Rückzugsgefecht

Immer mehr Beobachter des österreichischen Fußballs kritisieren die mangelnde Bereitschaft des Teamchefs, sich mit strategischen Fragen zu beschäftigen. Darum lässt er keine Gelegenheit aus, zu betonen, wie wurscht Taktik doch sei. Wie ein Neandertaler, der merkt, dass er ausstirbt.

Die Neandertaler bevölkerten lange Zeit weite Gebiete Europas. Sie taten das nicht ohne Erfolg, bis der Homo Sapiens auf den Plan trat. Er war intelligenter als der Neandertaler, konnte sich besser auf die Gegebenheiten und die Konkurrenz einstellen, und verdrängte ihn dadurch mehr und mehr. Bis der Neandertaler ausgestorben war.

So ähnlich kommt einem die Haltung vor, mit der sich Didi Constantini immer starrer durch die Medienlandschaft murrt. Eine „flache Vier“ definierte er jüngst (im Scherz, wie ich hoffe) als „defensiven Läufer, der am Boden liegt.“ Dann meinte er auf die Frage, ob ihm Taktik wurscht wäre, dass ihm die Spieler wichtiger wären. Ehe er nun nachlegte, indem er sinngemäß von sich gab, ja, Taktik wäre zumindest grob überbewertet.

Natürlich, wenn man Taktik so rudementär und steinzeitlich definiert wie der Teamchef („Es geht ja fast überall ums Gleiche, um einen oder zwei Stürmer, um einen oder zwei Sechser“), hat er natürlich nicht ganz Unrecht. Dass wir einen Teamchef haben, dessen Konzept sich auf einen/zwei Stürmer/Sechser beschränkt, ist aber zwischen „erschreckend“ und „Armutszeugnis“ anzusiedeln.

Nicht nur, weil man ohne ein hundertprozentig genaues taktisches Konzept auch gegen Kasachstan nicht im Vorbeigehen gewinnt – und gegen vom Spielerpotential her ähnlich starke Mannschaften wie Belgien schon gar nicht. Sondern auch, weil im diesbezüglich sonst extrem rückständigen Österreich in den letzten Jahren immer mehr Fans gemerkt haben, wie eminent wichtig ein ganz exaktes Konzept auf dem Feld ist.

Ja, gegen unterlegene Gegner mag die individuelle Klasse der Spieler (die auch in Österreich derzeit so hoch ist wie schon lange nicht mehr) noch reichen. Aber wer die Belgier am Freitag gegen die Deutschen gesehen hat, kann nicht ernsthaft glauben, dass ein österreichisches Team, dessen einzige Vorgabe lautet, „schnörkellos zu spielen„, auch nur den Funken einer Chance hat.

„Fast alle Teamspieler spielen im Team drei Klassen schlechter. Das liegt daran, dass bei einem Verein jeder weiß, was er zu tun hat. Im Nationalteam gehen wir ohne taktische Vorgaben ins Spiel, wie ein Schüler, der für eine Schularbeit nichts gelernt hat“

Das hat Emanuel Pogatetz einst über Josef Hickersberger gesagt, und er ist dafür hochkant aus dem Team geflogen. Und wohlgemerkt: Hickersberger war im Vergleich zum aktuellen Teamchef (und seines Trainerstabs vor allem) ein absoluter Taktik-Guru. Dass sich auch Constantini (wie bei Garics) bei zu 100% zutreffender Kritik nicht anders zu helfen weiß, als den einzigen gelernten Rechtsverteidiger von Klasse auszubooten, spricht Bände. Auseinandersetzung mit dem Thema? Brauch’ma net.

Es ist kein Wunder, dass Constantini bei jeder sich bietenen Gelegenheit betont, wie wurscht Taktik im Fußball sei. Weil sie vor allem ihm und seinem Stab wurscht ist. Oder, was noch schlimmer wäre, kaum Ahnung vom taktischen Verhalten im 21. Jahrhundert haben. Dazu passt ganz gut die Tatsache, dass keiner von den Spionen, welche die Gruppengegner beobachtet hatten, auch nur ein Wort über die Erkenntnisse öffentlich machen durfte. Wozu? Die Gegner kennen ihre Stärken und Schwächen ohnehin. Oder ist es nur, um nicht als Taktik-Depp dazustehen, wenn man ein Spiel gegen einen beobachteten Gegner dann vercoacht hat…?

Wie Neandertaler, kurz vor dem Aussterben. Das reinste Rückzugsgefecht.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.