Ballverliebt Classics, in memoriam Vujadin Boškov: Die große Sampdoria

„Ihr seid Sampdoria. Von jetzt an gibt’s hier nur glattrasierte Gesichter, ordentlich sitzende Kleidung, dafür gibt’s keine Sonnenbrillen mehr. Denn von jetzt an müssen die Leute, die euch sehen, von Sampdoria als einen Klub mit Stil denken!“

– Vujadin Boškov, erste Worte zur Mannschaft nach seiner Verpflichtung

Er war Professor für Geschichte und Geographie. Sprach sieben Sprachen fließend. War als Trainer Meister in Spanien und Italien, führte Jugoslawien zweimal zu großen Turnieren: Vujadin Boškov. Am meisten errinert man sich an ihn wegen seiner Zeit bei Sampdoria Genua zwischen 1986 und 1992. Dort erreichte er drei Europacup-Finali in vier Jahren und gewann den ersten und einzigen Meistertitel dieses Klubs, in einer Zeit, in der die Serie A die mit Abstand beste Liga der Welt war. Boškov ist nun 82-jährig gestorben – darum hier „Ballverliebt Classic“ über jenen Mann, dessen lakonischen Sprüche in Italien noch heute Kultstatus genießen.

Am 16. März 1931 wurde Vujadin Boškov in der Nähe von Novi Sad geboren, nach dem Krieg begann seine fußballerische Karriere beim dortigen Klub FK Vojvodina, dem er praktisch seine gesamte Karriere treu blieb. Titel gewann er gegen die „Großen 4“ des jugoslawischen Fußballs (Roter Stern und Partizan aus Belgrad, Dinamo Zagreb und Hajduk Split) zwar keine, dafür absolvierte der Mittelläufer 57 Länderspiele und eroberte dabei Olympia-Silber 1952 in Helsinki. Nachdem seine Teamkarriere im Alter von erst 28 Jahren beendet war, wechselte Boškov 1960 zu Sampdoria Genua, als es ihm das Tito-Regime erlaubte. Verletzungen ließen aber keine großen Sprünge mehr zu. Ein Jahr später wurde er als Spielertrainer von Young Boys Bern verpflichtet.

„Wenn man alle Trainerbänke, auf denen ich gesessen bin, hintereinander stellen würde – man könnte kilometerweit gehen, ohne den Boden zu berühren!“

Womit die Trainerkarriere des damals 33-Jährigen begann, die ihn schon bald zu seinem Heimatklub Vojvodina Novi Sad zurückführen sollte. Sieben Jahre war er dort Coach und er führte Vojvodina zum historischen ersten Titel 1966, wurde dann 1971 zum jugoslawischen Teamchef bestellt, am Weg zur WM 1974 (die das Team als Achter beenden sollte) aber zugunsten von Roter-Stern-Coach Miljanic ausgebootet. Boškov ging nach Holland, wo er mit ADO Den Haag auf Anhieb Cupsieger wurde. Die Belohnung war ein Engagement bei Feyenoord, ehe es Boškov 1978 aus dem Land des Vize-Weltmeisters nach Spanien zog. Mit Aufsteiger Saragossa hielt er die Klasse.

1979 wechselte Boškov zu Real Madrid, gewann mit den Königlichen sofort das Double und erreichte im Jahr darauf das Meistercup-Finale. 1981 reichte es zu Liga-Platz zwei, 1982 wurde Boškov mit Real Dritter und erneut Cup-Sieger – zu wenig. Nach einem Jahr in Gijón ging Boškov nach Italien, wo er zwar den Abstieg von Ascoli aus der Serie A nicht verhindern konnte, aber direkt wieder aufstieg. Weshalb sich ein ambitionierter Serie-A-Mittelständler seine Dienste sicherte: Die UC Sampdoria aus Genua.

Etwas Großes im Entstehen

Sampdoria gehörte zwar zum Inventar der Serie A, hatte aber nie Titel geholt. Mitte der 70er-Jahre stieg der Klub schließlich ab, ehe sich Paolo Mantovani an die Spitze des Klubs schwang. Der als Lazio-Anhänger großgewordene Römer war während der Energie-Krise im Öl-Business zu Reichtum gekommen. Er investierte in den Klub, der schnell wieder aufstieg und sich anschickte, etwas Großes entstehen zu lassen.

„Man kann nicht vier Tore kassieren gegen ein Team, das nur dreimal in der gegnerischen Hälfte ist“

Vujadin Boškov wurde 1986, also mit 55 Jahren, Trainer bei Sampdoria. Er übernahm den Liga-Elften, führte diesen in seinem ersten Jahr auf Platz sechs und verpasste den UEFA-Cup erst in den Entscheidungsspielen gegen Milan. Im Jahr darauf wurde Sampdoria Vierter und gewann den italienischen Pokal im Finale gegen Torino. Zwei Eigentoren im Rückspiel zum Trotz.

Der Lauf ins erste Europapokal-Finale

Boškov konnte auf einem bestehenden Stamm von äußert talentierten Spielern aufbauen, als er kam – und noch viel mehr, als es 1988/89 in den Europacup der Cupsieger ging. Allen voran das Sturm-Duo mit Roberto Mancini (23) und Gianluca Vialli (23), Libero Luca Pellegrini (25), Manndecker Pietro Vierchowod (29) und Defensiv-Allrounder Fausto Pari (26) bildeten das Grundgerüst des Teams. Dazu kamen mit Torhüter Gianluca Pagliuca (21) und Manndecker Marco Lanna (20) starke junge Kräfte und mit Außenspieler Beppe Dossena (30) und dem brasilianischen Strategen Cerezo (33) routinierte Führungsfiguren. Zudem gelang es Sampdoria, von Barcelona Flügelspieler Victor Muñoz (31) zu verpflichten.

„Große Spieler erkennen Autobahn wo andere nur Trampelpfade sehen.“

Neben großem, aber noch rohem Talent fand Boškov aber auch einen in Cliquen zerklüfteten Klub und es brauchte Zeit, bis alles nach Wunsch zusammen wuchs. Die Truppe hatte viel Mühe, in Runde 1 Norrköping auszuschalten. Nicht anders war es gegen DDR-Cupsieger Jena im Achtel- und vor allem Dinamo Bukarest im Viertelfinale, während man sich in der Serie A auf Kurs in Richtung Platz fünf begab. Im Halbfinale wurde gegen Mechelen aus Belgien eine 1:2-Auswärtsniederlage mit späten Toren (Cerezo 71., Dossena 85., Salsano 88.) gedreht, und nach dem 3:0 stand der Klub erstmals in einem europäischen Finale.

10. Mai 1989 in Bern gegen den FC Barcelona

Gegner im Wankdorf-Stadion von Bern war der FC Barcelona unter Trainer Johan Cruyff, der bei den Katalanen in der Tradition des „Totaalvoetbal“ spielen ließ und als klarer Favorit gegen den italienischen Emporkömmling galt. Dennoch ließ es sich Boškov nicht nehmen, im Vorfeld gegen Barcelona und Cruyff zu sticheln, so die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und den medialen Druck von den Spielern zu nehmen. Nicht unähnlich der Herangehensweise eines José Mourinho heute. „Super Spieler war das, dieser Cruyff. Aber als Trainer hat er ja wohl noch überhaupt nix gewonnen“. Was, angesichts des Cupsieger-Europacups zwei Jahre zuvor mit Ajax schlicht nicht stimmte.

Der Holländer blieb cool. „Klar ist Sampdoria gut. Aber wir treffen auch nicht direkt auf Inter, Milan oder Juventus“, gab er trocken zu Protokoll. Und seine Einschätzung sollte sich schnell bestätigen: Lange Flanke von Rechtsaußen Gary Lineker, Pagliuca berechnet die Flugkurve völlig falsch – am zweiten Pfosten steht Roberto, dieser legt zurück und Mittelstürmer Salinas muss den Ball nur noch über die Linie drücken. Nach nicht mal drei Minuten war Barcelona in Front.

Cupsieger-Finale 1989: Sampdoria - Barcelona 0:2
Cupsieger-Finale 1989: Sampdoria – Barcelona 0:2

Der äußerst rabiate Barça-Linksverteidiger Aloisio hätte nach heutigen Maßstäben zwar schon in der 10. Minute vom Platz fliegen können und in der 15. Minute müssen, aber es waren halt andere Zeiten. Barcelona machte weiterhin Druck, ehe Mitte der ersten Hälfte Sampdoria durch Konzentration auf das Zentrum begann, die Kontrolle über das Spiel zu erlangen – auch weil sich immer ein Stürmer (zumeist eher Mancini) auf die rechte Mittelfeld-Seite begab, wodurch Dossena einrücken konnte.

Aber nicht falsch verstehen: Eine unterhaltsame Mannschaft war Sampdoria ganz und gar nicht. Sie machte es dem neutralen Zuseher sehr schwer, Sympathien zu ihr aufzubauen. 70-Meter-Abschläge von Pagliuca waren keine Seltenheit, Dossena und Victor versuchten viel mit dem Kopf durch die Wand, es gab versteckte Fouls und kleine Gemeinheiten am laufenden Band. Dazu auch teilweise offene Brutalitäten, wie in der 68. Minute, als Salsano mit vollem Anlauf Lineker von der Seite niedergrätschte – und dafür nicht mal Gelb sah. Und vor allem in der zweiten Halbzeit wurde mehrfach plump versucht, durch offensichtliche Schwalben Elfmeter zu schinden.

Nur Cerezo brachte als laufstarker Alleskönnen etwas Kultur ins Spiel von Sampdoria. Nach der Verletzung von Libero Luca Pellegrini – die er sich bei einem Foul AN Beguiristain zuzog – musste der Brasilianer aber zurück in die Abwehr und hatte nur noch begrenzten Einfluss.

Barcelona hingegen ging die Ballführenden oft schon im Aufbau, spätestens aber im Mittelfeld an. Samp hatte viel Ball, aber kaum Torchancen, und als (der für Milla eingewechselte) Paco Soler einen Konter anzog und den (für Beguiristain eingewechselte) Defensiv-Mann López-Rekarte bediente, war in der 80. Minute alles gelaufen: Letzterer lief alleine auf Pagliuca zu und ließ dem jungen Schlussmann keine Chance. Barcelona gewann das Spiel mit 2:0.

Unterhaltung nur von der Bank

Das Entertainment kam bei Sampdoria nicht vom Feld, sondern von der Bank. Die selbstironische und lakonische Art von Boškov ist in Italien heute noch bekannt und geschätzt. „Partita finita quando arbitro fischia“ etwa ist eines jener grammatikalisch nach ganz einwandfreien Statements, die immer noch jeder italienische Fußball-Fans mit dem Serben verbindet – „Spiel vorbei wenn Schiedsrichter pfeift“. Auch auf große Analysen im öffentlichen Rahmen wollte sich Boškov nicht so recht einlassen. „Wer weniger Fehler macht, gewinnt. Wir haben mehr Fehler gemacht, also verloren“, ist ein weitere dieser Sätze, die Boškov gerade in Italien, einem Land, in dem alles und jedes Detail mit blumiger Sprache bis ins Letzte zerredet wird, Furore machte.

Vujadin Boskov beim EC-Finale 1989
Vujadin Boskov beim EC-Finale 1989

Auf dem Feld  bewegte sich der Serbe, wie etwa auch Arrigo Sacchi bei Milan, weg vom in den 80er-Jahren üblichen „Gioco all’Italiano„, mehr hin zu einem symmetrischer besetzten 4-4-2 – allerdings gab es, anders als bei Sacchi kein Pressing. Um den Libero herum (in der Regel Luca Pellegrini), der viele Freiheiten hatte und das Spiel von hinten eröffnete, spielte ein klarer Manndecker gegen den gegnerischen Mittelstürmer, dazu ein dezidiert defensiver (Mannini rechts) und ein etwas offensiverer Außenverteidiger (ein Überbleibsel aus dem „Gioco all’Italiano“). Im Mittelfeld gab es einen laufstarken Kreierer (erst Cerezo, in weiterer Folge Katanec) und einen Schmutzfink, der für diesen Kreativen die Drecksarbeit erledigt (Pari). Dazu zwei Flügelspieler und die beiden Stürmer, die sich auch viel ins Mittelfeld zurück fallen ließen.

„Ohne Disziplin ist Leben hart.“

Es herrschte vor allem im Defensiv-Verbund hohe taktische Disziplin, wie in Italien üblich. Es gab immer mindestens einen Spieler, zumeist aber mehr, als Absicherung hinter dem Ballführenden, es wurden nie zu viele Räume zwischen Abwehr und Mittelfeld gelassen. Hinten kein Tor zu kassieren ist wichtiger als vorne viele zu machen. Am Ende der Saison 88/89 hatte Sampdoria in 34 Serie-A-Spielen nur 25 Tore kassiert, womit man hinter Meister Inter die zweitbeste Abwehr hatte. Es gelangen in dieser Saison aber auch „nur“ 43 eigene Tore. Fünf Teams hatten mehr, Samp wurde auch Fünfter – aber wiederum Pokalsieger, wodurch man es in der Saison 1989/90 wieder im Cup der Cup-Gewinner versuchen durfte.

Diesmal ging es den Blucerchiati deutlich leichter von der Hand. Brann Bergen aus Norwegen war kein Problem, gegen Borussia Dortmund machte man nach einem 1:1 im Westfalenstadion daheim alles klar, gegen GC Zürich im Viertelfinale gab’s zwei Siege und auch gegen Monaco im Semifinale schuf man sich mit einem 2:2 im Stade Louis II. eine gute Ausgangsposition, ehe es im heimischen Marassi ein 2:0 gab.

9. Mai 1990 in Göteborg gegen den RSC Anderlecht

Gegenüber der letzten Saison hatte es zwei wichtige Neuzugänge gegeben. Zum einen war das Giovanni Invernizzi (26) von Absteiger Como und vor allem der jugoslawische Teamspieler Srecko Katanec. Der 26-jährige Slowene kam von UEFA-Cup-Finalist VfB Stuttgart und konnte sowohl als Libero als auch als Eröffnungsspieler im Mittelfeld agieren. Letzteres war seine vornehmliche Rolle, als er nach Genua kam.

Anderlecht war in den 80er-Jahren ein europäisches Spitzenteam in einer Liga, die zur erweiterten Top-Klasse zählte, gegen Ende des Jahrzehnts allerdings nachzulassen begann. Die Stärke, die belgische Teams aber immer noch haben konnten, zeigte sich in diesem Finale: Zwei Teams, die sich gegenseitig neutralisierten.

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Cupsieger-Finale 1990: Samp – Anderlecht 2:0 n.V.

Anderlecht-Coach Aad de Mos (der schon zwei Jahre davor das Cupsieger-Finale mit Mechelen gegen Ajax gewonnen hatte und später bei Werder Bremen kläglich scheitern sollte) verfolgte eine klare Marschroute: Im Zentrum, wo bei Sampdoria Katanec die Fäden zog und wohin sich im Aufbau vieles konzentrierte, komplett zumachen und dafür über die Außenbahnen nach vorne kommen.

Das passierte rechts vor allem mit Ardor Gudjohnsen (dem Vater von Eidur) und links im Zusammenspiel von Kooiman und Vervoort. Dazu ließ sich Stürmer Marc Degryse oft weit zurückfallen, wodurch er Mannini quer über den Platz zog und so Räume für Vervoort schuf. Das hatte zur Folge, dass bei Sampdoria Invernizzi, der gegen Kooiman und Vervoort spielte, oft in Unterzahl-Situationen verwickelt wurde und offensiv nichts brachte.

Sampdoria jedoch ließ sich davon überhaupt nicht aus der Ruhe bringen und machte die Räume vor dem Tor so eng, dass die 20-Meter-Pässe, auf die Anderlecht setzte, sehr oft bei einem Italiener landete. Selbiges passierte aber auch auf der anderen Seite, wo der spätere nigerianische Teamchef Stephen Keshi extrem umsichtig agierte, der Sambier Charly Musonda im Mittelfeld überall zu finden war und sich Milan Jankovic, der von Real Madrid gekommen war, ein gutes Gespür dafür hatte, welchen Raum er abdecken musste.

Langweiler-Fußball

Die Folge war ein ungeheuer zähes, unansehnliches und ganz einfach todlangweiliges Fußballspiel, das „0:0“ und „Elfmeterschießen“ recht schnell als logischen Ausgang erscheinen ließ. Echte Torchancen entstanden nur aus Standardsituationen oder aus individuellen Fehlern (wie Mancini in der 37., der nach einem Pagliuca-Abschlag Grun verlud und Marchoul den Richtung Tor hoppelnden Ball nach einem Sprint gerade noch von der Linie kratzen konnte – oder Gudjohnsen in der 88., nachdem Vierchowod den Ball vertendelt hatte).

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Wie lange geht dieser öde Kick denn noch? Diese Frage stellte sich nicht nur Vujadin Boskov.

Nach einer Stunde stellte Boškov um. Statt des wirkungslosen Invernizzi brachte er den flinken Attilio Lombardo – jenen 23-Jährigen mit der damals schon sehr übersichtlichen Frisur, der im Sommer davor als Ergänzungsspieler aus der Serie B gekommen war. Dieser agierte von weiter hinten heraus als Invernizzi zuvor, dafür ging Vialli mehr auf die rechte Außenbahn; Rechtsverteidiger Mannini übernahm nun etatmäßig eine zentralere Position – es entstand ein 4-3-3-ähnliches System. Damit hatte man beide Flügel defensiv im Griff und wusste, dass man aus dem Zentrum heraus von Anderlecht nichts zu befürchten hatte. Kurz: Es wurde noch mühsamer, weil nun engültig keiner mehr ernsthaft versuchte, eine Entscheidung herbeizuführen.

Natürlich ging es in die Verlängerung, und natürlich war es ein individueller Fehler, der das Elfmeterschießen doch noch verhinderte, nachdem Anderlecht davor schon merklich körperliche Schwierigkeiten bekommen hatte. Der eingewechselte Lombardo ging in der 105. Minute auf seiner rechten Seite mal durch, der Ball kam vor den Strafraum zum ebenfalls eingewechselten Salsano (er war für Katanec gekommen, der nach einem Schlag auf’s Knie in der ersten Halbzeit nichts mehr ausrichten konnte), dieser zog ab. Anderlecht-Goalie De Wilde (später auch bei Sturm Graz) konnte den Schuss an den Pfosten ablenken, der Ball kam genau zu ihm zurück, er konnte ihn aber nicht festhalten – und Vialli staubte ab.

Ehe Anderlecht reagieren konnte, landete nach einem erneuten Energie-Anfall von Lombardo eine Mancini-Flanke in der 108. Minute genau auf dem Kopf von Vialli, den die stehend k.o. verteidigenden Marchoul und Keshi nicht mehr angehen konnten. Das 2:0, die Entscheidung – und der Endstand. Vialli und Gudjohnsen arrangierten sich schon in der 119. Minute ihren bevorstehenden Trikot-Tausch. Wenige Augenblicke später überreichte UEFA-Boss Lennart Johansson die Trophäe an Kapitän Luca Pellegrini.

Das Lire-Paradies, die beste Liga der Welt

1989 waren in allen drei EC-Finals Serie-A-Klubs vertreten und zwei davon gewannen auch, 1990 gingen sogar alle drei Cups nach Italien, jenes im UEFA-Cup sogar nach einem rein-italienischen Endspiel. Dazu stieg eben 1990 die Fußball-WM in Italien, die besten Spieler der Welt prügelten sich um die begehrten Plätze im Lire-Paradies (es waren ja nur drei pro Team erlaubt). Ein Trainer wie Boškov, der davor ja schon mit Real Madrid Meister war, musste durch die Hintertür Ascoli und die Serie B in Italien Fuß fassen. Parallel zur erfolgreichen Europapokal-Kampagne 1989/90 wurde Samp hinter Maradonas Napoli, Sacchis Milan, Trapattonis Inter und Zoffs Juventus Vierter. Im Cup gab’s das Aus gegen Juventus, aber als Titelvertediger durfte der Klub dennoch wieder im Cupsieger-Bewerb antreten.

Nach dem Kollaps der Sowjetunion gelang es Klub-Boss Mantovani im Sommer 1990, Alexej Michailitschenko von Dynamo Kiew loszubekommen – also zusätzliche Option im Mittelfeld. International hatte man schon in der 1. Runde gegen Kaiserslautern arge Probleme, dafür keine im Achtelfinale gegen Olympiakos. National gab’s etwa ein 4:1 auswärts bei Meister Napoli, ehe es ausgerechnet im Derby gegen Genoa eine 1:2-Niederlage setzte.

„Ich hab‘ vor dem Derby gesagt, das wäre ein Spiel wie jedes andere. War’s doch nicht. Wir haben verloren.“

Inter verbrachte die meiste Zeit des Herbstdurchgangs an der Spitze, Sampdoria fand erst nach einer peinlichen Pleite bei Abstiegskandidat Lecce wieder in die Spur, beendete die Hinrunde letztlich als Vierter, zwei Punkte hinter Spitzenreiter Inter, einen hinter Milan und punktegleich mit Juventus und Überraschungs-Team Parma – Meister Napoli hingegen war mit nur vier Siegen mittendrin im Abstiegskampf. Nach dem überraschenden Aus im Europacup-Viertelfinale gegen Legia Warschau und nachdem klar war, dass Michailitschenko keine wirkliche Alternative war – er fand sich in der fremden Kultur nicht schnell genug zurecht – drehte Samp aber auf.

Der große Coup

Die Pleite in Lecce am 16. Spieltag sollte die letzte der Saison werden. Inter hingegen startete die Rückrunde nur mit Remis gegen den Vorletzten Cagliari und den Drittletzten Bologna. Samp war schon gleichauf, und es blieb in den folgenden Monaten ein Kopf-an-Kopf-Rennen, ehe das Team von Boskov am fünftletzten Spieltag mit einem Zähler Vorsprung auf Inter ins San Siro musste.

Dort machte Samp, was Samp am Besten konnte: Verteidigen. Mit Lombardo, der sich wegen seines Tempos in die Stamm-Elf gespielt hatte, verfügte man über eine Waffe im Konter und man schaffte es mit der für dieses Team typischen etwas hinterfotzigen Art zu spielen, an Inters Nerven zu gehen. So musste Inter-Libero Bergomi schon vor der Halbzeit mit Rot vom Platz, gemeinsam mit Roberto Mancini – die beiden waren sich gar zu sehr ins Gehege gekommen.

„Ich mag deutsche Spieler nicht. Die sind nicht teamfähig. Die sind arrogant.“

Inter, mit dem deutschen Weltmeister-Trio Matthäus, Brehme und Klinsmann, drückte vehement, aber Pagliuca hielt alles, ehe Dossena nach einer Stunde aus einem Konter das 1:0 für Sampdoria erzielte. Wenige Minuten später verschoss Matthäus einen Elfmeter und mit Viallis 2:0 eine Viertelstunde vor Schluss hatte Samp den Sieg in der Tasche. Damit hieß es nur noch, in den letzten Spielen nicht mehr auszurutschen, was schon beim 1:1 bei Torino nicht gelang. Weil aber Milan in den letzten zwei Spielen nur noch einen Punkt holte, machte das nichts. Sampdoria hatte erstmals den Scudetto geholt.

Top-8 der Serie A 1990/91
Top-8 der Serie A 1990/91

„Ich habe in meinem Leben einiges gewonnen“, sagte Boškov später einmal, „aber der Scudetto mit Sampdoria war der schönste Triumph, der süßeste. Weil es die stärkste und ausgeglichenste Liga der Welt war. Es ist ein wenig so, wie wenn man erstmals Vater wird!“

Zeit zur Revanche

Und weil die Serie A damals meilenweit vor allen anderen Ligen in Europa war, war Sampdoria natürlich auch der logische Favorit in der Meistercup-Saison 1991/92, obwohl der Klub noch nie an diesem Wettbewerb teilgenommen hatte. Darauf lag auch der ganze Fokus in der Saison nach dem Titel. Milan saß eine einjährige Europacup-Sperre ab und lief ohne Doppelbelastung mit dem neuen Trainer Fabio Capello früh allen anderen davon (und wurde ungeschlagener Meister), Sampdoria erlebte nach einem ganz ordentlichen Saisonstart in Oktober und November einen radikalen Einbruch (1:2 in Parma, 0:2 gegen Atalanta, 0:0 im Derby gegen Genoa, dann noch ein 1:2 bei Napoli, je 0:2 gegen Milan und bei der Roma, 0:0 gegen Torino und in Foggia) und lag nach acht sieglosen Spielen am zweiten Adventsonntag nur noch einen Punkt vor einem Abstiegsplatz.

Außerdem verlor man in dieser Phase 1:2 im Meistercup bei Honved Budapest, ehe ein Zitter-3:1 im Rückspiel doch noch das Ticket für die erstmals ausgetragene Gruppenphase der besten acht Teams bedeutete. Die beiden Gruppensieger sollten das Finale bestreiten und Sampdoria wurde in die Gruppe mit viel Revanche-Potenzial gelost. Zum einen gegen den RSC Anderlecht, den man anderthalb Jahre davor im Endspiel bezwungen hatte. Und Titelverteidiger Roter Stern Belgrad – jener Klub, der Boškov durch welche Kräfte auch immer in seiner Zeit bei Vojvodina immer im Weg gestanden war. Dazu kam Panathinaikos Athen.

„Der Ball geht rein, wenn Gott das so will“

Im ersten Spiel daheim gegen den jugoslawischen Meister und Meistercup-Titelverteidiger mit Spielern wie Mihajlovic und Jugovic brachte ein Belgrader Eigentor Samp schnell in Führung, ehe Vialli nach der Pause alles klarmachte. Dann wurde es aber harzig. In Athen gab’s nur ein 0:0 und bei Anderlecht sogar eine 2:3-Niederlage. Dank eines 2:0-Heimsieges gegen die Belgier fuhr Sampdoria einen Punkt hinter Roter Stern auf Platz zwei liegend nach Sofia, wo das Spiel wegen des beginnenden Krieges am Balkan ausgetragen werden musste.

Wie schon im Jahr davor gegen Inter machte Boškov auch in diesem Spiel die Abwehr dicht, und wie schon im Jahr davor gegen Inter verstand es Boškov, seine Spieler extrem heiß zu machen und mit einem ungeheuren Glauben in sich selbst auszustatten. Das 0:1 durch Mihajlovic schockte Samp nicht, obwohl sie gewinnen mussten. Immer aggressiver wurde das Team, zur Pause führte man schon 2:1, am Ende gab’s einen 3:1-Sieg. Wegen der klar besseren Tordifferenz reichte im letzten Spiel daheim gegen Panathinaikos ein Punkt, den gab’s auch – wiewohl Roter Stern in Brüssel sogar verlor.

20. Mai 1992 in London gegen den FC Barcelona

In der Serie A hatte Sampdoria wieder zu Form gefunden, nach der schwarzen Serie im Herbst hatte es nur noch eine einzige Niederlage gegeben, als Sechster verpasste man aber die Qualifikation für die folgende Europacup-Saison – zu viele Unentschieden hatte man aufs Konto gebracht.

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Meistercup-Finale 1992: Samp – Barcelona 0:1 n.V.

Dennoch sollte das Finale im Wembley der Höhepunkt der Ära werden, Gegner war- wie schon im Cupsieger-Finale drei Jahre davor – Johan Cruyffs FC Barcelona. Bei dem allerdings nur noch drei Spieler vom Finale 1989 mit dabei waren, bei Sampdoria waren es sieben.

Boškov setzte, eh klar, vornehmlich auf Defensive. Lanna war nach dem Abgang von Luca Pellegrini zum Libero geworden, Vierchowod (gegen Salinas) und Mannini (gegen Stoichkov) gaben die Manndecker, dazu wurde Fausto Pari speziell auf Michael Laudrup angesetzt und Katanec sollte die Kreise des 21-jährigen Mittelfeld-Organisators Pep Guardiola einengen und ihm die Passwege zu Bakero und Laudrup zustellen.

Cruyff ging ein wenig von seinem 4-3-3 ab, indem er Eusebio und Bakero beide Richtung Mittefeld-Zentrum tendieren und die rechte offensive Außenbahn damit eher verwaisen ließ. Auch er hatte Respekt vor den Pässen Cerezos und auch Katanec‘, die die „gemelli terribili“, die schecklichen Zwillinge Mancini und Vialli, aus dem defensiven Mittelfeld heraus bedienen sollten. Das war, neben Dauerläufer Lombardo auf der rechten Seite, Sampdorias einziger echter Plan nach vorne.

Bei Barcelona war Ronald Koeman derjenige, über den im Aufbau so gut wie alles lief, mit Guardiola als Adjutanten. Cryuff ließ mit Hristo Stoitchkov einen echten Linksaußen beginnen, hatte mit Salínas einen klassischen Mittelstürmer auf dem Platz, und setzte auf ein Trio im offensiven Mittelfeld – Laudrup, Bakero und Eusebio. Da die beiden Teams ihre jeweiligen Matchpläne auf einem sehr ähnlichen Niveau ablieferten, hatte zur Folge, dass es zwar kein schlechtes Spiel war, aber eines ohne echte Höhepunkte. Barcelona kam gegen die robuste Manndeckung von Samp nicht zur Geltung, die Italiener wurden in ihrem recht vorhersehbaren Aufbauspiel gut von der Defensive der Katalanen in Schach gehalten.

Der erste, der sich bewegte, war nach einer Stunde Cruyff. Er nahm Salinas vom Feld und brachte dafür mit Andoni Goikoetxea einen echten Rechtsaußen, dafür ging Stoitchkov ins Sturmzentrum und Laudrup auf die linke Seite – eine Maßnahme, die bei Stoitchkovs Pfostenschuss schon beinahe gefruchtet hätte. Andererseits fehlte nun aber natürlich ein Spieler im Zentrum, wodurch die Anspiele in die Spitze höhere Chancen hatten, anzukommen – Vialli vergab in dieser Phase zwei Sitzer, die die Partie zugusten von Sampdoria vorentscheiden hätten können.

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Ausgeglichenes Finale im alten Wembley, das sah auch Boskov so.

Dadurch, dass Barcelona die rechte Seite nun besetzt hatte, musste Boškov reagieren und statt des offensiver denkenden Bonetti einen eher defensiver denkenden bringen – das war Giovanni Invernizzi. Goikoetxea mühte sich ab, konnte aber gegen den neuen Mann keine Akzente setzen. So ging’s in die Verlängerung, wo Barcelona sich langsam leichte Vorteile erarbeiten konnte – das aggressive Spiel von Sampdoria forderte langsam aber sicher Tribut. So ging’s etwa für Vialli nach 100 Minuten gar nicht mehr weiter, für ihn kam Renato Buso in die Partie – der Stürmer war vor der Saison von der Fiorentina gekommen.

In der 111. Minute versuchte dann Invernizzi, vor der Strafraumgrenze den Ball gegen Eusebio zu erobern, fiel dabei hin, bekam den Ball etwas unglücklich auf die Hand und bekam die Kugel am Boden sitzend noch einmal an den Ellenbogen. Der deutsche Referee Schmidhuber entschied auf Absicht und damit indirekten Freistoß – weil Ronald Koeman für seinen brutalen Wumms bekannt war, den er auch in diesem Spiel schon diverse Male ausgepackt hatte, eine gefährliche Situation. Und eine Entscheidung, über die sich die Italiener aufregten (natürlich, sonst wären sie ja keine Italiener) – aber in diesem Fall hatten sich wohl nicht ganz Unrecht mit ihrem Unverständnis.

So oder so: Koeman drosch die Kugel durch die aus der Mauer herausstürmenden Mannini und Pari hindurch am chancenlosen Pagliuca vorbei ins Tor – das 1:0, auf das Sampdoria in den verbleibenden acht Minuten keine Antwort mehr hatte. Mit Barcelona hatte erstmals nach 26 Jahren wieder ein spanisches Team den Meistercup geholt, und für die Katalanen war es der erste überhaupt. Bei Sampdoria endete eine Ära.

Das Team zerfällt, der Präsident stirbt

Dass Boškov den Klub nach sechs Jahren verlassen und zur Roma wechseln würde, war schon vor dem Endspiel in London klar, vier Tage nach der bitteren Niederlage gegen Barcelona endete die Ära Boškov mit einem 2:2 gegen Absteiger Cremonese, ein von Fauso Pari erzieltes Elfmeter-Tor war das letzte unter dem Serben. Gianluca Vialli, mit 27 Jahren mittlerweile im besten Fußballer-Alter, nahm ein Angebot von Juventus Turin an. Mangelnde Ambition kann man dem Klub aber auch danach nicht absprechen: Benficas Meistertrainer Sven-Göran Eriksson beerbte Boškov als Coach, mit Vladimir Jugovic kam ein europäischer Superstar von Roter Stern Belgrad, als dieser Klub wegen des gerade ausgebrochenen Krieges alle seine Topspieler verlor. Ein Jahr später – Samp hatte 1993 als Sechster erneut den internationalen Bewerb verpasst – verpflichtete man den bei Milan im Kampf von sechs Legionären um drei Plätze aufgeriebenen Ruud Gullit und den Engländer David Platt von Juventus und wurde immerhin Dritter und gewann den Cup. Bis heute der letzte Titel des Klubs.

Allerdings lag da schon der drohende Schatten des Niedergangs über dem Klub, weil Präsident Paolo Mantovani im November 1993 mit nur 63 Jahren starb. Sein Sohn Enrico übernahm Sampdoria, und auch ohne Gullit (der zu Milan zurückkehrte), Katanec (der aufhörte) und Pagliuca (der zu Inter ging) scheiterte man im Halbfinale des Cupsieger-Bewerbs erst im Elferschießen an Arsenal. Danach ging’s nur noch bergab: Nach dem achten Platz 1995 gingen Lombardo, Vierchowod und Jugovic allesamt zu Inter, Roberto Mancini konnte man immerhin bis 1997 halten, ehe er gemeinsam mit Trainer Eriksson zu Lazio ging. Boškov war da nach einem Jahr bei der Roma und zwei bei Napoli bereits bei Servette Genf gelandet, ehe er Nachfolger seines Nachfolgers wurde und zu Sampdoria zurückkehrte.

Mit Rechtsverteidiger Moreno Mannini und Wadenbeißer Fausto Salsano fand er nur noch einen Spieler aus seiner erfolgreichen Ära immer noch vor, dazu einen schon ansatzweise altersmüden Jürgen Klinsmann, einen noch sehr jungen Vincenzo Montella, die späteren Weltmeister Boghossian und Karembeu – und seinen Landsmann Sinisa Mihajlovic. Das Rad der Fußball-Welt hatte sich aber weitergedreht, Boškov konnte an alte Erfolge nicht anschließen. Sampdoria landete im Tabellen-Niemandsland und Boškov zog weiter.

Epilog: Charleroi am 13. Juni 2000

Nach einem Kurzauftrit Boškov, mittlerweile 68-jährig, in Perugia übernahm er 1999 wieder die Nationalmannschaft Jugoslawiens – wiewohl das nur noch der „Rest“ war, nach dem Balkan-Krieg, mit Serbien und Montenegro. 27 Jahre nach seiner Ausbootung vor der WM in Deutschland durfte Boškov diesmal das Turnier auch tatsächlich als Teamchef erleben. Obwohl er sich im Nachhinein vielleicht gewünscht hat, es wäre nicht so gewesen. In der Vorbereitung schickte Boškov seine Truppe auf eine ausgedehnte Asien-Tournee, was ihm viele seiner nach einer langen europäischen Saison ausgelaugten Stars – allen voran Sinisa Mihajlovic – übel nahmen. Dazu musste er bei einer Presse-Konferenz vorm ersten Spiel zugeben, sich von den Gruppengegnern nicht einmal Videomaterial angesehen zu haben. Und dann kam’s zum Wiedersehen mit seinem alten Schüler Srecko Katanec.

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Jugoslawien – Slowenien 3:3 (0:1) bei der EM 2000

Katanec war slowenischer Teamchef geworden und hatte die No-Name-Truppe sensationell zur EM geführt. Niemand gab dem mit vier Spielern aus der österreichischen Liga antretenden Underdog (Milanic von Sturm, Ceh vom GAK, Milinovic und Udovic vom LASK) eine Chance. Doch nach einer Stunde führte der freche Außenseiter gegen die mit einer beinahe unerträglichen Überheblichkeit auftretenden Serben mit 3:0, dann gingen auch noch Sinisa Mihajlovic die Gäule durch, er sah nach 60 Minuten die rote Karte.

Erst jetzt wachten die Serben auf, retteten noch ein 3:3-Remis. Aber mit ihrer überharten und weitgehend unkreativen Spielweise wirkte die Mannschaft bei dem Turnier, das vor allem wegen außergewöhnlichem Offensiv-Fußball und spielerischen Highlights glänzte, völlig deplatziert. Im zweiten Spiel mühte man ein 1:0 gegen Norwegen über die Zeit, obwohl sich Mateja Kezman schon 44 Sekunden (!) nach seiner Einwechslung die rote Karte abholte und auch beim 3:4 gegen Spanien absolvierte man die letzte halbe Stunde nur noch zuzehnt. Dazu gab’s in den letzten beiden Gruppenspielen zehn gelbe Karten, damit einige Gesperrte in der nächsten Runde.

Und die Abneigung von ganz Fußball-Europa obendrein. Gegen Holland trauten sich die Serben nach Lastwagenladungen medialer Prügel selbst dafür nicht mehr austeilen, man ging 1:6 unter (und das Ehrentor fiel erst in der Nachspielzeit) und bis auf die serbischen Fußball-Fans trug darüber keiner Trauer. Der robuste Defensiv-Fußball, den Boškov spielen ließ, kann man mit zwar aufbrausenden, im Zweifel aber disziplinierten Italienern durchziehen, so lautete die Erkenntnis – aber nicht mit einer aufgestachelten Truppe, die wie auf einer persönlichen Vendetta gegen Fußball-Europa wirkte und bei der der so auf Disziplin achtende Boškov auch aufgrund der Vorkommnisse vor der EM keinerlei Autorität mehr hatte.

„Nach dem Regen kommt die Sonne!“

Das 1:6 gegen Holland war Boškovs letztes Spiel als Trainer. Er war kein Visionär, keiner, der für eine eventuelle taktische Revolution gesorgt hätte. Seine Teams hatten Erfolg durch ein extremes Maß an mannschaftlicher Geschlossenheit, robustem Zweikampfverhalten und dem Ausspielen individueller Klasse, wie jahrelang mit Vialli und Mancini. Er war bekannt und geachtet durch seine pointierten Aussagen, die oft mehr Spaß machten als Spiele seiner Mannschaften anzusehen.

Vujadin Boškov starb am 27. April in seiner Heimatstadt Novi Sad. Er wurde 82 Jahre alt.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.