Ancelotti infiziert PSG mit Italien-Virus – Sensations-Team Montpellier nützt’s fast

Kein Lyon, kein Marseille, kein Lille – nein, Außenseiter Montpellier ist der letzte verbliebene Konkrurrent von Paris St. Germain im Rennen um die französische Meisterschaft! In einem unterhaltsamen Spitzenspiel der Ligue 1 zeigte Montpellier wiederum eine feine Leistung. Und bohrte lange die Symptome jenes Italien-Virus‘ an, mit dem Carlo Ancelotti den Hauptstadt-Klub infiziert hat.

Paris St. Germain - Montpellier HSC 2:2

Das Sensationsteam aus Montpellier war nicht in den Pariser Prinzenpark gekommen, um sich die Szenerie erst einmal anzuschauen: Der letzte verbliebene Titel-Konkurrenz von PSG übernahm von Beginn an die Kontrolle. Was angesichts der Formation und der sich daraus ergebenden Probleme in punkto Raumaufteilung beim Team von Carlo Ancelotti aber auch nicht ganz unlogisch war.

Italiener durch und durch

Denn anders als sein auf eher stillose Art und Weise entlassener Vorgänger Antoine Kombouaré, der mit einem 4-2-3-1 spielen ließ, stellte Ancelotti um auf einen 4-3-2-1-Tannenbaum. Das heißt: Alles konzentriert sich auf die Mitte und die Breite im Spiel kommt fast nur noch von den Außenverteidigern. Sissoko und Matuidi, die in der defensiven Dreierreihe den von Inter geholten Thiago Motta flankieren, verschoben jeweils auf die Seite, auf der die gerade defensiv gebraucht wurden. Aber eine aktive Rolle im Auseinanderziehen der gegnerischen Abwehr nahmen sie nicht ein.

Was auch Néné und Ménez nicht machten. Das Duo, das unter Kombouaré noch als echte Flügelzange agiert hatte, stellte sich von vorhnherein im Halbfeld auf und zog von dort auch nicht nach außen. So ensteht bei PSG ein praktisch flügelloses Spiel, wie es charakteristisch für italienische Teams ist. Nicht zuletzt etwa jene von Milan, mit denen Ancelotti in der Champions League große Erfolge gefeiert hat mit drei Finals in fünf Jahren.

Das Überraschungsteam aus dem Süden

So ist PSG unter Ancelotti auch zu eher zu einer Ergebnismaschine mit begrenztem Unterhaltungswert geworden. Ganz anders Montpellier: Der Fußballzwerg aus dem Süden des Landes hat ligaweit die meisten Tore erzielt und hat eine ganze Reihe von international (noch) eher unbekannten, aber sehr aufregenden Spielern in seinen Reihen. Wie etwa Sturmspitze Olivier Giroud (25), der die Torschützenliste der Ligue 1 mit großem Abstand anführt. Oder der Marokkaner Younes Belhanda (21), der in der zentralen Offensive mit großem Einsatz, toller Technik und mit rotzfrecher Spielweise die Gegner narrt. Oder wie Kapitän Mapou Yanga-Mbwia (22), der als einer der besten Innenverteidiger der nächsten Jahre gehandelt wird.

Geführt wird die Truppe von René Girard, der nach vielen Jahren als Trainer diverser Junioren-Nationalteams beim französischen Verband vor zweieinhalb Jahren Montpellier übernommen hat. Er machte aus der Mannschaft eine kompakte Einheit, die schon letzte Saison einige gute Phasen hatte, und in dieser Spielzeit über sich hinauswächst – wenn man nicht noch komplett zusammenklappt, ist ein Fix-Platz in der Champions League so gut wie sicher.

Platz auf den Seiten ausnützen

In diesem Spitzenspiel übernahm Montpellier auch sofort die Initiative und bearbeitete vor allem die Flanken, die von PSG wie erwähnt nicht gerade aktiv genützt wurden. Hier marschierten die Außenverteidiger Henri Bedimo (links) und Garry Bocaly (rechts) nach vorne und unterstützten die Flügelspieler Camara und Utaka, die eher spät nach innen zogen und sich erst sehr weit in der gegnerischen Hälfte hinterlaufen ließen. Die Pariser verschoben zwar ihre Dreierkette im Mittelfeld immer entsprechend, aber den Druck konnten sie nicht kanalisieren.

Interessant war die Rolle von Younes Belhanda in der Zentrale. Der Marokkaner spielte keinen klassischen Zehner in einem 4-2-3-1, sondern stand recht hoch und platzierte sich eher als hängende Spitze in einem 4-4-1-1. Sein riesiger Aktionsradius und die fleißige Arbeit von Giroud beschäftigte die Mittelfeld-Zentrale von PSG recht ordentlich, sodass diese trotz nomineller Überzahl gegen diese beiden kaum dazu kam, das Spiel zu eröffnen.

Unverdiente Führung, verdienter Ausgleich

Die Pariser waren im eigenen Angriffsspiel damit zusehens auf schnelle Konter durch die Mitte angewiesen, hier rächte sich aber, dass die Flanken einfach nicht besetzt waren. Im Zentrum verstanden es die Montpellier-Sechser Saihi und Estrada jedoch gut, Passwege auch bei Kontern zuzustellen – PSG blieb harmlos. So war es fast logisch, dass ein Tor für den Tabellenführer eigentlich nur aus einer Standardsituation fallen konnte – und mit Alex‘ sich böse nach außen drehenden Freistoß aus 35 Metern am chancenlosen Montpellier-Goalie Jourdreau vorbei war es in der 41. Minute auch so weit.

Eine Führung gegen den Spielverlauf. Montpellier war aber nicht geschockt und kam noch vor dem Seitenwechsel zum Ausgleich: Die PSG-Abwehr verschob bei einem schnellen Seitenwechsel nach einer Montpellier-Ecke zu behäbig, der aufgerückte Innenverteidiger Hilton konnte unbedrängt flanken und Belhanda in der Mitte per Kopfball den hochverdienten Ausgleich markieren.

Spiel immer mehr ein Patt

Nach der Pause zeigte sich PSG deutlich bemühter, selbst die Kontrolle über das Spiel zu bekommen. Die Außenverteidiger Bisevac und der vom FC Barcelona verpflichtete Maxwell attackierten ihre Gegenspieler, die Montpellier-Flügel Utaka und Camara, deutlich früher und nahmen damit merklich Schwung aus dem Spiel des frechen Außenseiters. Zudem spielte das Mittelfeld-Trio die Bälle nun schneller und direkter nach vorne. Die Genauigkeit ließ dabei zwar zu wünschen übrig, aber durch die gestiegene Eigeninitiative konnte man vor allem Belhanda einbremsen.

Das Niveau des Spiels ließ in dieser Phase merklich nach: Kein Team konnte sich aus eigener Kraft Torchancen erarbeiten, weil bei beiden Mannschaften das defensive Mittelfeld hervorragend stand und dem Gegner keinen Zugriff auf den Strafraum erlaubte. Einen stärkenden Effekt hatte dabei auch der nach einer Stunde vorgenommene Wechsel von Montpellier-Coach Girard, bei dem er den robusten Benjamin Stambouli für den eher filigranen Saihi brachte. Durch die Mitte gab’s für PSG nun erst recht kein durchkommen mehr, Flügelspiel existierte weiterhin kaum.

Wie auch bei Montpellier. Utaka und Camara zogen sich merklich zurück und positionierten sich weiter innen. Damit wurden die PSG-Mittelfeld-Leute im Halbfeld, Matuidi und Sissoko, beschäftigt, aber nach vorne kam kaum noch etwas. Montpellier schien mit dem 1:1 ganz gut leben zu können.

Pastore kommt, neues System kommt, Schwung kommt

Schlussphase

Eine Viertelstunde vor Schluss brachte Ancelotti dann mit Javier Pastore den Superstar des Vereins. Der Argentinier hatte einen tollen Start im Sommer, eher seine Form immer weiter nach unten ging und er sich dann auch noch verletzte. Mit Pastore in der Mannschaft und einem 4-2-3-1, in dem Pastore auf der Zehn agierte und Ménez und Néné merklich weiter außen agierten als zuvor, entwickelte PSG sofort mehr Schwung und hatte prompt gute Chancen.

Doch diesmal war es das Team aus Montpellier, das etwas entgegen des Spielverlaufs in Führung ging: Utaka wurde weder von Sakho noch von Lugano (war für den verletzten Alex gekommen) beachtet und verwertete die Maßflanke von Giroud ohne die geringste Mühe per Kopf zum 2:1. Für PSG ein peinliches Gegentor, weil es zum einen viel zu billig fiel und zum anderen eine exakte Kopie des ersten Gegentores war: Flanke von der linken Abwehrseite, keiner beim Kopfball in der Mitte, und drin.

Doch die Schlussphase der ersten Hälfte sollte sich wiederholen, nur eben gespiegelt: Die Pariser drückten nun vehement auf den Ausgleich und sie bekamen ihn. Ménez ließ den sonst so sicheren Yanga-Mbwia aussteigen, legte auf den für dem unsichtbaren Gameiro eingewechselten Hoarau quer und der drückte den Ball zum verdienten Ausgleich über die Linie.

PSG hatte nun endlich endgültig so richtig Gefallen an dieser Partie gefunden und nahm auch nach dem Ausgleich den Fuß nicht mehr vom Gaspedal. Der Siegtreffer fiel aber nicht mehr – er wäre auch zu viel des Guten gewesen.

Fazit: Montpellier mit Mut zur Initiative zum Erfolg

Für PSG ist die Tatsache, dass diese beiden Teams ein Spiel auf Augenhöhe absolviert haben, eigentlich peinlich – schließlich verfügt Montpellier über vielleicht ein Viertel des Budgets des Hauptstadt-Klubs. Aber das Team von René Girard präsentiert sich als flinke, kompakte Einheit, in der die einzelnen zum Teil wirklich hochtalentierten Spieler tatsächlich eine funktionierende Mannschaft bilden.

Bei den Parisern sah das bis zur Einwechslung von Pastore deutlich mühsamer aus. Die Konzentration auf ein dichtes Zentrum im Spiel nach vorne macht es der Mannschaft unglaublich schwer, sich Chancen zu erarbeiten – und die französische Liga ist dafür bekannt, sehr athletisch und kompakt zu verteidigen. Zudem wird die Frage sein, ob Ancelotti von seinem Tannenbaum-System abweicht, wenn er Pastore von Anfang an bringt.

Paris St. Germain bleibt mit diesem 2:2 in der Tabelle einen Punkt vor Montpellier und bleibt natürlich der klare Favorit auf den Titel. Aber dieses Überraschungs-Team aus Montpellier hat gezeigt, dass es nicht umsonst so weit vorne steht und auch auswärts beim Tabellenführer nicht davor zurückschreckt, selbst die Initiative zu ergreifen. So hat man im modernen Fußball als Außenseiter Erfolg.

(phe)

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.