Es sah so aus, als wäre Norwegen dazu bestimmt, Schwedens EM-Erfahrungen bei diesem Turnier innerhalb eines Matches im Schnelldurchgang zu absolvieren. Zwei schwache Elfmeter in einem Spiel, beide pariert? Japp. Ein Stellungsfehler zum 0:1 gegen Deutschland? Das vermeintliche 1:1 erzielen, das wegen Abseits nicht zählt? Oh ja. Gegen Deutschland verlieren? Auch.
– Simon Bank, Aftonbladet, 29. Juli 2013
Einerseits hat die EM-Endrunde 2013 die Hierarchien im Frauenfußball aufgeweicht. Spanien etwa, eigentlich ein irrelevantes Land, bestätigte den bei diversen Junioren-Turnieren gezeigten Aufwärtstrend, kam in Viertelfinale. Ebenso wie Island, ein Team, das zuvor bei einer EM noch nie einen Punkt holen konnte. England, Finalist von 2009, und Holland, Halbfinalteilnehmer vor vier Jahren, krachten dafür schmählich in der Vorrunde raus.
Andererseits aber hat das Turnier die Hierarchien aber auch bestätigt. Deutschland holte mal wieder den Titel – zum sechsten Mal in Serie, zum achten Mal insgesamt -, mit Schweden und Norwegen waren zwei ganz klassische Frauenfußball-Nationen im Halbfinale, Dänemark stellt auch schon immer gute Teams.
Dass eben mit Schweden, Norwgen und Dänemark drei skandinavische Mannschaften im Halbfinale standen, verleitete Aftonbladet, die größte Zeitung Schwedens, dazu, auf dem Cover der Sportbeilage den Spielerinnen Ada Hegerberg (Norwegen), Lotta Schelin (Schweden) und Pernille Harder (Dänemar) Wikingerhelme aufzusetzen und in Anlehnung an das mitteleuropäische Gebet aus dem Mittelalter zu titeln: „Vor der Raserei der Nordfrauen bewahre uns, gnädiger Herrgott!“
…und Gott schickte die Deutschen
Am Ende war aber dann doch alles wie immer: Wie schon 1989, 1991, 1995, 1997, 2001, 2005 und 2009 stemmte auch 2013 eine deutsche Kapitänin nach dem Endspiel den gläsernen EM-Pokal in die Luft. Das DFB-Team war sicher nicht die aufregendste Mannschaft des Turniers, wahrscheinlich auch nicht die beste, offenbarte vor allem in der Vorrunde teils massive taktische Unzulänglichkeiten. Aber als es drauf ankam, war Deutschland jenes Team, das die wenigsten entscheidenden Fehler machte.
Natürlich war Nadine Angerer die beste Torfrau des Turniers – mit viel Abstand. Natürlich hielt Annike Krahn mit ihrer Übersicht den Laden hinten zusammen. Und natürlich spielte Saskia Bartusiak im Halbfinale gegen Schweden die beste Partie ihres Lebens.
Letztlich war es aber doch ein anderer personeller Glücksgriff von Silvia Neid, der ihr das Turnier rettete. Nämlich jener, nach einer ziemlich erbärmlichen Vorrunde Simone Laudehr auf den linken Flügel zu stellen. Nun spielte zwar immer noch Lotzen auf der falschen Position, konnte Celia Okoyino da Mbabi ihr Tempo immer noch nicht ausspielen, musste Dzsenifer Marozsan immer noch viel zu hoch spilene in einem 4-4-1-1, das eigentlich ein astreines 4-4-2 ist und von deutschen Medien nur noch aus Gewohnheit fälschlicherweise immer noch als 4-2-3-1 angegeben wird. Aber Laudehr brachte Antrieb und Energie in ein lethargisches und kopfloses Team.
Ein abgefälschter Weitschuss nach einer Ecke im Viertelfinale gegen Italien. Ein Kullertor im Halbfinale gegen Schweden. Ein Konter im Finale gegen Norwegen. 1:o, 1:0, 1:0 – weil hinten keine entscheidenden Fehler gemacht wurde (letztlich waren ja auch die beiden geschenkten Elfer im Finale keine), reichte es zum Titel und die ganze (berechtigte!) Kritik an Silvia Neid ist vergessen.
Teamchefin mit Zugriff auf Vereins-Aufstellungen
Es erinnerte bei Schweden viel an die Herren-WM in Deutschland 2006: Ein mühsamer Auftakt, der Startschuss zur Mega-Euphorie im zweiten Spiel, und dann das Aus im Halbfinale. Nachdem das Trekronor-Team in den Monaten davor komplett auf links gedreht worden war. om schematischen Fußball mit Konzentration auf gute Defensive und ein dichtes Zentrum unter dem farblosen und etwas spröden Thomas Dennerby auf ein Spiel mit viel Tempo, hoher Abwehrlinie, Pressing und Flügelspiel. So wie es dem Naturell der vor Lebensfreude sprühenden Hobby-Rockmusikerin Sundhage entspricht.
Die in ihrem Land so viel Rückhalt hatte, dass sie sogar den Vereinen diktieren konnte, wo sie ihre Spielerinnen im Liga-Betrieb aufzustellen hatten, damit sie im Nationalteam ins System passen. Nilla Fischer etwa, ein klassischer Sechser, sollte unter Sundhage Innenverteidigung spielen – Linköping-Trainer Sjögren gehorchte und stellte die Bald-Wolfsburgerin brav ins Abwehrzentrum.
Die Defensive funktionierte letztlich besser als erwartet (vor allem nach den wackeligen Eindrücken vom Algarve Cup), und es vielen gegen die bei Flanken überforderte finnische Mannschaft (5:0) und die vor Ehrfurcht erstarrenden Isländerinnen (4:0) jede Menge Tore. Aber ohne Flaws war auch Schweden nicht. Die Außenverteidiger-Positionen waren schwach besetzt (Thunebro körperlich zu langsam, Samuelsson gedanklich), auf dem linken Flügel war Göransson zu eigensinnig und Jakobsson zu wenig robust. Und Goalie Kristin Hammarström ist zwar gut auf der Linie, aber wehe, sie muss den Ball mit dem Fuß annehmen.
Sundhage hat Schweden inhaltlich zweifellos deutlich nach vorne gebracht, aber in Richtung WM in zwei Jahren gilt es noch einige Fragezeichen zu beheben. Etwa, wie es gelingt, massierte und gutklassige Abwehrreihen zu knacken. Da muss noch viel mehr von Kosse Asllani kommen. Denn dass man Schelin stoppen kann, wenn man Steilpässe in ihren Lauf verhindern kann, haben nun doch schon einige Trainer verstanden.
Frankreich, das Spanien des Frauen-Fußballs
Nun ist es dem französischen Verband also doch zu bunt geworden. Unnötige Selbstfaller und mangelnde Konsequenz in wichtigen Spielen kosteten Frankreich in den letzten vier Jahren (arguably) einen EM-Titel, ein WM-Finale und ein EM-Finale. Nach dem Turnier wurde Teamchef Bruno Bini nun also entlassen – weniger wegen taktischer Fehler (wiewohl es auch da einige kleinere Fragezeichen gab), sondern wegen konstantem Under-Achievements.
Dabei ist Frankreich so ein wenig, was Spanien lange bei den Herren war bzw. in Teilen noch ist. Die klar beste Klub-Mannschaft der letzten Jahre (Lyon, in den letzten vier Saisonen immer im CL-Finale), auf dem Papier der wohl beste Kader, aber man schafft es immer irgendwie, dennoch zu scheitern. Auch, weil es keinen wirklichen Plan B gibt – wie bei Spanien. Weil Plan A oft genug funktioniert. Aber wehe, wenn nicht.
So etwas wie die Brechstange gibt es bei Frankreich nicht. Auch, weil eine fehlt, die im Zentrum mal Kopfbälle holen könnte – allenfalls Wendie Renard, die als möglicher Plan B aus der Innenverteidigung nach vorne gehen könnte (es aber nicht tut). Dazu eine Louisa Nécib, die zwar eine tolle Technikerin ist, es ihr aber an der taktischen Disziplin fehlt.
Bini fehlte es vermutlich ein wenig an der Konsequenz, um wirklich die beste Mannschaft im besten System aufzustellen. Er wollte die umsichtige Bussaglia, die lange verletzt war, unbedingt in der Mannschaft haben. Er wollte Sandrine Soubeyrand, die Grand Dame des Teams, umbedingt drin haben. Womit er für Cammy Abily, bärenstark als Achter, eine neue Position brauchte – und diese rechts im Mittelfeld fand. Und er wollte aber auch nicht auf die Technik von Nécib verzichten.
Gegen Russland experimentierte Bini mit einem 4-3-3 mit Abily auf der Acht und Nécib als Rechtsaußen. Wenn er auf Nécib, die ihre Seite oft verwaist ließ, verzichtet hätte, wäre das wohl eine gute Option gewesen. Letztlich ging Bini aber wohl zu viele Kompromisse ein und die extrem flexible Mannschaft auf Dänemark packte in eine ihrer vielen Schubladen und kramte die Variante „Mauern“ aus.
So war für die am Papier beste Mannschaft es Turniers schon im Viertelfinale Feierabend. Auch, weil Nécib, die schon während des Spiels einen Elfer nur mit Mühe reinzitterte, im Shoot-Out randurfte und (natürlich) scheiterte.
Norwegische Glücksritter
Frankreich und sicher auch Schweden waren deutlich bessere Mannschaften als Norwegen. Dass es letztere aber ins Finale geschafft haben war mehr glücklichen Umständen zu verdanken als eindenen Verdiensten. Der Sieg gegen die da noch völlig indisponierten Deutschen in der Gruppe brachte dort den ersten Platz, dann profitierte man davon, dass sich der auf dem Papier logische Halbfinal-Gegner Frankreich schon im Viertelfinale praktisch selbst eliminierte. Dann besiegte man dann in der Vorschlussrunde Dänemark im Elfmeterschießen – und im Finale eröffneten zwei lächerliche Strafstöße sogar die Chance zum Turniersieg.
Dabei war das 1:0 im zweiten Gruppenspiel gegen Holland der erste Sieg überhaupt, seit Even Pellerud, Weltmeister-Trainer von 1995, im Winter wieder das Zepter übernommen hatte. Auf meine Frage, ob er nach dem 1:1 zum Start gegen Island den Finaleinzug für möglich hielt, antwortete Co-Trainer Roger Finjorg, der Derwisch in der Coaching-Zone, unumwunden: „Nein, hätte ich nicht!“
Norwegen steigerte sich von Spiel zu Spiel, ließ hinten bis ins Finale sehr wenig zu (ein Elfer gegen Island, ein bedeutungsloses Tor in der Nachspielzeit gegen Spanien als es schon 3:0 stand und eins nach einem Eckball gegen Dänemark). Die tragenden Säulen der Mannschaft sind aber praktisch alle jenseits der 30 – die junge und fraglos talentierte Sturmreihe mit Hegerberg, Hansen und Hegland zeigte relativ wenig.
Damit, dem Gegner wenig Platz zwischen den Reihen zu gewähren, mit guter Physis und großer Erfahrung die Defizite im Tempo auszugleichen, ist Norwegen in diesem Turnier gut gefahren. Nachhaltig ist das mit dieser alten Mannschaft aber nicht – ein Generationswechsel ist zweifellos vonnöten. Obwohl Finjord sagt: „Bis zur WM in zwei Jahren soll auch von den Alten keine aufhören!“
Extrem flexibles Dänemark
Schade ist es schon, dass Kenneth Heiner-Møller dem Fußball (zumindest vorerst) den Rücken kehrt. denn der Teamchef der dänischen Mannschaft war ohne jeden Zweifel mit Abstand der flexibelste und interessanteste des Turniers. Er brachte in jedem Spiel eine zum Teil völlig andere taktische Einstellung ins Spiel und richtete sein Defensiv-Konzept voll und ganz am Gegner aus. Etwa mit tief abkippender Sechs und extrem hohen Außenverteidigerinnen gegen die flügelstarken Schwedinnen. Oder die volle Offensive gegen Finnland. Oder die beim Algarve Cup getestete strikte Defensive gegen Frankreich.
Und gegen Norwegen im Halbfinale stellte er zuweilen auf ein 3-3-4 um, als es galt, den 0:1-Rückstand aufzuholen. Was bei all den Überlegungen aber auch unverkennbar war: Pernille Harder konnte als Torjägerin überhaupt nicht glänzen. Dänemark war zwar hochinteressant, mit unerwarteten Varianten im Aufbau (etwa, dass Harder auf die Zehn geht, die LM in die Spitze und die LV hoch nach vorne).
Aber in der letztlich Konsequenz schlicht und einfach zu harmlos war. Wenn man einen Knipser hätte, wären am Ende der Vorrunde sieben Punkte zu Buche gestanden und nicht zwei, man hätte sich die unselige Auslosung gegen Russland erspart, wer noch als Gruppendritter weiterkommt, und es hätte gegen Norwegen nicht eines Glückstores gebraucht, um das 1:1 zu schießen und in die Verlängerung zu kommen.
Dennoch: Dänemark hat – obwohl kein einziges Spiel in 90 Minuten gewonnen wurde – inhaltlich überzeugt und hat damit mehr erreicht, als man vor dem Turnier erwarten konnte.
Überraschungs-Viertelfinalisten
Das gilt auch für Spanien und für Island. Spanien glänzte vor allem mit guter Technik (was vor allem gegen England offensichtlich wurde), hat mit Vero Boquete eine exzellente Stürmerin zur Verfügung und dazu jede Menge Talent in der Mittelfeld-Offensive.
Wo Jenni Hermoso als flexibles Mittelding aus Zehner und hängender Spitze viel Raum abdeckte, wo US-Legionärin Adriana Martín gute Spiele zeigte. Und wo U-19-Vize-Europameisterin Alexia Putellas mit ihrer Energie im Laufe des Turniers den Stammplatz von der routinierteren Sonia Bermudez bekommen hat.
Aber so groß das Talent vorne ist, so viel Nachholbedarf gibt es von hinten heraus. Weil die beiden Sechser Meseguer und Nago, aber auch die zuweilen statt Letzterer spielende Vilanova, nur Quer- und Rückpässe kommen, aber keinerlei Impulse nach vorne kommen. Auch die Innenverteidigung traut sich nicht, den ersten Pass zu spielen. Vor allem Irene Paredes, die mit ihrem eher patscherten Eigentor zum 0:2 im Viertelfinale gegen Norwegen das Aus besiegelte, drosch die Bälle nur blind nach vorne.
Das Viertelfinale hat man sich aber dennoch verdient, weil man klar besser war als England und Russland – nachdem vor dem Turnier ein Vorrunden-Aus programmiert schien.
Das war es auch Island. Das Team von der 300.000-Einwohner-Insel im Nordatlantik war beim Erstauftritt vor vier Jahren mit drei Niederlagen nach Hause geschickt worden und trat nun den Beweis an, dass auch mit nur zwei wirklich guten Spielerinnen (Viðarsdóttir und Gunnarsdóttir), einer soliden Torfrau und gutem Teamgeist in einer sonst ziemlich durchschnittlich besetzten Truppe reichen können, um ins Viertelfinale zu kommen.
Man erkämpfte sich ein 1:1 gegen Norwegen, war beim 0:3 gegen Deutschland komplett harmlos und wusste vor dem Spiel gegen Holland: Ein Sieg, und das Viertelfinale ist erreicht. So lauerte Island auf holländische Ballverluste, schaltete blitzschnell um, kam über die Flügel nach vorne und hatte so Chancen, auch deutlich höher als 1:0 zu führen. Nach der Pause wurde verwaltet und gemauert, es klappte. Dass es dann im Viertelfinale ein 0:4 gegen Schweden gab – geschenkt.
Was Island zeigte, war weder aufregend noch ausgeklügelt, aber es hat funktioniert. Klar ist aber auch: Das ist das absolute Plafond für Island.
Cabrini findet deutliche Worte
Der Plafond ist das Viertelfinale im Moment auch für Italien und mit dem anstehenden Karriereende der mittlerweile 38-jährige Patrizia Panico werden bald andere Verantwortung übernehmen müssen. Denn das ganze Spiel ist auf jene Frau zugeschnitten, die 1997 mit dem letzten italienischen Frauen-Team von Relevanz im EM-Finale gestanden war – zu einer Zeit, als es noch reichte zwei gute Stürmerinnen zu haben (neben Panico damals Carolina Morace). Das wurde im Viertelfinale gegen ein verwundbares deutsches Team deutlich. Dazu waren die Adjutanten des Altstars aus dem Spiel – Gabbiadini durch gute Gegenspieler, Camporese durch Verletzung.
„Italien hat als klassisches Fußball-Land das Potenzial, auch bei den Frauen eine tragende Rolle zu spielen“, nahm Cabrini nach dem 0:1 im Viertelfinale den Verband in die Pflicht, „dafür muss der Frauen-Fußball aber bei unseren Entscheidungsträgern mehr Raum einnehmen. Sonst sitzen wir in vier Jahren wieder nach dem Viertelfinale hier und sagen: ‚Brav gespielt, aber halt verloren‘.“
Mit Neboli, De Criscio und Salvai gibt es gute, jüngere Abwehr-Leute, Alice Parisi ist ganz okay auf der Achter-Position. Aber die bringen Italien nicht in die Diskussion um Finalplätze. Vor allem aber braucht es Alternativen zu Panico ganz vorne. Die sind nämlich nicht in Sicht.
Der Total-Kollaps von England
Die BBC übertrug dieses Turnier flächendeckend. Umso bitterer, dass die englische Mannschaft – gemessen an ihren Erwartungen – die mit Abstand größte Enttäuschung bei diesem Turnier war. „Für die K.o.-Runde kommen nochmal mehr Leute von uns“, erklärte mir ein BBC-Moderator schon nach dem 2:3 zum Auftakt gegen Spanien nicht ohne einen gewissen Fatalismus, „es ist also wie immer: Wir rücken mit aller Macht an, wenn England draußen ist!“
Und man muss sagen: Die Three Lionesses haben alles dafür getan, um den Aufenthalt in Schweden so kurz wie möglich zu gestalten. Weil mein keine adäquate eigene Torfrau hat, wurde die US-Amerikanerin Bardsley eingebürgert – die schon gegen Spanien ein Gegentor verschuldete und ein zweites gleich höchst selbst fabrizierte.
Vor allem aber die Mittelfeld-Zentrale versank im Chaos. Asante, Williams und Jill Scott spielten einfach irgendwie, ohne offensichtlichen Plan. Jede durfte mal hinten, mal vorne, mal halblinks und mal halbrechts. Dabei schienen sie sich selbst aber mehr zu verwirren als die Gegner, weil sich permanent Räume öffenete. Und vorne war man ohne die (mal wieder) angeschlagene Kelly Smith ein Ausbund an Harmlosigkeit.
Von Spanien wurde mal vor allem was die individuelle Technik angeht lächerlich gemacht, gegen die eher biederen Russinnen musste ein abgefälschtes Dusel-Tor in der Nachspielzeit herhalten, um zumindest das 1:1 zu retten und gegen Frankreichs B-Garnitur war man sowieso chancenlos. Als auch nach Punkten schlechtestes Team des Turniers müsste eigentlich auch die langjährige Teamchefin Hope Powell ihre Position hinterfragen. Wenn es schon die FA nicht tut.
Vor allem aber wird es notwendig sein, sich zu professionalisieren – selbst bei den englischen Top-Klubs wird oft nur zwei-, dreimal pro Woche trainiert. So wird der Rückstand natürlich nicht kleiner.
Größer ist der Rückstand eindeutig für Holland geworden, seit Vera Pouw nicht mehr Teamchefin ist. Unter ihr war man vor vier Jahren noch ins Halbfinale gekommen und zwang dort England in die Verlängerung, nun gelang unter Roger Reijers in drei Spielen kein einziges Tor.
Weil man hinten zwar gut stand (nur zwei Gegentreffer), aber nach vorne erschreckend ideenlos war und auch, weil Reijners einige seltsame Wechsel vollführte – wie etwa, gegen Norwegen nach dem Rückstand Konterstürmerin Versteegt zu bringen statt Strafraum-Spielerin De Ridder. Auch seine Maßnahme, mit Spitse und Slegers zwei Sechser spielen zu lassen, aber auf einen Achter zu verzichten (obwohl mit Dekker ein guter da gewesen wäre), muss man nicht verstehen.
Die Vermutung liegt Nahe, dass das Potenzial von Oranje irgendwo zwischen Halbfinale (2009) und Totalversagen (2013) liegt. Wo genau, wird auch daran liegen, wie sich die gemeinsame Liga mit Belgien etabliert. Holländische Journalisten sind sich jedenfalls sicher: „Belgien profitiert davon sicher deutlich mehr als wir…“
Noch ein wenig Österreich-Bezug
Der letzte Pflichtspiel-Gegner der ÖFB-Frauen war letzten Herbst im Play-Off Russland. Damals war die Spielanlage der Russinnen reaktiv und auf Konter ausgelegt. Das war nun auch bei der EM so. Was zeigt: Ein System alleine sagt noch nichts. Man kann aus einem 4-3-3 reaktiv spielen (wie Russland letzten Herbst) und aus einem 4-4-1-1 (wie Russland bei der EM auftrat) genauso.
Mit dieser Spielanlage hätte man fast gegen England gewonnen, hätte man nicht in der Nachspielzeit noch ein unglückliches Tor geschluckt. Im letzten Gruppenspiel gegen Spanien war Russland dann aber gezwungen, selbst etwas für das Spiel zu tun (weil Spanien mit dem Stand von 1:1 zufrieden war und auch bei einer Niederlage im Viertelfinale gewesen wäre), und da merkte man sehr wohl die Limitierungen der Mannschaft.
Man versuchte es über die Flügel, aber da sind nun mal eher Konterspieler auf dem Feld. Die kleine Nelli Korovkina auf der Position der hängenden Spitze ist eine unangenehme Presserin, aber nicht torgefährlich. Alles in allem eine eher biedere Mannschaft, die dann auch noch das Pech hatte, dass sie gegen Spanien um einen klaren Elfmeter geprellt wurde und dann auch noch den Los-Entscheid um das Viertelfinale gegen Dänemark verlor.
Dennoch wurde man den Eindruck bei der EM nicht los, dass Russland gut genug und clever genug ist, in der Quali nichts anbrennen zu lassen und sich die Teilnahme an so einem Turnier durch diese Attribute zu sichern (wie gegen Österreich), aber für den nächsten Schritt – das tatsächliche Mitmischen – nicht die nötige Qualität da ist.
Die nötige Qualität ließ mit Finnland der Hauptgegner des ÖFB-Teams um Gruppenplatz zwei in der im September startenden WM-Quali für Kanada 2015 vor allem in zwei Bereichen vermissen: Bei der Kreativität im Mittelfeld (die ist nicht vorhanden) und beim Verteidigien von Flanken (ein Desaster).
Der Schwung der Heim-EM 2009 (wo man sogar als Gruppensieger ins Viertelfinale kam) ist verflogen, da konnte auch Andrée Jeglertz, ein erfahrener und erfolgreicher Frauenfußball-Trainer nicht viel retten. Aus dem Mittelfeld-Zentrum kommen überhaupt keine Ideen, das ist eine phantasiebefreite Zone. Und, das wurde vor allem bei der 0:5-Abfuhr gegen Schweden deutlich: Die Außenverteidiger können Flanken nicht verhindern und die Innenverteidiger können sie nicht verteidigen.
Hier hat Österreich durchaus eine Chance, weil man rein vom Talent her garantiert nicht hinter Finnland einzureihen ist. Von der Erfahrung in wichtigen Spielen aber sehr wohl.
Fazit: Niemand ohne Flaws – und die Spielanlagen haben sich komplett gedreht
Vom Zuschauer-Zuspruch (8.600 pro Spiel, 41.000 beim Finale) war das Turnier die beste Frauen-EM überhaupt, und das gilt auch für das gezeigte Niveau – wiewohl natürlich klar ist, dass es noch ziemlich Luft nach oben gibt. Es ist keine Mannschaft dabei gewesen, der man aktuell zutrauen könnte, die USA in einem Ernstkampf zu besiegen.
Alle Teams zeigten Flaws. Alle, die ihre Ziele nicht erreicht haben, müssen sich an der eigenen Nase nehmen. Bis auf Island kann keine Mannschaft mit den gezeigten Leistungen wirklich zufrieden sein, nicht einmal Deutschland. Oder: Gerade Deutschland nicht. Es war ein erkämpfter Titel, kein glanzvoller. Zustandegekommen auch deswegen, weil sich mit Frankreich und Schweden die zwei Haupt-Konkurrenten mehr oder weniger selbst besiegten. Anders gesagt: Obwohl das generelle Niveau hoch wie nie bei einer EM war, wurde Deutschland vor allem deshalb Europameister, weil es alle anderen verdaddelt haben.
Frankreich durch Ratlosigkeit und schwache Elfer gegen Dänemark. Schweden mit horrend schlechter Chancen-Verwertung gegen Deutschland. Norwegen durch zwei verschossene Strafstöße im Finale.
Augenscheinlich wurde, dass (bis auf Dänemark) kein Team einen echten Plan hatte, wie man mit Rückständen umgehen solle. Dänemark hatte einen solchen zwar, aber dafür fehlten die torgefährlichen Spielerinnen. Nur wenige Teams nahmen wirklich das Heft des Handelns konsequent selbst in die Hand (Schweden, Frankreich, bis zu einem gewissen Grad auch Dänemark und Spanien). Das heißt: War es früher so, dass die guten Mannschaften vor allem von guten Stürmerinnen lebten (wie Hamm bei USA, Marta bei Brasilien, Prinz bei Deutschland, auch Morace/Panico bei Italien, Svensson/Ljungberg bei Schweden) oder Mittelfeld-Gestalterinnen (wie Moström bei Schweden, Neid bei Deutschland, Riise bei Norwegen), so ist diese EM der endgültige Pflock im Boden, der die Umkehr der Spielanlagen markiert.
Die überwiegende Mehrheit der Teams spielt nun aus einer gesicherten Defensive heraus ein Umschalt- und Konterspiel oder, wie etwa Deutschland, ein Pressing- und Umschaltspiel. In jedem Fall aber darauf ausgelegt, in den Umschaltphasen die Unordnung beim Gegner zu nützen, anstatt durch eigenes Kreativspiel zum Torerfolg zu kommen.
Womit auch der Frauen-Fußball von einem modernen Trend des Herren-Fußballs erfasst wurde.
(phe)