Beim DFB beliebt – aber unter Beobachtern gibt’s kaum noch Neid-Fans

Ein müdes 0:0 gegen jenes Team aus Holland, das danach sang- und klanglos Gruppenletzter wurde. Das 0:1 gegen Norwegen, mit einer ganz mauen Leistung, die erste deutsche EM-Endrunden-Niederlage seit 20 Jahren. Für DFB-Präsident Niersbach kein Grund zur Besorgnis. Das wäre auch ein Viertelfinal-Aus gegen Italien nicht. Der DFB wird Silvia Neid nicht fallen lassen, hat er angekündigt. „Sie weiß, wie sie das Team einstellen muss“, sagte er.

Aber: Praktisch jeder mitgereiste Deutsche, dem man hier in Schweden über den Weg läuft, sagt das genaue Gegenteil. Abgehoben und beratungsresistent, dabei aber ahungslos in Taktik-Fragen und das Einsetzen von Spielerinnen an völlig falschen Positionen, lauten die Hauptvorwürfe. Sie sind sich einig: Silvia must go.

Fachliche Kritik

„Celia Okoyino da Mbabi? Eine Topspielerin, aber kein Mittelstürmer. Die müsste von den Flügeln kommen. Dzsenifer Marozsán? Eine Topspielerin, aber keine Stürmerin. Die braucht Mitspieler vor sich – eine klassische Zehn. Eine Position, die es im Neid’schen Mittelding aus 4-4-1-1 und 4-4-2 aber nicht gibt. Lena Lotzen? Die einzige echte Mittelstürmerin im Kader, auf der rechten Mittelfeld-Seite völlig verschenkt!“ Das sagt mir ein deutscher Journalist.

„Gegen Norwegen, wenn du einen Rückstand jagst gegen ein robustes, aber nicht besonders schnelles Team – da kann ich keine Melanie Behringer einwechseln, die da die hohen Flanken schlägt. Wer soll die gegen die norwegische Innenverteidigung holen? Da müssen schnelle Leute rein, die Norwegen auseinander ziehen, Platz schaffen. Eine wie Isabelle Linden zum Beispiel!“ Das sagt ein deutscher Fotograph.

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„Total negative Ausstrahlung!“ Viele Freunde hat Silvia Neid unter den deutschen Beobachtern nicht mehr.

„Neid hat beim Training oft die Arme verschränkt und einen grummeligen Geischtsausdruck. Da ist null Energie zu spüren, kein Elan, der der Mannschaft vermittelt werden könnte. Ihre Ausstrahlung ist total negativ. Dementsprechend spielt dann die Mannschaft oft!“ Auch ein Hardcore-Fan, der mit den DFB-Frauen schon beim WM-Triumph 2003 in Los Angeles vor Ort war, ist kein großer Fan der seit 2005 amtierenden Bundestrainerin.

Sie alle sind sich einig: Wenn wir schon einem anderen Team zum EM-Titel gratulieren müssen – und es ist sehr wahrscheinlich, dass das der Fall sein wird – dann am besten Neid-los.

Nimbus der Unschlagbarkeit ist dahin

„Deutschland enttäuscht mich“, nickt auch Dominik Thalhammer, Teamchef der ÖFB-Frauen, auf die Performance des Europameisters der letzten fünf Turnier angesprochen und beim 0:1 gegen Norwegen persönlich im Stadion, „die Zeiten, in denen Deutschland daherkommt und alles wegräumt, sind längst vorbei!“ Und auch Neid selbst gab gegenüber dem Kollegen Brügner von der dpa zu:

„Wenn ich unser Spiel von außen beobachtet hätte, hätte ich gesagt: ‚Gegen die kann man gewinnen und braucht keine Angst zu haben.'“

Keine Frage: Deutschland ist den Nimbus der Unbesigbarkeit los. Das hatte sich schon bei der WM im eigenen Land angedeutet. Die auch einige als vercoacht betrachten. Dass etwa Kapitänin Prinz, die ohnehin an sich zweifelte, nicht aufgerichtet, sondern quasi öffentlich ihrem Schicksal überlassen wurde, lautet etwa ein Vorwurf. Oder, dass im Viertelfinale gegen Japan drei Positionen verschoben wurde, als sich Sechser Kim Kulig nach fünf Minuten das Kreuzband riss, anstatt einfach positionsgetreu zu wechseln. Von dieser Unruhe habe sich das Team im ganzen Spiel nicht mehr erholt, heißt es.

Auch, wenn es bis zum 0:1 gegen Norwegen die einzige Pflichtspiel-Niederlage seit dem olympischen Halbfinale 2008 war (also in 23 Spielen): Mit ihr war die Olympia-Quali dahin, der Umbau startete – alte Kräfte wie Prinz, Garefrekes und Grings schieden aus – und das Resultat ist, trotz eines riesigen Spieler-Reservoirs, nicht den Ansprüchen von Deutschland entsprechend.

„Billigend in Kauf genommen“

Nein, dass Deutschland gegen Norwegen absichtlich verloren hat, will sie nicht sagen. „Aber es wurde auf jeden Fall billigend in Kauf genommen“, ärgert sich eine deutsche Anhängerin. Lustlos sei das Auftreten gewesen, kein Aufbäumen, keine Impulse von Außen. „Die haben Angst vor Frankreich im Halbfinale und auch ein wenig vor Spanien im Viertelfinale“, vermutet ein anderer deutscher Fan in Växjö. Spanien hat dem DFB-Team in der EM-Quali schon ein 2:2 abgetrotzt. Und dass Frankreich derzeit um Lichtjahre besser ist, sehe ohnehin jeder.

Nun geht’s gegen Italien – unangenehm, aber bis auf Panico und die verletzte Camporese harmlos – und dann, in einem möglichen Halbfinale, praktisch sicher gegen Schweden. Und die Schwedinnen stehen unter einem mörderischen öffentlichen Druck. Spätestens seit dem 3:1 über Italien im letzten Gruppenspiel fordern die durchaus aggressiven Medien, vor allem Aftonbladet und Expressen, unverhohlen den Titel – alles andere wäre eine Enttäuschung.

Sollte Deutschland im Halbfinale an Schweden scheitern, wäre das für den DFB zwar auch nicht schön. Aber gegen einen Gastgeber mit einer guten Mannschaft zu verlieren, in einem Halbfinale, wenn einem selbst sechs Stammspieler fehlen – es gäbe Schlimmeres. Es hängt ja auch keine WM- oder Olympia-Qualifikation daran.

Shit happens.

Der DFB würde zur Tagesordnung übergehen, das vermittelt er dieser Tage zumindest. Was viele Beobachter ziemlich massiv ärgern würde.

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.