Liverpool sieht Rot

Die Reds stehen vor einem Scherbenhaufen. Gerüchte um den Abgang von Rafa Benitez nach Turin zur Alten Dame verstärken den Eindruck, dass der Liverpool FC derzeit am Boden liegt. Eine Ursachensuche.

Seine Erfolge sprechen für ihn. Die Saison 2009/2010 nicht. Vor dem letzten Saisonspiel nur Platz Sieben in der Tabelle. In der Champions-League-Gruppenphase ausgeschieden, später in der Europa-League im Halbfinale. Rafael Benitez blickt also zurück auf eine Katastrophensaison, deren Ursache er im häufigen Fehlen seiner Superstars sieht. Damit hat er zwar nicht unrecht, denn Liverpool erzielt im Schnitt ohne Torres nur 1,27 Tore pro Spiel, Experten (hier empfehle ich die Fußball-Matrix von Christoph Biermann) geben dem Spanier allerdings meist nur drei Jahre Halbwertszeit, bevor sein System brüchig wird. Der Beginn bei Liverpool war 2004, sein letzter Erfolg war das Champions-League-Finale 2007. Zufall?

Das Rafa-System

Rafael Benitez gilt als Vertreter des Systemfußballs: alles muss einstudiert werden, Spielzüge werden anhand der gegnerischen Beobachtungen trainiert. Damit nimmt er die individuelle, kreative Klasse von elf Mann am Feld und setzt sie in die Maschine Mannschaft. Jedes Rädchen muss seinen Zweck haben und erfüllen. Die Problematik ergibt sich aus der Durchschaubarkeit auf längere Sicht. Hinzu kommt das in England bereits alternde 4-4-2-System, das den Reds offensive Übermacht unterschlägt. Selten können sie gegen Ende eines Spiels zulegen. Gegen Atletico Madrid – zum Beispiel – konnte der Druck nicht erhöht werden, Liverpool schied trotz Sieges aus.




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Die Rafa-Statistik

Fassen wir die nackten Zahlen ins Auge: Liverpool neigt dazu, gegen Ende beider Halbzeiten Gegentreffer zu kassieren. Gleichzeitig schießen sie ihre Tore oft in den ersten zwanzig Minuten. Wenn sie zur Pause führen, gewinnen sie auch. Wenn sie zur Pause zurück liegen, verlieren sie zumeist. Der Torschnitt an der Anfield Road liegt bei 2,3 Toren, auswärts nur bei 1,0.  Im Schnitt erzielen sie ihre Tore auswärts um zwanzig Minuten später, erhalten sie jedoch zehn Minuten früher. Eine eklatante Away-Schwäche im Vergleich zu Chelsea und Manchester United, bei denen die Zahlen klar weniger weit auseinander klaffen. Wenn dann auch noch drei Heimspiele verloren werden, sieht es düster aus im Hinblick auf die Tabelle. Summa Summarum bleibt alles viel zu wenig für die Top Four.

Die Rafa-Taktik
Taktisch sind die Reds typisch britisch. 4-4-2 mit Karo im Mittelfeld. Zwei Stürmer, wobei einer den klassischen Strafraumstürmer stellt, der Zweite meist auf die Flügel ausweicht, um Druck über die Seiten zu erzeugen. Zuletzt schwächeln Benayoun und Co. ins Besondere in der Offensive. Gegen Chelsea waren Topchancen Mangelware. Die Bälle gehen zumeist im Mittelfeld verloren, auf den Flügeln fehlt Tempo und im Strafraum fehlt Torres. Hinzu kommt, dass Rafa Benitez selten mit echten Außenverteidigern spielt, sondern eher auf Varianten zurück greift. Agger glänzt eher als Innenverteidiger, Mascherano kommt aus dem defensiven Mittelfeld, Carragher spielt ebenfalls bevorzugt im Zentrum und Kyrgiakos ist schon wegen seiner Größe der klassische Innenverteidiger. Eindeutiges Versagen bei der Kaderplanung. Kein Wunder, dass Benitez zuletzt fünf Verstärkungen für die nächste Saison forderte. Schon haben wir das nächste Problem: 350 Millionen Pfund Schulden, 55 Millionen Pfund Verlust in einem Jahr. Vereinsinterner Negativ-Rekord.

Die Spieler
Betrachten wir Spieler im Einzelnen: Mascherano schlug gegen Chelsea keine einzige Flanke in den Strafraum, die einen Abnehmer fand. Vielmehr versuchte er die Verantwortung auf Gerrard abzuwälzen, den er von der rechten Seite aus suchte. Ebenfalls auffällig sind seine vielen Pässe zurück. Selbiges Problem findet sich bei Steven Gerrard. In den ersten sechzig Minuten kommt er auf gerade einmal fünf Pässe nach vorne. Für den Kapitän und Kreativposten zu wenig. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Benitez gegen die Blues mit einem verstärkten Mittelfeld aufstellte, um einen Druckaufbau seitens Chelsea zu verhindern und das eigene Spiel zu stabilisieren. Der sprichwörtliche Griff ins Klo: Fehlende Organisation, wenig Bewegung, keine Kreativität und technische Unsicherheiten. Stürmer Kuyt wich zudem oft auf die Flügel aus, um diese zu unterstützen, die Flügelspieler gegenüber suchten den Weg in den Strafraum; Chelsea konnte wundervoll kontern über eine gänzlich menschenverlassene rechte oder linke Liverpool-Seite.

Die Tabellensituation
Die Probleme bei Liverpool sind offensichtlich. Schon der Blick auf die Tabelle verrät alles. Vor dem letzten Spieltag stehen die Reds bei achtzehn Siegen, acht Remis und elf Niederlagen. Aston Villa, einen Tabellenplatz vor den Reds, steht bei 17-13-7. Die Villains sind gleichzeitig die einzige Mannschaft in den Top Sieben, die weniger Tore als Liverpool erzielte. Im Angriff bzw. eigentlich schon im Spielaufbau finden sich eindeutige Mängel, die sich schon an der fehlenden Sicherheit im Flügelspiel erkennen lassen. Und das liegt daran, dass Liverpools Abwehrreihe keine öffnenden Pässe spielen kann. Das Schema, das der rechte Außenverteidiger entweder auf den rechten Flügelspieler spielt, oder zurück ins Zentrum, bleibt sogar für Laien erkennbar.

Geht Rafa?

Die Wechselgerüchte von Rafa Benitez werden sich wahrscheinlich bewahrheiten. Liverpool befindet sich seit 2007 in einer Abwärtsspirale, die aktuelle Saison ist deren trauriger Höhepunkt. Die Reds haben zu wenige Spieler, die Verantwortung übernehmen, die das Spiel lenken können. Nur weil im Strafraum ein Fernando Torres steht, hat man das Spiel nicht gewonnen. Und 1,27 Torschnitt pro Spiel ohne den Superstar sprechen hier Bände. Jetzt geht es wohl an einen Neuaufbau.

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