Champions League 2011/12 | Achtelfinal-Rückspiel
Stamford Bridge, 14. März 2012
Chelsea FC - SSC Napoli
4-1 n.V.
Tore: 28' Drogba, 47' Terry, 75' (p) Lampard, 105' Ivanovic bzw. 55' Inler

Das Imperium schlägt zurück: Die alte Garde schießt Chelsea zum 4:1-Sieg

Vor allem mit Drogba, Lampard und Terry war Ex-Chelsea-Coach Villas-Boas auf Crash-Kurs. So ist es wohl durchaus bezeichnend, dass genau diese drei im ersten wirklich wichtigen Spiel nach der Entlassung des Portugiesen so richtig aufgeigten, drei der vier Tore schossen und das ganze Team mitreißen konnten. Das Aus in der Champions League gegen Napoli konnten die Blues in einem unterhaltsamen Spiel gerade noch verhindern.

Chelsea FC - SSC Napoli 4:1 n.V.

Die ersten beiden Spiele unter Roberto di Matteo hat Chelsea gewonnen – aber so wichtig das 2:0 im Cup bei Birmingham City und das 1:0 gegen Stoke in der Liga auch waren, in der Champions League wartete gegen Napoli das wohl wirklich entscheidende Spiel für den weiteren Saisonverlauf die Blues, zehn Tage nach der Entlassung von André Villas-Boas.

Das System vom Interims-Coach

Di Matteo – der als Spieler 1998 beim letzten Europacup-Triumph von Chelsea dabei war und als Trainer vor anderthalb Jahren West Brom in die Premier League geführt hatte – ging vom 4-3-3 ab, das Villas-Boas verwendet hatte, und stellte das Team auf ein 4-2-3-1 um. Essien fungierte dabei als tief stehender Sechser, währen Frank Lampard aus der Tiefe heraus immer wieder weit mit nach vorne ging, um Zehner Juan Mata gegen die beiden defensiven Mittelfeld-Spieler von Napoli zu unterstützen.

Oftmals spielten Mata und Drogba annähernd auf einer Höhe, dazu gestellte sich noch Sturridge auf der rechten Seite. Das machte, rein numerisch gesehen, durchaus Sinn: Gegen die Dreierkette von Napoli, die defensiv natürlich schnell zur Fünferkette wird, empfielt es sich, mit vielen, hoch stehenden Spielern zu agieren. Aber das alleine war es nicht, was Chelsea die Kontrolle bescherte.

Die Flügel von Chelsea

Sondern auch, dass man das Zentrum bearbeitete, ohne dabei auf die Außen zu vergessen. Man City machte beim 1:1 im Gruppenspiel den Fehler, nur das Zentrum zu bevölkern, aber nicht Napolis Wing-Backs außen zu binden – darauf achtete Chelsea hier sehr wohl. So blieb zwar Ramires, nominell auf dem linken Flügel aufgeboten, zumeist recht weit von der Außenbahn weg – nur wenn defensiv notwendig, bewegte er sich dort hinaus.

Dafür bearbeitete Ashley Cole dort Christian Maggio (und nach dessen verletzungsbedingter Auswechslung Juan Camilo Zuñíga). Auf der rechte Seite blieb Sturridge eher draußen gegen Zuñíga (und später eben Dossena), weshalb Ivanovic in dieser Phase nicht ganz so viel nach vorne unternahm wie Cole.

Napoli lauert auf Gegenstöße

Napoli ließ Chelsea mit dem 3:1 aus dem Hinspiel im Rücken recht bereitwillig den Ball und lauerte, wie es das Spiel dieser Mannschaft nun mal ist, auf schnelle Gegenstöße. Gegen das zwar optisch dominante, aber nicht besonders schnelle Aufbauspiel von Chelsea hatten die Italiener wenig defensive Probleme und es gelang immer wieder, das ungemein flinke Trio vorne einzusetzen.

Dort ließ sich vor allem Hamšík immer wieder fallen, um anspielbar zu sein und vorne Cavani und den etwas passiveren Lavezzi einzusetzen. Chelsea hatte so ein spielerisches Übergewicht, aber Napoli stellte einen steten Gefahrenherd dar und hatte einige sehr gute Chancen, die nur knapp nicht zum Tor führten. Wenn dazu Gelegenheit war, ging das Offensiv-Trio der Italiener auch die ballführenden Gegenspieler an, was Chelsea zumindest phasenweise ein wenig aus dem Rhythmus brachte.

Schwäche bei Flanken in den Strafraum

Das 6:3 von Napoli zuletzt in der Serie A gegen Cagliari hat nicht nur gezeigt, dass man vorne bärenstark ist, sondern auch, wo die Schwäche liegt: Bei Flanken in den Strafraum und Kopfbällen. Alle drei Gegentore gegen Cagliari fielen aus Kopfbällen, und nach einer halben Stunde fand eine Flanke von Ramires (der von Maggio nicht konsequent genug attackiert wurde) den Kopf von Didier Drogba, und der Ivorer traf zum 1:0.

Ein Treffer, der bei Napoli sichtlich Wirkung hinterließ. Die Verletzung von Maggio und der dadurch nötige Wechsel waren sicher auch ein Faktor, aber vor allem im Zentrum – Gargano und Aronica seien hier erwähnt – blieb Napoli nun vermehrt zu weit vom Gegenspieler weg, die Sicherheit im Passspiel schwand merklich und ein zweites Gegentor vor der Pause schien alles andere als unwahrscheinlich.

Wieder ein Kopfball – und die krachende Antwort darauf

Aber es dauerte bis kurz nach der Pause, als Hugo Campagnaro – der linke Mann in Napolis Dreierkette – den Blues das 2:0 schenkte. Erst verursachte er nach einer Flanke (auf dieses Mittel setzte Chelsea nun natürlich vermehrt) aus seiner Verunsicherung heraus einen unnötigen Eckball, und bei dem ließ er dann auch noch John Terry laufen – das verdiente 2:0 für die Hausherren. Und wie schon das erste Tor wurde es von einem Akteur aus jener „alten Garde“ erzielt, die gemeinhin als die Hauptverantwortlichen für Villas-Boas‘ Rauswurf ausgemacht worden waren.

Napoli war nun gezwungen, wieder aktiver am Spiel teilzunehmen und Gökhan Inler, Kapitän der Schweizer Nationalmannschaft, ging mit seiner Energie aus dem Zentrum dabei voran. Nicht nur, dass er nun deutlich Verantwortung übernahm und die Intensität erhöhte, nein, er sorgte mit seinem krachenden Weitschuss-Tor aus 20 Metern auch dafür, dass Napoli nun wieder weiter wäre und Zwang somit Roberto di Matteo zum Handeln.

Torres kommt rein

Ab ca. 60. Minute

Dieser brachte Fernando Torres ins Spiel, der seit Oktober auf einen Torerfolg wartet. Für ihn musste Sturridge weichen und aus dem System wurde nominell ein 4-4-2. Weil aber Mata sich nicht allzu viel auf der rechten Seite aufhielt und in sich immer wieder in die Zehner-Position orientierte, musste Branislav Ivanovic die komplette rechte Seite übernehmen. Das machte der Serbe von seiner Präsenz her auch sehr gut, allerdings waren seine Flanken und seine Zuspiele zumeist sehr ungenau. So war Dossena beschäftigt, aber Torgefahr ging davon nicht aus.

Torres selbst spielte um Drogba herum und versuchte, die Kanäle zwischen Napoli-Abwehr und dem defensiven Mittelfeld der Italiener zu nützen. Das machte er recht ordentlich, er bot sich immer als Anspielstation an und arbeitete gut, aber echte Gefahr für das Napoli-Tor ging auch von ihm nicht aus. So brauchte es bei allem spielerischen Übergewicht, das Chelsea entwickelte, einen Hand-Elfmeter. Diesen verwandelte mit Frank Lampard der dritte aus der alten Garde mit voller Wucht. Das 3:1 aus dem Hinspiel war egalisiert, es ging in die Verlängerung.

Chelsea mit mehr Qualität von der Bank

Dort mussten die Mannschaften merklich der extrem hohen Intensität der vorangegangenen 90 Minuten Tribut zollen. Di Matteo nahm dabei aber einen guten Wechsel vor: Für Mata brachte er Malouda. Der Franzose ging nun auf die linke Seite und machte einen guten Job, wenn es darum ging, Bälle zu behaupten Gegenspieler zu binden. Ramires wechselte auf die rechte Seite und übernahm dort die spielerische Verantwortung, nachdem Bosingwa dort Ivanovic ablöste (Terry musste raus, Ivanovic ging in die IV).

So schaffte es Chelsea gut, die Abwehr von Napoli auseinander zu ziehen und versuchte weiterhin, mit Flanken die Schwäche im Zentrum der Italiener auszunützen – was in der 105. Minute durch ein Tor von Ivanovic nach Drogba-Flanke zum 4:1 ausgenützt wurde. Was die Vorentscheidung war: Denn bei Napoli war das Offensiv-Trio müdegelaufen – ohne die defensiv gebundenen Wing-Backs waren sie zumeist auf sich alleine gestellt. Mit Pandev und Jungstar Vargas fehlte es aber an den Ideen, zudem machte der im Saisonverlauf oft (und auch zu Recht) viel gescholtene David Luiz eine herausragende Partie.

Fazit: Der Wille, der unter Villas-Boas fehlte

Roberto di Matteo hat sein Team taktisch richtig eingestellt, erkannte die Schwächen von Napoli und bohrte diese entsprechend an, nahm die Wing-Backs der Italiener aus dem Spiel und isolierte damit deren Offensiv-Trio ganz gut. Aber: Viel entscheidender als das war die Tatsache, dass die Spieler von Chelsea mit einem Schwung, einem Willen und einer inneren Überzeugung aufgetreten sind, wie sie es unter André Villas-Boas praktisch nie gemacht haben.

Dieser Wucht war Napoli über die 120 Minuten gesehen ganz einfach nicht gewachsen. Es fehlte so ein wenig der Plan B als sich immer mehr abzeichnete, dass man nach vorne ohne nach vorne marschierende Flügelspieler kaum die Mittel hatte, das gefürchtete Trio Hamšík/Cavani/Lavezzi entsprechend einzusetzen. Was eine ähnliche Erkenntnis bringt wie vor einem Jahr nach dem Aus in der Europa League: Napoli hat sich ohne Frage extrem verbessert, in den letzten 13 Monaten, aber ein absolutes europäisches Spitzenteam ist man eben doch (noch) nicht.

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.