Das Trikot und die Verwarnung

Es war ein kalter Mittwoch Abend, vor ziemlich genau zehn Jahren. Die Bayern spielten im Kühlschrank Olympiastadion gegen Rostock und führten schon deutlich, als Giovane Elber kurz vor Schluss den 6:1-Endstand erzielte. Er freute sich, legte sich in das neben dem Feld ausgelegte, überdimensionale Bayern-Logo und rollte sich ein. Er dürfte das schnell bereut haben – schließlich setzte sich Carsten Jancker darauf und schlug vor lauter Freude auf das eingerollte Bayern-Logo mitsamt seinem Sturmpartner darin.

Kreativer Torjubel. Einmal was anderes. Schiri Krug ließ die gelbe Karte stecken.

Zuverlässig bei jedem Mal, wenn ein Spieler verwarnt wird, wenn er beim Torjubel sein Trikot lüftet, jammern alle darüber, dass Emotionen verhindert werden, dass man sich gar nicht mehr freuen darf, und überhaupt. Ich frage jedoch: Kann man nach einem Tor wirklich nur seine Freude zeigen, wenn man seinen nackten Oberkörper zeigt? Gerd Müller und Günther Netzer, Franz Beckenbauer und Jupp Heynckes – man sah sie alle oft beim Torjubel. Mit den Armen in der Luft, im Knäuel unter Mitspielern, bei Umarmungen mit Mitspielern und Trainern.

Aber nie ohne Trikot.

Es ist erst mit dem vermehrten Einsatz von Spielern aus anderen Kontinenten, in erster Linie Afrikanern und Südamerikanern gekommen, dass hauptsächlich in deutschen Stadien das Trikot ganz offensichtlich zum Feind des Torschützen wird, dessen man sich möglichst schnell entledigen muss. Und genau in diesen Kontinenten – Afrika und Südamerika – ist auch die Regel begründet, warum es für ein „Trikotvergehen“ nun mal eine gelbe Karte zu geben hat.

Die Sitten sind dort andere…

Die Praxis des Trikot-Ausziehens hat in den heißblütigen Fangruppen dieser Länder einen extrem provozierenden Charakter. Die Fans der gegnerischen Mannschaft fühlen sich dort, warum auch immer, in ihrer Ehre in einem Maße gekränkt, dass die Verantwortlichen froh wären, wenn es nur Ausschreitungen gäbe – aber vom Platzsturm bis zu auf das Feld fliegenden Waschbecken (!) war das schon alles dabei. Und um das Ausziehen des Trikots und die damit einhergehende Provokation des Gegners zu unterbinden, muss man es ahnden. Mit einer gelben Karte.

…aber das Regelwerk muss überall gleich sein.

Nun ist Deutschland nicht Brasilien, und die Kreisliga keine Bundesliga. Das ist schon klar. Aber es ist das wesentliche Erfolgsmerkmal des Fußballs, dass er in seinem Regelwerk eben überall gleich ist, und damit eben auch für alle verbindliche, exakt gleiche Richtlinien gibt, an die sich alle halten. Nicht so wie zum Beispiel im Eishockey, wo es in Amerika andere Regeln gibt als in Europa. Oder beim American Football, wo es mitunter deutliche Unterschiede zwischen Profi- und Amateurligen gibt.

Man kann nun also nicht hergehen und sagen: Auf der anderen Seite der Welt fühlen sich die Fans nicht proviziert, wenn ein Spieler sein Trikot auszieht. Wir haben hier nicht mit Schlägereien zu rechnen, weil einer seine Bauchmuskeln zeigt. Alles richtig. Aber die Regeln müssen für alle gleich sein. Man kann nicht sagen: Dort ist das ein Problem, dort müssen wir es bestrafen. Hier macht das nichts, also betrastafen wir es hier nicht. Ob Argentinien oder Deutschland, ob Bundesliga oder Kreisklasse: Alle müssen sich an die selben Regeln halten.

Und daher ist es richtig, dass es auch in Europa für Trikot ausziehen und andere Sachen, wie das klettern auf Zuschauerzäune, eine Verwarnung gibt. Diese Regel gibt es seit Jahren. Jeder kennt sie. Keiner kann sagen, er wüsste es nicht.

Und wer es dennoch macht, ist nicht cool – sondern doof.

Umso mehr, wenn man schon verwarnt ist und daher vom Platz fliegt. Daher müsste ein Spieler, dem das passiert, eigentlich mit einem Monat interner Sperre belangt werden, schon alleine wegen grenzenloser Dummheit.

Denn kann man sich wirklich nur ohne Trikot über ein Tor freuen?

Cool? Sag das doch anderen!

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.