Österreich wird WM-Dritter! Was heute bestenfalls nach PlayStation klingt, war 1954 Realität. Das Turnier in der Schweiz war der Schlusspunkt jener Ära, in der Österreichs Fußball zur erweiterten Weltspitze gehörte. Es manifestierte auch den Kampf zwischen konservativen Bewahrern und progressiven Vordenkern im heimischen Fußball.
Und das 1:6 im Halbfinale gegen die BRD markierte den Tag, an dem Deutschland endgültig – und für seither immer – an Österreich vorbei zog.
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Bewahrer gegen Progressive. Der romantische Blick auf die eigene glorreiche Vergangenheit gegen den offenen Blick über den Tellerrand der eigenen Grenzen. Neue Kräfteverhältnisse gegen althergebrachtes Überlegenheitsgefühl. Die WM 1954 bedeutete für Österreich Höhe- und Endpunkt der Stärkephase nach dem Krieg.
Einen Podcast zum Thema haben wir auch:
Aufbau und Spitzenklasse
Ab 1945 bildete sich in Österreich (oder eher: in Wien) eine junge Truppe mit Spielern, die zu Kriegsende zwischen 18 und 23 Jahre alt sind – die Körner-Brüder und Stopper Happel von Rapid, der hoch veranlagte Mittelläufer Ocwirk vom FAC (1947 zur Austria), der kraftvolle Offensiv-Allrounder Wagner von Wacker, der bullige Dribbler Stojaspal von der Austria, Rechtsverbinder Decker von der Vienna.
Einige Jahre zahlten sie Lehrgeld, ab 1949 war das Team aber gereift. Auf die WM 1950 in Brasilien verzichtete der ÖFB dennoch. Die Reise wurde als zu teuer für den erwarteten Misserfolg betrachtet. Die Angst vor einer WM-Blamage wirkt angesichts der Glanzauftritte von 1950 und 1951 aber skurril: Siege gegen Italien (1:0), Ungarn (5:3), Jugoslawien (7:2) und Schottland (1:0 in Glasgow und 4:0 in Wien), dazu Auswärts-2:2 in Paris und im Wembley.
Österreich gehörte 1950 und 1951 ohne Zweifel zur absoluten europäischen Spitze. Danach wirkte es aber so, als wäre der Zenit überschritten: Es gibt es Niederlagen gegen Frankreich (1:2), Jugoslawien (2:4) und England (2:3) sowie müde 1:1 in der Schweiz und in Portugal – das Rücktritts-Angebot von Teamchef Nausch Ende 1952 wurde vom ÖFB aber abgelehnt.
System und Stil von vor dem Krieg
ÖFB-Präsident Hans Walch dürfte aber relativ schnell gedämmert haben, dass das womöglich die falsche Entscheidung war. „Es war ja nicht nur Nauschs angeschlagene Gesundheit, warum ihm Frühwirth, Pesser und Molzer als Trainer zur Seite gestellt worden sind“, so Fußball-Historiker Clemens Zavarsky, „sondern weil Nausch ein Verfechter der Wiener Schule war und diese als veraltet galt.“
Denn Wahrheit war auch: Als einziges Nationalteam hielt Österreich eisern am 2-3-5 fest, anstatt das WM-System (3-2-5) zu installieren. Dieses war 1925 von Arsenal-Trainer Herbert Chapman erfunden worden, Sepp Herberger hatte es beim DFB auch schon vor dem Krieg eingeführt. Der Vorteil des 3-2-5 war, dass man die gegnerischen Flügel bewachen konnte, ohne dafür einen Läufer abzustellen (dieser konnte den gegnerischen Verbinder decken) und durch Verschieben des ballfernen Verteidigers ins Zentrum Überzahl dennoch gegen den Mittelstürmer zu haben.
Bis Anfang der 1950er hatten alle Länder das klassische 2-3-5 beerdigt. Nur Walter Nausch, der als linker Läufer Stammspieler im Wunderteam 1931-33 war, war überzeugt: Die „Wiener Schule“, das kombinationssichere, auf Ballbesitz basierende offensive „Scheiberlspiel“, wäre nur in einem 2-3-5 möglich.
Das Manndeckungsspiel im WM-System erachtete Nausch als Antithese des Donau-Fußballs, des schönen Spiels aus Wien und Budapest, das vor dem Krieg Weltruhm erlangt hatte. Das Opfern des Mittelläufers zugunsten eines dritten Verteidigers war für Nausch ein Sakrileg – zumal er mit Ernst Ocwirk den weltbesten Mittelläufer seiner Zeit hatte. Ocwirk war ein Fußball-Weltstar, wegen seiner großen Klasse und weil er seine Position revolutionierte: Kein Pracker englischer Schule, sondern ein Feingeist mit unübertroffener Spielübersicht und -intelligenz. Seine 50-Meter-Pässe, die zentimetergenau ankamen, waren berühmt und bei den Gegnern auch berüchtigt. Günter Netzer sollte 20 Jahre später praktisch genauso spielen.
Ocwirk hatte Nausch und Austria-Trainer Wudi Müller allerdings schon 1952 gewarnt: Weil andere Länder längst umgestellt hatten, hatte er im Zentrum oft mit Unterzahlsituationen zu kämpfen. „Alleine schaff‘ i das Zentrum nimmer!“ Nausch wischte die Bedenken beiseite und kassierte Rückschlag um Rückschlag.
In der Staatsliga waren einige Trainer längst weiter. Hans Pesser – der im Training oft mit Megaphon auf einem Podest stand, um seine Spielern die richtigen Positionen und Laufwege zu vermitteln – hat bei Rapid 1949 von einer Südamerika-Tournee das „brasilianische System“ mitgenommen, in dem sich die Außenläufer voll auf die gegnerischen Flügel konzentrieren und der linke Verbinder zurück rückt, um mit dem Mittelläufer die gegnerischen Verbinder zu decken – zudem gibt es einen freien Mann ganz hinten, die Vorform des Libero, bei Rapid gespielt von Happel. Mit diesem System wurde Rapid 1949/50 Meister.
Der erste, der in Österreich auf ein klassisches WM umstellte, war Edi Frühwirth bei Wacker im Herbst 1952. Wacker stellte so in der Saison 1952/53 die mit Abstand beste Abwehr, erzielte vorne 101 Tore in den 26 Spielen und zog im Titelrennen nur ganz knapp gegen die Austria den Kürzeren. Dass man ein 3-2-5 nicht offensiv spielen könne, war damit auch in Österreich widerlegt.
Nausch vs. Fortschritt
„Frühwirth war ein moderner Trainer und dass er bei Wacker das WM-System vorexerziert hat, hat Nausch schon nicht gepasst“, erklärt Zavarsky. Nausch betrachtete Wacker als Dammbruch, der das 2-3-5 auch in Österreich verdrängen würde.
Nach der starken Saison von Wacker entfernte Nausch 1953 Frühwirth sogar aus dem ÖFB-Trainerstab und behielt stur das 2-3-5 bei, unterstützt auch vom Eindruck des 9:2-Erfolgs von Meister Austria im Herbst 1953 gegen den deutschen Titelträger Kaiserslautern, der den Kern des DFB-Teams stellte. Ocwirk war der überragende Mann als kreativer Mittelläufer, als Spielgestalter aus der Tiefe.
Eine Galavorstellung von Erich Probst mit fünf Toren beim 9:1-Heimsieg im WM-Qualiduell gegen Portugal war ein zusätzlicher Befreiungsschlag für Nausch, ehe man sich in Lissabon beim Rückspiel zu einem 0:0 quälte, mit dem man sich ein Entscheidungsspiel ersparte. Die Tordifferenz wurde damals nicht herangezogen.
Frühwirth ersetzt erkrankten Nausch
Im Februar 1954 erkrankte Walter Nausch. Woran, daraus machten zeitgenössische Medien und auch alle Beteiligten seither ein großes Geheimnis. Jedenfalls kam Edi Frühwirth in den Trainerstab zurück, gemeinsam mit Pesser – der mittlerweile von Rapid zum Sportclub gewechselt war – und ÖFB-Trainer Josef Molzer leitete er die Vorbereitung zur WM. Nausch stieß erst im Laufe des Turniers zur Delegation, überließ die tägliche Arbeit aber offenbar weiterhin Frühwirth.
Erste Amtshandlung Frühwirths: Umstellung auf das WM-System. Happel spielte Stopper, Hanappi rückte aus der Läuferreihe nach hinten, bald wurde auch der zweite gelernte Verteidiger (Stotz) durch einen gelernten Läufer (Barschandt) ersetzt. Man war den Ungarn bei einem knappen 0:1 in Wien annähernd ebenbürtig, stand beim 2:0 gegen Wales defensiv bombensicher und schoss sich nach dem Trainingslager in Obertraun mit einem 5:0 gegen Norwegen für die WM warm.
Dort startete man mit einem 1:0-Zittersieg gegen Schottland, ehe man locker 5:0 über die Tschechoslowakei hinweg fegte. Österreich hatte viermal hintereinander zu Null gespielt (damals, als selbst Meister im Schnitt 1,5 bis 1,8 Tore pro Spiel kassierten, praktisch außerirdisch) und war wegen des eigenwilligen Turniermodus ohne ein drittes Spiel ins Viertelfinale eingezogen. Der Gegner dort war nicht Italien, sondern die Schweiz. Der Turnier-Gastgeber hatte die Azzurri eliminiert.
Das Verhältnis zu Deutschland
Der einzige echte Misserfolg in den Jahren 1950/51 war die 0:2-Heimniederlage gegen das erst ein Jahr zuvor reaktivierte deutsche Nationalteam. Das DFB-Team hatte man schon vor dem Krieg zumeist im Griff gehabt (fünf Siege, zwei Niederlagen), und weil Spieler aus der Sowjetzone naturgemäß nicht mehr zur Verfügung standen, betrachtete man die deutsche Mannschaft in Österreich als deutlich schwächer als man selbst.
Auch die zentralisierte Liga erachtete man beim ÖFB als Vorteil. Zwar wurde 1949 die Staatsliga mit Beteiligung von Bundesländer-Klubs geschaffen, im Grunde waren diese aber kaum mehr als Mitläufer. Der GAK war 1954 das erste Bundesländer-Team, das eine Saison überhaupt in den Top-4 abschloss. In Deutschland wurden fünf regionale Ligen ausgetragen, aus deren Siegern dann der Meister ermittelt wurde. Also: Viele Klubs, aber auch ein gewaltiges Leistungsgefälle. Die Bundesliga wurde erst 1963 eingeführt.
Beim der österreichischen 0:2-Niederlage in Wien im Herbst 1951 stellte Herberger seinen nominellen Stürmer Max Morlock ab, um Ocwirk kaltzustellen und es war die einzige Niederlage in einer sonst sehr starken Phase. Bei 0:0 in Köln im Frühjahr 1953 hatte Österreich ein deutliches Chancenplus und fühlte sich als Punktsieger.
Dann kam auch noch das 9:2 der Austria gegen Kaiserslautern im Herbst 1953. Aus der Sicht der Zeit gesehen war es also keineswegs ungewöhnlich oder gar jenseitig, dass sich Fußball-Österreich dem deutschen Nachbarn sportlich überlegen fühlte. „Gott sei Dank, nur die Deutschen“, wurde im ÖFB-Lager nach der Halbfinal-Auslosung (ja, Auslosung) gejubelt. Die anderen beiden möglichen Gegner waren schließlich Titelverteidiger Uruguay und die als unschlagbar geltenden Ungarn.
Einschub: Hitzeschlacht in Lausanne
Das Halbfinale gegen Deutschland ist nicht zu verstehen, ohne auf das Viertelfinale gegen die Schweiz vier Tage zuvor zu blicken. Wie heiß es an diesem Juli-Tag um 17 Uhr im Stade de la Pontaise war? Nun, Radioreporter Heribert Meisel musste zur Halbzeit w.o. geben und das Mikrofon seinem Assistenten Edi Finger überlassen.
Torhüter Kurt Schmied von der Vienna, der in Bombenform war, hatte sich innerhalb kürzester Zeit einen Sonnenstich eingefangen und torkelte nur noch wie ein Zombie durch den Strafraum. Das 0:3 (Hügi aus 5m) hat Happel verbrochen, aber sowohl beim 0:1 (Weitschuss von Ballaman) als auch beim 0:2 (Roller von Hügi) sah Schmied seltsam abwesend aus. Später, beim vierten Schweizer Tor, irrlichterte Schmied verloren im Strafraum umher und wurde von Ballaman überhoben, beim fünften rutschte ihm der Ball durch die Hosenträger.
Ein fitter Schmied hätte ein Tor kassiert, maximal zwei. Nicht fünf.
Das Glück der Österreicher: Roger Bocquet, Libero in Rappans Riegel-System, ging es (allerdings in Folge eines Tumors, wie später festgestellt werden sollte) kaum besser als Schmid. Mit diesem kaum mehr als körperlich anwesenden Puzzlestein brach die Defensiv- und Kontertaktik in sich zusammen, Rappan tauschte ihn auch nicht – wie sonst üblich – mit einem Flügelspieler, um einen fitten Mann hinten zu haben.
So hatte Österreich hatte viel Raum zu gezielten Weitschüssen und, wenn es schnell ging, auch im Strafraum. Mit drei Toren zwischen den Minuten 25 und 27 glich Österreich auf 3:3 aus, kurz danach gelang ein erneuter Doppelschlag zum 5:3. Hügis Heber stellte vor der Pause auf 5:4, ehe Alfred Körner einen Elfmeter verschoss. Nach der Pause erzielte Wagner das 6:4 und Hügi das 6:5, das 7:5 von Erich Probst eine Viertelstunde vor Schluss war die endgültige Entscheidung.
Das Halbfinale war erreicht, aber zu welchem Preis?
Deutschland unter Sepp Herberger
Im deutschen Spiel drehte sich alles um Fritz Walter. Der Routinier von Kaiserslautern – Meister 1951 und 1953 sowie Finalist 1954 – war, was Ocwirk bei Österreich war, nur eben eine Etage weiter vorne. Während sich Rechtsverbinder Morlock oft in die Spitze orientierte und ein sehr vertikaler Spieler war, agierte Walter dahinter als das, was man später als „Klassische Nr. 10“ bezeichnet hat.
Die Verteidiger und die Läufer hatten nur die Aufgabe, den Gegner zu stoppen, Bälle zu erobern und diese dann auf möglichst direktem Weg bei Fritz Walter abzuliefern, damit dieser seine vier Angriffspartner einsetzen kann. Das waren eben Halbstürmer Max Morlock, der als launische Diva verschriene Helmut Rahn, der zuverlässige und zielstrebige Hans Schäfer sowie Fritz Walters jüngerer Bruder Ottmar. Diese mussten nicht stur ihre Positionen halten, sondern hatten durchaus Freiheiten.
Herberger arbeitete jahrelang zielstrebig auf diese WM hin und orientierte sich dabei nicht an Formkurven. Dass Kaiserslautern das Meisterschaftsfinale wenige Wochen vor dem Turnier gegen Hannover 1:5 verlor, interessierte ihn nicht. Es fuhren fünf Lauterer mit (und alle waren Teil der Wunsch-Elf) und nur ein einziger WM-Stammspieler kam im Jahr vor der Endrunde neu in den Kader, nämlich der Fürther Karl Mai.
Das DFB-Team gewann in der Vorrunde 4:1 gegen die Türkei und schenkte gegen die Ungarn ab, beim 3:8 gegen den haushohen Turnierfavoriten spielten die Reservisten. Im Entscheidungsspiel um den Viertelfinal-Einzug wurde wiederum die Türkei 7:2 besiegt und im Viertelfinale lieferte man Jugoslawien nach der frühen Führung eine Abwehrschlacht, kurz vor Schluss erzielte Rahn das 2:0.
Der Halbfinalgegner Österreich war Herberger gar nicht recht: Gegen Ungarn und Uruguay wäre sein Team krasser Außenseiter gewesen und ein Ausscheiden hätte niemand übel genommen. Gegen Österreich aber würde die Öffentlichkeit einen Sieg erwarten und gerade vor der sicheren ÖFB-Abwehr hatte Herberger Respekt. Das 7:5 ließ er als Freak Result hier nicht gelten, das waren besondere Umstände.
Österreich vor dem Halbfinale
Kurt Schmied konnte vier Tage nach seinem Sonnenstich, so ließen die Teamärzte wissen, im Halbfinale gegen Deutschland unmöglich spielen. Weil Frühwirth Franz Pelikan – den er von Wacker gut kannte – die nervliche Belastung eines WM-Halbfinales nicht zutraute, sollte Walter Zeman den Startplatz bekommen. Im Nachhinein betrachtet wohl eine Fehleinschätzung: Beim Rapid-Goalie war in der Turniervorbereitung eine alte Meniskus-Verletzung wieder akut geworden, zudem litt der damals 27-Jährige unter der für seine Bedürfnisse kurzen Leine innerhalb der WM-Delegation. Zemans Neigung zum Alkohol war zumindest Ernst Happel bekannt; Frühwirth jedoch offenkundig nicht.
Es war nicht der einzige Fehler des Trainerteams. Walter Schleger, Veterinärmediziner und nach seiner Fußballerkarriere Universitäts-Dozent, redete sich im Einzelgespräch mit Frühwirth statt des an sich gesetzten Leopold Barschandt in die Startformation. „Die Abwehr darf ihre Späße von Lausanne nicht wiederholen, sonst gibt’s ein Malheur“, wird Frühwirth in der AZ zitiert, und Martin Maier schreibt:
„Die Stimmung der Österreicher ist ausgezeichnet. Sie rechnen mit einem Sieg. Härte, Kondition und genaues Decken wird, so argumentieren sie, die Stärke der Deutschen sein. Der Härte werden sie ausweichen. Was die Kondition betrifft, werden die Österreicher den Ball laufen lassen: Seine Kondition wird besser sein als die aller Deutschen zusammen und die Luft wird ihm bestimmt nicht ausgehen. Das genaue Decken der Deutschen werden sie durch geschicktes Stellungsspiel verhindern.“
That didn’t age well.
Deutsches Heimspiel, Körner angeschlagen
Das Spiel fand in Basel statt, gleich an der deutschen Grenze, und die Schweizer Behörden kapitulierten vor der deutschen Invasion: 30.000 Bundesbürger stellten sich an der Grenze an und wurden nur noch durchgewunken – ohne Passkontrolle. Anders als am Samstag in Lausanne war das Wetter an diesem Mittwoch in Basel grau und regnerisch.
Zu Beginn war kaum ein Unterschied in der Leistungskraft zu erkennen. Nach ein paar Minuten war aber Frühwirths Idee, die Körner-Brüder auf dem jeweils anderen Flügel aufzustellen – also Alfred ausnahmsweise rechts, Robert links – hinfällig. Durch diese Maßnahme hatten auch Posipal und Kohlmeyer ihre Positionen getauscht, wodurch das deutsche Teamgefüge etwas durcheinander gebracht wurde.
Alfred Körner fasste in einem Duell mit Posipal nämlich eine Muskelverletzung aus.
Er humpelte zur Betreuerbank, wo er ein schmerzstillendes Jaukerl bekam, und war fortan wieder am gewohnten linken Flügel aufgestellt – damit zumindest Robert rechts die gewohnte Offensivkraft entfalten konnte. Die linke Seite hingegen lag mit dem angeschlagenen Alfred Körner und dem mit Rahn zunehmend überforderten Schleger waidwund. Die Deutschen brauchten aber einige Zeit, um das zu realisieren.
Ausgeglichene Anfangsphase
Der deutsche „kicker“ berichtete: „20 Minuten schien Österreich dem Sieg zuzustreben. Da liefen die Bälle den Wienern wie im Kabarett. Ja, so spielte einst das Wunderteam!“ Martin Maier in der AZ hingegen schrieb: „Nervöses Spiel auf beiden Seiten, viele Fehlpässe.“ Die Wahrheit lag wohl irgendwo in der Mitte.
In der 12. Minute zieht Fritz Walter ab, Zeman verschätzt sich ein wenig, aber der Ball streicht über das Tor. Zehn Minuten später kommt Zeman mit den Fingerspitzen gerade noch an einen Schuss von Rahn, lenkt den Ball an die Latte. Auf der anderen Seite verschludert Stojaspal eine Gelegenheit (14.), einen Schuss von Ocwirk (oder Körner?) kann DFB-Torhüter Turek nur abklatschen und Kohlmeyer klärt endgültig (28.).
Österreich geknackt…
In der 31. Minute verlor Stojaspal in der Vorwärtsbewegung den Ball gegen Eckel, der ihn schnell steil auf Morlock passte. Morlock ging, von Koller verfolgt, bis zur Grundlinie durch, konnte vor das Tor flanken. Dort achteten weder Happel noch Hanappi auf Schäfer, der unbedrängt aus fünf Metern abziehen konnte. Zeman, der auf der Linie geblieben war, fiel auch eher patschert hin, als dass er den Ball klärte. Deutschland führte 1:0.
Bei dieser Aktion hatte kein einziger Österreicher gut ausgesehen, es war aber mehr als nur ein kollektiver Tiefschlaf.
„kicker“-Herausgeber Friedebert Becker war gnadenlos. „Die deutschen Spieler, von Herberger von jeher erzogen, nie nach Schema, sondern mit Köpfchen nach eigenen Ideen zu spielen, den Gegner zu beobachten, Schwächen zu erkennen – diese deutschen Spieler hatten das Wiener Schema F schnell durchschaut. Nun wussten sie genau, wie der nächste Pass laufen wird“, schreibt Becker: „Wien spielte, trotz moderner WM-Taktik, doch wie vor 30 Jahren: Scheiberl! Und wunderte sich, dass die Deutschen immer eher an den Ball kamen. Dass sie den Weg des Wiener Passes zu riechen schienen.“
…Österreich geschockt
Das Gegentor traf Österreich bis ins Mark. Es wurde zwar nach einer schnellen Antwort gesucht, aber es schlicht sich in der Offensive eine zunehmende Kopflosigkeit ein. Robert Körner zieht in der 38. Minute aus der Distanz ab und schießt knapp über das Gehäuse, ein Versuch von Probst ist harmlos. Kurz vor dem Halbzeitpfiff wusste sich Liebrich gegen Wagner nur mit einem Foul zu helfen – Zentimeter vor der Strafraumgrenze. Ocwirk zielte seinen Freistoß durch eine sagenhaft schlecht aufgestellte Mauer, aber Turek nahm das Schüsschen locker auf.
Das mentale Drama brach in der Halbzeitpause endgültig durch. Der sonst so ruhige, positive Ocwirk herrschte Dienst und Barschandt, die in der Kabine Erfrischungen verteilten, mit einem unwirschen „Schleicht’s eich!“ an. Die Siegesgewissheit war einer mentalen Lähmung gewichen. „Der Frühwirth hat uns erklärt, was wir falsch machen, aber wir haben gespürt: das Match ist gelaufen“, gab der Kapitän nach dem Spiel im Radio-Interview zu: „Die Angst vor dem Misserfolg hat uns fertig gemacht.“
Vorentscheidung zunächst abgewehrt
In der ersten echten Aktion nach Beginn der zweiten Halbzeit konnte Schäfer Hanappi abschütteln und in den Strafraum flanken, Happel klärte zur Ecke. In der Mitte wären noch Koller und Schleger bei Ottmar Walter, aber im Zweifel spielte Happel eben auf sicher. Dachte er. Fritz Walter drehte den Eckball an den Fünfer direkt vor das Tor. Ocwirk berechnet den Ball falsch, Koller steht an der ballentfernten Seite von Morlock, und zwischen Ocwirk und Koller kommt Morlock an den Kopfball. Der wiederum wie versteinert auf der Linie klebende Zeman ist chancenlos. 2:0 für Deutschland.
Koller lässt die Schultern hängen und kratzt sich mit der rechten Hand ratlos am Hinterkopf. Oje, der geht auf mich. Oje, ich fürchte, das war’s jetzt.
Aber: Österreich warf jetzt noch einmal alles in den Kampf. „Das Tor pulvert die Österreicher auf“, schreibt Maier, „sie spielen, als hätten sie ein frisches Bad genommen.“ Wagner dringt halblinks in den Strafraum ein, umringt von vier Deutschen – Posipal, Eckel, Mai und Morlock. Und doch gelingt es ihm, den Ball an den Flügel zu Alfred Körner zu bringen. Dieser flankt, Liebrich klärt mit dem Kopf vor den Strafraum, genau vor die Füße von Stojaspal.
Stojaspal rennt auf das Tor zu, schießt, Turek kann den Ball nicht fangen, die Kugel hüpft zu Probst. Der Rapidler staubt ab, trifft, nur noch 1:2 aus Sicht von Österreich. „Jetzt geht das schon wieder los“, fauchte Fritz Walter zu seinen Mitspielern, an die ÖFB-Aufholjagd gegen die Schweiz erinnernd.
In zehn Minuten von 2:1 auf 5:1
Nach der Pause merkte Rahn, dass er vom angeschlagenen Alfred Körner kaum defensive Gegenwehr zu erwarten hatte und dass er Walter Schleger in jeder Hinsicht deutlich überlegen war. Koller musste immer öfter aushelfen, was aber Rahns Schwung kaum eindämmte und im Zentrum für offene Räume sorgte. Auf der anderen Seite offenbarten sich die Tempo-Nachteile von Hanappi gegenüber Schäfer, der auch oft ins Halbfeld zog und das Zusammenspiel von Hanappi mit Happel kappte.
Keine fünf Minuten nach dem Anschlusstreffer konnte Hanappi Schäfer wieder nur in den Strafraum nachlaufen, in seiner Not säbelte er Schäfer von hinten nieder. Ein klarer, unumstößlicher Elfmeter, es protestierte auch niemand. Fritz Walter trat an, zielte nach rechts, Zeman flog in die andere Richtung, das 3:1 in der 56. Minute.
Im Gegenzug lenkte der konzentrierte Turek einen Schuss von Probst an die Latte, dafür sorgte Zeman mit einer Unkonzentriertheit in der 61. Minute für den nächsten deutschen Eckball – er wollte einen Ball stoppen, der rutschte ihm aber über den Spann und kullerte über die Out-Linie. Wieder tritt Fritz Walter die Ecke, wieder ist sie raffiniert angeschnitten. Diesmal steht Hanappi zu weit von der Flugkurve entfernt, diesmal steht Happel auf der falschen Seite seines Gegenspielers, diesmal kommt Ottmar Walter an den Kopfball. Wieder ist Zeman auf der Linie nur Zuschauer, wieder ist der Ball im Tor. Das 4:1.
Gerhard Hanappi faltet verzagt die Hände. Aussage, um den heutigen Jargon zu verwenden: „Mah, geh OIDA!“
Drei Minuten später, Österreich war in seiner Verzweiflung weit aufgerückt, kontere das DFB-Team. Rahn läuft alleine auf Zeman zu, umläuft den Torhüter, Zeman greift im Reflex nach Rahns Füßen, hält sie fest. Rahn fällt, natürlich wieder Elfmeter und nach heutigen Gesichtspunkten eine der klarsten Notbremsen der Fußballgeschichte. Zeman blieb zwar der Ausschluss erspart, nicht aber Fritz Walters Elfmeter. Der Torhüter errät diesmal die Ecke, aber Walters Schuss ist zu hart, zu platziert.
Das 5:1, die endgültige Entscheidung in der 65. Minute.
Das ÖFB-Team brach zusammen
Happel, eigentlich der Chef in der Hintermannschaft, versank im Treibsand, zog sich immer weiter vom konstruktiven Spielgeschehen zurück. Martin Maier schimpfte in der SPÖ-nahen Arbeiter-Zeitung: „Was fällt Happel ein, im Strafraum zu spielen, als wäre der Gegner Oberlaa und Rapid führt 10:0?“ Und das ÖVP-nahe Volksblatt ging sogar noch einen Schritt weiter: „Man wünscht Happel zehn Jahre Fegefeuer, verschärft durch täglich zwanzig verlorene Schnapspartien!“
Turl Wagner machte gegenüber dem ORF im Jahr 2012 noch einmal deutlich, wie sehr Happel seine schlechte Leistung und noch viel mehr die vernichtende Kritik getroffen hat. „Unter der harten Schale war bei ihm ein butterweicher Kern, er war sehr sensibel“, so Wagner, „das war eigentlich der Moment, an dem er mit Wien gebrochen hat!“
Schleger war mit Rahn überfordert, der verletzte Alfred Körner keine Hilfe, Kollers Versuche auszuhelfen öffneten für Fritz Walter Räume, die Ocwirk alleine nicht abdecken konnte; Hanappi war zwischen seiner Position als rechter Verteidiger und dem Helfen von Ocwirk aufgerieben. Das ganze System implodierte, alle waren mit den Nerven durch, wussten um das öffentliche und mediale Donnerwetter, das auf sie einprasseln würde.
Und die Deutschen legten immer weiter den Finger in die Wunde.
Deutschland spielte „Such’s Balli“
„Den ständigen Rochaden zwischen Ottmar und Schäfer oder Rahn wussten die Wiener Verteidiger nicht zu begegnen. Man deckte Raum und wurde überspielt. Das Staffeln der drei Verteidiger fehlte, man bildete eine starre Linie, in die Fritz Walter, alles überschauend, seine Minen legte“, analysierte Friedebert Becker im kicker, der an den deutschen 3:2-Sieg im Spiel um Platz drei 1934 verwies: „So wie einst, vor zwanzig Jahren, Fritz Szepan die Wiener hin und her jagte, so lenkte nun Fritz Walter das Spiel ganz nach seinen Wünschen.“
Die Deutschen ließen nicht nach, bombardierten das österreichische Team weiter. Rahn, Morlock und Ottmar Walter feuerten Torschüsse ab. „Und hat Österreich schon mal eine Chance, wie Probst in der 74. Minute“, maulte Maier, „dann steht er wie angewurzelt. Ehe er sich zum Start entschließt und dem Ball entgegen läuft, hat ihn eines der tausend Beine in der deutschen Verteidigung schon weggekickt.“ In der 87. Minute humpelte Alfred Körner vom Platz, es ging nicht mehr, es hatte auch keinen Sinn mehr.
Kurz vor dem Schlusspfiff demonstrierten die Deutschen noch einmal die Leichtigkeit, mit der sie das österreichische Team in der zweiten Halbzeit demontierten. „Fritz, Morlock und Mai bauen im Mittelfeld ein regelrechtes Dreieck auf, in dem Koller und Schleger herumhetzen“, beschreibt Robert Becker in seinem Spielbericht im kicker: „Schäfer hatte sich heimlich in Richtung Eckfahne geschlichen. Dort erreichte ihn prompt Fritz Walters Steilpass.“ Zeman läuft dem auf die rechte Seite rochierten Schäfer aus dem Tor heraus entgegen, Schäfer flankt vor das leere Gehäuse, Ottmar Walter sagt „danke“. Das 6:1, der Endstand.
Diagnose: „Zu viele Jahre taktisch vertrödelt“
Schon seit Jahren war Nausch in Österreich gedrängt worden, endlich mit dem Uralt-System zu brechen und auf die Gegebenheiten zu reagieren, die spätestens nach dem Krieg einfach nicht mehr wegzuleugnen waren. Das Debakel im Halbfinale gegen Deutschland machte es endgültig für alle sichtbar.
„Es zeigte sich, dass in Österreich zu spät auf das moderne Spiel umlernte“, so Friedebert Becker: „So grundgescheit die Wiener auch Frühwirths weitschauende Umschulung aufnahmen, man hatte zu viele Jahre taktisch vertrödelt. Das zeigte sich besonders nach der Pause. […] Wir trösten Frühwirth und Pesser, wir trösten die mutigen Verfechter des neuzeitlichen Fußballs in Wien. Wir wissen, dass die alten Freunde in Wien jammern werden: ‚Mit unserem alten Wiener Stil wäre das nicht passiert!‘ Aber verloren hätte sie doch. Auch die großen Taktiker können nicht binnen weniger Monate nachholen, was in falsch verstandener Romantik in Wien 15 Jahre lang versäumt wurde.“
In Österreich sorgte vor allem die Art und Weise, der stilistische Unterschied für Erweckungsmomente. „Der deutsche Angriff: Eins, zwei, drei, schon beim österreichischen Tor. Der österreichische Angriff: Singers patentierte Zickzack-Nähmaschine näht, immer im Kreis“, monierte Maier. Eine Tiroler Zeitung streute Schiebungs-Gerüchte, Happel und Zeman hätten absichtlich schlecht gespielt, weil sie von deutschen Sponsoren mit lukrativen Transfers gelockt worden wären. Zudem wären die Spieler sauer gewesen, dass der ÖFB das Auslandstransfer-Alter nicht von 30 auf 28 senken wollte, weswegen das Spiel absichtlich verloren worden wäre.
Abenteuerlich.
Happel und Zeman waren wegen ihrer schwachen Leistungen gegen Deutschland die Buhmänner der Öffentlichkeit. Generell wurde der dritte Platz (nach dem 3:1 im kleinen Finale gegen ein desinteressiertes Team aus Uruguay) als schöner Erfolg angesehen, gleichzeitig aber dem verpassten Endspiel nachgetrauert – denn der deutschen Finalsensation gegen Ungarn zum Trotz blieb man dabei, dass Deutschland der leichteste Halbfinalgegner war.
Österreich nach der WM
Die WM war für Österreich eine Zäsur. Zahlreiche Spieler nahmen danach in der Tat ein gut bezahltes Engagement im Ausland an – aber nicht in Deutschland, sondern in Frankreich. Happel (Racing Paris) von Rapid, Stojaspal (Straßburg), Ernst Melchior (Rouen) und Fritz Kominek (Nîmes) von der Austria sowie Sturm-Spielertrainer Karl Decker (Sochaux), Admira-Angreifer Erich Habitzl (Lens) und Wacker-Flügel Ernst Bokon (Metz) folgten Turl Brinek (Monaco) in die Division 1. Ernst Ocwirk zog es 1956 zu Sampdoria in die Serie A.
Die Frage, ob Frühwirth beim Team bleibt, wurde mit seinem Wechsel von Wacker zu Schalke 04 (wo er 1958 Meister wurde) beantwortet. Nausch übernahm die Agenden zunächst wieder voll, aber der ÖFB wollte ihn nach den Lektionen der WM und der Offensichtlichkeit seiner Versäumnisse dennoch loswerden. „Nach der WM hat man ihm sukzessive die Agenden weggenommen und er ist dann nach einem 1:4 gegen Ungarn im November enttäuscht zurückgetreten“, so Clemens Zavarsky.
Das Nationalteam stürzte in den folgenden Jahren dramatisch ab. Verantwortliche kamen und gingen oft nach ein paar Monaten wieder, und als sich 1957 unter Pepi Argauer wieder so etwas wie eine gewisse Stabilität auf akzeptablen Niveau einpendelte, waren nur noch vier 1954er-Spieler übrig: Gerhard Hanappi, Turl Wagner, Karl Koller und Leopold Barschandt. Im Schatten der 54er konnte eine ganze Generation nicht im Nationalteam Fuß fassen, so fuhren 1958 viele ältere Spieler und einige ganz junge zur WM, aber kaum jemand im besten Fußballer-Alter.
Deutschland nach der WM
Nach dem überraschenden 3:2-Finalsieg gegen Ungarn fielen aber auch die Deutschen in ein Loch – und was für eines. 12 der 18 Spiele in den zwei Jahren nach der WM 1954 verlor die DFB-Elf, die ebenfalls einem völligen personellen Wechsel unterzogen wurde. Peinlicher Tiefpunkt war eine 0:3-Blamage in Irland.
In dieser Zeit festigte sich der Eindruck, dass der Titelgewinn ein Zufallssieg war. Die Personalreserven schien dünn und die generelle Substanz nicht ganz dort, wo man sie bei einem amtierenden Weltmeister vermuten würde. Aber das Durchschnittsalter des 1954er-Teams lag bei 28 Jahren, und Herberger gab den nachrückenden Talenten die Zeit, die sie brauchten.
Junge Kräfte wie Uwe Seeler, Aki Schmidt und Horst Szymaniak – die in ihren regionalen Ligen nicht immer auf hohem Niveau gefordert waren – brauchten einfach ein paar Jahre, um sich international zu behaupten. Nur: Anders war es bei den Österreichern ja auch nicht. Rapid, Austria, Vienna und Wacker hatten halt auch Spiele gegen Stadlau, Kapfenberg, Austria Graz und den FC Wien zu absolvieren.
Als sich ÖFB und DFB knapp drei Jahre später das nächste Mal trafen, hatte bei beiden Mannschaften die Besetzung nicht mehr viel mit 1954 zu tun. Nicht nur Deutschland hatte eine ausgiebige Misserfolgs-Serie hinter sich, sondern auch Österreich: In den anderthalb Jahren vor dem Spiel im März 1957 hatte das ÖFB-Team genau ein einziges Match gewonnen – gegen Luxemburg. Herbergers Truppe gewann in Wien 3:2, wieder war es vor allem das Rochadenspiel von Sturmspitze Kraus mit Helmut Rahn, mit dem die ÖFB-Abwehr überhaupt nicht zurecht kam.
„Wie schnell verfliegt der Ruhm, wie schnell verschlingt der Sport seine Opfer“, konstatierte Martin Maier in der AZ über den amtierenden Weltmeister und den WM-Dritten: „Was ist heute von den Teams geblieben? Beide Mannschaften haben neu begonnen. Die Deutschen sind einen Schritt näher, fern zeichnet sich wieder eine starke Mannschaft ab. Mit Österreich ist es schlechter bestellt, alles noch am Anfang, Tasten und Versuchen.“
Deutschland langfristig voran
Wie in Österreich wendete sich auch beim DFB im Frühjahr 1957 das Blatt wieder zum Positiven, als Herberger seine Elf für die WM 1958 in Schweden einigermaßen gefunden hatte. Während Österreich dort in einer starken Gruppe (mit Brasilien, England und der Sowjetunion) ausschied, quälte sich Deutschland mit nur einem Sieg durch eine schwache Gruppe (mit Nordirland, der Tschechoslowakei und den international abgehängten Argentiniern) und schied nach einem Viertelfinal-Erfolg über Jugoslawien im Semifinale gegen Schweden aus.
In der Folgezeit etablierte sich in Österreich wieder eine sehr starke Mannschaft, aber der ÖFB verzichtete auf Kostengründen auf die WM 1962 in Chile, wo Deutschland im Viertelfinale ausschied. Die Einführung der Bundesliga 1963 mit ihrer hohen Leistungsdichte erwies sich für den DFB als überfällig und die BRD etablierte sich langfristig an der Weltspitze, während Österreich zeitgleich in Planlosigkeit und internem Chaos versank.
Es sollte bis 1978 dauern, ehe wieder ein ÖFB-Team gegen die BRD gewinnt. Aber das ist eine andere Geschichte.
Quellen
„kicker“, Ausgabe vom 5. Juli 1954
Archiv der „Arbeiter-Zeitung“
Story „Der letzte Mittelläufer“ von Clemens Zavarsky, ballesterer Nr. 89, 2014
„Österreichs Deutschland-Komplex“ von Gerhard Urbanek, 2009
ORF-Sendung „Ernst Happel“ zum Anlass seines 20. Todestages, 2012
„Sind’s froh, dass Sie daheim geblieben sind„, Hrsg. Marschik/Müllner, 2010
Videos AUT-SUI 7:5 sowie BRD-AUT 6:1 (verlinkt im Text)
„Vom Libero zur Doppelsechs“ von Tobias Escher, 2016
Diese Ausgabe der „Ballverliebt Classics“ entstand auf Anregung unseres Patreon-Unterstützers Uwe Kranenpohl.
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