Proper England, Schweizer Aufbruch: So gehen die Teams aus der Frauen-EM

Wie ist die EM für die 16 Teilnehmer verlaufen, wer hat positiv überrascht, wer negativ? Um den Kreis zu schließen mit unserer Vorstellung der in der Schweiz vertretenen Teams, blicken wir zum Abschluss unserer Berichterstattung zur Frauen-EM 2025 noch einmal auf die Teams, ihre Performance bei diesem Turnier und auf den Ausblick auf deren unmittelbare bis mittelbare Zukunft.

England, wieder Europameister

Das sei „Proper England“, ließ Alessia Russo wissen: „Wir arbeiten hart, so lange, bis wir nicht mehr laufen können. Und wir halten fest zusammen!“ Diese Eigenschaften trugen die Lionesses durch das Turnier, in dem sie wenig geglänzt, aber viel Widerstandskraft gezeigt haben und, ja, letztlich auch vom Glück profitieren konnten. Indem Schweden noch schlechter war im Elfmeterschießen. Indem man gegen Italien tief in der Nachspielzeit den (allerdings hochverdienten) Ausgleich erzielte, dann einen durchaus pfeifbaren, aber keineswegs zwingenden Elfmeter zum Sieg zugesprochen bekommen hat.

Und doch kommt dieser englische Titel nicht aus dem Nichts. Der Titelverteidiger war nach dem 1:2 gegen Frankreich zum Auftakt praktisch von Beginn an unter Zugzwang, zerlegte eine zerfallende niederländische Mannschaft 4:0 und fegte locker über überforderte Waliserinnen 6:1 hinweg. Letztlich war es aber auch „Wiegman Magic“ – die Erfolgs-Teamchefin, die nun ihren dritten EM-Titel in Folge einfahren konnte, zeigte sich als Meisterin des Managements und des Leaderships: Klare Entscheidungen, klare Kommunikation, klare Rollen, eine klare Start- und eine zumindest in weiten Teilen klare Finisher-Formation. Sie erkennt wie kaum jemand sonst, welche Maßnahme erforderlich ist. Und natürlich hat sie auch einen extrem breiten Kader, aus dem sie immer weiter nachlegen kann, während andere Teams das Niveau bei Wechseln eben nicht halten können.

Das englische Spiel war weniger flüssig als noch 2022 beim EM-Triumph, erinnerte eher an das hart arbeitende WM-Final-Team von 2023 – more grit, less glamour. Bronze trieb das Spiel auf gewohnte Weise über links nach vorne, Walsh screente das Mittelfeld vertikal, Stanway übernahm mehr die robuste Arbeit als die vertikalen Läufe. Lauren James zog gerne nach innen und fand individuelle Lösungen, sie war aber auch sichtlich nicht ganz fit. Chloe Kelly brachte neue Energie auf den Außenahnen, Entdeckung Michelle Agyemang ein robustes, kraftvolles Element in die Spitze.

Das spielerisch beste Team war England sicher nicht, aber die Lionesses verloren niemals den Glauben an sich selbst, der Erfolg der letzten Jahre brachte ein entsprechendes Selbstverständnis. Und die Lionesses hatten die breitesten Kader – eine Folge des großen Investments der FA in den Frauenfußball in den letzten zwölf Jahren, seit der Katastrophe bei der EM 2013.

Weltmeister Spanien vor der Ziellinie gestoppt

Es waren keine erfreulichen letzten Monate für die Spielerinnen des FC Barcelona: Erst haben sie völlig überraschend (und durchaus verdient) das Champions-League-Finale gegen Arsenal verloren, nun haben sie auch das EM-Finale nicht gewonnen. Da war auch Pech dabei, aber eben nicht nur. Wenn man Spanien bzw. den FC Barcelona – und bis auf Carmona, Esther und die Vorrunden-Torhüterin Nanclares besteht Spanien ausschließlich aus aktuellen oder ehemaligen Barcelona-Spielerinnen – in das gewohnte Ballbesitz-Spiel kommen lässt, bei dem sie die Linie hoch stellen können und erbarmungslos im Gegenpressing sind, ist gegen sie kein Kraut gewachsen.

Portugal hat es beim 0:5 gar nie geschafft, sich dessen zu erwehren, Belgien beim 2:6 nur eine Halbzeit, ebenso Italien beim 1:3 und auch im Viertelfinale gegen die Schweiz war die spanische Führung niemals eine Frage des „ob“, sondern nur des „wann“. Aber wenn man sich traut und wenn man auch die Qualität hat, das Mittelfeld-Dreigestirn zu stören, nicht in die Ballzirkulation kommen zu lassen (so wie Deutschland) oder gar die Linien durch eigenes hochschieben und Zweikämpfe führen auseinander zu ziehen (wie England in der zweiten Halbzeit), ist Spanien verwundbar.

Aitana Bonmatí war nach ihrer viralen Meningitis im Turnier-Vorfeld bestenfalls auf 90 Prozent, dafür war Alexia Putellas auffälliger und Patri Guijarro legte mit ihren umsichtigen, praktisch fehlerfreien und auch körperlich robusten Auftritten auf der Sechs einen eindrucksvollen Claim, die eigentliche MVP des Turniers zu sein. Dass Coll nach ihrer Mandelentzündung halb durch das Turnier einstieg und sofort voll da war, spricht auch für die Torhüterin.

Wie es mit Montse Tomé weiter geht, ist im Übrigen noch Gegenstand von Diskussionen. Wird sie abgelöst, geschieht dies aber nicht wegen des vercoachten Finales, sondern eher aus politischen Gründen: Die ehemalige Co-Trainerin von Jorge Vilda gilt nach wie vor als Vertreterin des Ancien Régime, das nach dem Rubiales-Skandal ja verjagt worden ist.

Die Halbfinalisten: Deutschland und Italien

Bei praktisch allen EM-Teilnehmern ist zumindest die Richtung klar, in die sich die interne Analyse dieses Turniers zielt. Nur bei Deutschland ist das überhaupt nicht so. Dem DFB und Christian Wück schwebt ein offensiver Fußball vor, mit hohem Pressing, Tempo und Robustheit im Angriffsspiel. Nur: Ohne Lena Oberdorf, die wegen der Folgen ihres Kreuzbandrisses letztes Jahr noch nicht dabei war, und mit der relativ langsamen Abwehr geht sich das im defensiven Umschalten einfach nicht aus. Schon Dänemark war drauf und dran, diesen Umstand zu bestrafen, Schweden hat es beim 1:4 dann auch eindrucksvolle Weise tatsächlich getan.

Gegen Frankreich schaltete man im Viertelfinale nach dem frühen Ausschluss von Kathi Hendrich in den Survival-Modus und siehe da: Wenn es auf Widerstandskraft und Zweikampfstärke ankommt, ist Deutschland voll da. Das DFB-Team zog Frankreich ins Elfeterschießen und gewann, beinahe wäre dies auch im Halbfinale mit Spanien gelungen. Offensiv war man zwar kaum vorhanden, schon gar nicht planvoll, aber der Kampfgeist riss die Zuseher in der Heimat mit und sorgte vor allem nach dem Frankreich-Spiel für eine gewisse Schockverliebtheit – vor allem in die in der Vorrunde scharf kritisierte Ann-Katrin Berger.

Die Ausfälle von Giulia Gwinn (im ersten Spiel verletzt und dann von Carlotta Wamser gut vertreten), dann von Wamser selbst (Rot gegen Schweden), dann von Hendrich (Rot gegen Frankreich) und Linder (verletzt gegen Frankreich) und von Nüsken (gesperrt gegen Spanien) ließen das Team zusammen rücken, ab der K.o.-Runde opferte Wück die Zehn (zweimal Dallmann, einmal Freigang) zugunsten eines defensiv-stabilieren 4-1-4-1. Nur: Wie geht man beim DFB nun weiter? So lange man so spielte, wie man wollte, war man schlicht nicht konkurrenzfähig.

Aber es kann auch nicht der Anspruch sein, sich als achtfacher Europa- und zweifacher Weltmeister nur auf defensive Stabilität zu verlassen – auch wenn das bei dieser EM funktioniert hat.

Zumindest den nach WM 2023 und Olympia 2024 nötigen Generationswechsel (ohne Popp, Hegering, Magull, Leupolz, Huth) hat Deutschland in weiten Teilen geschafft, das steht Italien erst bevor – der Kern der Abwehr ist schon über 30 Jahre alt, die grundsoliden Außenspielerinnen sind auch nicht mehr ganz jung, die vielseitige Barbara Bonansea genauso und da ist natürlich Cristiana Girelli. Die Stürmerin, Kapitänin und Anführerin ging mit vollem Einsatz voran, dieses Turnier ist ihr Vermächtnis an die Zukunft. Zumindest bei der WM in zwei Jahren wird man noch mit weitgehend dieser Besetzung daran gehen können, diesen Erfolg zu bestätigen. Die Resonanz in der Heimat war sehr positiv. Tenor: „Ihr tragt das italienische Trikot mit mehr Einsatz und mehr Hingabe als die Männer!“

Unter Andrea Soncin zeigt Italien nun seit zwei Jahren, was seit dem WM-Viertelfinal-Einzug von 2019 möglich gewesen wäre, denn personell hat sich unter ihm nicht viel verändert. Sehr wohl aber das Selbstverständnis und die Art und Weise, wie nun gemeinsam als Team gespielt wird. Aktiv gegen den Ball, gut im Gegner nerven und Umschalten, eher nur mittelgut im eigenen Aufbau: So nützte Italien die günstige Auslosung, zitterte sich ein wenig ins Viertelfinale, wo man Norwegen düpierte und dann hatte man im Halbfinale England am Haken.

Nur, die Personaldecke war zu dünn. Schon die ganze zweite Halbzeit gegen England war ein Rückzugsgefecht, Soncin konnte von der Bank nicht mehr die für ein EM-Halbfinale nötige Qualität nachschießen. Für die hochgelobte Severini war die EM ein eher ernüchternder Realitäts-Check, viele echte Talente hat Italien eher nicht zu bieten. Umso wichtiger war dieses gute Abschneiden, um junge Mädchen zu inspirieren und als Legitimationsgrundlage, damit die Vereine die Investitionen in die Liga aufrecht erhalten. An der Spitze ist diese Liga durchaus international konkurrenzfähig, hinter dem Scheinwerfer ist aber längst nicht alles Gold, was glänzt. Absteiger Sampdoria hat etwa seine Frauen-Sektion zugesperrt.

Zu früh gescheiterte Mitfavoriten: Frankreich und Schweden

Mit Frankreich ist es bekanntermaßen immer das selbe: Das Team spielt schön, spielt gefällig, ist erstaunlich körperlich robust, hat auch immer wieder gute Nachwuchs-Leute. Solide Abwehr, trickreiches und torgefährliches Mittelfeld, schnelle und technisch starke Angreiferinnen. Frankreich fegte (mit Ausnahme der ersten und der letzten zehn Minuten) mit einem Klassenunterschied über den späteren Turniersiege England drüber, kam mit Halbgas zu einem klaren Sieg gegen Wales, drehte nach einer etwas vercoachten ersten Halbzeit mit Macht über die Niederlande drüber.

Nur eines konnte diese Mannschaft aufhalten – nämlich das Viertelfinale. Über den Nervenzusammebruch gegen Deutschland ist einerseits alles gesagt, andererseits ist auch dabei viel Was-Wäre-Wenn dabei. Wenn Wendie Renard von Teamchef Bonadei doch berücksichtigt worden wäre, damit Torgefahr bei Standard bestanden hätte? Wenn eines der beiden Abseitstore eben kein Abseits gewesen wäre? Und wenn Deutschland eben nicht so früh dezimiert gewesen wäre – sowohl für das deutsche Spiel als auch für den französischen Kopf hätte das schon einen Unterschied gemacht.

Und auch der grundsätzliche Ausbilck ist der selbe wie immer: Frankreich hat Qualität, hat auch jetzt wieder einige vielversprechende Talente und wird sowohl in das Final-Four der Nations League im Herbst als auch in die WM in zwei Jahren wieder mit viel Ambition gehen.

In Schweden hat man seit Peter Gerhardssons Amtsantritt vor acht Jahren verdammt viel richtig gemacht. Der Spielstil ist in Fleisch und Blut übergegangen und kann weitgehend unabhängig vom Personal ausgeführt werden: Sicheres Passspiel, perfekt einstudierte Laufwege abseits des Balles, gutes Gespür für das Aufreißen und Bespielen von Räumen; Tempo auf den Außenbahnen, gutes Auge im Zentrum, stark bei Standards. Zwei Dinge muss man sich unter Gerhardsson aber vorwerfen: Schlechte Elfmeter (wie im Olympia-Finale 21 und im EM-Viertelfinale 25) – und der Hang zur Zögerlichkeit, wenn sich ein Spiel in der zweiten Halbzeit von Schweden wegbewegt (wie im EM-Halbfinale von 21, den WM-Halbfinals von 21 und 23 und eben jetzt auch im EM-Viertelfinale 25).

Tony Gustavsson bekommt einen guten Kader von Gerhardsson übergeben, eine gute Basis, aber auf den erfahrenen neuen Trainer kommt auch einiges an Arbeit zu, diese EM fühlt sich eher wie ein Schluss- als ein Startpunkt an. Stürmerin Ellen Wangerheim drückt nach, Außenverteidigerin Smilla Holmberg hat Talentproben abgeliefert, ja. Aber mittel- und langfristig ist aus dem reißenden Strom an möglichen kommenden Klasseleuten eher ein gemütlicher Fluss geworden. Und die Blågult stellt praktisch immer eines der ältesten Team in einem Turnier, so auch diesmal.

Es gibt schon eine Handvoll potenzieller künftiger Leistungsträger: Rosa Kafaji und Felicia Schröder in der Offensive, Elma Nelhage und Emma Wijk in der Abwehr. Aber die schwedischen Nachwuchs-Nationalteams sind bei U-Turnieren eher seltene Gäste und während die anderen Länder die Investitions-Daumenschrauben anziehen, tut sich Schweden damit zunehmend schwer. Nur: Der schwedische Frauenfußball ist eine seit Jahrzehnten gut geölte Maschine, das läuft auch in engen Zeiten, und mehr als eine oder zwei Stützen wird bis zur WM auch nicht wegbrechen. Zudem ist die Spielphilosophie klar und ein komplettes Zerfallen jeglicher Zusammenhänge auf dem Feld, wie beim Nachbarn Norwegen, ist in Schweden eher nicht zu befürchten.

Hoffnungslos (?) und hoffnungsvoll (!): Norwegen und die Schweiz

Denn die ganzen Anzeichen, dass das in Norwegen nun unter Gemma Grainger doch ein wenig mehr nach Teamwork und Ineinandergreifen von Defensive und Offensive aussah, liefen bei der EM komplett ins Leere. Einmal mehr.

Norwegen bekam wieder den Ball nicht sinnvoll aus der ersten Linie heraus, war wieder ein gebrochenes Team mit einer Viererkette und zwei Sechsern hinten (von denen eine, Vilde Bøe-Risa nämlich, eigentlich gar keine gute Ballgewinnerin ist, sondern eine Verteilerin und die im Turnierverlauf dann von der physischeren Naalsund verdrängt wurde) sowie vier Offensivkräften vorne. Norwegen ließ sich von der Schweiz überrennen und hat irgendwie dennoch den Sieg gestohlen und Norwegen ließ sich dann von Finnland ziemlich gepflegt ausspielen und hat auch in diesem Spiel dennoch den Sieg gestohlen.

Erst die Hereinnahme von Signe Gaupset im bedeutungslosen dritten Spiel gegen Island brachte ziemlich Schwung rein, weil Gaupset viel unterwegs ist, sich Bälle selbst abholen kann, außen dribbeln wie auch zentral Gegenspielerinnen binden kann und auch noch einen Abschluss hat. Die starke Performance anstelle der geschonten Reiten brachte die Trainerin aber in die Bredouille, weil die Gaupset für das Viertelfinale nicht guten Gewissens draußen lassen konnte und trotzdem einen Platz für Reiten gebraucht hat. Diese musste dann die Linksverteidigerin geben und war damit eher überfordert.

Die Norwegerinnen hatten eine Phase, in der das Match gegen Italien zu ihren Gunsten kippen hätte können, diese wurde aber nicht genützt, so bleibt Norwegen der etwas schizophrene Patient aus dem Kreis der (ehemaligen?) Frauenfußball-Großnationen. Die anderthalb Jahre unter Grainger haben gezeigt, dass gut gemeintes Schraubendrehen nicht ausreichen wird, um diesen gefallenen Riesen wieder aufzurichten. Da wird es wohl eher die Abrissbirne und einen Kran brauchen.

Und das ist genau, was Pia Sundhage in der Schweiz gemacht hat. Die Durchbruch-Generation in der Mitte der Zehner-Jahre mit Bachmann, Dickenmann, Humm, Bernauer, Moser und Thalmann hat lange keine Erben hinterlassen, die Schweizer Nachwuchsarbeit stockte. Bis nun ein ganzer Schwung von jungen, ambitionierten und talentierten Spielerinnen aus dem Boden schoss. Sundhage, die in ihrer Trainerinnen-Karriere stets auf Routine, Robustheit und Geradlinigkeit gesetzt hatte, brach mit ihren Gewohnheiten und überraschte Fußball-Europa bei dieser EM.

Erstens, weil sie konsequent die Talente Schertenleib (18), Beney (19), Ivelj (18), Vallotto (21), Pilgrim (22), Xhemaili (22), Fölmli (22) und Wandeler (19) spielen ließ. Zweitens, weil sie sie auch von der in den letzten Monaten sehr eng angezogenen defensiven Leine ließ. Und drittens, weil sie nicht nur offensiv spielen, sondern auch zocken ließ – wie es ihrem Naturell entspricht. Gerade gegen Island und Finnland war es phasenweise immer noch holprig und nicht sehr stabil, aber zwei Nachspielzeit-Tore – zum 2:0 gegen Island, wodurch gegen Finnland ein Remis reichte, und dann eben Xhemailis 1:1-Ausgleich in der 92. Minute gegen die Finninnen – brachten die Eidgenossinen tatsächlich in den Viertelfinal.

Die Schweizer Mannschaft hat die Fans in der Heimat in diesen vier Spielen – auch mit dem tapferen Auftritt beim Viertelfinal-0:2 gegen Spanien – voll auf ihre Seite gezogen und hat angesichts der Kaderstruktur absolut das Potenzial, sich im Bereich der Top-8 in Europa zu etablieren. Es war mit 24,9 Jahren nach tatsächlicher Einsatzzeit die jüngste Mannschaft bei dieser EM. Einziger Wermutstropfen: Der Abstieg aus der Nations League wird den Weg zur WM in Brasilien deutlich erschweren.

Der große Verlierer aus den Niederlanden

In der Vorrunden-Gruppe D waren neben den Französinnen auch die Europameister der letzten beiden Turniere vertreten, nämlich England und die Niederlande. Weil drei Kandidaten für zwei Viertelfinal-Plätze einer zu viel sind, war es eine rechnerische Notwendigkeit, dass einer der drei auf der Strecke bleibt. Obwohl die Oranje Leeuwinnen schon im Vorfeld als das wahrscheinlichste Opfer gegolten haben, muss man sie ganz klar als einer der ganz großen Verlierer des Turniers sehen – obwohl sie im letzten Spiel Frankreich eine Stunde lang kräftig die Hölle heiß gemacht hatten.

Der Grund dafür ist vor allem die irritierend bereitwillige Art und Weise, wie man sich gegen England 0:4 kaputt schießen hat lassen. Zuvor hatte es ein glanzloses Pflicht-3:0 gegen Wales gegeben, es war ein wenig phantasielos, aber doch solide. England stand mit dem Rücken zur Wand, aber die Naivität, die Passivität, das komplette Fehlen jeden Einsatzwillens und die geradezu peinliche Darbietung, bei der sich selbst Routiniers wie Sherida Spitse in eine Falle nach der anderen locken ließ, ließ einen als Beobachter sehr ratlos zurück – und Jackie Groenen als einzige, die sich wirklich gewehrt und wirklich geärgert hat, sehr frustriert.

In den Niederlanden stehen sie vor einer ungewissen Zukunft: Aus der Nischensport-Förderung der Regierung ist man rausgefallen, weil man kein Nischensport mehr ist, aber die Sponsoren-Einnahmen stagnieren. Es kommen einige junge durch – Kaptein, Buurman, Brugts – aber was, wenn es nur ein halbes gutes Team ist, das die abtretende Titel-Generation von 2017 beerbt? Und groß war die Kaderdichte selbst beim jenem Titel und beim WM-Finale 2019 nicht gewesen.

Arjan Veurink, seit 2017 Assistent von Sarina Wiegman beim KNVB und dann beim englischen Verband, kehrt in seine Heimat zurück und übernimmt vom etwas glücklosen Andries Jonker, mit dem die Spielerinnen dem Vernehmen nach auch nie wirklich warm geworden sind. Veurink war im Staff dabei, als die Niederlande vor acht Jahren aus dem Nichts Europameister wurden. Die klare Spielidee, die mannschaftliche Geschlossenheit und der unbedingte Wille von 2017 sind längst verwässert, verschwunden, verloren gegangen.

Hier steht wohl ein kompletter Re-Boot an.

Kampf gegen Windmühlen: Dänemark und Island

Einerseits kann man aus dänischer Sicht sagen: Ein paar Wochen nach dem 1:6 in der Nations League in Schweden das Spiel eng gehalten und nur 0:1 verloren, Deutschland am Haken gehabt und maximal unglücklich 1:2 verloren und schließlich, bereits ausgeschieden, nach einem 0:2-Pausenrückstand gegen Polen in einem für das Turnier bedeutungslosen Match Charakter gezeigt und fast noch ausgeglichen. Andererseits kann man, gerade als traditionelles Frauenfußball-Land wie Dänemark, nicht mit drei Niederlagen aus einem Turnier rausgehen und so tun, als wäre eh alles gar nicht so schlecht.

Die Däninnen waren konkurrenzfähig, wenn sie aus einer gesicherten Abwehr heraus umschalten konnten, vor allem gegen die Deutschen, bei denen genau diese Umschaltmomente ein großes Problem waren. Man hätte diese Situationen, von denen es einige gab, besser ausspielen können, c’est la vie. Nur: Der eigene Aufbau jedoch war sehr schematisch und gemächlich, da ließ sich Dänemark oft recht billig isolieren. Und mehr als nur einmal ließ man sich vor allem gegen Polen wiederum selbst im defensiven Umschalten auf dem falschen Fuß erwischen.

Das sind alles Defizite, mit denen kann man auch schon mal durchkommen, so wie man sich bei der WM in der Gruppe an China vorbei ins Achtelfinale gehievt hat. Aber man kann sich halt auch nicht darauf verlassen. Und das dänische Problem: Die zahlreichen Routiniers im Team – allen voran Harder, aber auch Veje, Nadim, Thøgersen, Ballisager und die als Allzweck-Joker mitgenommene Troelsgaard – werden eine nach der anderen wegbrechen. In Dänemark wird aber seit Jahren nur noch phantasielos der Bestand vor sich hin verwaltet und schon jetzt gibt es kaum eine Idee im Angriffsdrittel, die nicht das persönliche Genie von Pernille Harder als notwendige Basis hätte.

Noch ist Dänemark gute Mittelklasse, aber die Zutaten für ein weiteres, graduelles Abrutschen – und man war 2013 und 2017, wenn auch überraschend, noch im Halbfinale und im Endspiel – sind schon längst in den Teig hineingeknetet worden.

Einen gewissen Kampf gegen Windmühlen kämpft auch Island, wenn auch anders gelagert als bei Dänemark. Der Spielerinnen-Pool ist sehr klein, man ist auf jede fähige und ambitionierte Spielerin angewiesen und auch im aktuellen, relativ jungen Kader sind einige davon vertreten: Unter dem erfahrenen Leadership von Glódis Viggósdóttir hat Island einiges an individueller Qualität – von der fast 1.90m großen Rúnarsdóttir im Tor über die flinke Jónsdóttir und die mit großem Aktionsradius ausgestattete Vilhjálmsdóttir vorne, dazu lässt sich Flügelspielerin Katla Tryggvadóttir gerade in Schweden an höhere Aufgaben heranführen.

Woran es Island aber fehlt, und das war auch in der Schweiz zu sehen (und bei der U-20, die im WM-Playoff vor anderthalb Jahren gegen Österreich irgendwann einfach aufgab und 0:6 verlor), ist die Konstanz und auch die mentale Stabilität, wenn einem ein Spiel aus der Hand flutscht. Man hatte (ohne die gesundheitlich lädiert ausgewechselte Glódis) keine Antwort auf die erstaunlich progressive Art, wie Finnland den Ball laufen ließ. Die Stärken des Teams – das geschickte Lenken der gegnerischen Spieleröffnung, das Isolieren der Kontrahentinnen auf den Flügeln, das Tempo im Umschalten, die Standards – hat man völlig vergessen, und dann kam in Form von Antonsdóttirs Ausschluss nach einer Stunde auch noch Frust dazu.

Damit war das isländische Turnier schon nach einem Spiel mehr oder weniger gelaufen. Man schaffte es gegen die Schweiz, dem Spiel des ambitionierten, aber nervösen Gastgebers den Rhythmus zu nehmen, hielt das aber eben statt 90 nur 75 Minuten durch – ehe man, bereits ausgeschieden, gegen Norwegen gerade im defensiven Umschalten nur noch auf Halbgas unterwegs war und erst aufwachte, als man schon 1:4 im Rückstand lag.

Und so ist es bei Island irgendwie ähnlich wie bei Dänemark: Man hätte alle Zutaten, um mit dem eigenen Zugang durchzukommen, wenn sich die Gelegenheit bietet. Nur verpasst man diese Gelegenheit dann eben. Wie 2017 und 2022 war das auch 2025 so.

Ambitioniert – und limitiert? Finnland, Belgien und Polen

Es war schon zu erkennen – in der EM-Qualifikation, auch im Nations-League-Frühjahr – dass Finnland wesentlich aktiver agiert als in den von Stagnation geprägten Jahren unter Anna Signeul. Wie aktiv die Truppe von Marko Saloranta aber bei dieser EM ihre Chance am Schopf zu packen gedachte, davon waren auch die Gegner überrascht. Allen voran Island – im allerersten Turnier-Spiel lief der Ball erstaunlich flüssig, rückte man erstaunlich weit auf, schoben Emma Koivisto rechts und Karatiina Kosola links erstaunlich weit auf. Man kochte Island eine Stunde lang ab, am Ende gingen ein wenig die Kräfte aus, aber das 1:0 hielt.

Dazu zeigten sich die Finninnen erstaunlich systemflexibel – mit Raute gegen Island, ein 4-2-3-1 gegen Norwegen – wo man ebenso eigentlich die bessere, gepflegtere, sicherere Mannschaft war und nur unglücklich durch ein krummes Ding von einem Tor spät verlor – und dann mit einem 4-4-2 gegen die Schweiz. Diese nervte man auch, ging sogar in Führung und stieß damit das Tor zum Viertelfinale weit auf, wurde aber für eine defensive Unachtsamkeit in der Nachspielzeit bitter bestraft.

Es fiel schon auf, dass Finnland in allen drei Spielen in der Schlussphase deutliche Probleme bekam, Tempo und Aufmerksamkeit hoch zu halten, die Personaldecke ist ziemlich dünn und es gibt deutliche Problemstellen: Torhüterin Koivunen kommt auf diesem Niveau kaum mit, die Offensive kann die gut Arbeit im Mittelfeld zu wenig veredeln, zudem steht Sällström – die schon vor 16 Jahren bei der Heim-EM mit dabei war – vor dem Karriereende. Es steht ein wenig zu befürchten, dass die Auftritte in der Schweiz nicht die Basis für eine weitere Entwicklung sind, sondern eher der Plafond des Erreichbaren. Aber die Helmarit hat zumindest wieder ein spürbares Lebenszeichen von sich gegeben.

Hat das auch Belgien? Irgendwie schon, man musste aber schon genauer hinsehen. Nachdem die Truppe unter Langzeit-Teamchef Ives Serneels zunehmend in ihrem Graue-Maus-Dasein erstarrt wirkte, brachte Elísabet Gunnarsdóttir in den letzten sechs Monaten vielleicht nicht gerade spielerischen Schwung in die eher nur semi-prickelnden Red Flames, aber doch das Gefühl, dass man seine Stärken wieder etwas fokussierter und zielgerichteter auf die Gegner loslässt.

Aus einer gesicherten Abwehr heraus – vor allem gegen Spanien, so lange man bei dem Tempo mitkam, auch mit sehr effektiven 1-gegen-1-Zuteilungen – wird über die Flügel umgeschaltet und vor allem, ganz wichtig, ist das konsequente Nachrücken hier zentral. So war es das klare Ziel, nicht Tessa Wullaert und ihre Adjutantin – zumeist die nun nach Deutschland wechselnde Hannah Eurlings – alleine zu lassen, sondern ihnen Optionen zu geben. Das verursachte deutliches Unwohlsein bei Italien und ärgerte Spanien eine Stunde lang, ein neben sich stehendes Portugal wurde so sogar besiegt.

Natürlich reicht die individuelle Klasse nicht aus, jedes Mal – wie es 2022 gelungen ist – irgendwie ins Viertelfinale durchzuschlüpfen. Aber diese EM hat bestätigt, dass Belgien zumindest streckenweise auch die sehr guten Teams nerven kann und man in Matches gegen die Mittelklasse absolut konkurrenzfähig bleiben dürfte.

Wenn Polen das in den kommenden Jahren schaffen sollte, was Belgien in den letzten zehn Jahren vollbracht hat, wäre das schon ein großer Erfolg. Es erscheint grundsätzlich möglich: Die Truppe ist verhältnismäßig jung, hat seit dem erstmaligen Aufstieg in die A-Gruppe der Nations League 2023 extrem viel dazugelernt, ist psychisch erstaunlich stark und vertraut einer klaren Spielidee – kann damit ebenso auf hohem Niveau dagegenhalten (wie bei der EM), also auch gegen schwächere Teams stabil Spiele gewinnen (wie nun beim souveränen zweiten Aufstieg in die A-Gruppe).

Getragen von einer Handvoll tatsächlicher oder potenzieller Klasseleute – Pajor natürlich, aber auch Padilla, Kamczyk, Dudek und Szymczak – kommt die ansonsten kaum mehr als solides Mittelmaß darstellende Truppe über einen extremen Teamgeist. Die Leistung beim Auftakt gegen Deutschland (0:2) war eine Stunde lang sehr solide und auch wenn man gegen Schweden chancenlos war und mit dem 0:3 noch glimpflich davongekommen ist: Das 3:2 zum Abschluss über Dänemark war der erste Pflichtspiel-Sieg gegen ein Team aus den Top-15 der Weltrangliste in der Geschichte des polnischen Frauenfußballs. Man nützte es eine Halbzeit lang cool aus, dass man Dänemark immer wieder in deren Vorwärtsbewegung den Ball abluchsen konnte – dann zitterte man den Vorsprung über die Ziellinie.

Dass dieser Erfolg just an dem Tag kam, als Iga Świątek das Wimbledon-Finale 6:0, 6:0 gewann, war vom Timing ein wenig unglücklich. Es ändert aber nichts am guten Feeling, mit dem Polen aus dem Turnier rausgeht. Nut nur, dass „mehr polnische als dänische Fans im Stadion von Luzern waren“, verbuchte Trainerin Nina Patalon als Erfolg, sondern auch, dass „wir uns nicht beirren ließen und konstant und mutig unseren Weg gehen. Bleibt das so, haben wir das Potenzial, weiter zu wachsen“. Ein Denkmal wurde dem Team bereits gesetzt – buchstäblich. Vor dem EM-Stadion in Danzig nämlich, wo man üblicherweise die Heimspiele austrägt.

Keine Siege, ungewisse Zukunft: Portugal und Wales

So ehrlich muss man sein: Wenn nicht Italien am Ende noch die Panik vor einem Ausgleichstor bekommt, wäre Portugal ganz ohne Zähler nach Hause gefahren. So steht zumindest das 1:1 gegen den späteren Halbfinalisten zu Buche, dafür auch ein besonders gegenwehr-befreites 0:5 gegen Spanien und auch eine abschließende Niederlage gegen Belgien, bei der in der zweiten Halbzeit auch Pech dabei war, aber noch viel mehr Unvermögen in der ersten.

Wo ist das Team hin, das bei der WM vor zwei Jahren drauf und dran war, die USA zu eliminieren? Wo das Team, das bei der EM vor drei Jahren mit mutigem Vorwärtsverteidigen zumindest zwei der drei Spiele lang eine sehr vorzeigbare Figur gemacht hat? Das Team, bei dem erstaunlich viele Stützen des EM-Debüts vor acht Jahren noch immer mit dabei sind, sah altersschwach aus, energielos, überholt. Die Pässe im Aufbau hatten die Streuung einer Schrotflinte, die Defensive bisweilen die Widerstandskraft von Pudding. Natürlich half es nicht, dass Kika Nazareth – die einzige echte junge Spielerin von internationalem Potenzial – noch halb-rekonvaleszent ins Turnier ging und kaum helfen konnte.

Aber so oder so: Portugal steht ein gröberer Umbruch bevor, nachdem man sich auch trotz eigentlich guter Ausgangslage in der Nations League eben nicht in der A-Gruppe halten konnte, das entscheidende Spiel wenige Wochen vor EM-Start daheim 0:3 just gegen Belgien verloren hat – gegen die man dann ja auch im letzte EM-Match geschlagen vom Feld gehen musste. In den nächsten Jahren wird man sehen, was das Investment von Benfica und Sporting wirklich zu produzieren in der Lage ist.

Dass diese EM-Teilnahme für Wales mit einiger Wahrscheinlichkeit ein singuläres Highlight bleiben dürfte, wissen sie dort selbst auch. Umso mehr haben sie die drei Spiele genossen, die beiden Tore bejubelt und sich einfach selbst gefeiert. Einfach nur, weil sie da waren, sich zeigen durften und sich und den erstaunlich zahlreichen und durchaus hörbaren walisischen Fans eine gute Zeit verschaffen. „Individuelle Fehler interessieren mich da gar nicht“, sagte Trainerin Rhian Wilkinson nach dem 1:4 gegen Frankreich, bei dem Torhüterin Safia Middleton-Patel (die auf dem Autismus-Spektum angesiedelt wird) zweimal daneben griff, viel wichtiger war Wilkinson, mit welcher Leidenschaft sich ihre Team präsentierte und mit welchem Zusammenhalt.

Denn ja, natürlich ist das auch laut FIFA-Rangliste deutlich schwächste Team bei diesem Turnier (Platz 30 im Ranking) in allen drei Spielen gegen die Niederlande (0:3), Frankreich (1:4) und England (1:6) das klar schlechtere gewesen und ein Punktgewinn war nie auch nur in greifbarer Nähe. Wales verteidigte sich, so gut es ging, versuchte über die Flügel nach vorne zu kontern und Jess Fishlock einen möglichst schönen Höhepunkt und Abschluss ihrer internationalen Karriere zu ermöglichen.

Wales hat in zwei A-Durchgängen der Nations League (Herbst 2023 und Frühjahr 2025) von zwölf Spielen keines gewonnen und neun verloren, bei einer Bilanz von 8:25 Toren, dazwischen ist man in einer schwachen B-Gruppe gegenüber der Ukraine wieder aufgestiegen. Wales ist realistischerweise ein gutes B-Team, aber die A-Liga ist dem Team ebenso zu steil wie so eine EM. Aber, nichtsdestotrotz: Wales hat die Gunst der Stunde genützt, sich gegen Irland qualifiziert und war jetzt mal dabei.

Das alleine war schon der größte Sieg.

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.