:0 für Inter: Hernández hoch, Kessié ebenfalls hoch im Zentrum, Romagnoli zu langsam

Das Bespielen dieses Ungleichgewichtes war auch in der Folge das bestimmende Element im Angriffsspiel von Inter.

Kessié sichert hinter Hernández ab, Tonali rückt nicht mit, Barella sorgt für Überladung am Flügel – oft lässt sich auch Romagnoli aus der Position ziehen.

Eine Schlüsselrolle hatte bei dieser Strategie Nicolò Barella. Der rechte Achter bei Inter hat ein großartiges Gespür für Räume, er stieß gemeinsam mit dem nach rechts ausweichenden Lukaku und dem aufrückenden Hakimi in den von Kessié offen gelassenen und von Tonali nicht entsprechend abgedeckten Platz im Halbraum. Auch gerne gemacht: Barella läuft hinter Lukaku, um zweite Bälle aufzusammeln, sollte Lukaku gestellt werden.

Hinter der Welle

Milan rückte nach dem frühen Rückstand hoch auf und versuchte, die Spieleröffnung bei Inter anzupressen und viele Spieler rund um den Strafraum zu bekommen, damit Kontrolle auszuüben. Das Problem war nur, dass Inter sich gut aus dem Pressingdruck befreien konnte – in der Regel mit Steilpässen in die grobe Richtung von Lukaku – und hinter der Pressinglinie von Milan wahnsinnig viel Raum war, der vom langsamen Romagnoli nur unzureichend abgedeckt war.

Während Milan nur zur Halbchancen und Fernschüssen kam, hatte Inter genug Chancen, das Spiel schon vor der Halbzeit zu entscheiden.

Ganz anderes Milan nach der Pause

Ein Quell ständiger Unzufriedenheit bei Milan-Trainer Stefano Pioli war Sandro Tonali. Gefühlt waren vier von fünf Worte, die Pioli ob des leeren Stadions deutlich hörbar auf das Feld rief, „Sandro!“ Er nahm den 20-jährigen Jung-Nationalspieler aber in der Halbzeit nicht vom Platz, sondern offenkundig ins Gebet.

Nun nämlich orientierte sich Tonali spürbar mehr an seinen Nebenspielern – vor allem Saelemaekers und Çalhanoğlu – und war damit viel mehr ins Spiel eingebunden. Milan erreichte damit spürbar mehr Kontrolle im Zentrum, zusätzlich wurden die Anlaufwege mit mehr Verve durchgezogen, generell war ein ganz anderer Zug bei Milan zu merken. Zu Beginn der zweiten Hälfte musste Inter-Torhüter Handanovič dreimal in höchster Not klären, der 1:1-Ausgleich lag in der Luft.

Rund zehn Minuten war das routinierte Inter gegen die überwiegend junge Truppe von Milan am Wanken, aber ein (natürlich) über die rechte Angriffsseite gezogener Konter sorgte in der 57. Minute stattdessen für das 2:0 für Inter. Lukaku, wieder ganz an der Seitenlinie um Romagonli rauszuziehen, leitete den Ball auf den durchlaufenden Hakimi weiter, dieser ließ Tonali aussteigen, bediente Eriksen im Zehnerraum; Perišić kam von links in den Strafraum, legte für Lautaro quer und das Tor war gefallen.

Wenige Minuten später schloss Lukaku seinen Kontern gleich selbst ab, das 3:0 nach 66 Minuten, alles vorbei. Inter ließ die restlichen 25 Minuten herunterlaufen; Conte ersparte Perišić, Lautaro und Hakimi noch eine Viertelstunde und kann sich freuen, in der Tabelle nun vier Punkte vor Milan zu liegen.

Fazit: Inter sehr stabil, Milan noch nicht ganz dort

Inter hat kurz gewankt, aber in der Manier einer Spitzenmannschaft ein Match, das zu kippen drohte, mit zwei schnellen Aktionen doch für sich entschieden. Antonio Conte hat die Problemstelle von Milan deutlich sichtbar identifiziert und seinen Matchplan darauf ausgerichtet. Mit aller Routine und mit dem Selbstverständnis von 12 Siegen aus den letzten 15 Liga-Spielen wurde der Plan umgesetzt und der engste Verfolger damit (zumindest vorerst) abgeschüttelt.

Das Inter von Antonio Conte hat letztes Jahr schon Juventus zumindest bis zur Corona-Pause vor sich her getrieben. In dieser Saison machen die Nerazzurri aber tatsächlich den Eindruck, stabil genug sein zu können, um dem noch zu erwartenden Angriff von Juventus stand zu halten. Milan, lange an der Spitze, ist wohl (noch?) nicht ganz so weit. Die Truppe, die ohne Ibrahimovic ein Durchschnitt-Alter von nur knapp über 24 Jahre hat – für Italien geradezu ein Kindergarten – hat aber noch ein wenig Zeit.

Wie Jonathan Wilson in seinem Artikel schreibt: Für Inter ist es wohl eine Situation der Marke „jetzt oder nie“.

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.