Sie führte die U-19 als Trainerin zur Europameisterschaft, erreichte als Assistentin von Dominik Thalhammer das EM-Halbfinale, sie ist die erste (und auf absehbare Zeit auch einzige) österreichische Frau mit dem UEFA-Pro-Trainerschein. Und nun ist Irene Fuhrmann die neue Teamchefin der ÖFB-Frauen. Ihr Debüt ist in zwei Monaten beim EM-Quali-Spiel in Kasachstan – so es stattfinden kann – geplant.
Fuhrmann, neue ÖFB-Teamchefin
Von „Kurzarbeit“ kann bei ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel in den letzten zwei Wochen keine Rede sein. Mit dem Abgang von Dominik Thalhammer und von Spielanalyse-Leiter Christian Heidenreich (zum LASK) und Video-Analyst Wolfgang Fiala (seit Mitte Juni neuer Leiter der Akademie Ried) taten sich diverse Baustellen auf. Die ÖFB-Frauen brauchten einen neuen Teamchef und ein neues Trainerteam und – nicht weniger wichtig – die Abteilung Trainerausbildung brauchte eine neue Leitung.
17 Tage nach dem Thalhammer-Abschied steht nun fest, was völlig logisch erschien: Irene Fuhrmann ist die neue Chefin des Frauen-Nationalteams. Die 39-jährige Wienerin ist damit die erste weibliche Vollzeit-Teamchefin eines A-Nationalteams in Österreich. Markus Hackl, der die U-17-Mädchen des ÖFB trainiert, wird ihr Co-Trainer. „Mein absoluter Wunschkandidat“, bestätigte Fuhrmann.
Wir dürfen vorstellen: Irene Fuhrmann, Frauen-Teamchefin des ÖFB! 🤩⚽️❤️🇦🇹 #GemeinsamÖsterreich pic.twitter.com/7dB3DQSH1X
— ÖFB – oefb.at (@oefb1904) July 27, 2020
„Für mich persönlich ist das ein sehr emotionaler Tag, weil ich die Entwicklungen des Frauenfußballs in Österreich seit 20 Jahren hautnah miterlebe und es ein Privileg ist, dieses Amt antreten zu dürfen“, zeigte Fuhrmann bei ihrer Vorstellung Respekt vor der Aufgabe. „Mir würde kein einziger Grund einfallen, warum sie nicht neue Teamchefin werden sollte“, vermittelte Peter Schöttel Vertrauen.
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Fuhrmann, die Spielerin
Ihre fußballerischen Teenager-Jahre verbrachte Fuhrmann im Käfig des Ferdinand-Wolf-Parks im 14. Wiener Gemeindebezirk. Durch ihre Brüder zum Fußball gekommen, hatte sie eine Vereinskarriere zunächst gar nicht auf dem Radar, erst im Laufe ihres Sportstudiums wurde ihr ein Beitritt zum Wiener Frauenfußball-Aushängeschild USC Landhaus nahegelegt. In den Jahren 2000 und 2001 holte Fuhrmann mit Landhaus das Double und 2002 noch den dritten Cupsieg, mit der Ausnahme einer Saison in Innsbruck verbrachte sie ihre ganze aktive Karriere beim Klub aus Floridsdorf.
Ihr Debüt im Nationalteam gab die offensive Mittelfeldspielerin als knapp 22-Jährige im Herbst 2002 gegen die Schweiz, rund sechs Jahre später – im Sommer 2008 – beendete sie ihre aktive Karriere. „Ich habe damals eine berufliche Weiterbildung begonnen und konnte nicht mehr regelmäßig zu den Trainings kommen. Dann kam noch eine Knieverletzung hinzu“, erklärte sie in einem Standard-Interview: „In dieser Zeit hatte ich das große Glück, dass Frauenfußball-Nationaltrainer Ernst Weber mich gefragt hat, ob ich bereit wäre, als Assistenztrainerin an seiner Seite zu arbeiten – diese Chance habe ich sofort ergriffen.“
Schon zu ihrer aktiven Zeit trainierte Fuhrmann den Landhaus-Nachwuchs, 2011 machte sie als fünfte Frau in Österreich die A-Lizenz, 2017 als erste die UEFA-Pro-Lizenz. „Das macht mich im Nachhinein schon ein wenig stolz“, gestand sie dem ORF danach.
Fuhrmann, die Trainerin
Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich Ernst Weber nie besonders für die ÖFB-Frauen interessiert hat. Unbestritten ist aber, dass er ein Auge für Talent hatte und – gerade bei den Frauen – großen Wert auf ein intaktes zwischenmenschliches Verhältnis gelegt hat. Dass er die damals 27-Jährige zu seiner Co-Trainerin gemacht hat, lässt also vermuten, dass sie schon damals ein sichtbares Interesse dafür und Fähigkeit dazu gezeigt hat.
Als 2011 das Nationale Zentrum für Frauenfußball in St. Pölten (heute: ÖFB-Frauen-Akademie) gegründet wurde, wurde Fuhrmann dort als Individualtrainerin angestellt, zudem wurde ihr die Verantwortung für die U-19-Nationalteams übertragen. Den Jahrgang 1997 um Barbara Dunst, Katharina Naschenweng, Viktoria Pinther sowie Kapitänin Kathi Aufhauser führte sie 2016 zur EM-Endrunde.
Danach kam sie als Co-Trainerin zu Dominik Thalhammer beim A-Nationalteam, spätestens mit ihrem bestandenen Pro-Lizenz-Kurs im Herbst 2017 durfte man sie als mehr oder weniger logische Nachfolgerin für Thalhammer betrachten.
Fuhrmann und der Fußball
Welche Form von Fußball schwebt der neuen Teamchefin vor? Nun, wer jahrelang mit dem Experimentierer Thalhammer arbeitet, wird zwangsläufig davon beeinflusst. „Man muss immer schauen, wie die Wahrscheinlichkeit am größten ist, Erfolg zu haben. Das kann auch manchmal die Betonmauer sein“, gab sich Fuhrmann 2018 gegenüber der Kleinen pragmatisch. Sei sagte da aber auch: „Im Ballbesitz dominant zu sein, ist schon attraktiv.“
Die von ihr gestalteten und geleiteten Trainings genießen ÖFB-intern einen ausgezeichneten Ruf. Sich selbst beschreibt Fuhrmann als „feinfühligen Menschen“, was sie vor allem im Umgang mit jungen Spielerinnen für eine wichtige Eigenschaft erachtet, aber „ich kann auch konsequent sein“. Beides bestätigt Nina Burger, die Fuhrmann sowohl als Mitspielerin als auch als Trainerin kennt, letzte Woche im Magazin „News“: „Sie ist eine, die sich gelernt hat, durchzusetzen – und trotzdem ein stark ausgeprägtes Einfühlungsvermögen hat.“
Fuhrmann und der aktuelle Kader
Auch mit Viktoria Schnaderbeck und Carina Wenninger hatte Fuhrmann einst im Nationalteam noch zusammen gespielt, in ihrer letzten Saison bei Landhaus war sie Teamkollegin der damals 15-jährigen Gini Kirchberger, in ihrem letzten Liga-Spiel im Juni 2008 spielte sie gegen eine ebenfalls 15-jährige Kathi Schiechtl.
Das letzte Mal als Aktive auf dem Feld stand Fuhrmann am 25. Juni 2008 in der 42-Grad-im-Schatten-Freiluftsauna von Beit-She’an in Israel. Beim 2:0-Sieg in der EM-Qualifikation spielte sie die erste Halbzeit, nach der Pause kam Nadine Prohaska für sie ins Spiel. Es war Prohaskas Länderspiel-Debüt. Kuriose Volte der Geschichte: Nun sieht es nach Prohaskas Karriereende aus – und Fuhrmann steht vor dem Debüt als Teamchefin.
Fuhrmann als Vorreiterin
Nun ist Fuhrmann die erste Frau in Österreich mit einem Trainerjob, der mit einer gewissen öffentlichen Aufmerksamkeit verbunden ist. Sie selbst wird – wie es ihrer Persönlichkeit auch entspricht – keine große Sache daraus machen. Aber natürlich ist das in Österreich eine Ernennung mit Meilenstein-Charakter. „Das ist ein historischer Tag“, sagte nicht zuletzt ÖFB-Präsident Leo Windtner bei Fuhrmanns offizieller Vorstellung. „Ich sehe keine Unterschied, ob da ein Mann oder eine Frau sitzt“, winkte Fuhrmann selbst aber ab.
Aktuell ist Fuhrmann eben die einzige Österreicherin mit UEFA-Pro-Lizenz, es gibt 13 Frauen mit A-Lizenz und rund 20 mit der B-Lizenz. Aber es kommt jetzt ein Schub, wenn der erste Berufsspielerinnen-Kurs vorbei ist – und drei Ex-Teamspielerinnen absolvieren gerade den männlichen Berufsspieler-Kurs. Es sind dies die langjährige Team-Torhüterin Anna-Carina Kristler, die jetzige ORF-Expertin Lisi Tieber und die frühere USA- und Schweiz-Legionärin Romina Bell.
Fuhrmann im internationalen Vergleich
Bei der WM letztes Jahr wurden neun der 24 Teilnehmer von Frauen trainiert (also 37 Prozent, darunter beide Finalisten), in Europa sind es 16 der 52 aktiven Frauen-Nationalteams (also 31 Prozent, darunter große Fußball-Länder wie Deutschland, Frankreich, Holland und Italien). In der heimischen Liga werden derzeit zwei der zehn Teams von Frauen betreut (St. Pölten von Liese Brancão und Südburgenland von Susi Koch-Lefevre).
Es gibt einzelne Frauen, die im Herren-Profi-Bereich Teams trainieren. Chan Yuen-Ting führte 2016 als erste Frau ein Herren-Team zur nationalen Meisterschaft (den Eastern SC in Hongkong), Meseret Manni schaffte ein Jahr zuvor in Äthiopien den Aufstieg in die höchste Liga (mit Dire-Dawa SC). Frankreichs Teamchefin Corinne Diacre war drei Jahre lang Trianerin des französischen Zweitligisten Clermont; Imke Wübbenhorst (Lotte, 4. Liga) und Inka Grings (zuletzt Aufstieg in die 4. Liga mit Straelen) arbeiten in Deutschland an der Reputation für höhere Aufgaben. Das alles ist bei Irene Fuhrmann zumindest vorerst keine Option, einen Wechsel zum LASK gemeinsam mit Thalhammer war für sie kein Thema.
Die Teamchef-Geschichte der ÖFB-Frauen ist schön praktisch in Jahrzehnten gliederbar: In den 1990ern, vom Erstauftritt des Teams bis 1998, war (mit Ausnahme einzelner Spiele) Peter Leitl verantwortlich. In den 2000ern, bis zu seinem Tod im April 2011, war es Ernst Weber. Die Erfolgsgeschichte der 2010er-Jahre trägt den Namen von Dominik Thalhammer. „Er hat wichtige Schritte gesetzt, um den Frauenfußball in die richtige Richtung zu bekommen“, würdigt ihn Peter Schöttel.
Und nun, im Jahr 2020, beginnt der nächste Abschnitt. Die Ära Fuhrmann.
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