Premier Leaks #8: Wie irre ist Liverpool?

Andy Carroll (22) wechselt für 41 Mio. Euro zu Liverpool (Bild)

Der Transferschlusstag ist immer ein spannendes Unterfangen. Die Karten werden gezeigt, die Gerüchte der letzten Wochen als Wahrheit oder Lüge entlarvt. Besonders in England genießen Fußballfans den Tag. Die Sport-Sender übertragen von früh bis spät, platzieren Reporter vor allen wichtigen Klubheimstätten. Online blödeln manche Journalisten gemeinsam mit den Fans, während im Hintergrund ihre Kollegen versuchen an die nächste heiße Information zu kommen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, wer gerade wo in welchen Hubschrauber steigt um irgendwohin zu einem Fitnesstest zu fliegen.

Manchmal passiert an solchen Tagen nicht viel. Gerade im vergangenen Sommer galt ja auch das Credo der neuen Sparsamkeit. In diesem Jänner war es damit wieder nicht so weit her. Besonders der Noch-Rekordmeister Liverpool durfte – dank seiner Entschuldung durch die neuen amerikanischen Eigentümer – nach mehreren enthaltsamen Transferrunden wieder einkaufen. Mit Luis Suarez wurde in den letzten Tagen der Transferrekord des Klubs gebrochen (etwa 27 Millionen Euro). Ein Signal der Eigentümer an die geplagten Fans: „Wir meinen es ernst“.

Gemütsschwankungen in Rot

Doch selten war die Ankunft eines jungen Superstürmers als teuersten Einkauf der Klubgeschichte wohl von so einer Depression begleitet, wie in diesen Tagen an der Anfield Road. Zeitgleich mit der Verpflichtung des Uruguayers drangen Gerüchte durch, Fernando Torres würde zu Chelsea wechseln wollen. Der Torgarant der letzten Jahre will zu einem Klub, der Titel holt. Mit dieser Idee kam er schon von Atletico Madrid nach Liverpool, wurde aber von den Wirren der Schuldenlast enttäuscht. Und nachdem er noch im Sommer zum Bleiben überzeugt werden konnte, schien es dem 26-jährigen diesmal genug.

Bevor Liverpool „El Niño“ um sagenhafte 60 Millionen Euro (britischer Rekord) ziehen lassen wollte, musste ein Ersatz her. Die notorische Stürmernot vergangener Saisonen würde sicher nicht dadurch gelöst, den vielversprechenden Suarez zu kaufen und dann den erprobten Torres abzugeben. Newcastles Andy Carroll rückte ins Visier der Verhandler. 11 Tore und 7 Assists hat der in dieser Saison vorzuweisen. Liverpool bot viel, wollte in den Morgenstunden noch 30 Millionen Euro auf den Tisch knallen. Doch Newcastle blieb stur. Trainer Alan Pardew war alles andere als begeistert, zu wichtig war Carroll im Gefüge des Aufsteigers. Erst beim Wacheln von 41 Millionen unter ihrer Nase wurden die „Magpies“ schwach.

Das Transferschlusstagsdrama nahm seinen Lauf und die Fans in den Onlineforen konnten es nicht fassen. Carroll war ein Guter, das bestätigten alle, doch dieser Deal machte ihn zum neuntteuersten Spieler aller Zeiten (Torres schon berücksichtigt). War Liverpool verrückt geworden? Genau das wollen wir uns ansehen. Carrolls Wert wurde in den letzten Monaten ab und zu in den Medien kolportiert. Von 24-25 Millionen Euro wurde da schon mal gesprochen. Was kann einen Verein dazu verleiten, diese Schätzungen fast zu verdoppeln?

  • Man brauchte Carroll dringend
  • Man hätte Torres nicht verkaufen müssen – erst im Sommer wäre seine 60 Millionen Euro-Ausstiegsklause schlagend geworden. Doch Reisende soll man bekanntlich nicht aufhalten. Was ein Torres ohne Lust und Form wert ist, musste man zu Beginn dieser Saison beobachten. Der 26-jährige Spanier mit einem Hang zu Verletzungen hatte es sich mit seinen vielen Top-Leistungen wohl auch nicht verdient, dass man ihn zum Bleiben zwingt. Es musste also schnell Ersatz geschaffen werden. Wenn bekannt wird, dass ein Klub Handlungsbedarf hat, neigen Transfers immer etwas teurer zu werden.

  • Carroll hatte einen Vertrag bis 2013
  • Newcastle hatte seine Hausaufgaben gemacht, wer Carroll wollte musste entweder Jahre warten oder ihn aus dem Vertrag auskaufen. Auch das wirkt im Normalfall preissteigernd.

  • Carroll ist Engländer
  • Dahinter steckt keine falsche Sentimentalität von seltsamen Patrioten. Die Premier League hat (wie besprochen) ein neues Kader-Regelwerk erstellt, das einen Mindestanteil an „Home Grown“-Spielern vorsieht. Dadurch werden gute Engländer noch begehrter für die Top-Klubs, die meist mit vielen Legionären an den Start gehen.

  • Carroll ist erst 22
  • Wenn alles gut läuft, schießt der 1,91 Meter große Mittelstürmer nun ein gutes Jahrzehnt seine Tore für Liverpool. Sofern er sein Talent und Können nicht komplett im Casino verspielt, kann man ihn in den nächsten Jahren schlimmstenfalls auch immer noch mit erträglichen Verlusten wieder verkaufen. Der frisch gebackene England-Teamspieler hat bisher keine große Verletzungsanfälligkeit gezeigt und ist ein Versprechen für die Zukunft – auch dieses Versprechen kostet extra.

  • Es ist Jänner
  • Mitten in der Saison kosten Spitzenspieler immer etwas mehr. Ihre alten Klubs müssen immerhin gleichwertigen Ersatz finden und gehen das Risiko ein, dass das Mannschaftsgefüge Schaden nimmt.

  • Liverpool hat neue Eigentümer
  • Das Suarez-Signal wäre schnell wieder erloschen, hätte man mit dem Torres-Verkauf sogar noch eine positive Transferbilanz aufgewiesen. Die Eigentümer mussten in diesem Fenster die Fans von ihren positiven Absichten für den Verein überzeugen. Und das dazu notwendige Statement freut nun die Kasse im Newcastle’schen Vereinshaus.

  • Die Transfer-Millionen sind nur die halbe Wahrheit
  • Wir alle sind auf die Transfersummen fixiert, die im internationalen Fußball gezahlt werden. Ein Deal ist aber umfangreicher, es stellt sich auch die Frage nach dem Einkommen. Mit Fernando Torres gibt Liverpool einen ab, der rund 130.000 Euro pro Woche bekommt. Bei Chelsea – so will es die Gerüchteküche – soll der Spanier übrigens 200.000 Euro in der Woche verdienen. Carroll dürfte hingegen mit läppischen 95.000 abgespeißt werden. Dieser Unterschied kann schon bei einzelnen Spielern die Kaderkosten um zahlreiche Millionen im Jahr verändern.

    Am Ende will ich noch ein wenig Statistik ins Spiel bringen. Carroll schießt aktuell alle 145 Minuten ein Tor (0,58 Tore pro Einsatz), Torres begnügt sich in der Saison 2010/11 mit einem 210-Minuten Rhytmus (0,39 pro Spiel). (Dimitar Berbatov, Goldener Schuhträger in spe, wimmst im Moment übrigens alle 85 Minuten ins Netz. Do the math!)

    Zählt man das alles zusammen, lässt sich zumindest ansatzweise nachvollziehen, was sich da an diesem Montag in Liverpools Klubbeißl abgespielt hat. Die Summe, die die Reds für den jungen Andy Carroll abdrücken, bleibt unter dem Strich trotzdem extrem und mit einigem Risiko verbunden. Leute wie Arsene Wenger (der auch diesmal wieder geknausert hat) und Alex Ferguson (der wohl auch genug Bebe-Abenteuer für diese Saison hatte) beschreiben die Situation damit, dass der Transfermarkt keinen Wertemaßstab kennt („There is no value in the market“). Ein Thema, das uns sicher noch das ein oder andere Mal beschäftigen wird.

    Für den Moment bleibt eine letzte offene Frage, die ich ans Forum weitergeben möchte: Wie irre ist eigentlich Chelsea? ;)

    Premier Leaks #7 erschien übrigens exklusiv für derStandard.at

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