Gibt es mehr Nicht-Ex-Profis als Trainer als früher?

Die Entwicklung gefiele ihm überhaupt nicht, gab Mehmet Scholl im vergangenen Herbst zu Protokoll. Immer mehr würde der Fußball von „Laptop-Trainern“ überschwemmt, wie er mit kaum verhohlener Geringschätzung formulierte, die für die ihre Taktik und ihre Matchpläne das Wichtigste seien, die aber keine Ahnung haben, wie es im Profi-Fußball wirklich zu ginge.

Auf der anderen Seite war es in Österreich eines der größeren Themen der letzten Jahre, dass gerade zurückgetretene Idole die Trainer-Posten geradezu nachgeworfen bekommen, ohne Lehrjahre in der Jugend, und dass sie sogar bewusst eher in Trainerkurse kämen als womöglich innovatiere, bessere Trainer, die über eine solche Karriere nicht verfügen.

Wir haben mal einen Blick auf die Zahlen geworfen und vergleichen kräftig: Die Lage der Ligen und die Postenverteilung in verschiedenen Ländern jetzt und im Vergleich mit der Vergangenheit.

Die österreichische Bundesliga

Von den zehn derzeit in der Bundesliga beschäftigten Trainern haben zwei keine Profi-Karriere vorzuweisen (Canadi und Gludovatz), fünf waren über mehrere Jahre hinweg Stammkräfte in der höchsten Liga (Barisic und Lederer in Österreich, Fink und Foda in Deutschland, Oscar Garcia in Spanien) und drei haben eine nennenswerte Anzahl von Länderspielen absolviert (Schöttel, Vastic und Pfeifenberger)

Vor 20 Jahren haben von den zehn in der Bundesliga beschäftigten Trainer zwei keine Profi-Karriere vorzuweisen (Roitinger/Ried und Koljanin/Steyr), fünf waren Stammkräfte in ihrer heimischen höchsten Liga (Dokupil/Rapid, Constantini/Tirol, Knaller/Admira, Kronsteiner/LASK und Thomale/GAK) und drei haben eine nennenswerte Anzahl von Länderspielen absolviert (Osim/Sturm, Hrubesch/Austria und Weber/Salzburg).

Das klingt verteufelt ähnlich, nicht?

Spannend ist es auch, wenn wir uns das Durchschnitts-Alter der Trainer ansehen. Das liegt derzeit bei 48 Jahren (der Median liegt bei 48 Jahren): Lederer ist 38, Garcia 42, Barisic 45, Canadi und Vastic 46, Fink und Schöttel 48, Foda, Pfeifenberger 49, Gludovatz 69. Im Frühjahr 1996 lag das Durchschnitt-Alter bei 43 Jahren (Median bei 42 Jahren): Roitinger und Koljanin waren 36, Knaller 38, Constantini und Weber 40, Kronsteiner 42, Hrubesch 44, Dokupil 48, Thomale 51 und Osim 54. Das ist schon etwas erstaunlich.

Sehen wir uns die beiden Amateure jeweils an. Klaus Roitinger war schon Spieler bei den Riedern zu Landesliga-Zeiten, übernahm via Spielertrainer dort dann das Trainer-Amt und wuchs quasi mit. Koljanin war dritter Keeper von Salzburg und spielte beim FC Puch und übernahm einen de facto schon im September abgestiegenen Klub. Danach wurde er LASK-Assistent von Otto Baric und beerbte diesen dort.

Damir Canadi schaffte den Sprung bei der Austria nicht, verlegte sich schon früh auf das Trainer-Dasein und diente sich eines nach dem anderen hoch: Vom FAC in der Regionalliga zu Toni Polsters Assistent bei den LASK-Juniors, via FC Lustenau nach Altach. Paul Gludovatz hatte Jahrzehnte in Diensten des ÖFB als Jugend-Trainer hinter sich, eher er erst mit 60 Lenzen erstmals ein Bundesliga-Team übernahm.

Das heißt: In Österreich muss man schon extrem versiert und sehr geduldig sein, um als Trainer ohne echte Profi-Karriere nach oben kommen zu wollen.

Die vier großen Ligen Europas

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Wenn man die vier europäischen Top-Ligen (Primera Division, Premier League, Bundesliga und Serie A) vergleicht, zeigen sich teils eklatante Unterschiede und teils erstaunliche Übereinstimmungen.

Sehr ähnlich ist allen diesen Top-Ligen der Anteil an ehemaligen Teamspielern, die nun die Coaching-Zonen bevölkern. In Spanien sind es 35 Prozent (sieben von 20), in England sind es 30 Prozent (sechs von 20, aber kein einziger Engländer), in Deutschland sind es 28 Prozent (fünf von 18) und in Italien sind es 25 Prozent (fünf von 20).

ABER: Gerade in Deutschland ist der Anteil jener Trainer, die nie Bundesliga gespielt haben, im Vergleich sogar erstaunlich niedrig. Es gibt genauso viele Nicht-Profis wie frühere Nationalspieler, nämlich fünf (Nagelsmann, Tuchel, Schubert und die beiden Schmidts).

Der Vergleich mit damals

damals und jetzt

In der Tat kann von der von Scholl beschworenen Schwemme von Trainern ohne Profi-Erfahrung gerade in Deutschland keine Rede sein. Schon vor 20 Jahren machten ehemalige Bundesliga-Kicker ohne Nationalteam-Karriere die Mehrzahl der Trainer aus. Damals lauteten die Namen halt Funkel, Rehhagel, Lorant, Hitzfeld oder Pagelsdorf; heute sind es Veh, Schaaf und Labbadia.

Überhaupt legt der Vergleich den Schluss nahe, dass in fast allen Ländern die Verteilung eher eine endemisch-fußballkulturelle Angelegenheit ist und nur unwesentlich etwaigen Trends unterworfen ist: In Spanien hat sich die Verteilung von 1996 zu 2016 ebenso kaum verändert wie in Deutschland, in Italien oder eben auch in Österreich.

Das gilt im Übrigen auch für das Durchschnitts-Alter der Trainer: In Deutschland lag dieses damals bei 47 Jahren und nun bei 46 Jahren (ehe Nagelsmann Stevens ersetzte 48 Jahre), in Spanien damals bei 46 und nun bei 47 Jahren und in Italien damals bei 50 und jetzt bei 53 Jahren.

Sonderfall Premier League

Die englische Top-Liga ist in vielerlei Hinsicht ein Sonderfall, das liegt aber zu einem großen Teil sicherlich an der massiven Internationalisierung der Liga in den vergangenen zwei Jahrzehnten.

In der Saison 1995/96 waren neben dem Schotten Ferguson (Man Utd) und dem Iren Kinnear (Wimbledon) nur einheimische Trainer bei den Klubs, und das Durchschnitts-Alter bewegte sich auch in jenem Bereich der anderen europäischen Top-Ligen – es lag bei 47 Jahren. In der aktuellen Saison 2015/16 sind nur noch vier englische Head Coaches übrig (Howe, Allardyce, Pardew und McClaren) und das Durchschnitts-Alter der Trainer liegt bei italienischen 53 Jahren.

Vor 20 Jahren gab es in der Premier League nur einen einzigen Trainer, der nie selbst Profi war (Roy Evans bei Liverpool) und nur drei, die unterklassig Profi waren (Aktinson/Coventry, Wilkinson/Leeds und Pleat/Sheff Weds). Auf der anderen Seite gab es damals aber gleich neun ehemalige Teamspieler, davon acht englische: Rioch bei Arsenal, Todd bei Bolton, Hoddle bei Chelsea, Weltmeister Ball bei Man City, Bryan Robson bei Middlesbrough, Keegan bei Newcastle, Wilkins bei QPR, Francis bei den Spurs und Kinnear bei Wimbledon).

Heute besteht die halbe Premier League aus Trainern, die selbst nie als Stammkraft in der höchsten nationalen Liga aktiv waren – durch die Bank ehemalige Zweit- und Drittliga-Profis wie Klopp, Howe oder Wenger. Echte Amateur-Kicker der Marke Nagelsmann, die nie auch nur in die Nähe eines Profi-Vertrages gekommen sind, gibt es in der Premier League nicht.

Ausbildungsligen

Nun, die Top-Ligen sind die Top-Ligen – Österreich gehört da ja nun nicht direkt dazu. Was die Ö-Liga betrifft, ist ein Vergleich mit Ausbilungs- und mittelgroßen Meisterschaften sinnvoller.

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Hier fällt auf, dass in der Schweiz die Verteilung ähnlich ist wie in Österreich (in vielerlei Hinsicht – auch dort ist das Ø-Alter von 42 Jahren damals auf 49 Jahren heute angestiegen). Der Anteil an echten Amateur-Kickern-gone-Trainer ist in Tschechien und Holland nicht signifikant anders als in Österreich.

Sehr wohl ist aber der Anteil an ehemaligen Teamspielern dort massiv geringer: In Tschechien ist aktuell nur Mladá-Boleslav-Coach Karel Jarolim als Ex-Nationalkicker unterwegs, und seine Einsätze sind schon 35 Jahre her. Auch in Holland ist nur ein sehr kleiner Nukleus an früheren Oranje-Stars im Job: Frank de Boer (Ajax), Phillip Cocu (PSV) und Gio van Bronckhorst (Feyenoord), die allesamt beim FC Barcelona philosophisch geprägt sind (wie Guardiola, Luis Enrique und Koeman)..

Auffällig ist, dass außergewöhnlich viele ehemalige Spieler der höchsten Ligen nun Trainer sind, die aber keine oder maximal eine handvoll Einsätzen in den jeweiligen National-Mannschaften haben. Leute, die man außerhalb des Landes kaum kennt: Karel Krejci (Pilsen), Zdenek Scasny (Sparta Prag), Zdeno Frtala (Teplice) oder Vlastimil Petrzela (Ostrava) in Tschechien, der hochspannende Erwin van der Looi (Groningen), Henk Fraser (Den Haag), Ron Jans (Zwolle) oder Ernest Faber (Nijmegen) in der Eredivisie.

Dass ein fußballerisch sehr innovatives Land wie die Niederlande nicht mehr junge Trainer in den Profibereich bringt, die selbst nicht auf hohem Level aktiv waren, liegt am System: Entweder, man geht in den Jugend-Bereich ODER macht die völlig anders gelagerte Ausbildung zum Profi-Trainer.

Der Vollständigkeit halber: Der durchschnittliche Eredivisie-Coach ist 48 Jahre alt, jener in der tschechischen Liga ist 51.

U-Nationalteams

„Die besten Trainer in den Nachwuchs“, lautet ein gerne genannter Satz. Aber wie ernst nehmen die nationalen Verbände dieses Motto wirklich? Stellen sie in ihren U-Nationalteam eher pädagogisch geschulte Fußball-Lehrer zur Verfügung, oder doch eher große Namen?

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Ein Blick auf die Junioren-Nationalteams der europäischen Nationalteams zeigt, dass vor allem der U-21-Posten oft eher ein Versorgungsposten für verdiente Größen ist, die vor nicht allzu langer Zeit erst ihre aktive Karriere beendet haben und gleich das wichtigste Nachwuchs-Team des Landes bekommen, nicht selten, ohne anderswo, außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung, Erfahrung gesammelt zu haben.

Beispiele gefällig? Enzo Scifo in Belgien, Luigi di Biagio in Italien, Gareth Southgate in England, EM-Goalie Antonis Nikopolidis in Griechenland, aber auch der estnische Rekord-Internationale Martin Reim, Kostas Malekkos in Zypern und Abdullah Ercan in der Türkei. Man sieht: Das ist kein Phänomen von kleinen, strukturschwachen Verbänden, sondern passiert überall.

Deutlich zu beobachten ist allerdings auch, dass die ehemaligen Teamspieler als U-19- und U-17-Teamchef deutlich weniger prominent sind (Gert Verheyen in Belgien und Aron Winter in Holland stechen bei den 19ern; Bernard Diomede und Igors Stepanovs sind die bekanntesten bei den 17ern). Und ebenso ersichtlich ist, dass gerade bei den 17ern der Anteil an Trainern, die selbst nie Profi waren, mit 35 Prozent schon recht hoch ist.

Klassische Exportländer wie eben die Tschechen (mit Pavel Malura und Ales Crvancara), Polen (Rafal Janas und Bartolomej Zalewski) oder Bosnien (Sakib Malocevic und Toni Karacic) setzen auf U-19 und U-17-Level etwa ausschließlich auf ehemalige Nicht-Profis.

Völlig andere Anforderungen

Dass bei einem Trainerjob völlig andere Anforderungen anfallen als bei einem Profi-Sportler, ist in anderen Sportarten auf allerhöchstem Niveau noch augenfälliger, als viele das beim Fußball wahrhaben wollen.

Ein Blick etwa in die NFL zeigt, dass 73 Prozent der Head Coaches ihre aktive Karriere mit 22 Jahren nach dem College beendet haben und nie ein NFL-Spiel aktiv bestritten haben. Von den anderen waren die meisten langjährige Back-up-Quarterbacks (Kubiak, Garrett, Pedersen) oder Verteidiger in der Secondary (Fisher, Bowles), waren also ganz stark im komplexen Teil der Spielzüge zu finden.

Auch in der NBA switchte fast die Hälfte der aktuellen Head Coaches direkt nach dem College auf eine Trainer-Karriere um. Viele der anderen waren Ergänzungsspieler oder in Europa aktiv, aber es gibt nur ganz wenige, die man als echte NBA-Star-Spieler bezeichnen kann: Jason Kidd etwa oder der kürzlich bei den NY Knicks entlassene Derek Fisher.

Die Head Coaches in NBA und NFL sind im Schnitt so um die fünfzig, haben also oftmals schon dreißig Jahre oder mehr Coaching-Erfahrung.

Fast alles wie immer

Dass die Fußballwelt also von, wie Scholl sie nennt, „Laptop-Trainern ohne Profi-Erfahrung“ überschwemmt würde, ist schlicht und einfach Blödsinn: Es gibt genauso viele Nicht-Profis wie früher, und zwar in so gut wie allen Ligen von Relevanz.

Der Unterschied ist nur, dass die meisten guten Kicker von damals erkannt haben, dass man mit einfach nur Motivieren und auf die eigenen Erfahrung bauen und darauf vertrauen, dass man damit schon durchkommt, eben nicht funktioniert. Wer im Trainerjob nachhaltig erfolgreich sein will, der muss wissen, dass einem Erfahrung als Aktiver eben nur marginal hilft und man im Gegenteil sich immer Weiterbilden muss.

Vielleicht bekommt Scholl deshalb keinen Job mehr.

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.