20 Duelle, 20 Siege: Die ersten fünf Ausgaben des Europacups gewann Real Madrid. Nur zwei Teams zwangen vor Einfühung der Auswärtstorregel das Starensemble von Di Stéfano und Co. in diesen fünf Jahren in ein Entscheidungsspiel: Einmal Atlético Madrid – und einmal Rapid.
Dies ist die Geschichte von Österreichs erstem echten Ausrufezeichen im Europacup. Damals, als Ernst Happel den Königlichen beim ersten Flutlicht-Spiel überhaupt im Wiener Stadion das Fürchten lehrte.
Glücklicher Meistertitel
Giulio Campanati, knapp 34 Jahre alt und aus Mailand stammend, verweigerte den Pfiff und das Zeichen in Richtung Elfmeterpunkt. Der 10. Juni 1956 war ein relativ windiger Tag und im Wiener Prater war es relativ kühl. Aber hätte der Referee nach der Attacke an Wacker-Linksverbinder Paul Kozlicek auf Elfmeter entschieden, hätte Wacker wohl mit einer heißen Party den zweiten Meistertitel der Klubgeschichte gefeiert.
So blieb es beim Zwischenstand von 1:0 gegen die Austria, Wacker bracht mental zusammen und verlor noch 1:3. Rapid – tags zuvor mit einem lockeren 7:0 gegen Nachzügler Austria Graz – sprang am letzten Spieltag erstmals auf Tabellenplatz eins und war zum vierten Mal in den letzten sechs Jahren österreichischer Champion.
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1955/56 war eine turbulente Saison bei den Hütteldorfern, mit zwei Trainerwechseln (im Jänner Alois Beranek für Franz Wagner, im März umgekehrt) und drei verschiedenen Sektionsleitern. Das Team war in Grüppchen zerfallen, es gab die Fraktion der Älteren (wie die Körner-Brüder, Mittelstürmer Dienst, der notorisch undisziplinierte Probst und Defensiv-Routinier Golobic) und die Jungen: Bertalan, Mehsarosch, Höltl und der vom GAK verpflichtete Halla.
Rapid wurde 1956 eher deswegen Meister, weil die anderen noch blinder waren. Wacker, zwischendurch deutlich voran, hat es nervlich nicht zusammen bekommen. Die knallharte Vienna-Abwehr mit Nickerl, Röckl und Umgeher, die ihrem Team ein Jahr zuvor den Titel gesichert hatte, war nur noch gut, nicht mehr außergewöhnlich. Die Austria war mitten im Umbau, nachdem das halbe Team in die lukrative französische Liga abgewandert war.
In der Staatsliga bekam Rapid im Herbst die Rechnung präsentiert, man dümpelte zumeist zwischen Rang vier und fünf herum. International aber sorgte man 1956 für die ersten echten Höhepunkte eines österreichischen Teams im ein Jahr zuvor eingeführten Europacup – im Duell mit Titelverteidiger Real Madrid.
Volles Sommerprogramm
Die alte Saison endete am 10. Juni, die neue begann am 26. August. Dazwischen durfte Rapid aber nicht etwa Sommerpause machen, sondern musste im „Mitropa-Cup“ antreten. Der ÖFB versuchte Mitte der Fünfziger mit aller Macht, den in der Zwischenkriegszeit extrem populären Klub-Bewerb wiederzubeleben und vergatterte Meister Rapid und Vizemeister Wacker zur Teilnahme.
Zunächst eliminierte Rapid über den vom späteren ÖFB-Teamchef Leopold Stastny betreuten tschechoslowakischen Meister Slovan Bratislava (3:0 und 1:3 am 23. und 30. Juni), im Halbfinale rangen die Grün-Weißen völlig überraschend das ungarische Spitzenteam Vörös Lobogò (das vormalige und spätere MTK Budapest) um WM-Star Nándor Hidegkuti nach einem 3:3 daheim auswärts 4:3 nieder (7. und 14. Juli).
Nach zwei schwachen Jahren des Nationalteams mit drei Teamchef-Wechseln zündete Rapid in diesem Sommer wieder den Funken zu den Fans, das 3:3 im Finalhinspiel (21. Juli) gegen Vasas Budapest sahen 52.000 Menschen im randvollen Praterstadion. Eine Woche später waren sogar rund 100.000 Zuseher im neuen Budapester Népstadion dabei und sahen ein 1:1. Ein alles entscheidendes drittes Spiel musste her.
Vor diesem Entscheidungsspiel am 4. August in Budapest war Rapid körperlich völlig am Ende, zudem fehlte der erkrankte Alfred Körner. Bis kurz vor dem Halbzeitpfiff hielt Rapid mit 1:2 das Ergebnis knapp, danach brachen aber alle Dämme und Vasas gewann 9:2.
Rapid war in diesem Sommer Meister geworden, hatte zweieinhalb Mal ein volles Praterstation und kassierte ein Drittel der Einnahmen des vor wiederum 104.000 Menschen ausgetragenen Entscheidungsspiels. Regeneration und Aufbautraining waren aber nicht möglich. Vier Tage nach dem Match in Budapest musste man noch nach Wuppertal, um dort das vertraglich vereinbarte Ablösespiel für Erich Probst durchzuführen.
Man war zwar froh, Troublemaker Probst los zu sein, aber die sinnlose Reise zum Ruhrgebiet hätte man sich wohl dennoch gerne erspart. Nach dem 3:3 am 8. August gab es zwei Wochen Urlaub, dann drei Tage Training unter dem neuen Coach Max Merkel – und dann gleich das erste Saisonspiel.
Kein Wunder, dass man gegen Simmering nur zu einem müden 1:1 kam.
Durchwachsener Saisonstart
Peinliche Darbietungen wie bei der Niederlage in Kapfenberg und dem 1:4-Debakel bei Tabellenführer Vienna auf der Hohen Warte wechselten sich mit hohen Erfolgen gegen unterlegene Kontrahenten und einem 4:1 gegen eine schwache Austria ab. Zudem gab es in Folge des vollen Kalenders im Sommer zahlreiche Verletzungen – die Körner-Brüder fehlten beide längere Zeit, auch Dienst stand nicht immer zur Verfügung.
Dafür konnte man im Oktober einen Coup landen, indem man Ernst Happel nach anderthalb Jahren bei Racing Paris wieder zurück holte. Der 30-jährige Routinier debütierte beim 2:0 in Krems, der vorletzten Partie vorm Hinspiel bei Real Madrid am Allerheiligen-Tag 1956.
Hinspiel: Real hoch überlegen, aber schleißig
Das mit Stars gespickte Team von Klub-Boss Santiago Bernabeu hatte ein halbes Jahr zuvor die Premiere im Europacup gewonnen und sich noch dazu Stürmer Raymond Kopa von Finalgegner Stade Reims geschnappt. Die Königlichen galten ohne Diskussion als das beste Vereinsteam des Kontinents.
Rapid hatte 1955/56 – als man als Liga-Dritter teilnehmen durfte, weil die Veranstalter eher auf große Namen setzten, um den Bewerb besser vermarkten zu können – im Achtelfinale Eindhoven besiegt und war dann im Viertelfinale an Milan gescheitert. Das war, was realistisch zu erwarten war und angesichts der internen Turbulenzen in Ordnung.
Nach dem 1:1 daheim gegen den GAK auf Liga-Platz vier rangierend, stellte die Wiener AZ seine Leser bereits im Vorbericht zum Match in Madrid auf eine zünftige Pleite ein: „Eine Niederlage von zwei oder drei Toren wäre für die Wiener kein Misserfolg!“ Die Erwartungen waren sehr gering.
Wie die ungarischen Teams MTK und Vasas im Sommer spielte auch Real mit einem zurückgezogenen Mittelstürmer: Alfredo di Stéfano war es aus Argentinien gewohnt, dass die Außenstürmer sehr hoch stehen, die Verbinder halbhoch und er selbst als nomineller Mittelstürmer direkt vor den Läufern agierte, um das Spiel zu orchestrieren. Eine ähnliche Rolle rang er nach seinem Wechsel zu Real Madrid 1953 auch Erfolgscoach Pepe Villalonga ab.
Real legte gleich offensiv los. Nach einem Freistoß von Atienza in der 9. Minute kam Di Stéfano zum Kopfball und stellte auf 1:0, in der 22. Minute versenket der 30-jährige Argentinier eine Flanke von Kopa ebenso per Kopf zum 2:0. Dazu klatschte ein Schuss der Madrilenen an die Latte und einmal rettete Rapid-Goalie Gartner in höchster Not.
Als die Spanier nach eine halben Stunde etwas den Fuß vom Gas nahmen, hätte es schon 4:0 stehen können. „Rapid kommt nun sogar auf und trägt einige Angriffe vor“, berichtete die AZ, „aber man hat stets das Gefühl, dass die Spanier, erforderte es die Situation, mühelos zuschlagen könnten.“ In der 50. Minute wäre es wieder so weit gewesen, aber das Tor von Gento wurde vom Schweizer Referee Gottfried Dienst (der zehn Jahre später das Wembley-Tor geben sollte) wegen Abseits nicht anerkannt.
Vorne gingen die Madrilenen eher schleißig mit ihrer Dominanz um, hinten passten sie nach einer Stunde einmal nicht auf – und schon verkürzte Robert Dienst nach Hanappi-Assist zum 2:1. Tatsächlich machte Real nun wieder Ernst, innerhalb von fünf Minuten hatte Gento zweimal getroffen. Mit dem 4:1 war der Favorit zufrieden, man ließ das Spiel in der Schlussphase ein wenig austrudeln.
Dass Karl Gießer mit einem Weitschuss kurz vor Abpfiff auf 2:4 verkürzte, lässt das Ergebnis knapper aussehen, als das Spiel tatsächlich war. Mit einem Blick auf das vorjährige Viertelfinale, als Real nach einem 4:0-Heimsieg gegen Partizan Belgrad auswärts 0:3 verlor, warnte Trainer Villalonga aber: „Wenn ich an Partizan denke, muss ich mir vor dem Spiel in Wien Sorgen machen!“
Wirklich ernst nahm Villalonga niemand. Er sollte aber Recht behalten.
Rückspiel: Verschüchterte Königliche im Flutlicht
Rapid kam zwischen den beiden Partien gegen Real zu einem mühsamen Sieg beim Vorletzten Stadlau und kassierte peinliche Niederlage beim Drittletzten Sturm Graz. Real verlor den Clasico gegen den FC Barcelona. Für die Königlichen war das Rückspiel eine Pflichtaufgabe, für Rapid der Höhepunkt eines Halbjahres zum Vergessen.
Und: Es war das erste Flutlichtspiel im Praterstadion. Solche Bedingungen kannte weder Real noch Rapid. Aber: Es war Mitte November, es war kalt, es war windig, ein grausliches Mistwetter. Das kannten die Wiener wesentlich besser als die Madrilenen. Zumal diese praktisch das ganze Spiel zu zehnt absolvierten mussten.
Der längjährige AS-Chefredakteur Alfredo Relaño schreibt in seinem Buch „Memorias en blanco y negro“: „Das Spiel beginnt mit einem schnellen und aggressiven Rapid-Team. In der vierten Minute gibt es eine schreckliche Szene: Ein Tritt von Mittelstürmer Dienst ans Knie von Innenverteidiger Oliva reißt eine gewaltige Wunde. Er blutet enorm, man kann bis zum Knochen sehen. Für ihn ist das Spiel beendet, Real muss zu zehnt spielen.“
In der Wiener AZ klingt das Ganze deutlich nüchterner, obwohl der sonst ungemein verschwurbelte Martin Maier an der Schreibmaschine sitzt. „Ein harmlos aussehender Zusammenstoß des spanischen Stoppers Oliva mit Dienst entscheidet das Spiel in der 5. Minute. Oliva wird verletzt, scheidet aus und muss ins Krankenhaus.“ Spielerwechsel sind damals noch nicht erlaubt.
Real-Trainer Villalonga, dem zu Stürmer Héctor Rial (verletzt) und Verteidiger Marquitos (suspendiert, weil er eine zu feiste Gehaltserhöhung wollte) zwischenzeitlich auch Santisteban ausgefallen war, musste auf eine weitere Stütze verzichten und obendrein umbauen. Lesmes ging hinten ins Zentrum, Zárraga aus der Läuferreihe nach links hinten, dafür rückte Di Stefano zurück und Joseito, der links gestartet war, auf die Di-Stefano-Position. Aus Kopa wurde wieder ein Rechts-Außen.
Rapid nahm das Spiel in die Hand. Ein Kopfball von Riegler ging in der 12. Minute die Latte, zwei Minuten später traf Riegler – aber das Tor zählte wegen Abseits nicht. „Ein einwandfreies Tor“, ärgerte sich Alfred Körner: „Ich habe knapp vor der Torlinie geflankt und Riegler stand hinter mir. Es konnte gar kein Abseits sein!“ In der 18. Minute aber schlug ein Freistoß von Happel aus 30 Metern ein – das 1:0. Auch in der Folge musste Real-Keeper Juan Alonso diverse Male retten, einmal tritt ihm dabei Dienst auf die Hand. Mittelhandknochenbruch, Alonso musste quasi mit einer Hand weiterspielen.
„Madrid schwimmt im eigenen Strafraum“, schreibt Relaño: „Ein weiterer Schuss an die Latte [Alfred Körner, 31. Minute]. Ein Ball, den Lesmes per Kopf von der Linie klärt. Einmal rettet Joseíto, dann wieder Alonso mit einer Hand. Es ist ein Wunder, dass bis zur 35. Minute keine Tore mehr gefallen sind.“ Doch dann bekam Zárraga einen Ball an die Hand, der französische Referee Maurice Guigue zeigte auf den Punkt, Happel drosch den Ball zentral zum 2:0 ins Tor.
Kurze Zeit später: Freistoß für Rapid aus 25 Metern. Nachdem vorm 0:1 auf eine Mauer verzichtet worden war, besteht Alonso nun darauf. Schiedrichter Guigue misst nach, stellt die Mauer noch ein, zwei Meter weiter nach hinten. Happel läuft an, prügelt den Ball wieder in Richtung Alonso – und weil Muñoz in der Mauer den Ball abfälscht, steht es 3:0 für Rapid.
„Zwei Freistoßbomben und eine Elfmeterkanone“ beschrieb es Walter Schwarz im „Kurier“, drei Tore von Innenverteidiger Happel in jenem Stadion, das 37 Jahre später seinen Namen bekommen wird. Zur Halbzeit des Rückspiels wäre Rapid im Viertelfinale.
Bernabéu in der Kabine
Schwarz war im Kurier trotz des frühen Ausscheidens von Oliva sehr kritisch mit Real: „Dennoch hätte das Spiel dieser Millionen-Elf auch in einem solchen Fall mehr Konzept verraten müssen!“ Im Lager der Spanier sah man es ähnlich. Relaño schreibt: „Real zieht sich in die Kabine zurück, eingeschüchtert und [bei diesem Spielstand] ausgeschieden. Sie sind zehn Mann, eigentlich neuneinhalb, es ist kalt, sie sind vor Schreck gelähmt, verzagt, wie weggefegt.“
Obwohl der AS-Redakteur seine Helden sicherlich hier etwas geschlagener darstellt, als sie tatsächlich waren, um das folgende Comeback umso heroischer erscheinen zu lassen: Dass die Stimmung in der Real-Kabine nicht die beste war, kann man annehmen. Und dann erschien Santiago Bernabéu. Der Klub-Boss persönlich hatte die Tür aufgeschlagen, um seinen Spielern eine Standpauke zu halten, die sich gewaschen hat.
AZ-Redakteur Maier macht sich derweil Gedanken: „Happel ist dreifacher Torschütze, aber kein einziger Treffer fiel aus dem Feldspiel. Das gibt zu denken. Elf Mann gegen zehn Mann, da müssten doch auch Tore aus zwingenden Kombinationen fallen, nicht nur aus Elfmetern und Freistößen.“ Ob der langwierigen Arbeit des Übermittelns und Setzens in der Druckerei, die damals ohne den heutigen Luxus von Computern, Internet und automatisiertem Druck nötig war, hat Maier diese Zeilen – Anstoß war 19.30 Uhr – definitiv in der Halbzeit verfasst.
Real stellt um und bekommt Kontrolle
Die Real-Spieler zeigen sich von Bernabéus derber Rede unbeeindruckt und reagieren cool und mit einem Plan. „Dem Sturm fehlt Di Stefano, der in die Deckung zurückgezogen wurde“, konstatierte Maier schon währen der ersten Halbzeit. Nun rückte Joseíto, als Rechtsaußen gestartet, auf die Linksverteidiger-Position – so konnten Zárraga und Muñoz wieder die Läuferreihe bilden und Di Stefano kehrte zurück auf seine Position hinter den Spitzen.
Mit der etablierten Läuferreihe wurde der Rapid-Innensturm mit Riegler und Alfred Körner besser neutralisiert, sodass der mittlerweile 32-jährige Robert Körner auf der Außenbahn kaum die Gelegenheit bekam, den auf ungewohnter Position eingesetzten Joseíto zu testen. Dienst hing in der Luft, während Di Stefano nun aus seiner optimalen Position heraus das Spiel lenkte und das wichtige Tor zum 1:3 erzielte. Auch Kopa – der vor der Pause völlig unsichtbar war – war wieder mehr ins Spiel eingebunden.
Im Stile einer Klassemannschaft hat sich Real Madrid vor dem Aus gerettet. Mit einem Gesamt-Score von 5:5 nach zwei Spielen muss ein drittes Match ausgetragen werden. Die Auswärtstorregel wird im Europacup erst neun Jahre später eingeführt.
Der Poker: Wo ist das 3. Spiel?
Innenverteidiger Oliva wurde mit 12 Stichen über dem rechten Knie genäht, Torhüter Alonso würde monatelang ausfallen; dazu die Verletzungen von Rial und Santisteban. „Das Team war in einem 80 Meter tiefen Loch“, sollte Bernabéu – der nach der soliden zweiten Halbzeit wieder der beste Freund der Spieler war – einige Zeit später zu Protokoll geben. Real musste sichergehen, das Entscheidungsspiel zu gewinnen.
Das Datum dafür stand schon am Tag nach dem Wiener Spiel fest – der 13. Dezember – nur der Austragungsort nicht. Anders als im Sommer gegen Vasas Budapest gab es im Europacup keine klaren Bestimmungen darüber. Ein neutraler Ort war möglich, aber nicht zwingend. Welche Stadt den Zuschlag bekommen würde? „Wer am meisten zahlt“, sagt Rapid-Vizepräsident Carl Sorg schon direkt nach dem Rückspiel ganz offen.
Bernabéu schlug in den Verhandlungen Genf und Paris vor, Sarg Brüssel und Amsterdam. Eine Einigung auf einen neutralen Ort war nicht zu machen. Also wedelte Real mit den Geldscheinen: Wenn man sich aber auf Madrid einigen würde, bekäme Rapid 60 Prozent der Ticket-Einnahmen, dazu würde Real den Großteil der Reise- und Unterkunftskosten für die Wiener übernehmen.
Der Prater fasste damals rund 50.000 Menschen, das Nuevo Chamartín (welches schon damals offiziell „Bernabéu“ hieß) in Madrid über 100.000. Sarg ging den für Rapid ungemein lukrativen Deal am 21. November, dem Tag vor der Eröffnung der olympischen Sommerspiele in Melbourne, ein. Für Bernabéu mochte das Entscheidungsspiel zu einem finanziellen Verlustgeschäft werden, aber immerhin war der Heimvorteil gesichert.
Der ÖFB versuchte der Entscheidung für Madrid zwar einen Riegel vorzuschieben, aber die UEFA entschied zu Gusten der Vereine. Rapid konnte also mit Fix-Einnahmen von 700.000 Schilling rechnen. Ein Vergleich mit heutigem Wert ist schwierig, aber es dürfte für 2020 wohl rund vier oder fünf Millionen Euro darstellen.
Rückschläge nach dem Rückspiel
Zwischen Rückspiel und Entscheidungsmatch gab es für Rapid einige weitere Tiefschläge zu verdauen. Robert Dienst fing sich eine Leistenzerrung ein, Karl Gießer zog sich im Match gegen den Sportclub einen Schienbeinbruch zu, Gerhard Hanappi kam verletzt vom Länderspiel in Italien (1:2) nach Hause. So bekam in der Läuferreihe Lothar Bilek den Zuschlag, der in der Meistersaison nur dreimal zum Einsatz gekommen war.
Eine Niederlage gegen Wacker ließ Rapid in der Staatsliga zwischenzeitlich sogar auf den fünften Platz abrutschen. Eine Titelverteidigung war schon zu Saisonhalbzeit nur noch eine mathematische Möglichkeit, aber kaum noch realistisch.
Real Madrid hingegen ging mit einer Serie aus sieben Liga-Siegen in Folge im Rücken als spanischer Tabellenführer ins Rückspiel und übernahm in diesem auch gleich die Kontrolle. Schon in der 2. Spielminute gingen die Königlichen in Führung. Linksaußen Gento passierte Halla mühelos und flankte vor das Tor, Marsal säbelte noch etwas unbeholfen über den Ball drüber, aber der dahinter stehende Joseito schoss unbedrängt zum 1:0 für Real ein.
Damit war das Ton für das Spiel gesetzt. Der pardonierte Marquitos ersetzte Oliva, im Tor durfte Backup-Goalie Javier Berasaluce ran; Santisteban war wieder fit und kehrte in die Läuferreihe zurück. Und so wischte Real mit dem personell signifikant geschwächten und ohnehin nicht in Top-Form angereisten Rapid-Team sprichwörtlich den Boden auf.
Real um eine Klasse besser
Torhüter Zeman bekam gerade noch die Fingerspitzen an einen Schuss von Kopa, ein Freistoß von Di Stéfano klatschte an die Latte. „Rapid versucht zu reagieren, aber Real ist einfach zu weit entfernt von der Verängstigung des Spiels in Wien“, schreibt Santiago Sigueiro in seiner Real-Biographie „Reyes de Europa“. Vor einem Publikum und bei für Mitte Dezember recht angenehmen Temperaturen zeigte Real das aggressive und offensive Gesicht. „Die Spanier berennen, von den 100.000 [Zusehern] stürmisch angefeuert, fast ununterbrochen das Rapid-Tor“, berichtet die Wiener AZ, „Happel und Zeman haben alle Hände voll zu tun, die ständigen Fehler von Halla und Golobic auszubessern.“
Nach 24 Minuten kam Halla beim Versuch, den bereits in den Strafraum eingedrungenen Gento im Laufduell vom Ball zu trennen, zu Fall. Der englische Referee Alf Bond enschied richtigerweise auf Weiterspielen, Gento hob den Ball praktisch von der Torauslinie vors Tor. Golobic „klärte“ den Ball per Kopf zentral vor das Tor, wo Kopa nur noch abziehen musste.
„Rapid, noch dazu ohne Hanappi, findet keinen Weg, den galligen Auftritt des Spiels in Wien zu wiederholen. Happel ist aus der Distanz keine Gefahr. Real kontrolliert das Spiel und lässt die Minuten herunterlaufen – bis zum Ende“, schreibt Siguero. „Einen raffiniert getretenen Freistoß von Di Stéfano lenkt Zeman über die Latte“, beschreibt die AZ: „Joseito schießt scharf gegen die linke obere Torecke. Di Stéfano köpft aus fünf Metern auf das Tor, Zeman reagiert blitzschnell und hält auch diesen Ball.“
Das Duell war entschieden. Ohne Stützen wie Hanappi und Gießer konnte Rapid die Leistung des Matches in Wien nicht reproduzieren. Happel war hinten beschäftigt, zu offensiven Standards kam Rapid kaum. Real ließ die Uhr arbeiten und die Wiener ließen ihrem Frust in der Schlussphase zunehmend freien Lauf – zusätzlich angestachelt von Lesmes, der nach einem Tritt gegen Alfred Körner in der 79. Minute ausgeschlossen wird.
Rudelbildung und dritte Halbzeit
Wenige Sekunden vor Ablauf der Spielzeit stieg Happel gegen Kopa sehr hart ein, eine Rudelbildung war die Folge. Die AZ beschreibt: „Einige Spieler werden untereinander handgreiflich. Aus dem Zuschauerraum fliegen Flaschen auf das Spielfeld, ein Dutzend Pressephotographen stürmt auf das Feld und hält den Zwischenfall fest.“ Bond schmiss auch Happel raus und beendete das Spiel kurz danach.
Die Animositäten nahmen mit dem Schlusspfiff aber kein Ende. Im Kabinengang kam es zu Schreiduellen zwischen den Teams, die Spieler beschuldigten sich gegenseitig, die Eskalation herbeigeführt zu haben. Lesmes humpelte durch die Katakomben, er hatte auch noch irgendwo einen Tritt abbekommen. Di Stéfano, der von einem grippalen Infekt gestreift worden war, war völlig am Ende.
„Wir hatten einfach zu viele Ausfälle“, konstatierte Happel in der Folge. „Wir haben uns besser als erwartet geschlagen“, gab Trainer Merkel zu, „angesichts der Umstände bin ich mit dem Ergebnis nicht unzufrieden.“
Amerika-Tournee und Siegesserie
Eine wirkliche Winterpause genehmigte sich Rapid auch nicht, aber nicht alle Spieler mussten die Amerika-Tournee mitmachen. Hanappi und Gießer durften sich auskurieren, Halla blieb auch daheim – dafür wurde Franz Häusler, der seit anderthalb Jahren nicht mehr in der Kampfmannschaft zum Zug gekommen war, ebenso in den 16-Mann-Kader aufgenommen wie Güssing-Gastspieler Kovacs.
Rapids Winter-Tour 1956/57: USA (7:1 gegen die All-Stars New York), Costa Rica (1:4 gg Racing Buenos Aires, 1:1 gg Saprissa, 2:7 gg Herediano), Guatemala (4:1 gg Universidad und 3:2 gg Comunicaciones), Kolumbien (3:2 gg Libertad Barranquilla), Curacao (0:2 und 2:0 gegen das dortige Nationalteam), Guadeloupe (2:1 gegen das dortige Nationalteam), Martinique (2:2 gegen das A-Nationalteam, 4:4 gegen das B-Team) und Surinam (3:3 gegen das dortige Nationalteam und 1:3 gegen Paramaibo).
Die Reise war touristisch sicher attraktiv, das Wetter überwiegend tropisch-heiß, der sportliche Wert überschaubar und die Leistungen nicht gerade glorreich. Hans Riegler kam mit einem gebrochenen Arm nach Hause, Alfred Körner mit einer Seitenbanddehnung, Robert Dienst mit Fieber. Am 13. Februar kehrte Rapid zurück und Trainer Max Merkel kündigte an: „Jetzt machen wir erstmal Pause, in den nächsten vierzehn Tagen wird kein Ball angerührt!“
Nach der schwachen Herbstsaison und der strapaziösen Amerika-Reise sprach nichts für ein glorreiches Comeback von Rapid. Als die Rückrunde am 16. März startete, klang die Zielsetzung eher nach Schadensbegrenzung. „Wir hoffen, uns um einen oder zwei Plätze nach vorne zu schieben“, gab Robert Körner zu Protokoll.
Tatsächlich gab es elf Siege in Serie – darunter ein 6:2 gegen die Admira, ein 8:1 gegen Kapfenberg, gar ein 12:1 gegen Krems und ein 9:1 gegen Stadlau, dazu knappe 3:2-Erfolge gegen die Vienna und die Austria. Herbstmeister Vienna ließ dafür immer wieder Punkte, wie mit einer Niederlage bei Sturm, einem durch ein tölpelhaftes Eigentor kassierte 1:1 gegen Wacker und einem 1:2 gegen die Admira, die am vorletzten Spieltag die Entscheidung zu Gusten Rapids bedeutete.
Und Real Madrid? Holte 1957 locker den spanischen Meistertitel und nach Erfolgen über Nizza, Manchester United und die Fiorentina auch den Europacup – ebenso wie 1958, 1959 und auch 1960.
Epilog
Genau 12 Jahre später sollte Rapid die Revanche glücken: Wieder war es das Achtelfinale im Meistercup, wieder hatten beide Teams nach Hin- und Rückspiel gleich viele Tore auf dem Konto. 1968 war die Auswärtstorregel aber schon eingeführt. So reichte nach dem 1:0-Heimsieg im Hinspiel eine 1:2-Niederlage in Madrid zum Viertelfinal-Einzug.
Dort war dann gegen Manchester United Entstadion – dank eines Doppelpacks von George Best.
Ballverliebt gibt es nur mit deiner Hilfe!
Ballverliebt braucht deine Hilfe zum Weitermachen. Wenn du Artikel wie diese, kritische Analysen und Podcasts von uns magst und weiter von uns lesen und hören willst, dann unterstütze uns bitte. Der Preis eines Getränks pro Monat hilft schon sehr. Mehr dazu findest du hier.