Es war ein echtes Finale vor knapp 50.000 Fans im Happel-Stadion. Als Rapid am 1. Juni 1996 den direkten Titel-Konkurrenten Sturm Graz mit 2:0 besiegte und damit den Meistertitel einkassierte! Roman Pivarnik brachte die Hütteldorfer früh in Front, „Büffel“ Stumpf machte kurz vor Schluss den Deckel drauf, dazwischen traf Trifon Ivanov aus 60 Metern die Querlatte.
Aber spielen wir ein wenig „Hättiwari“: Wenn Sturm das Match gewonnen hätte und damit den Titel geholt hätte, wie wäre die Geschichte weitergegangen? Meine These: Alex Manninger hätte um die 100 Länderspiele, die große Champions-League-Zeit von Sturm wäre nie passiert und womöglich wäre der LASK im Jahr 1998 Meister geworden. Und das geht so:
Rapids Titel ist Manningers Pech
Wäre Sturm Meister geworden, hätte die Admira, die noch das Cupfinale gegen die Grazer bestritt, den Platz im Europacup geerbt – bei einer Niederlage, weil Sturm eben in die Champions-League-Quali aufgerückt wäre, und bei einem Sieg gegen die mit Restalkohol antretenden Grazer sowieso. Das hätte auf die sportlich ziemlich wertlose Admira keine Auswirkungen gehabt: Gegen Sparta Prag, das in der Realität Sturm in Runde eins eliminiert hat, wären die Südstädter auch nicht glücklich geworden und der Klassenerhalt wurde dank der Linzer Fusion und dem Relegations-Sieg über Steyr ohnehin gesichert.
Deutlich massiver wären die Auswirkungen aber für den GAK gewesen und hier vor allem auf Torhüter-Talent Alex Manninger. Mit der Admira im Cupsieger-Bewerb und Dann-Vizemeister Rapid und dem Dritten FC Tirol im UEFA-Cup, wäre der GAK nicht in den Europacup gerutscht. Somit hätte es auch nicht die Gala-Auftritte von Manninger gegen Inter Mailand (die Grazer erreichten dank eines großartigen Manninger in der 2. Runde das Elferschießen, wo man den Kürzeren zog) gegeben. Arsène Wenger wäre nicht auf den Jüngling aufmerksam geworden und den damals 19-Jährigen nicht im kommenden Sommer zu Arsenal geholt.
Somit bleibt Manninger beim GAK, wird dort Stammspieler und macht in der Saison 1997/98 dort rund 40 Pflichtspiele, anstatt der sieben bei Arsenal. Mit dieser Spielpraxis im Rücken und bei seinem Talent ist es nicht unwahrscheinlich, dass Manninger 1998 als dritter Torwart zur WM mitgefahren wäre. Nach Konsels Team-Abschied 1998 hätte so oder so erst einmal Franz Wohlfahrt den Posten übernommen, aber nach der in den Sand gesetzten Quali für die EM 2000 (Stichwort: Kegelabend von Valencia und Debakel von Tel-Aviv) oder allerspätestens nach dem Amtsantritt von Jugend-Apostel Krankl 2002 hätte Manninger sein Fix-Leiberl gehabt. Weil er früher oder später auch ins Ausland gegangen wäre, dank seines Standings aber zu einem Klub, bei dem er auch tatsächlich gespielt hätte.
In der Realität hat Manninger in der Quali für die Euro 2000 zwei Spiele gemacht (von acht), für die WM 2002 eines (von acht) – und zwar das gegen Liechtenstein – und für die Euro 2004 drei (von acht). Insgesamt absolvierte Manninger 33 Länderspiele, wirklich Stammkraft war er dabei nur in der Saison 2007/08, ehe er für die Heim-EM zur Nummer zwei degradiert wurde. Andernfalls, wenn er 2000 oder 2002 Stamm geworden wäre, reden wir von knapp zehn Jahren als potentielle Nummer eins. Eine „Ära Manninger“, die nie stattgefunden hat – auch, weil Rapid 1996 Meister wurde und nicht Sturm.
Und es gäbe auch nicht auf Wikipedia den etwas süffisanten Satz zu lesen: „Am 5. August 2009 verkündete er seinen Rücktritt aus dem Nationalteam, um sich auf seine Position als Ersatztorhüter bei Juventus Turin zu konzentrieren.“
Kein Petrovic-Faustwatsch’n – kein Augenthaler?
Beim GAK kehrte am Ende der Saison 1995/96 der hochgeschätzte Trainer Hans-Ulrich Thomale in seine deutsche Heimat zurück, für ihm übernahm Ljubo Petrovic. Dieser gewann 1991 mit Roter Stern Belgrad den Meistercup – das wäre also in etwa, als würde sich heute Frank Rijkaard in die österreichische Liga verirren. Petrovic blieb aber kaum drei Monate GAK-Trainer. Nicht nur, weil der Serbe mit seiner unsympathischen Persönlichkeit in Rekordtempo die ganze Mannschaft gegen sich aufgebracht hat, sondern auch wegen eines buchstäblich handfesten Skandals.
Nach dem 1:3 verlorenen Europacup-Match bei Germinal Ekeren nämlich streckte er in der Kabine vor lauter Wut den im Spiel ausgeschlossenen Bobby Dmitrovic per Fausthieb nieder. Präsident Harald Fischl zögerte keine Minute und entließ Petrovic sofort. Es übernahm zunächst Hans-Peter Schaller – geplant war, bis Saisonende – ehe dieser aber nach nur einem Spiel (einem 1:2 in Ried) von Gustl Starek abgelöst wurde.
Es besteht kaum ein Zweifel, dass Petrovic früher oder später auch ohne seine Faustwatsch’n geflogen wäre. Dann allerdings wegen einer Meuterei im Team, was sich unweigerlich auf deren Image bei potentiellen Nachfolge-Kandidaten ausgewirkt hätte. Und ob sich der Co-Trainer von Bayern München – Klaus Augenthaler – dann im Sommer danach wirklich für seine erste Station als Chefcoach eine als Schlangengruber verschriene Mannschaft wie den GAK angetan hätte? Fraglich.
Zudem hätte es ohne „Auge“ wohl auch nie diesen genialen Prank von Hape Kerkeling als Albertas Klimaviszys gegeben. Aber das ist ein anderes Thema.
Ein Sturm-Titel 1996 als Verhinderer des CL-Wunders
Kleine Vorwarnung: Jetzt wird’s kompliziert.
Mitte der Neunziger war Sturm, was man als „Work in Progress“ bezeichnen kann: Auf dem Weg dazu, eine richtig gute Mannschaft zu werden, aber eben noch ein paar Jahre davon entfernt. Rapid war 1996 hingegen auf dem absoluten Höhepunkt. Mit dem Selbstvertrauen von Europacup-Finale und Meistertitel stürmte man in der CL-Quali über Dynamo Kiew hinweg.
Unwahrscheinlich, dass das damalige Sturm-Team als Meister diese hohe Hürde nehmen hätte nehmen können, zumal man im Cupsiegerbewerb in der ersten Runde an Sparta Prag scheiterte – eine gute Mannschaft, aber nicht so gut wie Dynamo Kiew (mit dem jungen Andrej Shevchenko) es war.
Sehr wahrscheinlich hingegen, dass sich Hannes Kartnig im Meisterrausch nicht nur Megaflop Giuseppe Giannini geholt, sondern Trainer Osim und Sportchef Schilcher noch diverse andere klingende Namen auf’s Aug‘ gedrückt hätte. 2002 ist die Mannschaft nach diversen Sinnlos-Transfers (Amoah, Masudi, Angan, Pregelj, Heldt, Mörec, etc.) implodiert und Ivica Osim warf frustriert von Kartnigs Großmannssucht die Brocken hin.
Osim anno 1996 war nicht nach vielen mega-erfolgreichen Jahren ausgebrannt – früher oder später hätte er die Sache also vermutlich in den Griff bekommen. Mit dem verpassten Titel schauten sich die Grazer bei Teams wie Basel (Foda, Schupp), Lierse (Martens) und in der zweiten spanischen Liga (Popovic) um und holten somit die zentralen Spieler für den endgültigen Durchbruch mit dem Titel zwei Jahre später.
Meine These: Sturm wäre 1998 nicht Meister geworden, hätte man 1996 den Titel geholt.
Vizemeister Sturm baute sich für die Saison 96/97 ziemlich um und brachte Altstar Giannini nach Graz. Am Ende rettete man den dritten Platz – besser wäre es nach einem Kartnig’schen Kaufrausch kaum geworden. Und ohne die zuvor erwähnten Verstärkungen von kleineren Klubs hätte Sturm in der Saison 97/98 nie den Durchmarsch zum Titel vollziehen können. Womit die erste der drei Champions-League-Teilnahmen – jene, in der man gegen Real Madrid und Inter Mailand Lehrgeld zahlte – schon mal nicht stattgefunden hätte.
In der Realität profitierte Sturm im zweiten CL-Jahr von der Erfahrung des ersten und wurde Gruppendritter, ehe man als gewachsene Mannschaft im dritten CL-Jahr voll durchstartete. Ohne die erste CL-Saison hätte Sturm als eventueller Meister 1999 dann im Herbst ’99 die Prügel bezogen. Im Jahr danach wäre es in der Quali gegen Feyenoord dann schon zumindest sauschwer geworden. Statt drei CL-Teilnahmen, von denen eine super und eine recht okay war, hätte es für Sturm als Meister 1996 wohl nur eine gegeben, und in der wär’s sportlich nicht besonders lustig gewesen.
Rapid hätte 1997 den verlorenen Titel nachgeholt…
Nach Rapids Lauf ins Europacup-Finale 1996 verließen Jancker, Marasek und Hatz den Klub, um ihr Glück im Ausland zu versuchen. Ob Titel oder nicht, dieses Trio wäre auch so sicher weg gewesen. In der Champions League im Herbst ’96 konnte sich hingegen Michael Konsel mit Glanzleistungen gegen Juventus für einen Vertrag beim AS Roma empfehlen, Didi Kühbauer bekam die Chance zu Real Sociedad zu gehen; letztlich zog es auch den humorlosen Trifon Ivanov weg aus Hütteldorf (wenn auch nicht in eine Top-Liga, sondern nur an den Verteilerkreis).
In der Realität überwinterte Rapid, nach dem Titel, in der Saison 96/97 als Tabellenführer, zersplitterte im Frühjahr aber in eine Ansammlung von Ich-AGs und verdaddelte den Titel gegen Salzburg. Nach einem mega-erfolgreichen Jahr 1996 – Meister, Europacup-Finale, Champions League – setzte wohl eine gewisse Gemütlichkeit ein, nicht mehr alle gaben alles, was zu gegenseitigen Schuldzuweisungen führte, und mit den nahenden Abschieden von Konsel und Kühbauer blickte man auch in eine ungewisse Zukunft.
Wäre Rapid ’96 NICHT Meister geworden, hätte man nicht nur einen Titel weniger, sondern auch nicht in der Champions League gespielt. Man hätte im UEFA-Cup den Platz des GAK eingenommen, und in der zweiten Runde hätte Inter Mailand gewartet. Viel wäre da vermutlich nicht rausgekommen, wenn man sich das 0:5 in Turin vor Augen führt, das es in der Realität gab. Sprich: Rapid wäre hungrig ins Frühjahr gegangen und mit großem Willen, den 1996 verspielten Titel nun nachzuholen. Qualitativ war Rapid in der Saison 96/97 ohne Zweifel die beste Mannschaft, und ohne die Zersplitterung des Teamsgeistes hätte man 1997 den Titel vermutlich recht locker eingefahren. Hätte man die Finalissima gegen Sturm 1996 also verloren, hätte man höchstwahrscheinlich den Titel im Jahr darauf nachgeholt.
…und hätte nicht Heribert Weber als Trainer geholt
In der Saison 97/98, nachdem mit Konsel, Kühbauer und Ivanov drei zentrale Spieler weg waren, war es um Rapid weitgehend geschehen. Schon zur Winterpause hatte man 13 Punkte Rückstand auf Herbstmeister Sturm angehäuft, man ekelte Peter Stöger aus der Mannschaft und weil Ernst Dokupil das Chaos nicht mehr in den Griff bekam, eiste man Ende März 1998 Heribert Weber von Salzburg los. Dieser hatte schließlich im Jahr zuvor mit Salzburg gezeigt, dass er eine Mannschaft mit Teamgeist formen und damit auch gegen besser besetzte Teams Erfolg haben kann.
Hätte Rapid 1997 den Titel nachgeholt, wäre aber – logisch – Heri Weber nicht mit Salzburg Meister geworden. Somit hätte er mit einem achten und einem zweiten Platz in anderthalb Jahren als Trainer in der Mozartstadt kein Meister-Image vorzuweisen gehabt. Gut möglich, dass Rapid als Meister ’97 in der Saison 97/98 auch die Implosion mit einem Jahr Verspätung nachgeholt und man Dokupil von der Trainerbank wegbefördert hätte (er wurde Sportchef). Aber ob man sich einen Trainer geholt hätte, der nur „eh okay“ ist und dem man neun Monate noch selbst den Titel weggeschnappt hätte?
Und wenn Weber nicht den fliegenden Wechsel von Lehen nach Hütteldorf vollzogen hätte, hätte in Salzburg auch nicht Hans Krankl das Traineramt übernommen.
Und jetzt der Oberhammer: LASK als Meister 1998?
Rekapitulieren wir also: Sturm wäre in der Saison 1997/98 noch damit beschäftigt gewesen, aus einem von Hannes Kartnig sinnlos zusammengewürfelten Team eine Mannschaft zu machen. Rapid ist nach dem Titel 1997 satt und die Ära Dokupil neigt sich dem Ende zu. Der GAK hat zwar einen feinen Torhüter, aber vermutlich keinen Trainer, der das Team so dermaßen verbesserte, wie es Klaus Augenthaler zweifellos getan hat.
Was die Aufmerksamkeit auf einen Klub lenkt, von dem in diesem Gedankenspielchen noch nicht die Rede war. Dem LASK nämlich. Dieser pimpte Ende der Neunziger mit dem Geld von Präsident Wolfgang Rieger sein Team ziemlich auf und installierte zu Beginn der Saison 1997/98 den Norweger Per Brogeland als Trainer. Dieser war ein Leisetreter, ein akribischer Arbeiter, der – wie er es aus Skandinavien gewohnt war – auch auf Eigenverantwortung und professionelles Verhalten bei seinen Spielern.
Der LASK spielte 97/98 dann auch eine mehr als ordentliche Saison. Zu dem Zeitpunkt, als Weber von Salzburg zu Rapid ging – also neun Spieltage vor Schluss – war der LASK Dritter, nur die beiden Grazer Klubs lagen vor den Athletikern. Die zudem gerade Rapid mit 5:0 aus der Gugl geschossen hatten (Brogelands Landsmänner Geir Frigård und Rune Tangen trafen je doppelt, dazu netzte Markus Weissenberger). Doch Rieger monierte mangenlde körperliche Fitness bei seinem Team, obwohl Brogeland jedem Spieler ein individuelles Urlaubs-Programm für die Winterpause mitgegeben hatte. „Daran kann sich bis auf Frigård und Tangen keiner gehalten haben“, schimpfte Rieger. Und machte, was ob Verfehlungen der Spieler ja auch vollig logisch ist: Er entließ den Trainer. Eine kleingeistige und peinliche Fehleinschätzung: Ohne Brogeland rutschte der LASK von Rang drei ab und verpasste den Europacup um sechs Punkte.
Aber: Ohne einen durchmarschierenden SK Sturm und ohne einen GAK, der unter Augenthaler extrem stark war, wäre der LASK mittendrin im Titelkampf gewesen. In diesem Fall hätte Rieger seinen Trainer wohl nicht entlassen, der hochprofessionelle System-Trainer hätte zumindest bis Sommer weiterarbeiten dürfen. Gut möglich, dass er angesichts der kriselnden Konkurrenz sogar den Titel eingeheimst hätte.
Ein akribischer, stiller Arbeiter aus Norwegen als Meistermacher mit einem Underdog: Vielleicht hatte das so manchen Denkprozess zehn Jahre früher einsetzen lassen. Den LASK-Crash im Jahr 1999 hätte der Titel aber nicht verhindert: Die abenteuerliche Finanzkonstruktion, die Wolfgang Rieger mit seiner Bank und dem LASK aufgebaut hatte, wartete nur darauf, wie ein Kartenhaus zusammen zu brechen.
Alles wegen einem Spiel
Heißt: Sturm sich im Überschwang vermutlich die eigenen CL-Erfolge verbaut, Rapid hätte den Titel ein Jahr später nachgeholt, Alex Manninger wäre auf annähernd 100 Länderspiele gekommen, Ljubo Petrovic hätte Bobby Dmitrovic nicht k.o. gehauen und der LASK hätte möglicherweise 1998 den Meisterteller geholt – mit einem norwegischen Leisetreter als Trainer. Und wäre wenige Monate später krachen gegangen.
Und das alles nur, weil Sturm am 1. Juni 1996 im Happel-Stadion 0:2 verlor, anstatt das Spiel gegen Rapid zu gewinnen.
(phe)