Bosman ist unschuldig – Steinigt die Champions League!

Es ist nun schon dreizehn Jahre her, als die Vereine das Ende des fußballerischen Abendlandes gekommen sahen. Nämlich, als am 15. Dezember 1995 der Europäische Gerichtshof dem belgischen Stürmer rechtgab, dessen Karriere fünf Jahre zuvor unsanft beendet wurde, weil er ihm trotz auslaufenden Vertrages den Wechsel zu einem anderen Verein untersagte. Seither muss der arme Bosman für alles herhalten, was im Fußball falsch läuft. Zu unrecht!

Denn was besagt das Urteil im Fall RS C-415/93, Slg 1995, I-4921 (Belgischer Fußballverband und andere gegen Jean-Marc Bosman) eigentlich wirklich? Es besagt, dass innerhalb der EU Fußballer als normale Arbeitnehmer zu behandeln sind, daher nach Ablauf des Vertragsverhältnisses der Verein keinen Anspruch mehr auf den Spieler hat (und damit in diesem Fall auch keine Ablösesummen verlangen können, weil das einem nicht gerechtfertigten Fall von Berufsverbot gleichkäme). Und, dass innerhalb der EU eine Beschränkung auf eine gewisse Anzahl von Spielern aus dem eigenen Land, sofern EU-Mitglied, rechtswidrig ist.

Das, und nichts anderes. Nicht mehr, nicht weniger.

Die EU hatte damals 15 Mitglieder. Die Beschränkungen bezogen sich also nicht einmal auf 30% der Mitgliederverbände alleine der UEFA. Heißt: Auf Russen, Norweger oder Tschechen traf dieses Urteil damals gar nicht zu. Das Urteil stellte fest, dass Fußballer ein ganz normaler Beruf ist, und Profivereine natürlich längst keine Vereine im klassischen Sinn mehr sind, sondern Wirtschaftsunternehmen – und daher auch also solche behandelt werden müssen (Amateurvereine waren davon nie betroffen, darum sind Ausländerbeschränkungen dort auch legal und mit EU-Recht vereinbar). Also Sachen, die heute jeder vernünftig denkende Mensch nie in Zweifel ziehen würde. Dass diese Regelung nach und nach von der EU auf alle UEFA-Mitglieder, und schließlich auf weltweit alle Mitgliederverbände der FIFA ausgeweitet wurde, kann man Bosman nun wirklich nicht ankreiden.

Und dass die Reichen immer reicher werden, schon gleich gar nicht.

Das Urteil erforderte, dass Funktionäre umdenken. Spieler waren nicht mehr Vereinseigentum, selbst nach Vertragsablauf. Es musste reagiert werden, und zwar in Form von längerfristigen Verträgen. Verträgen, die so lange laufen, dass man den Spieler entweder lange an sich bindet, oder ein Interessent den Spieler aus seinem Vertrag freikauft, also de facto Ablöse bezahlt. Das geschah auch. Das ist eine Folge des Bosman-Urteils.

Das Urteil hatte auch zur Folge, dass eben nicht mehr (üblicherweise) acht einheimische Spieler auf dem Platz stehen mussten. Zumal diese Regelung mit Vertragsamateuren und sogenannten „Fußball-Inländern“ ohnehin schon oft genug auf recht undurchschaubare Weise umgangen wurde. Der einstige Frankfurt-Trainer Horst Heese zum Beispiel stolperte über dieses Paragraphen-Gewirr (er hatte schon die Legionäre Yeboah, Okocha und Tskhadadze sowie den serbischen Vertragsamateur Komljenovic (der daher als Deutscher galt) auf dem Feld, als er für Komljenovic den Polen Penksa einwechselte. Heese glaubte, Tkhadadze wäre der Vertragsamateur). Und das Urteil hatte indirekt auch zur Folge, dass sich Südamerikaner plötzlich europäische Großeltern suchten, um an einen italienischen, spanischen oder portugiesischen Pass zu sichern, um somit EU-Bürger zu werden.

Das Urteil hatte aber nicht zur Folge, dass sich manche Vereine plötzlich alles leisten konnten.

Daran ist die UEFA Schuld. Indem sie anderthalb Jahre nach dem Bosman-Urteil ihren höchsten Pokalbewerb, die Champions League, auch für Teams öffnete, die nicht nationaler Meister wurden. Und gleichzeitig die Prämien für Teilnahme und Erfolge in eben jener Jahr für Jahr in die Höhe schraubten. Kamen zuvor 15 nationale Meister und der Titelverteidiger in den Genuss der lukrativen Gruppenspiele, waren zur Jahrtausendwende im auf 32 Teams aufgeblasenen Bewerb (der damit ganz nebenbei den Cupsiegerbewerb ins Grab schickte und den sportlich mindestens gleichwertigen Uefa-Cup zum Junior-Partner degradierte) bis zu vier Vereine aus der selben Liga zum Zug. Während kleine und mittlere Verbände de facto von den großen Geldtöpfen ausgeschlossen blieben. Kaum mehr Vereine aus Schweden (wie der 90er-Dauergast IFK Göteborg), aus Polen und Ungarn (die nie wieder einen Verein in die Gruppenphase brachten), aus Rumänien, aus Kroatien und Serbien hatten auch nur die Gelegenheit, sich mit den besten zu messen – geschweige denn, an die Geldprämien zu kommen.

Die Folge: England und Spanien enteilten, Deutschland und Holland verloren den Anschluss, die Kleinen waren chancenlos.

In der englischen Premier League kam hinzu, dass zu eben jener Zeit auch Rupert Murdoch mit seinen TV-Millionen die Teams erschlug, die gerade vorne waren – also CL-Sieger Manchester United, Uefa-Cup-Finalist Arsenal und UC-Sieger Liverpool. Leeds und Newcastle konnten den Boom wegen Misswirtschaft nicht nützen, Chelsea stieß dank Roman Abramovich noch hinzu. Aber bestimmende Teams der Jahre zuvor – Blackburn, Nottingham, Aston Villa – hatten halt Pech gehabt. Nun verfügten also die großen CL-Dauergäste aus England, Spanien und Italien um die Finanzmittel, um ihre teuren Stars tatsächlich mit derart hoch dotierten und langfristigen Verträgen auszustatten, dass sie auch blieben. Oder, wie Zinedine Zidane, für irrational hohe Summen den Arbeitnehmer wechseln konnten.

Während kleine Länder auf der Strecke blieben.

Die Funktionäre der Tschechen, der Schweden, der Kroaten, der Serben und einige andere mehr hatten schnell begriffen: Da kommen wir nicht mehr mit. Das brauchen wir gar nicht erst zu versuchen. Unsere einzige Chance, auf der internationalen Bühne zu glänzen, sind die Nationalteams. Indirekt sind es genau die Nationalteams, von denen die Vereine dieser Länder heute leben. Sie suchen sich gute Spieler, führen sie mit ordentlicher Arbeit mit vernünftigem Einsatz der Geldmittel und guter Ausbildung an internationales Niveau heran und verkaufen diese Spieler dann an Vereine aus Ländern, die sich das leisten können. Seit 2000 gab es keinen einzigen schwedischen Vertreter mehr in der Champions League, keinen einzigen aus Kroatien, keinen einzigen aus Serbien, keinen einzigen aus Polen, jedes zweite Jahr mal einen aus Tschechien. Aber deren Nationalteams sind regelmäßig bei den großen Turnieren dabei.

Die haben es begriffen.

Begriffen, dass der wahre Totengräber ihrer eigenen internationalen Relevanz die Champions League ist, und nicht Bosman. Das Bosman-Urteil ist die Grundlage der Arbeit, mit der sie ihre Existenz sichern. Kein Positivum, kein Negativum – sondern schlicht das rechtliche Fundament, auf dem ihre Arbeit basiert.

Will man wieder die Schere zwischen den paar Großen und den vielen Kleinen wieder verringern, muss man nicht das Bosman-Urteil aufheben, denn das hat damit nichts zu tun. Man müsste die Tür zur Champions League wieder für alle jene Vereine schließen, die nicht nationaler Meister sind. Alles, was nicht nationaler Meister iat, sollte in der Champions League nichts verloren haben. Also im aktuellen Fall Chelsea, Liverpool, Arsenal, Juventus, Sevilla, Roma: Alle raus, alle in den UEFA-Cup. Dafür rein in ein 16er-Feld mit Standard Lüttich, Dinamo Zagreb, Partizan Belgrad, Wisla Krakau und Slavia Prag.

Das ist der Schlüssel zum Schließen der Schere. Die Champions League ist das Problem.

Nicht Bosman.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.