Die WM in Russland wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ohne Österreich über die Bühne gehen. Davon kann man nach der 0:1-Heimniederlage gegen Irland ausgehen. Denn nicht nur, dass die Niederlage gegen clever agierende Iren verdient war und die Tabelle nun fürchterlich aussieht. Nein, es ist auch im vierten Spiel nach der verpatzten EM kein Funken einer inhaltlichen Entwicklung zu sehen. Um es in der TV-Sprache zu sagen: Marcel Koller jumped the shark.
Von Beginn an fühlte sich das Spiel so ein wenig wie 2013 an: Aggressiv-Pressing von beiden Teams, wenig Zeit am Ball, dadurch wenig kalkulierter Aufbau vor das Tor. Das sah deutlich energetischer aus als vieles, was wir in diesem Jahr des zurückgenommenen Pressings so gesehen haben.
Österreich mit hohem Pressing
Das ÖFB-Team zeigte wieder jenes hohe Pressing, das im Laufe des Jahres (vor allem im Frühjahr und bei der EM) verloren gegangen war, wieder sehr aggressiv. So wurde Irland früh am eigenen Strafraum festgenagelt und an einer eigenen Spieleröffnung gehindert. Kevin Wimmer agierte als Linksverteidiger höher als in seinen ersten beiden Auftritten auf dieser Position; Alessandro Schöpf agierte wie bei Schalke auf der rechten Seite, Marcel Sabitzer in der Junuzovic-Position.
Davon abgesehen war allerdings fast alles wie immer: Österreich in einem 4-2-3-1 mit Tendenz zur zweiten Spitze, Arnautovic wollte von Außen ins Zentrum ziehen. Es sollte Druck auf den irischen Sechserraum ausgeübt werden und das irische Abwehrzentrum gar nicht erst auf die Idee kommen, an die Spieleröffnung denken zu können.
Irland: Drei Mann hoch…
Die Iren ihrereseits hatten zwei Fokus-Stellen. Zum einen war das die Spieleröffnung der Österreicher. Hier pressten Stürmer Walters und die beiden Achter Hoolahan (der eindeutig der Baumgartlinger-Verantwortliche war) und Arter, während Whelan (und später Meyler) in der Etappe verblieb – der Rest sicherte passiv ab. Situativ rückte rechts auch Hendrick auf (der Gegenspieler von Wimmer), wodurch eine irischen Diagonal-Kette im Mittelfeld entstand.
Das hätte zwar Österreich die Möglichkeit eröffnet, den Platz hinter dieser hohe Pressinglinie zu bespielen – allerdings war allerdings kein Thema, weil der Abstand zwischen Baumgartlinger (und Alaba) und den Offensiv-Spielern sowie den weit aufgerückten Außenverteidigern einmal mehr gigantisch groß war. Baumgartlinger hat zwar die Klasse, sich von dem permanenten Angelaufenwerden nicht irre machen zu lassen, aber es gab hinter Hoolahan einfach niemanden, den er hätte anspielen können. So blieben nur Rückpässe auf Dragovic und Hinteregger bzw. kurze Querpässe auf Alaba.
…und Überzahl in Ballnähe
Der andere Fokus war das Herstellen von Überzahl in Ballnähe, vor allem auf den Außenbahnen. Immer wieder fand sich ein Österreicher in dieser Zone (vor allem Alaba, wenn er auswich, aber auch Schöpf rechts) in 1-gegen-3-Situationen wieder. Das eröffnete natürlich das Risiko, im Zentrum Räume zu öffnen, aber nur einmal (bei der Chance in der 40. Minute, als Arnautovic in diesem Raum stand) wurde es wirklich gefährlich.
Österreich hatte damit zwar ein optisches Übergewicht und auch mehr Ballbesitz, aber weder gelang es, sich von hinten vernünftig nach vorne zu spielen, noch gelang es, gegen die permanente irische Überzahl in Ballnähe vernünftig in den Strafraum zu kommen.
Immer diese Standards
Zwei Eckbälle und ein Einwurf direkt neben der Eckfahne in den ersten zweieinhalb Minuten gab es für Österreich. Aber es war so und es blieb so, wie es mit den Standard-Situationen eigentlich immer ist beim ÖFB-Team: Sie waren einfallslos, hatten keine erstaunlichen Varianten zu bieten und waren generell harmlos.
Die Iren verzeichneten ihrerseits zwei hochkarätige Chancen, jeweils über die Abwehrseite von Flo Klein: McCleans Schuss in der 13. Minute wurde noch leicht abgefälscht, Walters‘ Versuch aus kurzer Distanz in der 40. Minute verpasste das Tor knapp. Generell wirkten die Iren deutlich spezifischer auf den Gegner eingestellt als Österreich: Martin O’Neill und Roy Keane hatten ihr Team genau auf die Schwachstellen des ÖFB-Teams hinspielen lassen. Österreich hingegen spielte so, wie Österreich unter Koller immer spielt.
Das Tor und die Reaktionen
Unmittelbar nach Beginn der zweiten Hälfe verlor Kevin Wimmer weit in der gegnerischen Hälfte den Ball, reklamierte – und schon lief der irische Konter durch ein offenes Zentrum und McClean schloss durch die beide von Ramazan Özcan hindurch zum 1:0 für Irland ab. Wie so oft schon in der ersten Halbzeit: Der Österreicher wird an der Seitenlinie gestellt.
Mit der Führung im Rücken änderte sich das Spiel der Iren merklich. aus dem 4-1-4-1 mit starkem Pressing im Zentrum wurde nun ein 4-4-1-1, in dem Hoolahan immer noch den Wadlbeißer von Baumgartlinger gab, aber dahinter mit zwei Ketten verteidigt wurde – und zwar ohne den unmittelbaren Druck auf den ballführenden Österreicher, sofern dieser weit genug vom irischen Tor weg war.
Erst bieder, dann schräg
Sprich: Irland überließ Österreich den Ball und schien zu sagen: „Nun zeigt mal, wie ihr uns ausspielen wollt.“ Das ÖFB-Team war immer noch im gewohnten 4-2-3-1 unterwegs (auch nach dem Wechsel Schaub für Schöpf). Und auch sonst war sehr wenig Überraschendes zu sehen. Die Iren hatten überhaupt keine Mühe, Österreich nicht zwischen die Reihen zu lassen: Auf den Außen wurde weiterhin gut Überzahl hergestellt, durch das Zentrum war auch zu und ein ratloses Österreich kam selten anders als mit langen Bällen in die Nähe des Tores. Einmal schlug gar Arnautovic aus dem Sechserraum einen 40-Meter-Pass auf den eingewechselten Harnik.
Mit dem Wechsel Ilsanker für Wimmer wurde die Formation von Österreich dann völlig schräg. Ilsanker ging neben Baumgartlinger, Alaba eine Etage höher hinter die beiden Spitzen Janko und Harnik. Linksverteidiger aber gab es gar keinen mehr, obwohl die restliche Abwehrkette so tat, als wäre sie noch eine Viererkette.
Das war zwar mal was Neues, aber von „Funktionieren“ konnte keine Rede sein. Diese Umstellung verstärkte in den letzten 15 Minute nur den Brechstangen-Modus. Irland konnte ohne wirklich ins Schwitzen zu kommen, die Zeit souverän herunter ticken lassen. Zwar gab es in der 94. Minute tatsächlich noch die Riesen-Chance auf den Lucky Punch und den 1:1-Ausgleich für Österreich, aber der Kopfball von Marc Janko aus kurzer Distanz flog rechts am Tor von Darren Randolph vorbei.
Fazit: Bekannte Spielanlage, bekannte Probleme
Es ist das ganze Jahr schon recht augenfällig: Andere Teams stellen sich recht geschickt auf das Spiel der Österreicher ein; Österreich aber nur sehr selten auf die anderen. Das macht es gegnerischen Trainern nicht besonders schwer, ein Rezept gegen das ÖFB-Team zu finden. Das gelang zuletzt Slavoljub Muslin in Belgrad, das gelang Bernd Storck bei der EM gegen Ungarn, das gelang Danny Blind im Test gegen Holland, und so weiter.
Auch Martin O’Neill setzte auf im Grunde vorhersehbare Tricks. Er setzte auf eine ganz klare Mannorientierung bei Julian Baumgartlinger – der Kapitän ließ sich zwar in keinen Fehler hetzen, war nach vorne aber eher wirkungslos. Er setzte auf Isolierung der Außenspieler – Arnautovic wurden die Optionen genommen und er zu Dribblings verleitet, Schöpf hatte oft drei Mann gegen sich. Damit blieben nur lange Bälle auf Janko – und lange, hohe Bälle gegen eine irische Abwehr, nun ja. Und Standards kann man gegen Österreich getrost hergeben, da entsteht keine Gefahr.
Koller-Österreich war wieder einmal Koller-Österreich – das hat sich im Grunde seit drei Jahren nicht mehr verändert. Keine Antwort gibt es weiterhin bei Mannorientierungen im Mittelfeld. Weiterhin ist das Loch zwischen Spieleröffnung und Offensive riesengroß – und diesmal gab es, anders als in Tiflis oder gegen Wales, auch keine Vertikalpässe in den Zwischenlinienraum. Und die Umstellung, die es gab, fußte letztlich auf Panik und auf lange Bälle.
Neben der Bilanz gegen die drei Mitbewerber (ein Punkt in drei Spielen) spricht vor allem die völlig fehlende Weiterentwicklung des ÖFB-Teams dafür, dass man realistischerweise die WM in Russland schon jetzt mehr oder weniger als verpasst betrachten kann. Denn dieser Herbst legt den endgültigen Schluss nahe, dass Koller nicht vor hat, das von ihm gelegte (grundsätzlich ja gute) Fundament weiter auszubauen.
Kennt ihr das, wenn tolle TV-Serien in den späteren Staffeln irgendwie den Reiz verlieren? So fühlt sich das an. #JumpedTheShark #AUTIRL
— Philipp Eitzinger (@PEitzinger) November 12, 2016
Es geht einfach immer so weiter. Und damit steigt vermutlich auch die Wahrscheinlichkeit, dass ÖFB-Sportdirektor Willi Ruttensteiner in einem halben Jahr sagt: Es waren tolle Jahre mit dir, lieber Marcel, aber jetzt wollen wir mal neue Impulse setzen.