Platz vier über den Winter, acht Siege und sieben Niederlagen, annähernd ausgeglichene Tordifferenz: Der SK Sturm Graz stellt anno 2015 graues Mittelmaß dar. Aber warum ist das so? Ein Blick auf die Zahlen zeigt viele Baustellen, die hier einzeln aufgezeigt werden. Ein kurzer Überblick:
– Sturm spielt effizienter, wenn Donis Avdijaj nicht auf dem Feld ist
– Daniel Offenbacher ist besser als sein Ruf
– Anel Hadzic ist eher ein Risiko als ein Asset
– Das Mittelfeld wird umgangen, aber die geeigneten Außenverteidiger fehlen
– Es werden Spieler geholt, die entweder nicht geeignet sind oder nicht gebraucht werden
Besser ohne den Besten
Donis Avdijaj ist technisch der mit sehr viel Abstand beste Spieler im Sturm-Kader. Der junge Deutsche ist auch der auffälligste Spieler, seit er vor einem Jahr an die Mur kam. Nur: Einen wirklich positiven Einfluss auf das Spiel von Sturm hat er nicht. Im Gegenteil.
Avdijaj schießt viel. Sehr viel. Genau genommen schoss Avdijaj in den zwölf Einsätzen bis zu seiner Oberschenkel-Verletzung 48-mal. Davon bolzte er 32-mal von außerhalb des Strafraums in Richtung Tor – nicht umsonst hat sein Schussdiagramm von der Optik her etwas Handball-haftes. Innerhalb des Torraumes zog Avdijaj überhaupt noch nicht ab. So blies er seine Zahlen nach oben, aber nicht seine Torgefahr: Aus seinen 48 Schüssen resultierten gerade einmal zwei Treffer. Kümmerlich.
Wie isoliert Avdijaj vom Rest des Teams agiert – und wie seine oft recht egozentrische Spielweise das Team runterzieht – zeigten die acht Spiele, in denen er fehlte. Mit Avdijaj erzielte Sturm 1,17 Tore pro Spiel und verwertete nur jeden 14. Torschuss. Ohne Avdijaj erzielte Sturm 1,5 Tore pro Spiel und verwertete immerhin jeden 10. Torschuss. Damit ist man zwar immer noch deutlich unterdurchschnittlich unterwegs, aber zumindest nicht mehr ganz so heillos.
Wenn man die Zahlen vom 1. bis zum 12. Spieltag (also mit Avdijaj) und die vom 13. bis 20. Spieltag (also ohne den Deutschen) ansieht, fällt auf, dass vor allem Stürmer Roman Kienast (und auch Bright Edomwonyi, wenn er spielte) deutlich mehr in den Abschluss mit einbezogen wird. Kienast erzielte auch mehr als die Hälfte (4) seiner sieben Tore ohne Avdijaj auf dem Feld.
Der unterschätzte Offenbacher
Daniel Offenbacher ist bei den Sturm-Fans nicht der beliebteste Spieler. Hadzic, Piesinger und auch Kamavuaka sind beim Anhang höher angeschrieben, aufgrund ihres sichtbaren Einsatzes. Zudem würden die Fans lieber Sandi Lovric sehen, der seit der U-16 bei Sturm ist – und nicht den ehemaligen BW-Linz- und Wr.-Neustadt-Kicker.
Was Offenbacher gegenüber unfair ist, denn es gibt eigentlich keine Kategorie, in der er nicht der beste zentrale Mittelfeld-Spieler von Sturm ist.
Niemand bei Sturm spielt mehr erfolgreiche Vertikalbälle in der gegnerischen Hälfte bzw. in diese hinein an als Offenbacher – rund 56 Prozent. Er versuchte, umgerechnet auf seine Gesamtspielzeit, grob gesagt neun Vertikalpässe, von denen fünf ankamen. Donis Avdijaj versuchte gar nur fünf pro Spiel, dafür schoss er aus allen Lebenslagen.
Ebenso niemand bei Sturm bringt mehr erfolgreiche Diagonalbälle in der gegnerischen Hälfte bzw. in diese hinein an als Offenbacher – rund 72 Prozent. Zum Vergleich: Kamavuaka und Hadzic liegen in dieser Kategorie gleichauf, sie spielen aber (gemessen an ihrer gegenüber Offenbacher höheren Gesamt-Einsatzzeit) nicht so viele Diagonalbälle wie Offenbacher.
Und noch eine Zahl, die den Unterschied zwischen dem Noch-Deutschen (der eine EM-Teilnahme mit Albanien plant) und dem österreichischen U-20-WM-Teilnehmer: Offenbacher hat 33 Torschüsse vorbereitet, Avdijaj nur 19 – und zwar in annähernd der gleichen Einsatzzeit.
Der überschätzte Hadzic
Anel Hadzic ist einer der etabliertesten Spieler der ganzen Liga. Der im Innviertel aufgewachsene Bosnier hat 237 Bundesliga-Spiele in den Beinen, und das als 26-Jähriger. Er gilt als Anker im defensiven Mittelfeld, als stabil in der Defensive und bis zu einem gewissen Grad als Verbindungsspieler zur Offensiv-Abteilung. Dass Image und Wahrheit nicht zwingend übereinstimmen müssen, zeigen Hadzic‘ Zahlen.
Im Eishockey gibt es die Plus/Minus-Statistik, die aussagt, bei wie vielen Toren bzw. Gegentoren ein Spieler auf dem Eis war – sie ist ein guter Indikator für die Qualität von Offensiv- bzw. Defensivarbeit einzelner Spieler. Wendet man dieses Prinzip bei den Torschüssen für bzw. gegen Sturm Graz an, sind die Werte von Hadzic nicht besonders berühmt, vor allem im Vergleich zu anderen zentralen Mittelfeldspielern.
Denn Tatsache ist: Ist Hadzic auf dem Feld, hat Sturm die wenigsten eigenen Offensiv-Aktionen UND lässt die meisten gegnerischen Torschüsse zu. Verglichen etwa mit Offenbacher (der eben auch diese Wertung anführt) und Piesinger (der mehr defensive Stabilität gibt als der Bosnier) ist Hadzic eher ein Risiko als ein Asset im Spiel von Sturm Graz.
Bewegt sich das mit der defensiven Stabilität noch in der Nähe der anderen ZM-Spieler von Sturm, ist vor allem die Offensiv-Schwäche von Hadzic alarmierend. Von einem umfunktionierten Innenverteidiger wie Kamavuaka muss man nicht erwarten, dass er als versierter Einfädler im Mittelfeld agiert – von einem Hadzic schon viel eher.
Das ist aber auch kein ganz neues Phänomen: Schon 2013/14 unter Darko Milanic (dazu unten mehr) war Hadzic nicht nur der deutlich harmlosere der beiden ZM – das ist mit der Rollenverteilung damals gut zu erklären. Allerdings überließ Hadzic auch in jenen Spielen, in denen er den gesperrten Michael Madl in der Innenverteidigung vertrat, die Bälle zumeist IV-Partner Nikola Vujadinovic. Und für einen DM, der in der IV spielt, ist das ein Armutszeugnis.
Das ignorierte Mittelfeld
Die offensive Schwäche von Hadzic mag auch erklären, warum bei Sturm im Aufbau das Mittelfeld-Zentrum so konsequent un-eingebunden bleibt wie bei keinem anderen Klub in der Bundesliga. Vergleichbar sind dir Werten von Sturm sind nur noch die Zentralen von Admira, Grödig, Ried und Altach – vier Teams allerdings, die vornehmlich auf Konterfußball setzen und auch deutlich weniger Ballbesitz haben als Sturm.
Zum Vergleich: Sturm hat im Saisonverlauf 52 Prozent Ballbesitz, das sind knapp 47 Minuten pro Spiel. Die Admira hat drei Minuten weniger, der WAC liegt bei 41:30 Minuten, Altach bei 40:45 Minuten, Grödig und Ried haben einen recht ähnlichen Wert (rund 41%) und haben also beide etwa 37 Minuten pro Spiel den Ball. Anders gesagt: Sturm lässt den Ball pro Spiel um bis zu zehn Minuten länger (!!!) in den eigenen Reihen zirkulieren, das zentrale Mittelfeld hat aber nur unwesentlich mehr Ballaktionen.
Diese Grafik verdeutlicht es: In keinem anderen Team der ganzen Liga ist das zentrale Mittelfeld (es sind jeweils die beiden mit der meisten Einsatzzeit angeführt) gemessen am Ballbesitz seltener involviert. Ersetzt man bei Sturm Kamavuaka und Hadzic durch Offenbacher und Piesinger, überholt man damit immerhin den WAC und Grödig – den Tabellenletzten und den Drittletzten.
Von einem das komplette Team quasi im Alleingang dirigierenden Sechser wie Mattersburgs Jano sind im Sturm-Kader sowieso alle Lichtjahre entfernt. Aber selbst eine reine Schaltstation im Umschaltspiel wie der Rieder Polverino ist häufiger am Ball.
Eine Anmerkung noch zu Sascha Horvath und Marko Stankovic: Es ist durchaus möglich, dass sie sich positiv auf das Spiel auswirken können, aber die Sample Size ist bei den beiden zu diesem Zeitpunkt zu gering, um seriöse Aussagen machen zu können.
Die harmlosen Außenverteidiger
Nun kann es ja durchaus ein taktisches Mittel sein, im Aufbau das Zentrum eher außen vor zu lassen (Ried ist dafür das Musterbeispiel). Bei Sturm hat entsprechend auf Linksverteidiger Klem die meisten Ballkontakte pro 90 Minuten (75) und Rechtsverteidiger Potzmann die zweitmeisten (68). Das heißt: Bei Sturm ist das Aufbauspiel ganz eindeutig über die Außenpositionen angelegt.
Tatsächlich haben nur die Außenverteidiger von Salzburg und Mattersburg mehr Ballkontakte als jene von Sturm. Gleichzeitig sind aber bei KEINEM anderen Team in der Liga die Außenverteidiger so wenig an Torschüssen beteiligt als bei den Grazern.
Am nächsten kommen den Sturm-AV in Sachen Harmlosigkeit nur ihre Kollegen aus Mattersburg – aber die haben dafür wenigstens einen Dreh- und Angelpunkt im Zentrum (Jano, siehe oben). Das heißt: Bei Mattersburg schaffen die AV durch ihren Ballbesitz Räume, die dann im Zentrum genützt werden sollen.
Sturm aber hat weder gefährliche Außenverteidiger noch ein gezielt in den Spielaufbau eingebundenes Zentrum. Darum wirkt das Spiel von Sturm auch so unkompakt und zerrissen – am plakativsten wurde diese Schwäche in der Europa-League-Qualifikation von Rubin Kazan (in der russischen Liga vier Punkte vor einem Abstiegsplatz, also wirklich kein übertrieben starker Gegner) angebohrt.
Fehlerhafte Zusammenstellung / Fehlerhafte Spielanlage
Möglich wäre grundsätzlich, dass die Spielanlage von Sturm den offensiven Qualitäten der Außenverteidiger nicht entgegen kommt oder bei ihnen einfach eine Phase der Formschwäche vorherrscht. Dagegen spricht aber ein Blick in die Vergangenheit der Stamm-AV der Grazer.
Christian Klem – der viel am Ball ist, viel quer spielt, und dessen Hereingaben und Pässe in der gegnerischen Hälfte nur selten einen Mitspieler finden – ist in dieser Saison, wie gesehen, an nur 4 Prozent der Torschüsse beteiligt. In der Saison 2013/14, als Darko Milanic einen deutlich passiveren Fußball mit schnellen Vertikalpässen im Umschaltspiel etablierte, war Klem an 7 Prozent der Torschüsse beteiligt. Besser als derzeit, aber im Liga-Schnitt immer noch unterdurchschnittlich.
Und Marvin Potzmann? Die mit Abstand beste und offensiv produktivste Mannschaft, in der der 22-Jährige jemals spielte, war Grödig in der Saison 2013/14 – mit Trainer Adi Hütter und seinem extrem aggressiven, aber sehr instabilen (wie es die Kollegen von abseits.at mehr oder weniger liebevoll nennen) Chaos-Pressing. Damals kam Potzmann (in 17 Einsätzen) auf einen AOP-Wert von 8 Prozent, nun bei Sturm sind es fünf Prozent. Ein Rückgang, der sicher auch mit der deutlich weniger aggressiven Spielanlage als damals bei Grödig zu begründen ist, aber auch hier gilt: Selbst acht Prozent sind für einen Rechtsverteidiger nicht besonders berühmt.
Das heißt: Wenn es der Plan von Foda ist, das Spiel über die Außen aufzuziehen – und die Daten legen diese Annahme nahe – dann sind Klem und Potzmann ganz einfach nicht die richtigen Spieler dafür. Das hätte man schon vor der Saison wissen können, als man sich Potzmann geholt hat. Natürlich: Defensiv ist der diesbezüglich grundsolide Potzmann ein Upgrade gegenüber seinem Vorgänger Martin Ehrenreich.
Und Charalambos Lykogiannis (der Sommer-Neuzugang war ja lange verletzt) ist im Aufbauspiel bislang ähnlich harmlos wie Klem: Der junge Grieche schießt zwar öfter als Klem und drischt wahllos 40-Meter-Bälle in die grobe Richtung von Kienast. Torschussvorlagen: Eine einzige in 367 Spielminuten.
Wenn Foda nicht komplett blind ist, muss er längst erkannt haben, dass weder Potzmann noch Klem (und allem Anschein nach auch Lykogiannis) Spieler sind, auf dessen Schultern sich der Spielaufbau tragen lässt. Dennoch passierte keinerlei vom Trainer erkennbar gesteuerte Adaptierung.
Der Vergleich mit Milanic
Der Fußball unter Fodas Vorgänger Darko Milanic war deutlich passiver als jener unter Foda. Sturm hatte 2013/14 (der einzigen kompletten Spielzeit unter dem Slowenen) nur 48 Prozent Ballbesitz (derzeit sind es 52), in der Herbstsaison waren es sogar noch deutlich weniger. Im Spiel nach vorne lag die Hauptlast auf den Mittelfeld-Außen (in der Regel Patrick Wolf rechts und Flo Kainz links). Im Zentrum hatte ganz klar Hadzic den defensiveren Part und Offenbacher den offensiveren.
Das Team funktionierte nach vorne recht ausgeglichen, spielte aber quälend langweilig, ohne Variationen und extrem berechenbar. Robert Beric, der später bei Rapid aufblühen sollte, wirkte vorne oft desinteressiert und geistig abwesend. Erst als in der Frühjahrs-Saison Marco Djurcin von seiner Verletzung genesen war, kam so etwas wie Schwung ins Team, für den Europacup reichte es aber recht deutlich nicht mehr.
Der Plan von Milanic funktionierte nicht, aber es war immerhin erkennbar, was er mit der Mannschaft wollte – und, was er mit der Mannschaft nicht wollte. Die Außenverteidiger waren nicht besonders offensivstark (ganz im Gegenteil), aber in Milanic‘ Spielanlage mussten sie das auch nicht sein. Foda hingegen umgeht das Zentrum und beauftragt die AV mit dem Aufbau, obwohl diese das nicht können und das auch über einen längeren Zeitraum gezeigt haben.
Sturm lässt keine Entwicklungs-Strategie erkennen
Der Deutsche ist seit fast anderthalb Jahren wieder zurück in Graz und viele Elemente des gescheiterten Milanic-Experiments sind verschwunden. Abgelöst wurden die biedere und hölzerne Ordnung unter dem Slowenen allerdings von einem veritablen spielerischen Chaos. Wohin Foda seine Mannschaft entwickeln will, ist hinten und vorne nicht erkennbar.
Foda ließ bis zu Avdijajs Verletzung im Oktober zu, dass dieser seine unproduktive One-Man-Show abzieht – ohne sichtbar etwas daran zu ändern. Er will das Spiel über die Außenbahnen aufbauen, holt sich aber einen Potzmann, der dafür nicht der Richtige ist. Und hält aber dennoch eisern an seiner einigermaßen offensichtlich nicht funktionierenden Strategie fest. Zumal das grundsätzliche Problem (also das Zentrum mit nicht adäquaten Spielern außen zu umgehen) bereits im Frühjahr bestand und nur die nicht vorhersehbare Gala-Form von Simon Piesinger vieles überdeckte.
So gibt auch das Transferprogramm unter Trainer Foda und Manager Goldbrich viele Rätsel auf. Im Sommer wurden einerseits Spieler für Positionen geholt, auf denen eigentlich gar kein Handlungsbedarf herrschte – so spielte Gruber ein sehr produktives Frühjahr, und dennoch wurde ihm Dobras vor die Nase gesetzt. Mit dem Effekt, dass Gruber (wenn er denn spielt) auch im Herbst produktiver war als Dobras. Andererseits gibt es drei sehr ähnliche Stürmertypen im Kader (Kienast, Tadic und Edomwonyi), aber keine Alternative wie einen flinken Strafraumtechniker – von Avdijaj abgesehen, der ja aber ohnehin aus dem Mittelfeld heraus spielt.
Planlos
Zusammengefasst: Trainer Foda lässt einen Fußball spielen, der zu den Spielertypen in seinem Kader nicht passt und hält stur an dieser Strategie fest. Manager Goldbrich holt scheinbar wahllos Spieler, die entweder nicht passen oder nicht gebraucht werden.
Kein Wunder, dass die Sturm-Fans schon selbst die Annoncen nach neuen Sportdirektoren aufgeben.
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