Österreichische Bundesliga 2011/12 | 21. Spieltag
Ernst-Happel-Stadion, 18. Februar 2012
Rapid Wien - Austria Wien
0-0
Tore: keine

Das schreckliche 300. Wiener Derby – ein Spiegelbild der ganzen Liga

Ohne Barazite und Junuzovic ist die Austria wieder in der Phalanx der Zauderer, Zerstörer und Abwarter. Rapid ist zwar Winterkönig und Tabellenführer, aber im 300. Derby gab es neben einer unglaublichen Fülle an Fehlpässen nicht den geringsten Plan, wie man die Austria knacken könnte. Die Folge: Eines der schlechtesten Spiele in einer ohnehin erschreckenden Saison. So steht das Derby sinnbildlich für den Gesamtzustand der Liga.

Rapid Wien - Austria Wien 0:0

Nacer Barazite war zweifellos der beste Offensiv-Allrounder der Liga. Zlatko Junuzovic fügte sich völlig problemlos bei Werder Bremen ein. Die Austria war bis zum Herbst eine der wenigen Teams, wenn nicht bis zu einem gewissen Grad das einzige, das ein Spiel selbst gestalten konnte. Ohne die beiden fehlt natürlich mörderisch viel Kreativität. Weshalb Vastic diese aus dem Spiel der Austria gleich ganz gestrichen hat.

Austria: Kontertaktik gegen vorsichtigen Gegner

Das hieß im Derby: Die Ausrichtung war die gleiche wie in der zweiten Hälfte beim 2:0 gegen Ried. Tomas Jun spielte also nicht, wie Stankovic vor ihm, viel vertikal, sondern verblieb zumeist auf einer Höhe mit Kienast. Dahinter fädelten sich in einem ganz klassischen, flachen 4-4-2 zwei sehr defensiv orientierte Viererketten. Vastic gab sich damit zufrieden, das Spiel auf sich zukommen zu lassen und zu zerstören. Aufbauspiel nach vorne fand nicht statt, zumeist wurden Bälle nur blind nach vorne gedroschen.

Das Problem dabei war, dass gegen Rapid gleich mehrere Aspekte, die gegen Ried zu einem Funktionieren geführt haben, nicht der Fall waren. Erstens stand Rapid nicht annähernd so hoch in der Abwehr wie Ried, sodass es keine Möglichkeit, mit schnellen Pässen in deren Rücken zu kommen. Zweitens fehlte ein Verbindungsspieler, über den Gegenstöße laufen hätten können – Stankovic turnte gegen Ried zwar permanent im Abseits umher, war mit seiner Beweglichkeit aus der Tiefe aber zumindest eine Anspieloption. Das war der hoch stehende Jun nicht.

Zu wenig Bewegung und Tempo bei Rapid

Und drittens ging die Austria nicht schnell in Führung, sodass der Gegner auch nicht die Notwendigkeit sah, hinten allzu großes Risiko zu gehen. Denn natürlich war auch Rapid darauf bedacht, erst einmal keine Abwehrfehler zu begehen. Pichler und Sonnleitner standen recht tief und vor der Abwehr stellten Heikkinen und Prager die Passwege auf die Austria-Stürmer Jun und Kienast zu.

Die vier Offensivkräfte in Schöttels 4-2-3-1 bewegten sich aber schlecht, boten sich kaum an und wurden immer wieder zwischen den Viererketten der Austria eingezwickt. Angesichts einer Passgenauigkeit, die dem Kellern-Niveau von jenem der Austria in nichts nachstand, kamen kaum Bälle zu dem Quartett – Christopher Drazan hatte in der ersten Halbzeit die wenigsten Ballkontakte aller Feldspieler.

Weil es dem Spiel beider Mannschaften auch neben Kreativität und Passgenauigkeit auch noch massiv an Tempo fehlte, quälte sich die Partie mit praktisch nicht vorhandenem Unterhaltungswert Richtung Halbzeit. Die Austria hatte offenbar gar kein Interesse daran, das Spiel schnell zu machen und bei Rapid war es vor allem Hofmann, der einige potentielle schnellere Angriffe abwürgte. Auch seine Freistöße waren an Harmlosigkeit kaum zu überbieten.

Das Spiel passt ins Gesamtbild der Liga

Was ein generelles Problem in der österreichischen Liga ist. Teams wie Sturm und nun auch wieder die Austria fehlt es mir ihrem flachen 4-4-2 an der Kreativität aus dem Zentrum, was sie auf das Flügelspiel drängt und damit ausrechenbar macht. Bei Salzburg schafft man es nicht und nicht, aus dem vorhandenem Spielermaterial ein funktionierendes Gesamtgefüge zu machen – Grundvoraussetzung, bevor man darüber diskutieren kann, welches System und welche Spielanlage denn nun dazu passt.

Ried wählt einen anderen Ansatz, einen der gemessen an den finanziellen Möglichkeiten grandiosen Erfolg liefert, aber am Ende fehlt es ihnen an der Konstanz und der Kadertiefe. Von Mannschaften wie Innsbruck, Wr. Neustadt  und dergleichen, denen es an individueller Qualität fehlt und die um jeden Punkt kämpfen müssen, kann man keine Kreativität verlangen.

Und Rapid hat mit Steffen Hofmann zwar einen aufgrund seiner früheren Verdienste unantastbaren Zehner, aber er kann, das hat dieses Derby klar aufgezeit, nicht mit schnellen Pässen, flinken Ideen und auch einmal mit unerwarteten Aktionen eine tief stehende Mannschaft, die es gar nicht auf eigene Kreativität anlegt, aufreißen kann. Das ging letzte Woche beim müden 0:0 in Wr. Neustadt nicht, und das ging gegen die verglichen damit deutlich bessere Austria-Defensive schon gar nicht.

Pressing? Nie gehört, offenbar

Was noch dazukommt – und das ist dann vor allem in Europacup-Spielen die größte Schwäche – ist die Tatsache, dass das Konzept des Pressing selbst 2012 nicht in die österreichische Bundesliga durchgedrungen ist. Denn während etwa der GAK in der Regionalliga das letztes Jahr unter Peter Stöger eingeführte Pressing nun unter Ales Ceh weiterführt und der natürlich auch individuell klar unterlegenen Gegnern in der 3. Liga damit endgültig die Luft zum Atmen nimmt, sieht man dergleichen in der Bundesliga überhaupt nicht.

Das geht in Liga-Spielen untereinander, weil da keiner dem anderen weh tut, aber auf internationale Bühne stellt es die heimischen Vertreter dann auf, zuletzt überdeutlich gesehen beim 0:4 der komplett chancenlosen Salzburger in der Europa League gegen Metalist Kharkiv. So konnten sich Heikkinen und Prager auch ohne Eile potentielle Anspielpartner suchen, fanden diese aber zumeist nicht und droschen die Kugel dann oft irgendwo ins Nirvana.

Zu wenig Breite, keine wirksame Umstellung

Ab etwa der 60. Minute

Rapid verabsäumte es auch in der zweiten Halbzeit außerdem, die Abwehr der Austria mit konsequentem Spiel über die Flügel auseinander zu ziehen und so zu Räumen zu kommen. Der für die zweite Hälfte statt Gorgon gekommenen Florian Klein machte das schon geschickter: Er positionierte sich eher im Halbfeld, um dann von dort mit dem Ball nach außen zu ziehen und dabei, wenn möglich, in den Rücken von Markus Katzer zu kommen.

Zwei, drei gute Läufe hatte Klein, das Kreativloch konnte aber auch er nicht nachhaltig stopfen. Rapid-Coach Schöttel brauchte also defensiv nichts befürchten, wenn er die personelle Überzahl im Zentrum aufgab. Er stellte nach einer Stunde auf ein 4-1-3-2 um, indem er Achter Prager raus- und Stürmer Nuhiu hineinbrachte. Das löste aber das Problem nicht, weil Rapid – gerade jetzt mit einem Mann weniger in der Zentrale – noch mehr auf lange Bälle angewiesen war. Die Austria hatte keine Probleme, das zu verteidigen.

Vastic traut sich nix

Wie konservativ – um nicht „feig“ zu sagen – der einstige Offensiv-Allrounder Vastic als Trainer ist, zeigte sich an der Tatsache, dass er sich mit seinen Wechseln nicht traute, Signale nach vorne zu setzen. Simkovic, der statt Liendl kam, spielte genauso sicher nach hinten und planlos nach vorne wie sein Vorgänger, und auch der Wechsel Kienast/Tadic zeitigte keine nachhaltige Wirkung.

Lediglich James Holland vermehrte nun seine Läufe nach vorne. Dort war er aber immer eher darauf bedacht, Freistöße zu schinden, als die Stürmer zu bedienen. Am ausnehmend schwachen Heikkinen, der ohne Prager an seiner Seite völlig zusammenbrach und kaum noch einen Zweikampf gewann, ging der Australier immer wieder problemlos vorbei. Als Schöttel diesen Brandherd mit Zerstörer Kulovits löschte, hatte sich aber auch das erledigt.

Fazit: Ein Spiel wie die Liga

Das 300. Wiener Derby wird zweifellos als eines der schlechtesten in die Geschichte eingehen. Es stellt sich die Frage, ob es mehr an der Unfähigkeit zu einem schnellen Kreativspiel mit Pressing, Tempo und Eingeninitiative liegt, warum all das nicht nur in diesem Spiel, sondern generell in der österreichischen Liga nicht stattfindet, oder am Unwillen einer neuen, jungen Trainerkaste, die sich nicht traut, mehr Risiko zu gehen.

Denn während die Altersgenossen von Leuten wie Schöttel und Vastic in anderen Ländern einen aktiven Fußball predigt, mit dem Konzept, das eigene Spiel dem Gegner aufzuzwingen, regiert in der heimischen Liga selbst bei der immer mehr zum Zug kommenden Generation der etwa 40-Jährigen auf der Trainerbank die Angst vor dem Verlieren eindeutig über den Willen zum Sieg.

Das Resultat sind, im kleinen Maßstab, schreckliche Spiele wie dieses. Und, im größeren Maßstab, ein immer weiter aufklaffendes Loch zur internationalen Mittelklasse. Hier besteht die größte Gefahr – nämlich jene, dass man sich wegen der steigenden Tendenz in der Fünf-Jahres-Wertung blenden lässt. Spiele wie das 0:4 von Salzburg in der Europa League erzählen die wahre Geschichte.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.