Geschichte geschrieben. Und jetzt?

1,3 Millionen TV-Zuseher im Halbfinale, davor 1,2 Millionen im Viertelfinale. Am Wiener Rathausplatz waren 12.000 Menschen beim Public Viewing, zwei Wochen lang lachten sie fast jeden Tag von den Titelseiten der großen Zeitungen des Landes. Der Hype um die erfolgreichen ÖFB-Frauen kannte in den letzten Tagen kaum eine Grenze.

Und jetzt?

AUSTRIA.. you are amazing! 🇦🇹 DANKE für den tollen Empfang!! ❤️

Ein Beitrag geteilt von Sarah Zadrazil (@sarah_zadrazil27) am

In sechs Wochen startet die WM-Qualifikation. Da spielen Schnaderbeck, Puntigam und Co. nicht mehr vor 11.000 im Stadion (wie beim Halbfinale) und einem Millionen-Publikum vor den TV-Geräten. Sondern vor kaum 200 Leuten in Krusevac im Süden Serbiens. Ob überhaupt eine Fernseh-Übertragung produziert wird, ist fraglich.

Im ganzen Herbst gibt es nur ein Heimspiel, im November gegen das weder sportlich besonders starke noch vom Namen besonders attraktive Team aus Israel.

Realistische Erwartungen bewahren (Fans)

Die immense Aufmerksamkeit, die große Begeisterung und die enormen Beliebtheitswerte, welche die ÖFB-Frauen bei dieser EM nicht nur in Österreich, sondern in der ganzen Frauenfußball-Welt genossen und erworben haben, sind unbezahlbar. Selbst Menschen, die mit dem Sport wegen der natürlich vorhandenen Unterschiede zum Männerfußball nicht viel anfangen können, zeigten sich beeindruckt vom unbändigen Kampfgeist und dem natürlich-fröhlichen und bodenständigen Auftreten des Teams.

Aber dem Halbfinal-Einzug bei der ersten EM-Teilnahme zum Trotz: Nein, Österreich ist von seiner Stärke her natürlich nicht das drittbeste Team Europas. In der Weltrangliste werden die ÖFB-Frauen von aktuell Platz 24 auf (plus/minus) Platz 20 klettern, innereuropäisch wird man von derzeit Rang 14 zumindest in Schlagdistanz zu den Top-10 kommen.

Es ist vermutlich vernünftig, sich beispielsweise an Dänemark zu orientieren. Das ist ein Team, das Österreich an einem guten Tag schlagen kann (siehe September 2012, siehe Juli 2017), das vernünftig gecoacht wird, das mit geringen Erwartungen in Turniere geht und jederzeit positiv überraschen kann (intern rechnete man in Dänemark nicht einmal damit, die Vorrunde zu überstehen – geschweige denn, ins Finale zu kommen). Es ist aber auch ein Team, dass allzuviele Ausfälle nicht zu kompensieren vermag.

Realistische Erwartungen bewahren (ÖFB)

Die ÖFB-Frauen haben jetzt sechs Spiele hintereinander gegen besser klassierte Teams (Test gegen Dänemark, EM gegen Schweiz, Frankreich, Island, Spanien und Dänemark) nicht verloren, bei der EM nur ein einziges Gegentor in 510 Minuten hinnehmen müssen. Und zwar mit einer exakt auf die eigene Mannschaft und auf den jeweiligen Gegner abgestimmte Spielweise.

Allerdings: Auch mit einem relativ kleinen Pool an Spielerinnen. 98,7 Prozent der Einsatzzeit bei der EM entfällt auf lediglich 13 Spielerinnen, nur drei weitere wurden zumindest einmal eingewechselt. Sprich: Die absolute Spitze ist noch recht dünn. Und auf Lisa Makas und Nici Billa wird man verletzungsbedingt jetzt mehr oder weniger lange verzichten müssen.

Das heißt: Österreich wird auch in Zukunft nicht alles und jeden mit schönem Spiel ausmanövrieren können, gegen jedes Team Dominanz ausüben und Dauergast in EM- und WM-Halbfinals sein. Es wäre töricht, das zu glauben und es wäre auch von Seiten des ÖFB fatal, das zu erwarten. Daran kann man nur Scheitern.

Andererseits gibt es natürlich Punkte, die man auch von anderen Ländern lernen kann. Dass man etwa die Mädchen schon mit 14 Jahren per Statut aus den Burschen-Teams herausnimmt, ist deutlich zu früh – das hat das Auftreten, das Abschneiden und auch die jüngste Entwicklung des holländischen Teams gezeigt. Dass es andererseits richtig ist, die Mädchen im Nationalen Zentrum dazu anzuhalten, so schnell wie möglich ins Ausland zu wechseln, ist in den allermeisten Fällen notwendig und richtig – auch, wenn darunter natürlich die Attraktivität der Liga leidet.

Was etwa macht Kathi Naschenweng noch in Österreich? Sie ist schon jetzt viel zu gut für diese Liga, kann hier nichts mehr lernen und sich nicht mehr weiterentwickeln.

Was wirklich entscheidend ist

Wenn man das Heimspiel gegen WM-Quali-Gruppenkopf Spanien gleich im September in einem vernünftigen Stadion hätte, würde man das schön voll bekommen. Hat man aber nicht. Ist halt so. Aber auch, ob zu dem Heimspiel gegen Israel im November jetzt 1.200 oder 2.500 Menschen kommen, ist letztlich zweitrangig. Natürlich wäre es schön, wenn man den Hype jetzt nützen könnte, um dauerhaft etwas mehr mediale Aufmerksamkeit für den Sport generieren zu können. Aber wirklich entscheidend ist etwas anderes.

„Wir haben nach wie vor Probleme in der Breite“, sagte Dominik Thalhammer schon im vergangenen Herbst: „Die Gesamtzahl der Mädchen, die Fußball spielen, stagniert. Vielleicht gibt die EM-Teilnahme einen Push!“ DARAUF kommt es an. Mädchen zu inspirieren, mit dem Fußballspielen zu beginnen, in einen Verein zu gehen. In Österreich sind derzeit etwa 20.000 fußballspielende Frauen und Mädchen registriert.

In Dänemark sind es mehr als dreimal so viele, obwohl Dänemark ein Drittel weniger Einwohner hat als Österreich.

Auf Klub-Ebene liegt vieles im Argen

Dafür braucht es aber auch Strukturen. Die West-Staffel der zweithöchsten Liga blutet zunehmend aus, weil sich vor allem die OÖ-Klubs mit einem Budget von kaum mehr als ein paar tausend Euro pro Saison die (je nach Besetzung) drei Wochenend-Trips nach Vorarlberg und Tirol ganz einfach nicht leisten können, während die Ländle-Klubs großzügig mit Kilometergeld gefördert werden.

Die 2. Liga Mitte/West ist in der demnächst startenden Saison auf sechs Klubs geschrumpft. Und da sind Absteiger Wacker Innsbruck (das vereinsintern kurz vorm Zusperren war) und das 1b-Team von Bundesligist Bergheim schon dabei. Alleine in den letzten fünf Jahren haben sich fünf OÖ-Klubs freiwillig aus dieser Liga zurückgezogen. Die 2. Liga Ost/Süd hat zwar immerhin zwölf Teilnehmer, fünf davon sind aber die Reserve-Teams von Bundesligisten.

Heimische Liga auf- statt abwerten

Dass die meisten Klubs der österreichischen Frauen-Bundesliga von der Hand in den Mund leben und ohne Einzelinitiativen schlicht nicht existieren würden, ist weder neu noch unbekannt. Da sie aber als Spielwiese für aktuell bis zu 32 Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren fungiert, die im Nationalen Zentrum zur künftigen Elite des heimischen Frauenfußballs ausgebildet werden, ist aber das Niveau in der Breite zuletzt deutlich gestiegen.

Umso kontraproduktiver ist die in der neuen Saison geltende Regelung, dass Abstellungen zum U-17-Nationalteam nicht mehr zu Verschiebungen gleichzeitig angesetzter Ligaspiele sind – unglaublicherweise wurde das von den meisten Klubs abgenickt. Ein an Dämlichkeit kaum zu überbietender Irrsinn: Ein Klub wie Union Kleinmünchen muss antreten, obwohl vier Stammkräfte nicht da sind.

Sprich: Man hält die Klubs an, auf junge Spielerinnen zu setzen, ihnen Einsatzminuten zu geben und Verantwortung auf dem Feld zu übertragen. Und bestraft gleichzeitig Klubs, die das tatsächlich tun. Auch Neulengbach wird unter dieser Regel leiden, Altenmarkt und Sturm Graz werden zumindest vereinzelt auf junge Spielerinnen verzichten müssen.

Was bringt die mittelfristige Zukunft?

Bei der WM in Frankreich in zwei Jahren, da trumpft Österreich wieder auf und sorgt für das nächste Sommermärchen, oder? Immer langsam: Es wird schon ein immenser Kraftakt, sich überhaupt (erstmals!) für eine WM-Endrunde zu qualifizieren.  Dafür müsste man entweder Gruppensieger werden – vor dem Team aus Spanien, dem man im Viertelfinale ein 0:0 abgerungen hat. Oder man kommt unter die vier besten Gruppenzweiten und gewinnt danach noch zwei K.o.-Duelle – gegen Teams wie Norwegen, Island oder Dänemark.

Alles nicht unmöglich, klar. Aber auch wirklich, wirklich nicht leicht. Es sind neben Gastgeber Frankreich nur acht europäische Teams bei der WM startberechtigt. Das ist ein extrem enger Flaschenhals. Und hier kommt wieder Dänemark ins Spiel.

Harder und Co. waren 2013 im EM-Halbfinale und haben dieses erst im Elfmeterschießen verloren – ehe sie danach das WM-Ticket für 2015 deutlich verpasst haben. Keiner war ihnen böse, sogar der Trainer durfte weitermachen. Kontinuität, Ruhe, eine Export-Liga und eine klare Strategie wird belohnt. Und das hat ja auch das österreichische Team bei dieser EM gezeigt.

Wird alles so superduper-toll, wie es der Hype suggeriert? Nein, natürlich nicht. Wird alles auf einer realistischen Basis okay sein bzw. bleiben? Ja, das sollte klappen.

 

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.