Magath macht Raúl zum Manndecker

Schalke erkämpft sich ein 0:0 im Revierderby beim designierten Meister Dortmund – was zum einen an sensationellen Paraden von Torhüter Neuer liegt. Zum anderen aber auch an Felix Magath, die dem vor der Pause groß aufspielenden BVB den Wind aus den Segeln nahm – indem er Raúl zum Manndecker machte.

Borussia Dortmund - FC Schalke 04 0:0 (1. Hälfte)

Überlegener Tabellenführer, angepeitscht von einem rappelvollen Stadion, gegen einen der großen Under-Achiever der Saison. Oder kurz: Dortmund gegen Schalke – das emotionsgelandeste Derby der deutschen Bundesliga. In dem Dortmund (mit Santana statt des gesperrten Subotic in der IV) von Anfang an das gewohnte Spiel aufzog: Extremes Pressing, Druck über die Außen, hohes Tempo. Die Schalker kamen damit überhaupt nicht zu Recht und machten sofort Fehler: Metzelder beim Herausrücken (3.), Höwedes bei einer Freistoßflanke (5.), Schmitz im Laufduell mit Blaszczykowski (7.) – schon nach sieben Minuten hatte Dortmund drei gute Chancen. Schalke? Mit einem Panikorchester vergleichbar.

Die Schwachpunkte in dieser Phase aufzuzählen, dauert. Zum einen haben sich die Dortmunder sofort auf den kleinen Anthony Annan eingeschossen. Der Sechser, der neu aus Trondheim gekommen war, ist erst ein paar Tage bei der Mannschaft, und wurde dennoch sofort in so ein emotional aufgeladenes Spiel vor so einer Kulisse geworfen. Und in diesem sah er sich dann auch noch sichpermanent mit minimum zwei (meistens drei) in vollem Tempo auf sich zustürmenden Dortmunder konfrontiert… Kein Wunder, dass Annan, der ja eine mehr als anständige WM gespielt hat, nach zehn Minuten mit den Nerven erst mal durch war.

Dann war da diese Schwäche über die Außen, vor allem die linke Schalker Abwehrseite war ein Torso. Was nicht nur an Lukas Schmitz lag, der Jakub Blaszczykowski permanent hinterher lief, sondern zu einem großen Teil auch an José Manuel Jurado vor ihm. Der Spanier nahm überhaupt nicht am Spiel teil und Defensivarbeit schien ihn erst recht nicht zu interessieren. So rückte Schmitz zwar programmgemäß immer wieder ein, um im Strafraum die Räume eng zu machen, aber Jurado ließ Blaszczykowski immer wieder gewähren. Der Pole stieß erbarmungslos in die riesigen entstehenden Räume und Schmitz musste jedesmal wieder rausrücken. Und war natürlich immer einen Schritt zu spät.

Ähnlich sah die Sache auf der anderen Seite aus: Farfán, der ja unbedingt wegwollte, den Hals vor lauter Gehaltsforderungen aber nicht vollbekam und bleiben musste, hatte überhaupt keine Bindung zum Spiel. Der giftige Großkreutz konnte das aber nicht in dem Maße nützen wie das Blaszczykowski konnte, weil sein Gegenspieler Uchida – vollgepumpt mit dem Selbstvertrauen eines Asiencup-Siegers – sehr viel besser mit der Situation umging als Schmitz.

Aber nicht nur die Flügelspieler waren abgemeldet, auch die beiden zentralen Defensivspieler machten einen eher chaotischen Eindruck. Ja, Annan fing sich nach anfänglicher Nervosität, aber er und Kluge waren außerstande, dem Dortmunder Mittelfeld irgend etwas entgegen zu setzen. So konnte nicht nur Götze ziemlich tun, was er wollte, sondern auch Sahin und Bender konnten mit Tempo aus der Tiefe kommen – weil es ein offensives Mittelfeld bei Schalke, um das man sich kümmern könnte, schlicht nicht gab.

So hatte Dortmund in der erste Halbzeit nach Belieben im Griff und kam zu zahlreichen Chancen – es war nur einem grandiosen Manuel Neuer zu verdanken, dass Schalke bis zur Halbzeit das 0:0 halten konnte. Selbst Aktionen nach vorne starten? Na, das gab’s bei den Königsblauen in der ersten Halbzeit überhaupt nicht. Mal ein Energieanfall von Farfán (der einzige), mal ein Freistoß von der Seitenlinie, mal ein Weitschuss. Aber zu konstruktivbem Aufbau kam Schalke in keinster Weise.

Magath funktioniert Raúl um

Dortmund - Schalke 0:0 (2. Halbzeit)

Schalke-Trainer Felix Magath sah natürlich, dass vor allem sein Mittelfeld heillos überfordert und von der Raumaufteilung her schlicht komplett falsch aufgestellt war. So stellte er für die zweite Halbzeit um – nicht personell, aber von der Formation: Annan spielte nun einen sehr tief stehenden Solo-Sechser und kümmerte sich ziemlich Mann-zu-Mann um Mario Götze, Kluge rückte nach vorne und gab nun einen zentralen offensiven Mittelfeldspieler – so wurde aus dem Schalker System ein 4-1-3-2. Die wichtigste Änderung aber betraf Raúl.

Raúl war nun nicht mehr vordergründig die hängende Spitze, sondern hatte einen ganz expliziten Defensiv-Auftrag: Er engte nun die Kreise von Nuri Sahin ordentlich ein, war somit de facto der vorderste Abwehrspieler seiner Mannschaft. Das zeigte massiv Wirkung bei Dortmund: Dass mit Götze und Sahin die beiden wichtigsten Spieler in der Gestaltung nun an der kurzen Leine von Kettenhunden waren, behagte dem BVB überhaupt nicht.

Zudem kam hinzu, das Schalke nun auch deutlich aggressiver den Ballführenden attackierte und den Mittelfeld der Dortmunder kaum noch Zeit fand, durchdachte Angriffe aufzubauen. Andererseite hatte Schalke aber nun mit Kluge einen einigermaßen freien Mann, der sich im Zentrum viel bewegte und sich als Anspielstation im Aufbau immer anbot. Bis auf eine tolle Chance von Jurado (77.) zwar kaum echte Torchancen, hielt den Gegner aber deutlich besser unter Kontrolle als das noch in der ersten Halbzeit der Fall war.

Dennoch brauchte es einen Manuel Neuer in Gala-Form, um dem Team von Felix Magath das 0:0 zu retten – wie bei seinem riskanten Auflug gegen Lewandowski zu klären (78.), dann holzte Götze den Matchball an den Pfosten (84.). Aber weil Jürgen Klopp auch mit seinen Wechseln keine Antwort fand – er wechselte Lewandowski (für Großkreutz) und Zidan (für Blaszczykowski) ein, änderte aber das System nicht – gelang es seiner Mannschaft auch nicht, in der zweiten Hälfte annähernd jenen Druck aufzubauen, den es vor allem in der ersten halben Stunde gegeben hatte. Welshalb es schließlich beim 0:0 blieb.

Fazit: Magath reagiert klug, Neuer Weltklasse, Raúl unbesungener Held

Keine Frage, für den überlegenen Tabellenführer Dortmund sind es zwei verlorene Punkte auf dem Weg zur längst sicher scheinenden Meisterschaft. Das lag zum einen an der schludrigen Chancenverwertung, zum Anderen aber auch an den guten Umstellungen von Felix Magath in der Halbzeit. Sein Schachzug, Annan gegen Götze und vor allem Raúl gegen Sahin als Kettenhunde einzusetzen, brachte Dortmund so sehr aus dem Rhythmus, dass sich Schalke deshalb durchaus nicht ganz unverdient einen Punkt mitnehmen kann.

Die erste Hälfte hat gezeigt, warum Dortmund so weit vorne ist und warum Schalke den Ansprüchen weit hinterher hinkt. Die zweite Hälfte war indes ein Indiz dafür, wie Dortmund zu packen wäre und dass mit einer klugen Umstellung eines Trainers ein ganzes Spiel einen anderen Verlauf nehmen kann. Und, dass Raúl nicht nur ein erfahrender Offensivspieler ist, sondern auch ein Arbeiter im Dienste der Mannschaft sein kann. Weshalb man ihn neben dem großartigen Neuer durchaus als Mann des Spiels bezeichnen kann.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.