Wenn man’s nicht wüsste, würde man’s kaum merken – das EM-UFO in Kalmar

Kalmar ist von Göteborg nicht nur räumlich ein schönes Stück entfernt – eine vierstündige Schnellzugfahrt, um genau zu sein – auch im Umgang mit der Frauen-EM herrscht zwischen der doch recht großen Stadt an der Westküste und dem beschaulichen Städtchen an der Ostküste Schwedens ein ziemlicher Unterschied. Kurz gesagt: Wenn man nicht wüsste, dass hier insgesamt vier EM-Spiele steigen – im ersten davon hat ein schwaches Norwegen nur 1:1 gegen Island gespielt – würde man es fast nicht merken.

Der Wasserturm von Kalmar
Der Wasserturm von Kalmar

Statt einer EM-Fahne alle zehn Meter an jedem Straßenzug, wie in Göteborg, wehen in Kalmar nur eine Handvoll dieser Fahnen am Wasserturm. Statt an jeder Bushaltestelle wird nur sehr vereinzelt für die drei Gruppenspiele (alle mit Beteiligung Norwegens) und das eine Viertelfinale (vermutlich auch mit norwegischer Beteiligung) geworben. „Wir haben schon deutlich mehr norwegische Gäste als sonst“, beteuert man an der Hotel-Rezeption zwar. Aber so richtig viele Norweger ließen sich in der Stadt nicht als solche ausmachen.

In Göteborg ist die EM allgegenwärtig, wird auch gut angenommen und ist wie selbstverständlich ein Teil des Stadtbildes. In Kalmar wirkt sie so ein wenig wie ein UFO, das in dem dafür wohl doch etwas zu kleinen Städtchen gelandet ist, das nicht so recht weiß, was es damit anfangen soll.

Fan-Zone in Kalmar
Fan-Zone in Kalmar

Die Fan-Zone ist übersichtlich und noch deutlich vom  heftigen Regen gezeichnet, der tags zuvor sogar die Räumung zur Folge hatte. Ein kleiner Schweden-Fanshop, eine Hüpfburg, ein paar Rampen wie in einem Skater-Park und ein kleines Fußballfeld, ein Gastgarten und ein Café. Und gleich daneben ist der Startpunkt für den Gratis-Bus, der einen zum Stadion bringt. Das ist normalerweise nach dem Geflügel-Anbieter Guldfågeln benannt, heißt während der EM aber natürlich schlicht „Kalmar Arena“.

Das in die Perpherie gebaute, neue Stadion
Das in die Perpherie gebaute, neue Stadion

Die ist zwei Jahre alt, fasst 12.000 Zuseher und ist etwas lieblos in die Peripherie des nicht besonders aufregenden 36.000-Seelen-Örtchens gepflanzt worden. Normalerweise spielt dort der Erstligist Kalmar FF, an diesem Vorabend Norwegen gegen Island. Obwohl Norwegen schon in der Quali die gröbsten Probleme mit eben diesem Gegner hatte, war man dennoch klarer Favorit. Auf dem Papier zumindest.

Alt-Großmacht in Troubles

Norwegen - Island 1:1 (1:0)
Norwegen – Island 1:1 (1:0)

Norwegen ist eine traditionelle Macht im Frauen-Fußball, in den letzten Jahren – also seit dem EM-Finale 2005 – ging nicht mehr so richtig viel weiter. Bei der WM vor zwei Jahren gab’s schon das Aus in der Vorrunde, in der Qualifikation sicherte erst ein Sieg im allerletzten Match gegen Island die direkte Qualifikation. Teamchefin Eli Landsem musste gehen, Even Pellerud – unter dem Norwgen 1995 Weltmeister geworden war – kehrte zurück. Besser wurde dadurch aber nicht viel.

Das Team ist körperlich robust, aber nicht gut aufeinander abgestimmt. Die Laufwege werden oft erst eingeschlagen, sobald sich eine Spielerin für den eben gespielten Pass verantwortlich fühlt, Spielzüge nach vorne sehen nicht direkt einstudiert aus. Die hüftsteife und langsame Toril Akerhaugen, gelernte Innenverteidigerin, ist als LV eine Fehlbesetzung. Mjelde, auch eher zentral zuhause, ist auf rechts nicht viel besser aufgehoben. Caroline Hansen, vor der EM hochgelobt, deutete ihr Potenzial ein, zweimal kurz an, tauchte dann aber ab. Das 1:0 war das Resultat individueller Klasse, nicht von einstudiertem Spiel.

Voll war's wie erwartet bei Weitem nicht
Voll war’s wie erwartet bei Weitem nicht

Die knapp 4.000 Zuseher im Stadion (eine Zahl, die mir etwas hoch vorkommt) sahen, dass sich Island gegenüber dem Desaster beim Algarve Cup deutlich verbessert zeigte. Auch, weil mit Sara-Björk Gunnarsdóttir und Margret-Lara Vidarsdóttir die beiden Besten wieder dabei waren – sie fehlten beim Einladungsturnier im März. Vor allem dank der Übersicht von Schweden-Legionärin Gunnarsdóttir im Zentrum, die einiges an Druck absorbierte und die Abwehrreihe damit kaum die Gelegenheit bekam, Fehler zu machen.

Norwgen war vor der Pause nicht gut und danach richtig schlecht. Gleichzeitig merkte Island – beim bisher einzigen großen Turnier, wo man dabei war, setzte es bei der EM 2009 drei Niederlagen – dass Norwegen fällig war. Teamchef Siggi Eyjölfsson ließ Spitze Hönnudottir und RM Fridriksdottir die Plätze tauschen, das Team übernahm mehr Initiative, aber vor dem Tor blieb man zu unentschlossen, zu zögerlich, zu harmlos. Erst ein Elfmeter-Tor von Margret-Lara Vidarsdóttir in Minute 87 brachte das verdiente 1:1, das sich Island dann auch nicht mehr nehmen ließ.

Nach dem Teamchef Eyjölfsson zugab: „Ich war vor dem Elfmeter viel besorgter, als es Margret-Lara war!“ Und nach dem die Norwegerinnen mit einem recht übersichtlichen Gesichtsausdruck vom Platz schlichen. Tags zuvor hatte mit Dänemark ein anderer potentieller Semifinalist gegen einen deutlich besseren Gegner deutlich besser ausgesehen.

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(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.