…y luego estaba España: Das war die Frauen-WM 2023

Klassiker: Starkes Team gilt stets als Geheimtipp, scheitert aber immer früh. Und in dem Moment, wo scheinbar wirklich alles gegen ein starkes Turnier spricht, zack: Weltmeister.

Spanien hat ein 0:4 gegen Japan in der Vorrunde überwunden. Hatte 12 teilweise sehr starke Spielerinnen nicht dabei, weil sie sich gegen den fachlich mittelmäßigen und menschlich offenkundig unterklassigen Trainer aufgelehnt haben. Nach dem verdienten 1:0-Finalsieg gegen England hat Spanien aber trotz allem jedes Versprechen im Erwachsenenbereich eingelöst, welches die Junioren-Jahrgänge seit Jahren abgegeben haben.

Und dann war da Spanien: Es ist die finale Pointe unter ein Turnier, das noch lange nachwirken und an das sich der Frauenfußball noch lange erinnern wird. Nicht nur auf der iberischen Halbinsel oder in Down Under.

Der neue Champion

Es gibt so viele Winkel, von denen man den spanischen Triumph betrachten kann. Der eine, der offensichtliche: Wie gut muss diese Truppe sein, das Potenzial in der spanischen Hinterhand, dass man trotz Jorge Vilda auf der Trainerbank das Turnier gewinnt? Das Verhältnis von Team zu Teamchef ist mit „frostig“ nur behelfsmäßig beschrieben. Die Bilder, wie Vilda nach dem Sieg im Viertelfinal-Krimi gegen Holland unbeholfen auf der (erfolglosen) Suche nach einer ist, die sich mit ihm freuen will, gingen um die Fußballwelt. Der Sieg im Finale wurde getrennt gefeiert: Die Spielerinnen hier, das Trainerteam separat.

Zwölf der 15 Spielerinnen, die das Team im letzten Herbst boykottieren, waren nicht dabei – zum Teil echte Kapazunder. Mapi Leon und Patrí Guijarro vor allem, ebenso vom FC Barcelona wie die meisten der anderen Boykotteure. Die Kapitänsschleife reichte Vilda während des Turniers herum wie einen Wanderpokal, im Finale war es Siegtorschützin Olga Carmona. ORF-Kommentator Erwin Hujecek machte sich das ganze Turnier hindurch einen besonderen Spaß daraus, auf Vilda hinzupecken: „Jede darf mal Kapitänin sein, aber niemand vom FC Barcelona!“

Bei der Siegerehrung durfte die eingewechselte Ivana Andrés den Cup von Gianni Infantino und Königin Letizia übernehmen. Vilda hatte Andrés nach dem 0:4-Debakel gegen Japan aussortiert und lieber auf Laia Codina gesetzt. Diese steht beim FC Barcelona unter Vertrag, kommt dort aber als vierte bis fünfte IV in der Rangordnung so selten zum Einsatz, dass sie den Klub verlassen will. Übrigens: Andrés spielt bei Real Madrid.

Der Konflikt wird bestehen bleiben

Dennoch: Ohne Barcelona, Champions-League-Sieger von 2021 und 2023, wäre dieser Triumph nicht möglich gewesen. Turnier-MVP Bonmatí und Caldentey kamen von der Streik-Fraktion zurück, Hermoso (kurz vor dem Streik nach Mexiko gewechselt) und Putellas (verletzt) gehörten damals nicht dazu, auch Paredes sowie Paralluelo, Coll und Codina – mehr als die Hälfte der Stammformation – sind beim FC Barcelona. Der spanische WM-Titel gehört mindestens ebenso viel den Barça-Architekten Lluís Cortés und Jonatan Giráldez wie Jorge Vilda, wahrscheinlich sogar mehr.

Spanien – England 1:0 (1:0)

Während der WM hatte das Team sichtlich so etwas wie einen Burgfrieden mit Vilda geschlossen, in seinem fatalistischen Eh-schon-wurscht-Gefühl bestärkt von einem elenden Team-Hotel im als Drecksloch verschrienen Palmerston North. Die nächsten Wochen und Monate werden mindestens so spannend wie das Endspiel: Der Verband wird sich in seiner bedingungslosen Rückendeckung für Vilda bestätigt fühlen; die Spielerinnen werden sich durch ihren sportlichen Erfolg in ihrer Position bestärkt fühlen. Das geschmacklose Verhalten von RFEF-Präsident Rubiales bei der Siegerehrung – der die Spielerinnen allzu innig umarmte, Hermoso sichtbar gegen ihren Willen auf den Mund küsste und auch Po-Klapse verteilte – wird das Gesprächsklima eher nicht verbessern.

Im Herbst geht es in der Nations League vor allem gegen Schweden darum, überhaupt eine Chance auf das Olympia-Ticket zu bewahren, aus Europa fahren neben Frankreich nur zwei (!) weitere Teams zu den Spielen. Es ist also nicht so, als wäre jetzt bis zur EM in zwei Jahren alles easy. Konfliktpotenzial gibt es vor allem im Falle eines Verpassens des Olympia-Tickets genug.

Große Resonanz

Dass all diese Themen so breit in der Öffentlichkeit auftauchen, liegt auch an der großen Resonanz, die diese WM generiert hat. Die zahlreichen Persönlichkeiten, auf der Frauenseite – eben weil so viel weniger Geld im Spiel ist – zumeist interessanter als bei den Männern, hatten ihre Bühne. Es menschelte einfach, es ging natürlicher zu, ungekünstelter.

Die grandios-natürlich erfrischende Zecira Musovic, auf der in Schweden sogar in Kinderbuch basiert, in dem es darum geht, als Einwandererkind seinen Platz in Gesellschaft und im Team finden. Michelle Alozie, studierte Molekularbiologin und Fußball-Profi, mit ihrer körperlichen Haltung während und geistigen Haltung nach dem Tritt von Lauren James. Natürlich Nouhaila Benzina, die Spielerin mit dem Hijab. Bunny Shaw, die von Marta quasi höchstpersönlich den Staffelstab der Vorkämpferin um Equal Play in die Hand gedrückt bekam. Linda Caicedo, wohl einer der ganz großen Stars der 2020er-Jahre. Sam Kerr, designierter Superstar der WM, die verletzungsbedingt erst im Halbfinale erstmals von Beginn an spielen konnte. Final-Siegtorschützin Olga Carmona, die nach dem Enspielt vom Tod ihres Vaters erfahren hat. Aitana Bonmatí, die so kindlich-frisch aussieht und doch so eine Waffe auf dem Platz ist.

Natürlich trugen auch großen und kleinen Geschichten, die sich über die letzten vier Wochen ergeben haben, dazu bei. Das frühe deutsche Aus sorgte für Häme, Linda Caicedos Zaubertor für Staunen. Das japanische 4:0 gegen Spanien, der südafrikanische Last-Minute-Aufstieg mit dem späten Tor gegen Italien, die Millimeter-Entscheidung beim frühesten Aus der US-Geschichte und dann, natürlich, der emotionale Höhepunkt des Turniers – das irre Elfmeterschießen im Viertelfinale zwischen Australien und Frankreich.

„Cue the party“, forderte der australische Optus-Kommentator Kevin Keatings, als Cortnee Vine den 21. Elfmeter – Kenza Dali hatte zweimal ran müssen und beide Male verschossen – verwandelte und Australien damit ins Halbfinale einzog. Damit wurde aus dem großen Support für die Matildas in Australien endgültig „Tillies Fever“. Ein Turnier, dass in Neuseeland gut und in Australien sehr gut angenommen wurde, hatte nunmehr seine Hometown Heroes gefunden. In der Rugby- und Cricket-Nation Australien ist Frauenfußball, zumindest für den Moment, zum Massenphänomen geworden.

In den zehn Stadien verfolgten im Schnitt 30.900 Menschen die 64 Spiele, das ist ein dramatisches Plus gegenüber den 21.700 von Frankreich 2019 und Platz drei in der ewigen Frauen-WM-Bestenliste (hinter USA 1999 und China 2007, wo bei den Double-Headern aber teilweise kräftig geschummelt wurde). In Australien lag die Auslastung der Stadien bei exorbitanten 94 Prozent, in Neuseeland immerhin bei 76 Prozent.

Und in Österreich? Die reinen Zuseherzahlen am ORF sind aufgrund der Anstoßzeiten natürlich in keinster Weise mit jenen bei der EM letztes Jahr vergleichbar, bei den Marktanteilen legte man aber sogar zu – bei den Spielen am Vormittag und Mittag lag dieser ziemlich konstant bei 13 Prozent (bei jenen in der Nacht bei 8 Prozent). Solche Werte hat der ORF voriges Jahr erst in der K.o.-Phase erreicht; es ist das vier- bis achtfache dessen, was sonst beim Kinderprogramm oder den US-Serien einschaltet. Äpfel und Birnen? Ja, natürlich. Wahrscheinlich aussagekräftiger: Der Marktanteil ist vergleichbar mit jenem der Europacup-Partien der Wiener Austria.

England, neuer Nabel der WoSo-Welt

Wenn man bei Spanien süffisant bemerken kann, dass selbst Barcelona-Reservisten gut genug sind, um Weltmeister zu werden, dürfte man bei England ähnliches feststellen. Kapitänin Williamson und EM-MVP Mead verletzt, Einser-Zehnerin Kirby ebenso, Stamm-Stürmerin White hat aufgehört und die überragende Spielerin der Vorrunde, Lauren James, nimmt sich mit einer impulsiven Dummheit im Achtelfinale aus dem Turnier. Und doch reicht es für England ein Jahr nach dem Triumph bei der Heim-EM wieder zu einem großen Finale.

England bei der EM 2022 (links) und der WM 2023 (rechts)

Dabei wurde, anders als bei der EM, gar nicht grandios gespielt und es gab – was es unter Wiegmann eigentlich nie gibt – einen Systemwechsel mitten in einem Turnier. Der Umstieg auf das 3-5-2 funktionierte gegen China und Australien sehr gut, dafür gegen Nigeria gar nicht und bot in der ersten Halbzeit des Finales auch mehr Nach- als Vorteile. Vieles erinnerte an Hollands Vorstoß ins Finale 2019: Glückliches Weiterkommen im Achtelfinale, kontrolliert und mit mentaler Widerstandsfähigkeit in Viertel- und Halbfinale und dann im Endspiel einfach nicht ganz so gut wie der Gegner.

Holland kam damals wie jetzt England als amtierender Europameister daher, Teamchefin damals war Sarina Wiegman. Anders als damals ist der Spielerinnen-Pool nun dank der massiven Investitionen der FA und der Klubs erheblich größer, die WSL ist in der Breite ziemlich sicher die stärkste Liga Europas und es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich das so schnell ändert.

Oder, um einen Vergleich zu Spanien zu ziehen: Wenn England 2019 schon mit einem Koffer wie Phil Neville ins Halbfinale kommt, na eh klar sind die dann mit vernünftigem Coaching ein Kandidat für EM-Titel und WM-Finals.

Die neue Generation ist da

Spaniens 2005er-Jahrgang hat vor zehn Monaten die U-17-WM gewonnen, somit haben sechs der letzten sieben Jahrgänge mindestens einen Junioren-Titel abgeräumt – seit 2015, also genau seitdem Vilda nicht mehr Junioren-, sondern A-Teamchef ist.

Spaniens Junioren-Teams seit dem Jahrgang 1991

Der einzige Jahrgang, der keine Trophäe mit nach Hause brachte, waren die 2000er, von denen nun allerdings Carmona, Abelleira, Oihane, Codina und Athenea Weltmeisterinnen bei den Großen sind. Mit Salma Paralluelo war auch eine von den U-20-Weltmeisterinnen von letztem Jahr prominent am großen WM-Titel beteiligt.

Im Jahr 2018 besiegte Japan im Finale der U-20-WM Spanien mit 3:1. Ein Name, der da im Line-up auffällt, ist Hinata Miyawaza – die international noch kaum bekannte Spielerin von Mynavi Sendai wurde nun in Neuseeland WM-Torschützenkönigin. Neben Miyazawa haben nun auch Minami und Takahashi hinten, Hayashi und Nagano im Mittelfeld, Endo auf der Außenbahn und Ueki in der Spitze teils wichtige Rollen bei dieser WM gespielt, Trainer war damals wie jetzt Futoshi Ikeda. In der japanischen Stammformation waren die Unter-24-Jährigen in der Überzahl.

Die Halbfinal-Spiele der U-20-WM vor fünf Jahren: Japan (2:0 gegen England) setzte sich im Finale gegen Spanien (1:0 gegen Frankreich) mit 3:1 durch.

Auch England (Russo, Hemp, Kelly und Stanway) und Frankreich (Bacha, Lakrar, De Almeida) haben nun einige dieser damals 20-Jährigen im Kader, Damaris Egurrola hat sich für die Heimat ihrer Mutter (Holland) entschieden. Das US-Team ist damals in der Vorrunde ausgeschieden (gegen Spanien und Japan).

Der gefallene Riese USA

Überhaupt, die USA. Im US-Kader dieser WM gab es noch zahlreiche Vertreter der großen Generation (Morgan, Rapinoe, Ertz, O’Hara, Naeher), alle längst teils weit Ü-30, und einige der jungen, kommenden Stars (Smith, Girma, Rodman, Thompson), aber sehr wenig dazwischen. Nach einem vielversprechenden Start in seine Ära gab es in den letzten zwei Jahren unter Trainer Vlatko Andonovski weder einen konsequenten Generationswechsel noch irgendeine Form von Spielidee, die über Physis und individuelle Stärke hinausginge.

Wenn Olympia mit Bronze schon als Debakel empfunden wurde, was ist dann erst das Achtelfinal-Aus bei der WM? Nur einen Sieg hat das USWNT eingefahren, gegen WoSo-Zwerg Vietnam. „Ein Verpassen des Titels wäre in den USA eine Enttäuschung, ein Halbfinal-Aus würde schon tendenziell als Blamage betrachtet und ein noch früheres Aus hätte wohl ein wildes Erdbeben zur Folge“, hieß es in unserer Turnier-Vorschau. Das personelle Beben ist längst da – Andonovski ist weg, Teammanagerin Kate Markgraf wird allem Anschein nach aus ihrer Entscheidungsgewalt rausstrukturiert. Aber die großen Fragen im US-Frauenfußball bleiben.

Das Achtelfinal-Aus schickt den US-Frauenfußball in eine ernüchterte Ursachenforschung.

Die US-Profiliga NWSL hat mit den zahlreichen Ermittlungen rund um das Fehlverhalten unterschiedlicher Heftigkeit von vielen Trainern mehr mit sich selbst als mit der sportlichen Entwicklung zu tun, zudem startet im Herbst 2024 mit der USL eine neue Liga, die in direkte Konkurrenz mit der NWSL treten will. Starke Nicht-Amerikanerinnen zieht es eher nach Europa zu den Champions-League-Klubs, weil sie das Trading-Transfersystem in den Staaten abschreckt. Supertalente kommen früh in die Liga, aber die Masse im Nachwuchs kann beim extrem breiten College-Soccer längst nicht mehr mit der entstandenen Dichte in der Nachwuchsarbeit von Europa und Japan mithalten – die US-Juniorinnenteams sind international kaum noch konkurrenzfähig. Mit der banalen Nachbesetzung des Trainerpostens alleine wird es jedenfalls nicht getan sein.

Kim McCauley von The Athletic, zuvor Leiterin der Scouting-Abteilung von NWSL-Klub Angel City, brachte es pointiert auf den Punkt: „Selbst die brutalste Sieger-Mentalität ändert nichts daran, dass sie nicht wissen, wie sie den Ball nach vorne bekommen sollen. Das USWNT spielte auch 2016 bei Olympia mit irrer Intensität, aber sie sind früh ausgeschieden, weil sie vorsintflutlich gespielt haben und die Gegnerinnen wussten, wie man ihr Spiel stoppt. Herz und Einsatz kann nicht alle inhaltlichen Defizite wettmachen. Irgendwann kommt der Punkt, an dem man einfach auch Fußball spielen können muss.“

Reden wir über das Coaching

Die große Generation aus Amerika, zusätzlich stark gemacht durch die NWSL – der ersten Frauen-Profiliga in den Staaten, die langfristig überlebt hat – ist in die Jahre gekommen und die USA wurden eingeholt von den dramatisch verbesserten Bedingungen in Europas Top-Klubs. Und doch wir müssen auch über das Coaching reden, und inwieweit es Defizite in anderen Bereichen ausgleichen kann.

Denn, ganz klar: Es ist immer selten gewesen, dass die wirklich guten Trainer in den Frauenfußball gehen bzw. dort bleiben. Die Chancen, die Aufmerksamkeit, das Geld – alles im Männerfußball daheim. So konnten bei den Frauen schwache Trainer und Trainerinnen lange überleben, weil ihre Schwäche angesichts des großen Leistungsgefälles nicht so recht auffiel und weil viele Entscheider in den Verbänden kaum Ahnung vom Fußball bzw. kaum Interesse am Frauenfußball haben.

Silvia Neid ist beim DFB so gesehen erstaunlich lange durchgekommen, letztlich auch, weil die Ergebnisse stimmten, wenn schon nicht die Spielweise. Pia Sundhage hantelt sich bis heute von einem guten Job zum nächsten, weil sie einen bekannten Namen hat. Jill Ellis, schwach in der Menschenführung und bieder in ihrer Fußball-Idee, wurde von ihrem Assistenten Tony Gustavsson zu zwei WM-Titeln geschoben – jeder Gustavsson, der bei Olympia 2021 und nun bei der WM 2023 das australische Team ins Halbfinale gebracht hat.

Das DFB-Team sah ein Jahr nach der stark gecoachten EM, wo man sich von der reinen Qualität her schon sehr nach der Decke hat strecken müssen, erschütternd eindimensional und unbeweglich aus – der DFB stellte hastig klar, dass Martina Voss-Tecklenburg bleibt, um nur ja jede öffentliche Diskussion über inhaltliche Fehler sofort zu ersticken und reagiert auch, ganz klischeehaft deutsche Wagenburg-Mentalität, sehr verschnupft auf Input von Außen. Inka Grings, ebenfalls Deutsche, zeigte mit der Schweiz nie mehr Ambition, als das absolute Minimum nicht zu unterschreiten, was auch ohne jeden Ansatz eines Bemühens nach mehr geschafft wurde.

Norwegens Teamchefin Hege Riise hat die Wünsche ihrer grandios talentierten Offensivabteilung, doch bitte etwas Ordnung ins Angriffsspiel zu dirigieren, brüsk zurückgewiesen: Dafür wären doch bitte die Spielerinnen selbst zuständig. In Italien haben sie die völlige Unfähigkeit von Milena Bertolini, ein auch nur in Teilen funktionierendes Team zu formen, nun doch erkannt, ihre Vertrag wird nach zwei debakulös verhackten Turnieren nicht mehr verlängert.

Ja, es tut sich was.

Keine Joker mehr

Mit der Erweiterung von 24 auf 32 Teams, wie sie nun bei dieser WM vollzogen wurde, fällt der Joker weg, als Gruppendritter ja eh noch ins Achtelfinale zu kommen. Man musste sich als Team aus dem erweiterten Favoritenkreis in den letzten Turnieren schon extra bescheuert anstellen, um wirklich bereits vor der K.o.-Runde rauszufallen. Nun, im Jahr 2023, haben das Rekord-Europameister Deutschland, der amtierende Olympiasieger Kanada und das durchaus talentiert besetzte brasilianische Team tatsächlich geschafft.

Brasilien ist 2019 unter Vadão als Gruppendritter weitergekommen, dann an Frankreich gescheitert. Schweden ist 2015 unter Sundhage als Gruppendritter weitergekommen, dann an Deutschland gescheitert. Das lässt sich wegmoderieren. Bei einem Vorrunden-Aus als Gruppendritter, wie es Sundhage jetzt mit Brasilien gegen Jamaika passiert ist, ist das schwieriger. Allem Anschein nach wird sie wohl dennoch zumindest bis Olympia bleiben dürfen.

Aber Peter Gerhardsson, seit sechs Jahren Förbundskapten Schwedens, hat aus dem von Sundhage in alle Einzelteile zerfledderten Haufen eine perfekt aufeinander abgestimmte, sehr gut zu coachende Truppe gemacht. Schweden hat sich zudem damit abgefunden, dass die eigene Liga den Geld-Influx in anderen Ländern nicht mitmachen konnte und von der Spitzen- zur Ausbildungsliga geworden ist.

Andries Jonker hat es da schwerer. Er hat die USA beim 1:1 in der Gruppe inhaltlich völlig ausmanövriert, aber im Viertelfinale gegen Spanien wurde deutlich: Wenn Hollands Bondscoach, langjähriger Co von Louis van Gaal, eine neue Spielerin reinbringt, muss er gleichzeitig an Formation oder System schrauben, um den Qualitätsverlust zu minimieren. Vilda konnte einfach Parallulelo, Carmona und Putellas einwechseln, die die Qualität hochhielten und sich nahtlos in das vorhandene Konstrukt einfügten. Das ist dann halt der Unterschied von einer guten zu einer sehr guten Mannschaft.

Auch Francisco Neto (Portugal), Desiree Ellis (Südafrika) und Raynald Pedros (Marokko) holen mit exzellentem Coaching wesentlich mehr aus ihren Truppen heraus, als eigentlich drin steckt. Randy Waldrum, US-Amerikaner in nigerianischen Diensten, ist zweifellos ebenso ein fähiger Coach, seine große Leistung war aber eher menschlicher Natur – nämlich, es geschafft zu haben, dass sich Nigeria trotz aller internen Widerstände souverän für das Achtelfinale qualifiziert hat. Gleiches gilt für Lorne Donaldson: Er hatte 2020 aus Frust über Jamaikas Verband hingeschmissen, ehe er 2022 auf ausdrücklichen Wunsch der Spielerinnen zurück kam.

Und dass Futoshi Ikedas Nadeshiko das am präzisesten trainierte Team des Turnier war, darüber sind sich ohnehin praktisch alle Beobachter einig. Auch, wenn Japan 2023 noch nicht ganz so weit war, sich im Viertelfinale von Schweden abkochen ließ: Nach den wechselhaften Jahren unter Asako Takakura hat Japan nun wieder die seriöse Hoffnung, an die alten Erfolge unter Norio Sasaki (Weltmeister 2011, Olympia-Silber 2012, WM-Finale 2015) anzuschließen.

Die große Frage nach dem „Und jetzt?“

Ein Turnier, vor allem ein so großes wie diese WM, baut jedes Mal eine ganz individuelle Dramaturgie auf, ein Team reitet auf einer Welle weiter als erwartet, ein anderes fliegt blöd früh raus, ohne viel dafür zu können. Die Kunst ist immer, das Gefühlte vom Gewesenen zu trennen – und die philosophische Frage ist, ob das überhaupt immer zielführend ist.

Australien etwa ist ein sehr gutes Beispiel. Nüchtern betrachtet haben die Co-Gastgeber zwei gute Spiele gemacht – eines beim 4:0 im Gruppenfinale gegen Kanada, eines im Viertelfinale gegen Frankreich. Das erste wäre nicht nötig gewesen, hätte man nicht vorher gegen Nigeria verloren, das andere hat man im Shoot-Out gewonnen, weil einer Französin mehr die Nerven versagt haben. Einerseits. Andererseits haben die Matildas mit genau diesen beiden Spielen für einen extremen Hype im eigenen Land gesorgt, der Australiens Frauenfußball nachhaltig helfen kann. Dann müsste man aber auch ein mögliches frühes Olympia-Aus (oder gar Fehlen dort) einordnen können, so es so weit käme.

Aber die Frage nach dem „Und jetzt?“ stellt sich nicht nur in Australien, wenn die ganz große Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wieder verzogen ist, wenn die Klub-Saison wieder startet, wenn man wieder mit der vollen Wucht des Männer-Kicks konkurrieren muss. In Europa wird das Werk schon weitergehen, jetzt wo der Sport an der Schwelle dazu steht, ein Geschäft zu werden. Es steht die neue Nations League an, die Umstrukturierung der Women’s Champions League vor zwei Jahren hat den europäischen Frauenfußball gerade nach der schwierigen Corona-Zeit geradezu transformiert.

Aber was ist in Afrika? Drei Teams haben die K.o.-Runde erreicht, so einen starke Performance gab es noch nie. Wenn das Scheinwerferlicht weg ist, feiern die unhaltbaren Zustände in den Verbänden wieder fröhliche Urständ‘, ist zu befürchten. Was wird aus den Ermittlungen gegen Sambias Teamchef Bruce Mwape, der sich, so die Vorwürfe, nach Lust und Laune durch den Kader schläft? Was aus den Prämien in Südafrika und Nigeria, welche die Verbände schon aus Prinzip nicht auszahlen? Im Herbst steht die Olympia-Qualifikation an und jene für den Afrikacup im nächsten Jahr, der wie 2022 in Marokko stattfindet. Der einzige Verband in Afrika, der es mit dem Frauenfußball ernst meint, war auch der einzige, der das Turnier haben wollte.

Was wird aus dem Überraschungs-Viertelfinalisten Kolumbien? Auch so ein Verband, der zu den üblichen Verdächtigen gehört. Was passiert in Jamaika, in Argentinien, in Panama, in Haiti? Kann sich das mexikanische Team ein weiteres Total-Debakel wie bei der letzten WM-Quali erlauben, ohne dass die Investitionen in die Liga doch wieder einschlafen? In Chile, wo man bei WM 2019 und Olympia 2021 eine achtbare Figur abgegeben hat, sich nun aber nicht qualifiziert hat?

When The Lights Go Out

„Es ist so viel dunkler, wenn ein Licht ausgeht, als es gewesen wäre, wenn es nie geschienen hätte“, schrieb John Steinbeck in seinem letzten Roman, „Der Winter unseres Missvergnügens“ – eine Geschichte über einen unehrenhaften sozialen Aufstieg, angetrieben von der Überzeugung, dass der Schein zählt, nicht das Sein dahinter.

Viele der Verbände, deren Teams jetzt bei der WM in Australien und Neuseeland gut abgeschnitten haben, sonnen sich jetzt im Erfolg der Spielerinnen – weil diese auf dieser größten Bühne, die sie jemals hatten, gegen alle Widerstände über sich hinausgewachsen sind. Und ja, da gehört auch der frischgebackene Weltmeister Spanien dazu – die von Nigeria, Kolumbien und Co. sowieso. Die Gefahr besteht, dass ohne das Scheinwerferlicht der Aufprall auf dem harten Boden der Realität – auf den verdörrten Stadion-„Wiesen“ von Tsakane, den Flughafen-Wartehallen im brasilianischen Dschungel, dem zu den Männern abgezogenen Preisgeld, den Trainerkabinen von Harare – umso härter wird.

Die Erfahrung macht einen zum ernüchterten Realisten: Dem scheinenden Wintermärchen in Australien und Neuseeland – und der Hoffnung, dass bei den Emporkömmlingen aus den Rand-Regionen der Frauenfußball-Welt nun ein Funke entzündet wurde, der dem Sport vor Ort nachhaltigen Auftrieb gibt oder dass dieser dort womöglich sogar ernst genommen werden könnte – wird schnell dem Missvergnügen des Seins weichen. Ethan Allen Hawley, Hauptfigur in Steinbecks Roman, verfällt irgendwann in Gewissensbisse und Selbsthass. Solch literarische Katharsis auch von korrupten, chauvinistischen und selbstverliebten Fußballfunktionären zu erwarten, wäre wohl doch etwas naiv.

Vor allem, weil sich mit dem Frauenfußball, zumindest auf diesem Niveau, ja jetzt auch Geld verdienen lässt. Die Zeiten, in denen die FIFA die Frauen-WM mit den Einnahmen des Herren-Turnieres querfinanzieren musste, sind vorbei. 570 Millionen Dollar habe man mit der Veranstaltung in Australien und Neuseeland eingenommen, wurde vermeldet, das übersteigt die veranschlagten Organisationskosten um etwa 170 Millionen Dollar.

Das nächste Kapitel in Paris

Im Jahr nach der großen WM kommt traditionell die Mini-WM, das Revanche-Turnier, die Olympischen Spiele. Weil hier bei den Frauen die vollen Nationalteams teilnehmen dürfen – und nicht nur, wie bei den Männern, frisierte Junioren-Teams – hat Olympia bei den Frauen einen enorm hohen Stellenwert. Und weil es neben dem jeweiligen Gastgeber nur 11 weitere Tickets gibt, ist schon der Weg dorthin ein veritables Hauen und Stechen, das in diesem Herbst so richtig losgeht.

Als letzter Kontinent hat sich nun auch Europa von der Olympiaticket-Vergabe via WM verabschiedet (endlich!), die beiden Nations-League-Finalisten (bzw. der NL-Dritte, sollte Gastgeber Frankreich im Finale stehen) vertreten Europa in Paris. Im Herbst spielen etwa Spanien und Schweden in einer Gruppe um einen Platz im Final-Four, in einer anderen matchen sich England (das als Team GB mitmachen dürfte) und Holland, Deutschland bekommt es mit Dänemark und Island zu tun.

In Asien sind noch 12 Teams im Rennen um die beiden Plätze – nach der Papierform sind Australien und Japan die Top-Kandidaten, aber die Chancen sind 50:50, dass sich die beiden im selben Playoff-Ast treffen. In Afrika geht es nun in den beiden Playoff-Turnierbäumen in die Viertelfinals, die wahrscheinlichen Finalpaarungen lauten Nigeria gegen Südafrika sowie Marokko gegen Sambia.

In Ozeanien wird sich selbstverständlich Neuseeland durchsetzen und auf die positive Heim-WM aufbauen wollen. Und in den beiden amerikanischen Konföderationen zählte schon die WM-Quali auch als Olympia-Quali: Die Conmebol-Finalisten Brasilien und Kolumbien fahren also nach Paris, ebenso wie Concacaf-Champion USA. Kanada und Jamaika, Finalist und Dritter des Quali-Turnieres, müssen noch einmal gegeneinander antreten.

Ach ja, und die nächste WM im Jahr 2027, wo geht’s da hin? Zum letzten Mal wird eine Frauen-WM erst drei Jahre vor dem Turnier selbst vergeben, im Mai nächsten Jahres erst. Vier Kandidaten sind noch im Rennen: Der „BeNeDe“-Bid, die gemeinsame Bewerbung von Belgien, den Niederlanden und Deutschland. Das ebenfalls gemeinsame Projekt von USA und Mexiko. Dazu hat auch Brasilien seinen Hut in den Ring geworden, Südafrika ebenso.

In Südamerika und in Afrika war die Frauen-WM übrigens noch nie.

Link-Tipps:

Das war die EM 2022 in England

Das war Olympia 2021 in Tokio

Das war die WM 2019 in Frankreich

Das war die EM 2017 in Holland

Das war Olympia 2016 in Rio

Das war die WM 2015 in Kanada

Das war die EM 2013 in Schweden

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.