Eigentlich steht ja Bilbao-Coach Bielsa für einen bis ins allerletzte Detail durchdachten und vorausgeplanten Fußball. Im Finale der Europa League aber wurde der Lehrmeister von seinem einstigen Kapitän ausgebremst: Diego Simeone vermittelte Atlético Madrid eine ungemein exakten Plan, an den sich sein Team mit viel Disziplin und hoher Intelligenz hielt. Mit Erfolg – Atlético gewann klar mit 3:0.
Diego Simeone bezeichnet sich selbst ohne Umschweife als Bielsa-Schüler. Und seit der langjährige Kapitän der argentinischen Nationalmannschaft – damals eben unter Teamchef Bielsa – im Dezember das Traineramt bei Atlético Madrid übernommen hat, geht es bei diesem Team stetig bergauf. Kein Wunder, denn was für ein Fuchs der 42-Jährige ist, zeigte er in diesem Finale.
Atlético mit Pressing zum Start
Er ließ seine Mannschaft mit einem ungeheuren Pressing beginnen. Genau das ist eigentlich die große Stärker von Bilbao, aber mit wenig Zeit am Ball konnte Athletic überhaupt nicht umgehen. Vor allem Diego und Arda Turan taten sich dabei hervor. Die Basken wirkten dadurch ziemlich gehetzt und verunsichert, und das schnelle Tor durch einen großartigen Schlenzer von Falcao nach sieben Minuten war die logische Folge.
Die Madrilenen spielten in einem 4-4-1-1, das aber sehr flexibel interpretiert wurde; im Bedarfsfall konnte es schnell ein 4-3-3 werden. Dann nämlich, wenn Diego (der als hängende Spitze links hinter Falcao spielte) etwas weiter nach außen ging und sich Arda (nominell im linken Mittelfeld) in die Zentrale orientierte. Denn das System bei Atlético war assymetrisch: Adrián auf der rechten Außenbahn ist an sich gelernter Stürmer und stand sehr hoch. Dass er dabei im Rücken von Bilbao-LV Aurtenetxe stand, war kein Nachteil.
Die drei Sekunden nach dem Ballgewinn…
Weil es Atlético auch nach der Führung geschickt anlegte. Die Madrilenen zogen sich etwas zurück, pressten nur noch mit zwei Mann (Diego und Falcao) und selbst das erst in der eigenen Hälfte und nicht annähernd in der Intensität wie zum unmittelbaren Start. Simeone wusste: Auf Dauer kann man Athletic nicht anpressen, ohne den Preis in Form von schwindenden Kräften zu zahlen. Auch wollte er nicht veruschen, den Basken auf Dauer mit spielerischen Mitteln Paroli zu bieten, weil dies gegen „Barça light“ aus Bilbao zu viel Raum offen ließ.
Also zog Simeone hinten seine Viererkette zusammen. Die Außenverteidiger kümmerten sich um Muniain und Susaeta, die Mittelfeld-Außen um die aufrückenden Iraola und Aurtenetxe, und im Zentrum ließ sich Mario Suárez fallen, um Llorente einzukesseln und der Sturmspitze von Athletic keine Chance zu lassen, an eventuelle Flanken zu kommen.
Der Clou dabei war aber, dass Atlético nicht nur einfach die Räume eng machte und darauf wartete, dass die Zeit verging. Nein, Simeones Mannschaft achtete ganz extrem darauf, nach Ballgewinn so schnell wie möglich von Defensive auf Offensive umzuschalten. In diesen ersten drei Sekunden nach Ballgewinn, in denen Bilbao sich erst orientieren und den Rückwärtsgang einschalten musste, war Atlético unglaublich flink und schon auf halbem Weg zum Tor, die sich in der kurzen Phase der Neu-Organisation beim Gegner bildenden Räume ausnützend. Nicht nur im Zentrum, sondern vor allem auch über die rechte Seite von Adrián.
Athletic ist etwas ratlos
Dagegen fand Athletic kein Mittel. Im Zentrum standen Herrera (neben seinen Teamkollegen Javi Martínez und Iker Muniain, sowie Adrián von Atlético einer von vier U21-Europameistern auf dem Feld) und De Marcos gegen drei Gegenspieler, weil sich neben Suárez und Gabi eben oft auch Arda in die Mitte orientierte. Das Trio verschob auch sehr gut, wenn es Athletic über die Flügel versuchte.
Weil sie mit ihren gewohnten Kurzpässen also überhaupt keinen Zug in ihre Spiel brachten, gab es vermehrt lange Bälle, die oft überhastet wirkten und nur allzu oft weit am geplanten Empfänger vorbeigingen. Bilbao machte einen verunsicherten Eindruck, war nach vorne ratlos und machte hinten dann noch einen billigen Fehler. Amorebieta schaute sich etwas zu lange nach einer Anspielstation um, verlor dabei den Ball und Falcao nützte das mit einer Weltklasse-Aktion vor dem Tor zum 2:0 für Atlético aus.
Bielsa reagiert auf fehlenden Punch aus dem Mittelfeld
„El Loco“ passte für die zweite Halbzeit sein 4-3-3 etwas an. Mit Ibai kam ein neuer Mann für für die linke Außenbahn. Nicht nur, dass Muniain (und auch Susaeta auf der anderen Seite) zu Zentral gespielt hatten, um die kompakte Viererkette von Atlético auseinander zu ziehen, es fehlte auch der Punch aus dem Mittelfeld.
Für diesen sollte nun Muniain sorgen, der von Links nun ins Zentrum gegangen war. Er spielte weiter vorne als De Marcos in der ersten Hälfte (dieser spielte nun statt Aurtenetxe als LV), was einen weiteren positiven Effekt hatte: Seine Präsenz hielt Mario Suárez davon ab, sich zu tief fallen zu lassen, was wiederum Llorente etwas Luft zum Atmen verschaffte. Zudem versuchten Susaeta und Ibai nun zumindest, breiter zu spielen.
Weil dazu die Raumaufteilung etwas gleichmäßiger war und Íñigo Pérez (statt Iturraspe im Spiel) ebenso höher stand wie sein Vorgänger, war Athletic auch etwas weniger anfällig für das blitzschnelle Umschalten von Atlético. Das fand zwar immer noch statt, aber Bilbao hatte sich nun besser darauf eingestellt.
Aufgabe des Mittelfelds
Nur: All das brachte auch nicht den gewünschten Erfolg, wenn es darum ging, Zugriff auf den Strafraum zu erhalten. Muniain stand praktisch immer alleine gegen zwei Gegenspieler und Llorente machte im Zentrum gegen Godín und Miranda kaum einen Stich. Weswegen Bielsa nach einer Stunde die für ihn äußerst unübliche Brechstange aus der Kiste holte – in Form von Toquero.
Was nichts anderes hieß als die Aufgabe des Mittelfelds. Im Zentrum stand nun nur noch Muniain (abgeischert von Íñigo Pérez), vorne dafür zwei Zentrums-Strmer und zwei Außenangreifer. Doch egal um nun von Muniain oder von den Außen: Nun segelten die Bälle völlig Bielsa-untypisch hoch in den Strafraum. Weil nun aber Suárez wieder von Muniain lassen konnte, nachdem dieser ja ganz alleine war und von Gabi übernommen wurde, ließ dieser sich wieder vermehrt fallen um im Abwehrzentrum Überzahl herzustellen.
Zudem war durch das komplett offene Mittelfeld nun wieder der Weg frei für schnelle Gegenstöße durch blitzartiges Umschalten nach Ballgewinn. So kam Bilbao nur zu ein, zwei halbwegs ernsthaften Chancen, die aber spätestens beim glänzenden Thibaut Courtois im Atlético-Tor endeten, und spielte bis zum Schluss überhastet und ungewohnt fahrig.
Auf der anderen Seite hätte Falcao schon die Entscheidung herbeiführen müssen, als er nach einem schnellen Gegenstoß nur den Pfosten traf, aber wenige Minuten vor Schluss machte Diego mit einer feinen Einzelleistung doch noch alles klar.
Fazit: Simeone manövrierte Bielsa aus
Auch das kommt mal vor: Marcelo Bielsa wurde bis zu einem gewissen Grad von seinem Gegenüber ausmanövriert. Simeone kannte die Stärken und die Schwächen von Athletic nicht nur, er ließ sie auch gnadenlos anbohren. Vor allem Atléticos unglaublich flinke Umschalten nach Ballgewinn brachte die Basken immer wieder schwer in Verlegenheit. Simeone ließ Athletic den Ball haben, wo es seinem Team nicht weh tat und ließ immer wieder in kurzen Phasen Pressing aufblitzen. Llorente war praktisch kein Faktor und die nach innen ziehenden Außenstürmer waren bei den diese schon recht weit innen erwartenden Atlético-AV in guten Händen.
Bielsa fühlte sich schon nach einer Stunde, also sehr früh, dazu genötigt, die Brechstange auszupacken, die er seiner Mannschaft eigentlich ausgetrieben hat. Athletic hat es im ganzen Spiel nicht geschafft, ein taugliches Mittel gegen die ungemein intelligent und extrem präzise eingestellten Gegner zu finden. Und so schade das nach den tollen Auftritten in dieser Saison, vor allem den beiden inhaltlichen Vernichtungen von Manchester United, auch ist: Diesmal fehlte der Plan und somit ist die Sieg für Atlético Madrid vollauf gerechtfertigt.
(phe)