Europa League 2010/11 | Achtelfinal-Hinspiel
Luzhniki, 10. März 2011
ZSKA Moskau - FC Porto
0-1
Tore: 70' Guarín

Slutski vs. Villas-Boas, oder: Wie ähnlich sich so verschiedene Typen sein können

Zwei der besten verbliebenen Teams in der Europa League – zwei der interessantesten Trainer Europas: Wunderkind André Villas-Boas vom FC Porto und der etwas schrullige Leonid Slutski von ZSKA Moskau lieferten sich ein ausgeglichenes Duell der Matchpläne. Das Porto dank eines individuellen Geniestreichs von Guarín mit 1:0 gewann.

ZSKA Moskau - FC Porto 0:1

André Villas-Boas gilt als Wunderkind. Als legitimer Nachfolger von José Mourinho. Der Trainer des FC Porto ist erst 33 Jahre alt, sieht auch so aus, jugendlich, voller Elan, elegant angezogen und ein toller Trainer obendrein. Leonid Slutski hingegen ist so ein wenig die russische Version von Vicente del Bosque. Der 39-jährige ZSKA-Trainer kam als Interimslösung, etablierte sich aber als Chefcoach. Er versprüht einen deutlich herberen Charme (wenn man das bei ihm so nennen kann), sieht aus als würde er gerne mal ein Wässerchen mehr trinken als weniger, wippt 90 Minuten lang nervös auf seiner Bank hin und her.

Doch so unterschiedlich die beiden Trainer der zwei womöglich aufregendsten Mannschaften sind, die sich unter den letzten 16 der diesjährigen Europa League befinden, so ähnlich ist das Leistungsvermögen ihrer beiden Mannschaften – die sich nächste Saison auch folgerichtig beide in der Champions League wiederfinden werden: ZSKA ist russischer Vizemeister, Porto walzt wie ein Frachtzug die portugiesische Liga nieder.

Villas-Boas und sein 4-3-3

Beide Mannschaften praktizieren ein konsequentes Pressing, beide Abwehrreihen veruschen schnell aufzurücken und hoch zu stehen. Nur ihre Raumaufteilung teilen die beiden Teams nicht ganz. Der FC Porto spielt, wie schon im Herbst etwa gegen Rapid, in einem 4-3-3 ohne stringentes Mittelfeld: Ähnlich wie etwa bei Hoffenheim definiert sich das System von Villas-Boas eher durch zwei Dreiecke auf den jeweiligen Seiten. Über die linke Seite mit LV Fucile und Linksaußen James Rodríguez, zumeist unterstützt von Moutinho aus der Zentrale. Und über die rechte Seite, deutlich besser harmonierend, mit RV Sapunaru, Rechtsaußen Hulk und Guarín. Letzterer wechselte mit Moutinho oftmals die Seiten.

Die linke Flanke hinkte bei Porto ein wenig, was daran lag, dass sich James Rodríguez – auf seinem Trikot steht schlicht „James“ – sehr weit in die Mitte orientierte, ohne dass der mit dem sehr offensiven Keisuke Honda viel beschäftigte Fucile ihn oft hinterlaufen hätte können. Sapunaru auf der anderen Seite hatte Jungstar Alan Dzagojev komplett in der Tasche und verband sich gut mit Hulk. Alles in allem hatten die Gäste aus Portugal das Plus an Ballbesitz, kamen aber gegen die sicher stehenden Viererketten der Russen praktisch nie vor das Tor.

Slutski und sein 4-4-2

Ganz anders ZSKA: Mit ihrem zum Teil brutalen Pressing gegen den Ball erzwangen sie schon in der 1. Minute eine tolle Chance durch Doumbia, die Porto-Goalie Helton gerade noch entschärfen konnte. Das setzte den Ton für weite Strecken des Spiels: Porto hatte mehr Ball, aber ZSKA konnte mit explosivem Umschalten nach dem Ballgewinn immer wieder in den vielen Platz hinter der hoch stehenden Porto-Verteidigung stoßen und hatte somit das deutliche Übergewicht an Chancen.

Slutski, der seine Karriere als Torhüter nach einem Sturz von einem Baum – er wollte eine Katze retten – schon als 19-Jähriger beenden hatte müssen, setzt bei seinem Team auf ein 4-4-2, das im Ballbesitz im Idealfall zu einem 2-4-4 wird. Das heißt: Die Außen im Mittelfeld, diesmal Honda rechts und Dzagojev links, sind verkappte Außenstürmer; Honda war das in diesem Spiel tatsächlich. Und die Außenvertediger, Nababkin rechts und Schennikov links, sollen vor allem nach Ballgewinn so schnell nach vorne wie nur möglich.

Die numerische Unterlegenheit in der Zentrale, auf die Slutski in der letzten Runde gegen PAOK noch (weitgehend zu Recht) für verzichtbar hielt, glich er gegen Porto aus, indem einer der beiden Stürmer – zumeist war das eher Doumbia – etwas zurückfallen ließ und Fernando hinterertrottete. Was obendrein den Vorteil hatte, dass einer der beiden extrem trickreichen Stürmer nach Ballgewinn schnell anzuspielen war.

Individueller Geniestreich durchbricht Neutralisation

Die beiden konsequent verfolgten Matchpläne von zwei so ähnlich starken Teams hatte zur Folge, dass sich die Kontrahenten auf sehr ansprechendem Niveau neutralisierten: Porto mit mehr Spielanteilen, ZSKA mit den besseren Chancen. Daran änderte auch die Auswechslung des eher enttäuschenden James Rodríguez (für Silvestre Varela) nichts, weil beide Trainer bis zum Schlusspfiff nichts an ihrere Grundordnung änderten.

So musste in der 70. Minute ein individueller Geniestreich herhalten, um die Pattsituation zu durchbrechen: Fredy Guarín ließ an der Strafraumgrenze mit einer schnellen Körpertäuschung Vitali Beresutski aussteigen, fackelte nicht lange und versenkte den Ball unhaltbar für Akinfejev zum 1:0 für Porto im Tor. Ein Riesenvorteil für die Gäste, die nun mit einem Auswärtstor im Rücken in das Heimspiel gehen können.

Und nicht nur das – sogar mit einem 1:0-Auswärtssieg. Denn Slutski brachte zwar den starken Serben Tosic für Honda, doch weil sich Porto mit der Führung im Rücken etwas zurückziehen konnte, fand er kaum einmal den Platz vor, um sich und die beiden Stürmer wirklich in Szene zu setzen. Und wenn doch, verstümperte sie zumeist der zu umständliche und allzu verspielte Vagner Love. Und der zehn Minuten vor Schluss für Doumbia ins Spiel gekommene Tscheche Necid? Der fand überhaupt keine Bindung zu Spiel mehr.

Fazit: Porto gewinnt ein Münzwurf-Spiel

Man hätte auch eine Münze werfen können – es war angesichts der sehr ähnlichen Stärke der beiden Teams davon auszugehen, dass es eine sehr enge Partie wird, die, wenn überhaupt, entweder von einem groben Fehler oder von einem einzelnen Geniestreich entschieden wird. Es wurde letzteres, und so geht der FC Porto mit einem klaren Vorteil in das Rückspiel im heimischen Estadio do Dragão.

Einen klaren Sieger im Duell der ungleichen und doch so ähnlichen Trainer kann dieses Spiel aber nicht ausmachen – denn die Matchpläne waren im Endeffekt gleich gut geplant und auch gleich gut ausgeführt. Und dann entscheiden eben Kleinigkeiten, und auf eine feine Einzelleistung hat kein Trainer Einfluss.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.