Die Altherren-Combo

WM-SERIE, Teil 21: AUSTRALIEN | Nach dem Wechsel in den Kontinentalverband von Asien sind die „Socceroos“ zum zweiten Mal in Serie bei der WM dabei. In Südafrika geht es aber nicht nur um sportliche Werbung, sondern auch um solche für die Bewerbungen 2018 und 2022!

„Wie die Busse in Syndey“, spotteten die Australier vor vier Jahren. Ihr Team hatte gerade durch drei verdammt späte Tore ihr erstes WM-Spiel seit 32 Jahren mit 3:1 gegen Japan gewonnen. „Erst kommt jahrelang gar nichts, und dann gleich drei auf einmal!“ Es war der Auftakt zu einer aus australischen Sicht wunderbaren Endrunde, nach dem Nervenspiel gegen die Kroaten (ja genau, das war das Spiel, in dem Schiri Poll den Kroaten Šimunić dreimal verwartne, eher er ihn ausschloss) ging es sogar ins Achtelfinale.

Dort war nach einem späten Elfmeter (den Lucas Neill mit einer eher eher tolpatschigen als bösartigen Foul verursacht hatte) zwar gegen Italien Schluss, aber Teamchef Guus Hiddink konnte sich der Zuneigung einer ganzen Nation sicher sein – denn der Fußball ist in Australien zwar immer noch kein Massensport, aber der erfreuliche Auftritt in Deutschland hat doch einiges zur Popularität beigetragen. Der Fußball wird „down under“ zwar nie auch nur annähernd den Status von Rugby haben und die Profiliga ist sportlich keine Offenbarung, aber während der Endrunde in Südafrika werden die Augen sicherlich auch am fünften Kontinent auf das runde Leder gerichtet sein, weniger auf das eiförmige.

Dass das auch in Zukunft alle vier Jahre so ist, und die Australier nicht wieder drei Jahrzehnte auf einen WM-Auftritt warten müssen, dafür sollte gesorgt sein – schließlich war das die vorrangige Idee hinter dem Wechsel vom Kontinentalverband von Ozeanien in jenen von Asien. Zwar gibt es dort mit Japan, Südkorea und einigen anderen zwar deutlich stärkere Konkurrenz als in den diversen Inselgrüppchen im Pazifik. Aber auch deutlich mehr Qualifikationsplätze! So kann man sich auch mal einen Ausrutscher leisten. Denn in der Ozeanien-Gruppe war es immer schon so, dass man sich auch mit einer C-Mannschaft durchgesetzt hat, und es dann in jeder Qualifikation wieder an nur zwei Spielen hing. Und in diesen Playoffs darf man nun mal keinen schlechten Tag haben, sonst ist alles aus. Und wer weiß das besser als Australien?




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Im Herbst 2001 in den Schlussminuten an Uruguay gescheitert, 1997 extrem unglücklich via Auswärtstoren am Iran, 1993 knapp an Argenitinien. Und auch für die Teilnahme an der letzten Endrunde in Deutschland vor vier Jahren musste gegen Uruguay das Elfmeterschießen herhalten. Diesmal, in der Asien-Gruppe? Da stand das WM-Ticket für Australien nie auch nur ansatzweise in Frage. Fünf Punkte vor Japan und zehn vor dem dritten Gruppenplatz, der immer noch zur Teilnahme an den Playoffs gereicht hätte – und das nach nur acht Spielen in der Finalgruppe.

Der Mann, der an der Seitenlinie dafür gesorgt hat, ist Pim Verbeek. Der Holländer war schon 2002 und 2006 der Co-Trainer von Guus Hiddink bzw. Dick Advocaat bei den Südkoreanern und übernahm ein halbes Jahr nach dem so erfreulichen Turnier in Deutschland das Zepter bei den Australiern. Er veränderte gegenüber Hiddink praktisch nichts, er übernahm in einigen Qualifikationsspielen sogar dessen 3-6-1, welches Hiddink bei der WM vor vier Jahren zuweilen zum Einsatz brachte.

Da die Teilnahme an dieser Endrunde in Südafrika eben nie zur Debatte stand und schon vor einem Jahr fixiert wurde, hatte Verbeek – der nach dem Turnier Teamchef in Marokko wird – viel Zeit und Gelegenheit, viel auszuprobieren. Noch nicht so sehr im Hinblick auf die Zeit nach der WM, dass wird seinem Nachfolger obliegen. Nein, Verbeek ging es im letzten Jahr viel mehr darum, personelle und taktische Alternativen auszuloten. So kam ein 4-2-3-1 ebenso zum Einsatz wie ein 4-4-2 oder eben auch das 3-6-1.

Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wenn es in der schweren Gruppe mit Deutschland, Ghana und Serbien dann zur Sache geht, doch wieder die erfahrenen Spieler die Kohlen aus dem Feuer holen sollen. Spieler wie Tim Cahill, Harry Kewell oder Lucas Neill, allesamt schon dreißig oder älter. Für viele aus dem Kader (wie Torhüter Mark Schwarzer, Routinier Craig Moore oder Linksfuß Scott Chipperfield) wird dieses Turnier sicherlich das letzte große ihrer Karriere werden.

Wie generell im Kader die wirklich jungen Spieler fehlen. Die Spieler, die in acht oder zwölf Jahren die Führungsfiguren sein könnten. Denn Australien hat sich durchaus aussichtsreich für die Ausrichtung der Endrunden 2018 bzw. 2022 beworben. Und während für die WM in acht Jahren noch ein europäische Gastgeber gesetzt scheint, gibt es für 2022 tatsächlich kaum Konkurrenz, die nicht in allzu ferner Vergangenheit schon einmal das Turnier organisieren durfte. Spieler, die jetzt gerade erst zwanzig wären und dann Führungsspieler sein könnten, gibt es aber im ganzen Kader nicht. Im Gegenteil: Kein Spieler unter 26 Jahren darf sich beim bevorstehenden Turnier ernsthafte Hoffnungen auf einen Stammplatz machen. Und der jüngste im Kader, der 23-jährige Offensiv-Spieler Dario Vidosic, konnte sich zuletzt nicht einmal beim deutschen Abstiegskandidaten Nürnberg durchsetzen und wurde in die zweite Liga verliehen.

So fehlt den Australiern im Moment die mittel- und langfristige Perspektive, spätestens nach der nächsten WM in Brasilien wird kein einziger Leistungsträger mehr zur Verfügung stehen und wirklich junges Blut kommt nicht nach. Und auch, wenn es bei der Vergabe der Weltmeisterschaft 2022 vorrangig um sportpolitische und wirtschaftliche Erwägungen geht, die mangelnde sportliche Perspektive wird dem australischen Verband sicherlich nicht helfen. Vor allem dann nicht, wenn nach einem eventuellen frühen Aus des Gastgebers der aktuellen Weltmeisterschaft die Fans des Ausrichters in der heißen Phase des Turniers womöglich nicht mehr so richtig mitziehen.

Umso wichtiger ist ein gutes Abschneiden der „Socceroos“ in Südafrika, denn nur mit dieser öffentlichen Aufmerksamkeit wird es möglich sein, weiterhin den Nachwuchs zum Fußball zu bringen; den Soccer weiterhin als ernsthafte Alternative zum Rugby oder zum Aussie-Rules-Football etablieren zu können. Da kann es durchaus hilfreich sein, dass der Fußball Marke Australien recht herb daherkommt: Einsatz und Kampf sind Trumpf. Techniker, die spielerischen Glanz verbreiten können, gibt es zwar, aber sie sind eindeutig in der Minderheit.

Mit einem wunderbaren Hochgefühl kann der extrem routinierte Torhüter Mark Schwarzer in sein letztes großes Turnier gehen. Der 37-Jährige erreichte mit dem Premier-League-Underdog Fulham sensationell das Finale in der Europa League und ist zweifellos immer noch einer der besten Schlussmänner der englischen Eliteliga. Vor ihm hat Verbeek schon einiges ausprobiert, am wahrscheinlichsten ist aber eine klassische Viererkette. In dessen Zentrale sollen Craig Moore (34), der seit dem Winter bei einem griechischen Mittelständler Kavala spielt, und Lucas Neill (32) abräumen. Letzterer wechselte nach neun Jahren Premier League zu Galatasaray und damit seinem Landsmann Harry Kewell. Das Duo Moore/Neill war auch schon vor vier Jahren das zentrale Gespann. Rechts ist mit Luke Wilkshire (28) ein Russland-Legionär erste Wahl, rechts mit David Carney (26) ein holländischer Meister. Spielt Verbeek mit einer Dreierkette, gesellt sich Carney zu den beiden Innenverteidigern und Wilkshire rückt ins defensive Mittelfeld vor – oder eher noch auf die Bank.

Das Mittelfeld ist bei den Australiern die bevölkerungsreichste Zone. Bis zu sechs Mann ist Verbeek die Spielkontrolle wert. Hier agiert er praktisch immer mit zwei klassischen Sechsern, in der Regel sind dies Vince Grella (30), der nach vielen Jahren in Italien nach Blackburn wechselte, und Jason Culina (29), der nach langer Zeit beim PSV Eindhoven nun wieder in der heimischen A-League sein Geld verdient.  Im offensiven Mittelfeld ist der Samoaner Tim Cahill erste Wahl. Der 30-jährige Everton-Legionär musste nach Einsätzen für samoanische Jugend-Nationalteams fast zehn Jahre warten, ehe er 2004 endlich für Australien auflaufen durfte. Im rechten Mittelfeld ist der Platz von Brett Holmen (mit 26 noch einer der jüngeren) und links der von Harry Kewell. Nach vielen Verletzungen hat der langjährige Liverpool-Spieler, auch schon 31, in der Türkei bei Galatasaray eine sportliche Heimat gefunden.

Mit diesem Fünfermittelfeld – Grella/Culina defensiv, Holmen/Cahill/Kewell offensiv – hat Verbeek zuletzt am häufigsten agiert. Es kann aber eben auch sein, dass er einen sechsten Mann reinbringt, auf Kosten eines Verteidigers. Dann würden Grella/Culina defensiv unverändert bleiben, Kewell zu Cahill zentral hinter die dann immer noch einzige Spitze rücken, und mit Scott Chipperfield ein eher defensiv ausgerichteter Mann auf die linke Seite gehen.

Zwei Mann hinter einer Spitze (was im Ballbesitz schnell zu einem 3-4-3 werden kann) hätte den Vorteil, dass das Angriffsspiel nicht ganz so auf den einen zentralen Mann vorne ausgerichtet ist, denn allzu große Torgefahr strahlt auf WM-Niveau keiner der Kandidaten ganz vorne aus. Josh Kennedy, der lange in Deutschland bei Karlsruhe und Nürnberg aktiv war und jetzt in Japan spielt, ist beileibe kein Torjäger von Weltklasse-Format. Scott McDonald, der im Winter zum englischen Zweitligisten Middlesbrough wechselte, weist da schon vor allem in seinen vielen Jahren für Motherwell und vor allem Celtic Glasgow eine deutlich beeindruckendere Torquote auf, Nabel der Fußballwelt ist die schottische Liga aber bekanntlich nicht. So kann es durchaus sein, dass sich die Spitzen etwa an den humorlosen und extrem kopfballstarken Innenverteidigern aus Serbien oder deren abgebrühnten Kollegen aus Deutschland recht flott die Zähne ausbeißen.

Die Australier kommen mit der fast identischen Mannschaft von vor vier Jahren daher. Diese hat zwar immer noch Qualität und vor allem Routine ohne Ende, ist aber seither weder besser noch schneller geworden. Nur über die Athletik zu kommen, wird in dieser Gruppe mit drei Gegnern von internationaler Klasse sicherlich zu wenig sein, weshalb ein erneuter Achtelfinal-Einzug der „Socceroos“ schon eine Überraschung wäre. Doch andererseits ist es weit über die Hälfte der Mannschaft der letzte Auftritt auf der Bühne einer Weltmeisterschaft, sie werden darauf bauen, dass der Wille auch Berge versetzen kann.

Und der pure Wille hat ja schon vor vier Jahren fast zum Viertelfinale gereicht.

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AUSTRALIEN
gelbes Trikot, grüne Hose, Nike – Platzierung im ELO-Ranking: 19.

Spiele in Südafrika:
Deutschland (Abendspiel So 13/06 in Durban)
Ghana (Nachmittagspiel Sa 19/06 in Rustenburg)
Serbien (Abendspiel Mi 23/06 in Nelsrpuit)

TEAM: Tor: Ante Covic (35, Elfsborg), Michael Petkovic (33, Sivasspor), Mark Schwarzer (37, Fulham). Abwehr: David Carney (26, Twente Enschede), Patrick Kisnorbo (29, Leeds), Mark Milligan (24, JEF United), Craig Moore (34, Kavala), Lucas Neill (32, Galatasaray), Jade North (27, Tromsö), Shane Stefanutto (31, North Queensland), Luke Wilkshire (28, Dinamo Moskau). Mittelfeld: Mark Bresciano (30, Palermo), Tim Cahill (30, Everton), Nick Carle (28, Crystal Palace), Scott Chipperfield (34, Basel), Jason Culina (29, Gold Coast), Brett Emerton (31, Blackburn), Vincenzo Grella (30, Blackburn), Mile Jedinak (25, Antalyaspor),  Carl Valeri (26, Sassuolo). Angriff: Brett Holman (26, Alkmaar), Joshua Kennedy (27, Nagoya), Harry Kewell (31, Galatasaray), Scott McDonald (26, Middlesbrough), Dario Vidosic (23, Duisburg).

Teamchef: Pim Verbeek (54, Holländer, seit Dezember 2007)

Qualifikation: 3:0 in Katar, 0:0 in China, 1:0 gegen den Irak, 0:1 auf neutralem Boden gegen den Irak, 3:1 gegen Katar, 0:1 gegen China. 1:0 in Usbekistan, 4:0 gegen Katar, 1:0 in Bahrain, 0:0 in Japan, 2:0 gegen Usbekistan, 0:0 in Katar, 2:0 gegen Bahrain, 2:1 gegen Japan.

Endrundenteilnahmen: 2 (1974 Vorrunde, 2006 Achtelfinale)

>> Ballverliebt-WM-Serie
Gruppe A: Südafrika, Mexiko, Uruguay, Frankreich
Gruppe B: Argentinien, Nigeria, Südkorea, Griechenland
Gruppe C: England, USA, Algerien, Slowenien
Gruppe D: Deutschland, Australien, Serbien, Ghana
Gruppe E: Holland, Dänemark, Japan, Kamerun
Gruppe F: Italien, Paraguay, Neuseeland, Slowakei
Gruppe G: Brasilien, Nordkorea, Côte d’Ivoire, Portugal
Gruppe H: Spanien, Schweiz, Honduras, Chile

* Die Platzierung im ELO-Ranking bezieht sich auf den Zeitpunkt der Auslosung

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.