Bayern schlägt Dortmund – mit Sonderrolle für Innenverteidiger Alaba

In einem zumindest in der ersten Hälfte außerordentlich flotten Spiel auf hohem Niveau besiegt Bayern München im leeren Westfalenstadion Borussia Dortmund mit 1:0. Das Match hat gezeigt, dass auch ohne Zuseher hochstehender Fußball möglich ist, dass Dortmund ohne Håland deutlich weniger wert ist – und, dass David Alaba seine Rolle aus der Guardiola-Zeit wiederbelebt und dabei endgültig zu einem zentralen Spieler im Gefüge der Bayern wird.

Borussia Dortmund – Bayern München 0:1 (0:1)

Direkte Dortmunder

Neun Siege aus zehn Spielen, 33 Tore – davon alleine zehn von Erling Håland: Dortmunds Bilanz im Jahr 2020 war praktisch identisch mit jener von Bayern München. So lag der Fokus der Bayern im direkten Duell auch darauf, den Norweger im Sturmzentrum zu isolieren.

Dortmund stellte im Mitteldrittel Überzahl in Ballnähe her und schaltete schnell und direkt um. Die sichtbar einstudierten Laufwege sorgten dafür, dass der stets vertikale erste Pass in den richtigen Kanal gespielt werden konnte. Hazard und Brandt, die Håland flankierten, trugen das Spiel schnell nach vorne (Hazard) bzw. versuchten, durch Horzitonal-Läufe die Übergaben in der Bayern-Defensive zu testen (Brandt).

Schon nach wenigen Sekunden wurde Boateng zu einer Rettungstat auf der Linie gezwungen (gegen Håland) und 15 Minuten lang war die Borussia das aktivere Team.

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Defensivere Dortmunder

Danach zog sich Dortmund spürbar zurück und aus dem nominellen 3-4-3 wurde ein recht klares 5-4-1. Es wurde versucht, die Bayern-Außenspieler Gnabry und Coman zunächst einzuladen, in Richtung Eckfahne zu ziehen, um sie dann neben dem Strafraum zu doppeln und zu isolieren. Das Tempo der Bayern-Angriffe wurde damit entschärft. So waren die Münchner zum Aufbau über das Zentrum gezwungen, wo die Dortmunder ketten aber zumachten.

Es blieben Flanken auf Lewandowski, der vor dem Tor zwei-, dreimal beinahe an den Ball gekommen wäre und zu Chip-Bällen auf Müller, der von der Ende des Zentrums viel auf die Flügel auswich. Das war alles nicht völlig ungefährlich, sorgte aber nur einmal für eine wirklich große Torchance (Piczczek rettet nach Schuss von Gnabry, 14.).

Alabas Beckenbauer-Rolle

Wir erinnern uns: In den Guardiola-Jahren (2013 bis 2016) spielte David Alaba oft als nominell linkes Glied der Dreierkette einen Innenverteidiger, einen Linksverteidiger und einen Sechser/Achter gleichzeitig. Unter dem deutlich pragmatischeren Carlo Ancelotti wurde Alaba wieder ein normaler Linksverteidiger, ebenso unter Niko Kovac, der das Team zwar zum Double führte, es dabei inhaltlich aber deutlich nach hinten entwickelte und der letzten Herbst, als die Effekte davon zu greifen begannen, entlassen wurde.

Als im Herbst so gut wie alle Innenverteidiger verletzt waren, es mit Alphonso Davies aber einen dynamischen, jungen Linksverteidiger gab, rückte Alaba in die Mitte – und unter Hansi Flick ist er nun ein aufrückender Innenverteidiger. Das ist, bis zu einem gewissen Grad, die Wiederentdeckung der Offensiv-Libero-Rolle, wie sie einst Franz Beckenbauer erfunden hat und in der Lothar Matthäus und Matthias Sammer die letzten Jahre ihrer Karrieren verbrachten. Im leeren Stadion war auch zu vernehmen, wie Alaba von hinten das Teamgefüge vor ihm organisierte.

Wenn es die Situation erlaubte, rückte Alaba auch gegen Dortmund aus der Viererkette heraus ins Mittelfeld, um dort als zusätzlicher Spielgestalter den Gegner vor Entscheidungen zu stellen. Da Leon Goretzka in diesen Situationen den Sechserraum absicherte und Rechtsverteidiger Pavard tendenziell tiefer verblieb, konnte neben Alaba auch Linksverteidiger Davies aufrücken, ohne dass die defensive Absicherung allzu große Löcher ließ – und im Zweifel, wie in einer Situation nach rund 30 Minuten, ist der kanadische Teenager so schnell, dass er schnell genug hinten war, um Håland entscheidend zu stören.

Zur Erklätung, hier ein Zitat aus einer Spiegel-Story von Florian Kinast:

Er habe „eine sehr gute Spieleröffnung“, sagt Flick. Schaut man auf die Statistik, wird das verständlicher: Laut transfermarkt.de hat Alaba seit Flicks Amtsübernahme 292 Pässe ins Angriffsdrittel gespielt – mehr als jeder andere Spieler in den fünf europäischen Topligen. Überhaupt spielte Alaba die viertmeisten Pässe aller Spieler und hatte dabei eine Erfolgsquote von 92 Prozent, eine der besten Quoten in der Bundesliga. „Er spricht viel mit uns und schiebt die Kette hoch. Er ist extrem zweikampfstark und gibt uns eine gute Stabilität, weil er nach vorne und offensiv denkt“, sagt Mittelfeldspieler Leon Goretzka über Alaba.

Spielentscheidender Kimmich

Der Heber aus 20 Metern, mit dem Joshua Kimmich kurz vor der Halbzeit das einzige Tor erzielt hat, war kaum zur verteidigen und hat im Spiel mehr verändert als nur den Spielstand. Aber schon davor hielt er die Bayern zusammen, als Dortmund beim Stand von 0:0 auch aus der defensiven Grundordnung heraus in die Offensive gestoßen war.

Denn obwohl auch das Gegenpressing der Bayern im Angriffsdrittel an sich gut funktionierte, hatte Dortmund doch die Qualität, sich daraus zu befreien und mit einem öffnenden – und vor allem sehr genauen – weiten Pass über die Pressing-Welle der Bayern hinweg selbst nach vorne zu kommen. Die unberechenbaren Positionierungen von Brandt waren dabei jedoch nicht ganz so effektiv wie beim 4:0-Sieg vor anderthalb Wochen gegen Schalke, weil Kimmich die Übersicht bewahrte und die Gefahr durch Brandt minderte.

Warten auf Dortmunds Antwort

Brandt bliebt zur Halbzeit in der Kabine und wurde von Jadon Sancho ersetzt, dazu spielte nun Emre Can im Zentrum statt Delaney. Mit Sancho und Hazard waren die Dortmunder Flügel nun beide vertikal unterwegs, dennoch war eine Dortmunder Antwort auf den Rückstand kaum sichtbar. Im Gegenteil, zunächst blieb man dem defensiven 5-4-1 treu und schien darauf zu bauen, die Bayern zu locken und mit dem schnellen Sancho Konter zu fahren.

Die Bayern ließen sich aber nicht locken. Sie kontrollierten den Ball, ohne mit aller Kraft auf ein zweites Tor zu gehen. Somit war Dortmund gezwungen, etwa ab der 55. Minute im Mittelfeld selbst aktiver zu werden, dies geschah vor allem über Emre Can. Dortmund gelang es, das Spiel vermehrt in die Hälfte der Bayern zu verlagern und nachdem ein Håland-Schuss den Ellbogen von Boateng streiften, hätte es einen Elfmeter geben können/müssen.

Ohne Håland keine Strafraumpräsenz

Ansonsten konnte sich Dortmund aber keine Chancen erspielen und nachdem wenige Minuten später der humpelnde Erling Håland aus dem Spiel genommen werden musste, litt die Borussia unter der nun völlig fehlenden Präsenz im Strafraum.

Ab der 72. Minute agierte Thorgan Hazard – 20 Zentimeter kleiner und 20 Kilo leichter als Håland – im Angriffszentrum und er ging gegen die konzentrierte und vor allem immer massivere Bayern-Abwehr völlig unter. Reyna und Sancho orientierten sich zwar nun auch vermehrt in den Strafraum, aber das Problem blieb bestehen. Da Hakimi eine katastrophale Partie spielte und selbst mit simpler Ballkontrolle Probleme hatte und der in den letzten Spielen sehr starke Raphaël Guerreiro bei Pavard abgemeldet war, blieb die Dortmund-Offensive eindimensional.

Gegen die Sechserkette der Bayern, die in der Schlussphase gegen ein 4-2-3-1 (das in der Praxis eher ein Brechstangen-2-4-4 war) verteidigte, fand Dortmund kein Mittel. Die Einwechslungen von Sancho, Reyna und dann auch Götze verpufften.

Fazit: Titel entschieden, Bayern wird Meister

Hansi Flick hat von seinen 18 Bundesliga-Spielen als Bayern-Trainer nun 15 gewonnen und einmal die Punkte geteilt, im Kalenderjahr 2020 wurden bis auf das 0:0 gegen Leipzig sämtliche Spiele gewonnen – das sind 31 von 33 Punkten. Nach dem 1:0-Sieg in Dortmund stehen sechs Spiele vor Saisonschluss sieben Punkte plus Tordifferenz Vorsprung auf die Borussia auf Rang zwei zu Buche.

Das Titelrennen ist zweifellos entschieden.

Schon im November, als Flick Trainer wurde, sah man innerhalb von kürzester Zeit wieder klare Aufbaustrukturen im Bayern-Spiel, wo es in den anderthalb Jahren unter Kovac fast nur die individuelle Qualität des Kaders war, welche die Spiele gewann. Mit der offensiven Rolle von Innenverteidiger Alaba hat Flick nun auch wieder ein gewisses taktisches Alleinstellungsmerkmal bei den Münchnern installiert.

Die seit November wieder gefundene Stärke des FC Bayern ist aber auch als Signal an bzw. als schlechte Nachricht für die Konkurrenz zu verstehen.

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.