Das Statement

Wer geglaubt hat, Dortmund könnte nach dem tollen Herbst einbrechen, oder zumindest einen Fehlstart hinlegen – auswärts beim ersten echten Verfolger wäre das ja keine Sensation gewesen – wurde eines besseren belehrt. Denn das 3:1 war ein Statement: „Uns holt keiner mehr ein!“

Bayer Leverkusen - Borussia Dortmund 1:3

Einer der ganz großen Faktoren auf dem Weg zum überlegenen Herbstmeistertitel von Borussia Dortmund war das Pressing. Keine andere Mannschaft in der deutschen Bundesliga spielt so einen Spielverderberfußball wie jene von Jürgen Klopp – will sagen, gegen ein solches Team zu spielen, kann gar keinen Spaß machen. Vor allem dann nicht, wenn wie bei Bayer Leverkusen mit Arturo Vidal einer der wichtigsten Spieler aus der Hinrunde aus persönlichen Gründen Teile der Vorbereitung verpasste und somit nicht von Beginn an auflaufen kann. Auch dann nicht, wenn mit Shinji Kagawa einer der Superstars der Dortmunder Höhenflugs beim Arsenal Asiens auf den Asiencup losgeht.

Das musste auch Bayer Leverkusen erfahren. Die Dortmunder pressten von Anpfiff weg dermaßen aggressiv auf den jeweils Ballführenden Leverkusener, dass diesen keinerlei Luft zum Atmen blieb. Oftmals sah sich der Passempfänger auf Seiten von Bayer schon mit einem oder zwei in vollem Tempo auf ihn zustürmenden Dortmunder konfrontiert, da war der Ball noch gar nicht angekommen – und versprang dieser bei der Annahme auch nur einen halben Meter, war der Ballbesitz schon längst wieder bei der Borussia.

Leverkusen schaffte es somit nie, mehr als ein, zwei Pässe hintereinander an den Mann zu bringen, ehe Dortmund die Kugel wieder hatte und sich blitzartig nach vorne orientierte. Was auch am System lag: Denn während Bayer-Trainer Heynckes ein ganz klassisches 4-4-2 mit einer flachen Mittelfeldkette aufs Feld schickte, war das gewohnte Dortmunder 4-2-3-1 den Gegebenheiten des Spiels und denen des Gegnern um Längen besser geeignet. Vor allem im Bereich des offensiven Mittelfelds nützte Klopp die Formation der Leverkusener gnadenlos aus.

Denn im Zentrum, wo Leverkusen an sich einen numerischen Nachteil hatte, verzichtete Dortmund auf selbigen – und zwar doch einigermaßen eklatant. Denn während Sven Bender sich eher zurückfallen ließ und Götze sich im Rücken von Rolfes und Lars Bender breitmachte, stand de facto Nuri Sahin alleine gegen diese beiden. Was aber nichts machte, weil Dortmund es verstand, die so entstehenden Raumvorteile anderswo exzellent zu nützen. Das heißt: Ob des massiven Pressings kam die Bayer-Zentrale überhaupt nicht dazu, auf irgend eine Weise sinnvoll ins Spiel einzugreifen, Dortmund brauchte die Überzahl im Mittelkreis also gar nicht.

Denn dafür hatten sie vor allem im eigenen offensiven Mittelfeld einen riesigen Vorteil – nämlich den, dass sich Götze hinter den beiden Leverkusener Sechsern ausbreiten konnte, wie er wollte. Er war somit eine sich immer in Bewegung befindliche Anspielstation nach dem Ballgewinn und blieb dabei von Leverkusen ziemlich unbehelligt. Was den Grund in der restlichen Raumaufteilung der Borussia hatte: Denn hätten sich Rolfes und Lars Bender weiter zurückgezogen, um sich Götzes anzunehmen, wäre Bayer zu tief gestanden und hätten Dortmund so quasi kampflos das Mittelfeld überlassen. Wäre einer aus dem Innenverteidiger-Duo Friedrich/Reinartz zu Götze aufgerückt, hätte Sturmspitze Lewandowski zu viel Platz gehabt. Bayer war in einem Dilemma gefangen, aus dem es kein Entrinnen gab.

Und nach vorne? Nun, da konnte bei Leverkusen nichts Sinnvolles zu Stande kommen. Wie auch? Dortmund ließ das gar nicht zu. Das Mittelfeld war völlig aus dem Spiel, die Außenverteidiger von Blaszczykowski und Großkreutz zur Defensivarbeit gezwungen, und so blieb dem komplett in der Luft hängenden (und auch recht statischen) Sturm-Duo Kießling/Helmes kaum mehr als die Zuschauerrolle. Das einzige Mittel, wie Bayer den Ball nach vorne brachte, waren lange Bälle von hinten – von denen kamen in der ersten Hälfte genau zwei Stück einigermaßen brauchbar auf Kießling; auf Helmes gar keiner.

Den einzigen Vorwurf, den sich Dortmund zur Halbzeit machen muss: Es gab keine Tore. Denn auch, wenn das ultra-massive Pressing nach 20, 25 Minuten ein Ende hatte – es reichte auch danach die Andeutung davon, um die Leverkusener weiterhin an der Kandarre zu halten. Trotz eines absoluten Klassenunterschieds stand es zur Pause somit 0:0.

In fünf Minuten auf 3:0

Das korrigierte der Tabellenführer aber nach der Pause prompt: Als sich Schwaab nach einem weiten Einwurf (den schon Friedrich falsch eingeschätzt hatte) vor das Tor nicht allzu geschickt daran versuchte, einen den Ball vor dem hinter ihm stehenden Großkreutz wegzuköpfen, brauchte der Dortmunder nur noch „Danke“ zu sagen und die hochverdiente Führung war gefallen (50.). Und damit der Bann gebrochen. Denn drei Minuten später verschätzte sich Friedrich im Laufduell nach einem von Lewandowski per Kopf verlängerten langen Pass erneut auf Großkreutz, der ohne zu zögern zum 2:0 abdrückte. Und weil der Doppeltorschütze in Minute 55 (erneut nach einem Einwurf) in der schnellen Vorwärtsbewegung einmal mehr Friedrich alt aussehen ließ, hatte Götze freie Bahn und schoss durch die Beine von Bayer-Goalie Adler zum 3:0 ein.

Und nachdem Lewandowski im Laufduell mit Reinartz – erneut nach einem Einwurf – beinahe in der 60. Minute das 4:0 erzielt hätte, wechselte Jupp Heynckes. Und zwar gleich dreimal. Mit Vidal (statt Lard Bender) wurde die Mittelfeldzentrale bei Leverkusen deutlich lebhafter, der Chilene gab einen laufstarken und körperbetonten Box-to-Box-Midfielder. Mit Barnetta (statt Sam) kam einiger Schwung auf die linke Seite. Und mit Derdiyok (statt Helmes) kam nun ein neuer Mann in die Spitze neben Kießling.

Dortmund schaltet ab

Dass sich das Leverkusener Spiel nun entspannte, lag aber zu einem großen Teil auch daran, dass die Borussia nun ihre Bemühungen weitgehend einstellte. Der Tabellenführer lag 3:0 voran, wozu dann noch kräfteraubend auf den längst geschlagenen Gegner pressen? Zumal man ja weiterhin immer wieder recht simpel zu Torchancen kam. Das ging erst zurück, als in der 68. Minute der bärenstarke, aber ob seiner vielen Laufarbeit platte Götze ausgewechselt wurde. Für ihn kam Barrios, der sich in die Spitze orientierte; Lewandowski übernahm die Position von Götze – nur, dass er dort nicht annähernd die Präsenz und die jetzt schon vorhandene Klasse Götzes besitzt.

Klopp hatte schon zuvor eine weitere Änderung vorgenommen, deren Auswirkungen sich nur schwer taxieren lassen. Für die zweite Hälfte musste Sven Bender mit einer Bänderdehnung w.o. geben, für ihn kam Antonio da Silva. Der Brasilianer ist gelernter Spielmacher, und so übernahm er die Position von Sahin, der Türke wiederum orientierte sich auf die defensivere Bender-Rolle. Was das wirklich gebracht hat, kann man schwer sagen – denn mit den drei schnellen Toren hatte sie nichts zu tun, und danach gab die komplette Mannschaft nicht mehr Vollgas. So bekamen sie hintenraus noch Probleme – aber ob das der Fehler der beiden war oder auf die generelle Einstellung der Mannschaft in der Schlussphase zurück zu führen ist…?

Bayer mit der zweiten Luft

Nach dem Austausch von Götze war Bayer wieder in der Partie drin. Dortmund spielte nun in einem 4-4-1-1 und ohne den letzten Einsatz fanden die Leverkusener nun die Möglichkeiten vor, die Demütigung etwas einzudämmen. Das kann Jürgen Klopp nicht gefallen haben – zumal sich nach dem 1:3 durch Kießling (80.) noch weitere Chancen ergaben, das Ergebnis zu verkürzen und das Spiel womöglich noch einmal spannend zu machen. Weshalb er hier noch reagierte und mit Felipe Santana (statt Großkreutz) einen Innenverteidiger brachte; Hummels rückte dafür in jenes defensive Mittelfeld auf, das Sahin und Da Silva außer Kontrolle zu verlieren drohten. Im Endeffekt brannte dann auch nichts mehr an.

Fazit: Ein Sieg, ein Statement

Was Dortmund in den ersten 60, 70 Minute ablieferte, war nichts anderes als ein gewaltiges Statement an die Bundesliga-Konkurrenz: „Wir sind so stark, ihr habt keine Chance mehr gegen uns!“ Leverkusen lief der Musik eine Stunde lang nur hinterher und war komplett chancenlos – wohlgemerkt, als erster ernsthafter Verfolger in einem Heimspiel. Und das noch dazu, wo mit Shinji Kagawa einer der BVB-Schlüsselspieler des Herbstes gar nicht dabei war. Leverkusen hatte mit dem 4-4-2 gegen die aggressiven Dortmunder, die noch dazu eine optimale Raumaufteilung hatten, nichts zu bestellen.

Gefühlt ist die deutsche Meisterschaft mit diesem Spiel entschieden. Denn nicht nur, dass Dortmund den ohnehin schon komfortablen Vorsprung weiter ausbaut. Nein, vor allem als Signal an die Konkurrenz war die Art und Weise des Sieges von großer Wichtigkeit.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.