16 Teams und ihre Hymnen: Die Teilnehmer der Frauen-EM 2025

Gerade eine Fußball-EM ist immer auch, so als kleiner Nebenschauplatz, ein alternativer Song Contest. Wenn sich die Teams vor dem Match aufstellen und die Hymne ihres Landes erklingt, sind manche mit mehr Enthusiasmus dabei, manche mit weniger. Aber in praktisch allen Texten (sofern sie einen haben, ¡Hola! nach Spanien) lässt sich irgendwo eine Zeile finden, die einen Hinweis auf die aktuelle Verfasstheit der 16 Teams bei der Frauen-EM in der Schweiz gibt.

Hier sind nun alle 16 Teilnehmer des Turniers im Kurz-Portrait.

Gruppe A (SUI, NOR, ISL, FIN)

Betet, freie Schweizer, betet

Martina Voss-Tecklenburg, die im Jahr 2012 das Amt der Nationaltrainerin der Schweiz von Pionierin Béatrice von Siebenthal übernommen hatte, machte die Eidgenossinnen mit einem offensivstarken und physischen, aber zuweilen etwas naiven Fußball zum regelmäßigen Turnier-Teilnehmer. Unter Nils Nielsen wurde zunehmend phantasielos der Bestand verwaltet, bei Inka Grings ging es endgültig nur noch darum, das absolute Minimum nicht zu unterschreiten – und selbst das gelang irgendwann nicht mehr. Und das mit der Aussicht auf eine Heim-EM.

Also holte man sich in der Schweiz letztes Jahr Pia Sundhage, weil da weiß man, was man bekommt. Ja, weiß man, in der Szene. Beim Schweizer Verband wusste man es aber offenbar nicht. Denn die Stimmung ist so richtig im Keller: Was vor zehn, fünfzehn Jahren in den USA und Schweden noch euphemistisch als direkter Zugang in der Menschenführung durchging, ist heute einfach komplett aus der Zeit gefallen – Team und Trainerin sollen menschlich überhaupt nicht kompatibel sein.

Schweiz in der NL: Zwei Punkte gegen FRA, NOR und ISL

Und dann ist dann ja noch die ultra-negative Spielweise. In der abgelaufenen Nations League setzte Sundhage auf eine Fünferkette in der Abwehr und Ballbesitz-Werte an der 25-Prozent-Grenze. Die jungen Talente, die nach Jahren der Dürre nun tatsächlich aus dem Boden schießen – Schertenleib, Vallotto, Beney, Pilgrim, Ivelj, Luyet – verhungern vorne und sollen das bisschen Offensive mit individuellen Ideen tragen, ohne sichtbare Struktur. In den letzten Spielen musste dann sogar Stürmerin Iman Beney als Rechtsverteidigerin aushelfen.

Sundhage ließ 2013 als schwedische Teamchefin bei deren Heim-EM einen (manchmal etwas zu) direkten Offensiv-Fußball spielen, begeisterte damit das Publikum in einem Land, das eine große Frauenfußball-Tradition hat. Nun, wo es in der Schweiz wirklich etwas anzuschieben gilt, geht man mit einem Fußball der Marke „körperlich anwesend“ ins Turnier, ohne jeden Flair, ohne jedes Begeisterungspotenzial, ohne Ambition. Die Bilanz der vier letzten Heimspiele vor dem abschließenden Test-4:1 gegen Tschechien ist ernüchternd – 0:6 gegen Deutschland, 0:0 gegen Island, 0:2 gegen Frankreich, 0:1 gegen Norwegen.

Man könnte also nicht mal behaupten, der Defensiv-Fußball würde funktionieren.

Diese Nacht voll alter Größe bringt uns Träume auf die Welt

Am 18. Juni war es exakt 30 Jahre her, dass Norwegen den größten Erfolg seiner Fußball-Geschichte feiern konnte: Den WM-Titel der Frauen mit einem überzeugenden (und viel zu knappen) 2:0-Finalsieg gegen ein überfordertes deutsches Team. Fünf Jahre später wurden die „Viking Bitches“, wie sie ihre damals großen Rivalinnen aus dem US-Lager verächtlich nannten, Olympiasiegerinnen. Seither? Keine Titel mehr. 2005 nochmal im EM-Finale, schon verdient, und 2013 wieder, eher glücklich. Die letzten beiden EM-Turniere endeten sieglos in der Vorrunde.

Aber warum? Norwegen hatte in der Offensive Ada Hegerberg und Caroline Hansen, dazu in den letzten Jahren Guro Reiten und Frida Maanum, wie kann man da so konsequent unterperformen? Nun – die langsame Abwehr brauchte den Schutz des Mittelfeldes, das rückte damit nicht weit genug auf um die Angriffe zu unterstützen, alles wirkte langsam, phantasielos, bleiern. Das ist jetzt unter Gemma Grainger anders: Die Abwehr ist zwar immer noch nicht rasant, aber sie traut sich unter der Engländerin doch aufzurücken.

Wenn nicht gerade (wie in der Nations League) ein Team vom Kaliber Frankreich der Gegner ist, zeigt Norwegen ein durchaus nach vorne orientiertes Spiel. Das brachte in puncto offensiver Output noch nicht so furchtbar viel (nur vier Tore in den sechs Matches im Nations-League-Frühjahr), aber in den vier Partien gegen Island und die Schweiz – die ja nun wieder Gegner sind – gab es acht Punkte, keine Niederlage und nur zwei Gegentore.

Nowegen in der NL: Zweiter hinter FRA, vor ISL und SUI

Nach Jahren der spielerischen Unzulänglichkeit braucht es Zeit, um verlorengegangenes Selbstverständnis wieder aufzubauen. Nicht zuletzt äußert sogar Guro Reiten die Klage, dass die Erwartungen in Norwegen einfach zu hoch wären. Die alte Größe, der in den Neunzigern und Nullern erarbeitete Status als Frauenfußball-Großmacht, wurde tatsächlich konsequent kleingespielt. Andere haben große Schritte gemacht, Norwegen ist stehen geblieben.

Und doch hat kein norwegisches Team wahrscheinlich seit dem WM-Semifinal-Mannschaft von 2007 so viel Sinn gemacht wie das aktuelle und mit Signe Gaupset steht schon das nächste große Talent in den Startlöchern. Nein, Norwegen wird nicht Europameister und man kann auch nicht darauf bauen, dass sich wieder ein inselbegabtes Durchschnitts-Team wie das von 2013 ins Finale durchlavierten kann. Aber die Basis ist gelegt – und sollte es nach Papierform gehen, wäre angesichts eines möglichen Viertelfinals gegen Italien zumindest der Einzug in die Top-4 kein komplett unrealistisches Szenario.

Ein ewiges Blümchen mit bebender Träne

Die Insel im Nordatlantik hat nur rund 390.000 Einwohner, das ist praktisch die Zahl der Menschen, die in Linz und dem direkten Umland leben – sogar Luxemburg hat fast doppelt so viele. Man hat sich in seinem Image als resoluter Underdog vom Rand der Welt gut eingerichtet, jeder Erfolg wird als kleines Mirakel empfunden oder zumindest so verkauft. Die Realität ist aber: Island ist zum fünften Mal in Folge bei einer Frauen-EM dabei, es ist mittlerweile die dritte Generation hintereinander auf kompetitivem europäischen Niveau.

Beim Debüt 2009 zahlte die Truppe um Katrin Jonsdótir und Guðrún Sóley Gunnarsdóttir noch Lehrgeld. In Schweden 2013 ärgerte Island mit Margrét-Lára Viðarsdóttir, Sara-Björk Gunnarsdóttir und Dagný Brynjarsdóttir in der Gruppe Norwegen und besiegte Holland, kam ins Viertelfinale. 2017 machte man zwei Spiele lang gegen Frankreich und die Schweiz nichts falsch, verlor unglücklich zweimal und war schon raus. Und 2022 blieben Glódis Viggósdóttir und Sveindís Jónsdóttir zwar in ihren drei Spielen ungeschlagen, doch auch das reicht nicht zum Aufstieg.

Island in der NL: Dritter hinter FRA und NOR, vor SUI

Also: Island ist längst eine absolut etablierte Kraft, und die Hürde zum Viertelfinal-Einzug ist wahrlich keine unüberwindbare. Der Fokus des Spiels liegt traditionell eher gegen den Ball, dabei gibt sich Island aber durchaus aktiv. Ganz vorne agieren üblicherweise eine gelernte Flügelspielerin (Sveindís Jónsdóttir) und eine offensive Mittelfeldspielerin (Vilhjálmsdóttir), die die Spieleröffnung nach außen lenken – wo die Mittelfeld-Außen die Ballführende geschickt isolieren oder zu einem Risiko-Pass in die Mitte verleiten sollen. Nach Ballgewinn geht’s meistens ziemlich zackig vor das Tor.

Thorsteinn Halldórsson hat eine clevere Truppe zusammen, gut aufeinander eingespielt und mit FC-Bayern-Kapitänin Glódis Viggósdóttir steht auch eine der spielstärksten und kopfballstärksten Innenverteidigerinnen Europas in der Abwehr. In der Qualifikation hat man sich verdient vor Österreich durchgesetzt, hat auch Deutschland 3:0 geschlagen und selbst, wenn man seit Monaten kein Match mehr gewonnen hat: Es gab nur gegen Frankreich, die USA und Dänemark Niederlagen und in der Nations League reichten vier Remis zu Platz drei.

Island hat einen ausgeglichen durchschnittlich besetzten Kader mit zwei, drei echten Klassespielerinnen – wie immer. Und man weiß ganz genau, wie man diesen einsetzt, um möglichst schwer zu besiegen zu sein. Wie immer.

Kein Ufer ist uns lieber als diese nördliche Heimat

Während Norwegens größter Erfolg 30 Jahre her ist, blickt Finnland auch schon auf 20 Jahre, die seit dem EM-Halbfinale 2005 ins Land gezogen sind. Laura Kalmari, Anne Mäkinen und Anna-Kaisa Rantanen ließen dann noch 2009 bei der Heim-EM das Viertelfinale folgen, wo man England an diesem schönen, aber doch recht frischen Spätsommertag in Turku vor vollem Haus einen großen Kampf lieferte und knapp 2:3 unterlag.

Die tragenden Säulen auf dem Feld traten nach und nach ab, Erfolgs-Teamchef Mikael Käld ebenso. Unter dem Schweden Andrée Jeglertz war man 2013 schon ziemlich schwach und dann, unter der Schwedin Anna Signeul, sollte es bis 2022 dauern, bis Finnland wieder bei einem Turnier dabei war – und das war so dünn und so kleinmütig vor drei Jahren, dass man sich fragen musste, ob Finnland überhaupt in absehbarer Zeit wieder auf die Füße kommen würde.

Nach Signeul bekam Finnland in der Folge nach 13 Jahren mal wieder einen einheimischen Cheftrainer, Marko Saloranta nämlich, und siehe da: Finnland ist nun wesentlich komfortabler im Ballbesitz, traut sich – vor allem über die Flügel, vor allem mit Linksverteidigerin Katariina Kosola – konsequent nach vorne. Man zeigt sogar, zumindest gegen die Teams aus dem B-Zug der Nations League, phasenweise so etwas wie ein hohes Pressing.

Finnland in der B-Gruppe der NL: Zweiter hinter SRB, vor HUN und BLR

Saloranta profitiert auch davon, dass einige ehrgeizige, junge Spielerinnen aus dem Jugendbereich nachkommen – Kosola eben, aber auch die Siren-Zwillinge Emmi und Oona im Mittelfeld, Stürmerin Sevenius, Innenverteidigerin Tynnilä. Angeleitet von den Routiniers von mäßig- bis mittelguten Klubs aus starken Ligen sowie der unverwüstlichen Linda Sällström hat man erstmals wieder das Gefühl, dass die Helmarit einen nachhaltigeren Aufwärtstrend aufweist.

In der Nations League ist Finnland ein Jojo-Team, wobei zuletzt der Aufstieg in die A-Liga durch ein extra-unglückliches Billard-Eigentor gegen Serbien verspielt worden ist. Zuvor wurde im Frühjahr 2024 trotz des Abstiegs aus dem A-Zug (gegen Italien, Niederlande und Norwegen) eine gute Figur gemacht und im EM-Playoff hat man Schottland ohne Gegentor besiegt.

Viel mehr als „bringt eine EM-Gruppenphase ohne Blamage über die Bühne“ geht sich zwar wahrscheinlich nicht aus, aber dieses Turnier ist in dieser nicht allzu toughen Gruppe für Finnland sehr wohl eine gute Standortbestimmung, wo man sich auf dem Weg zurück nun tatsächlich befindet.

Gruppe B (ESP, ITA, BEL, POR)

Der Königinnen Marsch

Amtierende Weltmeisterinnen sind sie, die darauf folgende Ausgabe der Nations League hat Spanien auch gewonnen. Jeweils fünf der sechs Spiele in EM-Qualifikation (Frühjahr 2024) und Nations-League-Gruppenphase (Frühjahr 2025) ebenso. Der FC Barcelona, der de facto das Nationalteam darstellt, stand in sechs der letzten sieben Endspielen der Women’s Champions League, gilt als das Nonplusultra auf Klubebene.

Ist Spanien der große Favorit, nun auch erstmals einen EM-Titel zu holen? Die kurze Antwort ist: Ja! Die etwas längere Antwort ist jedoch eher ein „Ja, aber“ – das liegt an der Erfahrung von Olympia letztes Jahr und eben auch ein wenig am FC Barcelona und dessen Niederlage vor einigen Wochen im Europacup-Endspiel gegen Arsenal.

Spanien in der NL: Gruppensieg vor ENG, BEL und POR

Bei den Spielen von Paris 2024 wirkte Spanien ausgebrannt. Schon im Viertelfinale gegen Kolumbien brauchte es einen Kraftakt, um einen 0:2-Rückstand in der Schlussphase noch aufzuholen, im Semifinale wurde Spanien dann aber von Brasilien geradezu vorgeführt – die Offensive wurde effektiv gestoppt, die Defensive als extrem anfällig auf mutige Konter entlarvt. Und dann verlor Spanien auch noch das Match um Bronze gegen Deutschland.

Die Stammkräfte von Barcelona haben auch in der abgelaufenen Saison wieder 56 Einsätze für Klub und Nationalteam gesammelt, nach EM 2022 und WM 2023 und Olympia 2024 wieder ohne eine echte Sommerpause. Schon bei Olympia haben die Kontrahenten verstanden, dass man die ehemalige 400-m-Läuferin Salma Paralluelo aus dem Spiel nehmen kann, wenn man sie nicht aus der Tiefe anlaufen lässt. Andererseits haben Chelsea im Europacup-Semifinale 2024 und Arsenal im Finale 2025 gezeigt, dass Barcelona verwundbar ist, wenn man sich schon im Mittelfeld anzupressen traut.

Das alles ist angesichts der spanischen Klasse natürlich für fast alle Gegner eine akademische Diskussion ohne echten Praxis-Bezug. Denn es braucht neben Mut auch extrem hohe Qualität, um diese Spielweise gegen Spanien auch tatsächlich durchzuziehen – denn es gibt eben eine Aitana Bonmatí auf der Acht, die ALLES beherrscht – passen, dribbeln, lenken, schießen, und nach ihrer viralen Meningitis im Vorfeld sollte sie zumindest im Turnierverlauf zum Rhythmus finden könnte. Es gibt eine Mariona Caldentey, deren Gefühl für die Räume den Katalanen nach ihrem Transfer zu Arsenal letztes Jahr spürbar abgegangen ist. Es gibt eine Clàudia Pina, die sich dafür richtig in die offensive Auslage gespielt hat. Spanien hat im Frühjahr die Gruppengegner Portugal (7:1 und 4:2) und Belgien (5:1 sowie ein 3:2 nach 0:2-Rückstand) teilweise ziemlich verprügelt, hat England nach dem 0:1 im Wembley zumindest daheim besiegt, hat Frankreich in einem Test letzten Herbst geschlagen.

Wie viel Toxizität Montse Tomé – die als Jorge Vildas Assistentin nach dessen Verjagung ins marokkanische Exil das Amt der Teamchefin übernommen hat – wirklich aus dem Verhältnis zwischen Spielerinnen, Staff und Verband rausgenommen hat, ist bei alldem von Außen kaum zu beurteilen. Zwei Jahre, nachdem Ex-Verbandsboss Luis Rubiales sein langjähriges Verhalten um die Ohren geflogen ist, wirkt der zwischenmenschliche Aspekt gegenüber der Öffentlichkeit fast wie ein Tabu-Thema. Jenni Hermoso jedenfalls, die sich in der mexikanischen Liga sichtbar wohl fühlt, ist seit Monaten kein Thema mehr. Sie scheint auch im Kader nicht auf.

Wo ist die Siegesgöttin? Als Sklavin Roms hat Gott sie erschaffen!

Einst, in den Neunzigern, galt die italienische Frauen-Liga als eine der professionelleren in Europa. Und doch mussten sich die Nationalspielerinnen als Belohnung für ihre Qualifikation für die WM 1999 mit einer kleinen Plakette abspeisen lassen – der Materialwert wurde in der Gazzetta dello Sport vom 12. Juni 1999 mit „qualque migliaia di lire“ angegeben, also literally irgendwas zwischen zwei und vier Euro. Als damals amtierender Vize-Europameister, wohlgemerkt.

Italien in der NL: Zweiter hinter SWE, vor DEN und WAL

Die Truppe um die damalige Kapitänin Antonella Carta hat sogar die PK mit Verbandspräsident Luciano Nizzola gekapert, um auf die Geringschätzung aufmerksam zu machen. Geändert hat sich aber auch in den Jahrzehnten danach nicht viel – es sollte 20 Jahre dauern, bis die Azzurre überhaupt mal wieder bei einer WM dabei waren.

In den letzten Jahren aber wurde auch hier einiges angeschoben, die großen Teams sind zunehmend engagiert – Fiorentina als erstes, in den letzten Jahren waren Juventus und die Roma federführend – und nach verlorenen Jahren mit der überforderten Temchefin Milena Bertolini hat das Team nun unter Andrea Soncin sehr schnell eine eigene, funktionierende Identität gefunden. Rund um das starke Mittelfeld mit Taktgeberin Giugliano, Antreiberin Caruso und der jungen Severini hält Italien den Gegner mit gezieltem Anlaufen in dessen Verteidigungsdrittel, kann schnell umschalten und vorne stehen acht potenzielle Stürmerinnen zur Verfügung, die je nach Profil und Gegner aufgestellt werden können.

Italien ist gegen den Ball besser als mit dem Ball, der eigene Aufbau ist ein wenig phantasielos. Aber in der Qualifikation wurde man vor den Niederlanden und Norwegen sogar Gruppensieger, in der gerade abgeschlossenen Nations League nur knapp hinter Schweden Gruppenzweiter. Die EM 2022 und die WM 2023, jeweils von Bertolini schon in der Gruppenphase mit Karacho in den Sand gesetzt, hätten den Aufschwung der Liga auch auf Nationalteam-Ebene manifestieren können.

Mit der wohlmeinenden Auslosung ist für Italien in aktueller Form sogar ein Semifinal-Einzug keine Utopie. Der italienische Fußball als Ganzes könnte es gut brauchen.

Dein sind unsere Herzen, unsere Waffen, unser Blut

Während Italien über Jahre hinweg einfach nur da war, ohne erkennbares eigenes Profil und ohne mit etwaigen Erfolgen Spuren zu hinterlassen, ist Belgien jetzt eine etwas schwächere Version des selben Phänomens. Ives Serneels hat – parallel zu Dominik Thalhammer in Österreich – ein im Frauenfußball komplett irrelevantes Team zum respektablen Mittelständler gemacht. Nicht aber mit großer Flexibilität, sondern vor allem mit Resilienz und einem soliden, aber doch recht faden Funktions-Fußball.

Belgien in der NL: Dritter hinter ESP und ENG, vor POR

Serneels wurde nach 14 Jahren im Amt im vergangenen Winter abgelöst, für ihn kam Elísabet Gunnarsdóttir, die über ein Jahrzehnt wie ein Synonym für den schwedischen Frauen-Mittelständler Kristianstad war. Die Isländerin setzte als Belgien-Trainerin im Frühjahr in der Nations League auf eine noch verschärft unspektakuläre Variante – es war gnadenloser Defensiv-Fußball, Fünferkette mit zwei Sechsern davor, zwei vertikale Flügelspieler und vorne die ewige Tessa Wullaert.

Das ist verständlich gegen Spanien (wo man auswärts zwischenzeitlich sogar 2:0 vorne war, dann aber verlor) und England (gegen das man daheim sogar 3:2 gewann), doch auch im entscheidenden Spiel um das Vermeiden des direkten Abstiegs in Portugal legte man es genauso an. Und gewann 3:0. Damit hat es Belgien einmal mehr geschafft, irgendwie den Kopf über Wasser zu halten.

Bei der letzten EM schlich Belgien mit einem überraschenden Sieg gegen ein implodierendes Italien sogar erstmals ins Viertelfinale, das wäre auch diesmal eine kleine Sensation. Belgien-Spiele machen selten Spaß, dem Zuseher nicht, dem Gegner aber noch viel weniger. Wer da nicht die Nerven und die Geduld bewahrt, verbrennt sich gegen die Red Flames rasch die Finger.

Gegen die Kanonen marschieren wir, marschieren

Benfica hat es 2023/24 sogar bis ins Viertelfinale der Women’s Champions League geschafft, hat dabei Eintracht Frankfurt eliminiert. Zu Beginn der abgelaufenen Saison hat Sporting für ein Ausrufezeichen gesorgt, ebenfalls Frankfurt aus dem Bewerb gekegelt. Und das Nationalteam? War 2023 bei der WM zwei Zentimeter davon entfernt, die USA schon nach der Gruppenphase nach Hause zu schicken. Als Portugal 2017 erstmals bei einer EM dabei war, war das eine riesige Überraschung. Heute ist die Truppe längst etabliert.

Portugal in der NL: Abstieg hinter ESP, ENG und BEL

Seit der Verband 2016 die Großklubs nachdrücklich angehalten hat, sich im Frauenfußball zu engagieren und diese die zahlreichen Legionärinnen vor allem aus Spanien und Deutschland nach Hause zu holten, hat Portugal nur ein einziges Turnier verpasst. Das war die WM 2019, Gegner in der Qualifikation waren… genau, Italien und Belgien.

Francisco Neto, der seit 2014 Teamchef ist, hat eine ausgesprochen routinierte Truppe, erstaunliche neun Spielerinnen vom EM-Debüt vor acht Jahren sind immer noch dabei, sieben davon als Stammkräfte. Aus dem 4-3-1-2 vergangener Tage ist ein 5-2-1-2 geworden, in dem der gegnerische Aufbau angelaufen bzw. auf die Außenbahnen gelenkt wird. Portugal ist sehr gut eingespielt, technisch grundsätzlich nicht schlecht, aber die schon in die Jahre gekommene Abwehr ist nicht mehr besonders schnell, körperlich nicht, geistig auch nicht.

Man hielt im Februar England bei einem 1:1 und besiegte Belgien auswärts 1:0, stieg aber dennoch aus der A-Gruppe der Nations League ab – mit einem 0:6 in England, einem 1:7 in Spanien und einem 0:3 trotz deutlich mehr Spielanteilen im entscheidenden Match gegen Belgien. Kika Nazareth vom FC Barcelona, die wichtigste Spielerin im Offensiv-Bereich, ist seit Monaten mit einer Sprunggelenksverletzung out. Sie ist im Kader, eine echte Hilfe ist sie bei der EM vermutlich eher nicht.

Gruppe C (GER, SWE, DEN, POL)

Blüh im Glanze dieses Glückes

Was ist Deutschland? Die clevere Mannschaft, die sich 2022 verdient ins EM-Finale durchgearbeitet hat? Oder doch eher der zerfallende Haufen, der 2023 nach nur einem Punkt gegen Kolumbien und Südkorea in der WM-Gruppenphase ausgeschieden ist? Oder liegt die Wahrheit in der Mitte, wie beim inhaltlich sehr biederen, aber mental widerstandsfähigen Run zu Olympia-Bronze 2024?

Christian Wück ist nun seit knapp einem Jahr im Amt, einige seiner klaren Ideen hat er eisenhart durchgezogen. Darunter etwa seine Überzeugung, dass neben der Linksverteidigerin auch die linke Innenverteidigerin zwingend ein Linksfuß sein muss – auch, wenn Rebecca Knaak, bis Winter in der schwedischen Liga aktiv, und auch Zweier-LV Franzi Kett sonst wohl nicht mal in die Nähe der Start-Elf kommen würden.

Deutschland in der NL: Gruppensieger vor NED, AUT und SCO

Bei anderen Personalien war Wück, der vor zwei Jahren die U-17-Burschen des DFB zum WM-Titel geführt hat, erstaunlich unentschlossen. Wer beispielsweise das Tor hütet, wurde erst sehr spät verkündet, obwohl nach Merle Frohms‘ Rücktritt aus dem Nationalteam stets Ann-Katrin Berger die logische Wahl war, schon alleine deshalb, weil sie immer anspielbar ist und damit essenziell zum Auflösen von Pressingsituationen. Das war gerade in den beiden Spielen zuletzt gegen Österreich ein großes Problem, vor allem in jener Partie, in der Johannes statt Berger auflief. Bei kurzen Pässen ist Berger hingegen eher unsicher.

Der Ausfall von Lena Oberdorf im Mittelfeldzentrum, die nach ihrem Kreuzbandriss vor 12 Monaten nicht rechtzeitig fit geworden ist, wurde durch die Kombination aus der formstarken Beißerin Elisa Senß mit wahlweise Sjoeke Nüsken oder Sydney Lohmann gut ausgeglichen. Mit Freigeist Freigang auf der Zehn gibt es ein stets unberechenbares Element und die Flügelzange mit Jule Brand und vor allem Klara Bühl gehört in Eins-gegen-Eins-Situationen mit zum Besten, was der Weltfußball auf Nationalteam-Ebene hergibt.

So viele Fragezeichen die Defensive betreffen, so sehr ist die Offensive ein Ausrufezeichen – mit der individuellen Qualität und den individuellen Ideen im Spiel nach vorne wird es sehr schwer, Deutschland zu stoppen. Das hat nicht zuletzt das jüngste 4:0 gegen die Niederlande gezeigt.

Du thronst auf Erinnerungen vergangener Tage

Während es Deutschland eher vertikal mag, geht es bei Schweden vor allem um Spielkontrolle via Ballkontrolle. Was die Deutschen und den Schwedinnen gemeinsam haben? Dass sich ihr großer Name vor allem aus der Vergangenheit speist, und aus ihrer Rivalität. Zwei EM-Finals haben sie gegeneinander ausgetragen (1995 und 2001), ein WM-Finale (2003) und ein Olympia-Endspiel (2016), dazu zwei EM-Semifinals (1997, 2013). Alle diese Matches hat Deutschland gewonnen.

Schweden ist fast immer lange bei Turnieren dabei (seit dem Europameister-Titel von 1984 hat man bei acht EM-Turnieren und bei fünf WM-Turnieren mindestens das Halbfinale erreicht, dazu gab es die verdiente Niederlage im Olympia-Finale 2016 und die äußerst unglückliche in jenem von 2021). Aber für den ganz großen Wurf hat es nie mehr gereicht. Und so gut Schweden – immerhin qualifiziert für das Final-Four der Nations League – auch ist: Wahrscheinlich wird es auch diesmal nichts werden.

Schweden in der NL: Gruppensieger vor ITA, DEN und WAL

Dabei ist das alles Jammern auf höchstem Niveau. Gemeinsam mit Spanien und Frankreich ist vermutlich kein EM-Teilnehmer so gut darin, das Spiel mit dem Ball am Fuß zu kontrollieren wie die Schwedinnen. Sie verstehen es exzellent, auch im Angriffsdrittel immer wieder die Passwege zu finden, um den Gegner zu bewegen, mürbe zu machen und müde laufen zu lassen, auch ohne direkt auf den Torabschluss zu gehen.

Stina Blackstenius, Gold-Torschützin für Arsenal im Champions-League-Finale gegen Barcelona, ist ein profilierter Knipser. Kosse Asllani, nach ihrer geräuschvollen Trennung von Real Madrid und dem von vielen Verletzungen geprägten Stint beim AC Milan, hat ein erfolgreiches Jahr beim für die 2. Liga in England unproportional hochklassigen Kader der London City Lionesses hinter sich und steht als dritte Schwedin (nach Seger und Sjögran) vor ihrem 200. Länderspiel, sie hat Routine ohne Ende. Rolfö und Rytting-Kaneryd bringen Dynamik und Tempo von den Flügeln.

Und was spricht nun gegen einen schwedischen Titel? Nun… Das defensive Mittelfeld ist in Abwesenheit von Elin Rubensson (erst eine bakterielle Infektion, dann hartnäckige Rückenprobleme) und der hartnäckigen Formdelle von Hanna Bennison ziemlich luftig unterwegs. Filippa Angeldahl von Real Madrid und Bayern-Wechselspielerin Julia Zigiotti denken beide eher offensiv und haben beide nicht immer den Blick fürs Große Ganze. Hier ist Schweden verwundbar.

Und natürlich auch beim Spielplan – es wartet ein Viertelfinale gegen einen aus dem Trio Frankreich, England oder Niederlande.

So lange sich die Buche im blauen Wasser spiegelt

Obaze wird von Blackstenius düpiert, 0:1 nach 38 Sekunden. Fürchterlicher Fehl-Rückpass von Holmgaard in den Lauf von Rytting-Kaneryd, 0:2 nach vier Minuten. Ungeschickter Ballverlust von Holmgaard und Snerle an der Mittellinie, Konter in die entblößte Abwehr, 0:3 nach zehneinhalb Minuten… Dänemark lieferte beim 1:6 im letzten Nations-League-Spiel in Schweden schon in der Anfangsphase eine Blaupause dafür, wie man es nicht macht. Und gleichzeitig war es nach dem 0:3-Heimdebakel gegen Italien schon die zweite deftige Pleite vor der EM, in der man ja noch dazu, wie schon vor vier Jahren, eine richtig harte Gruppe zugelost bekommen hat.

Dänemark in der NL: Dritter hinter SWE und ITA, vor WAL

Vor zehn Jahren war Dänemark eines der taktisch spannendsten Teams Europas. Unter Kenneth Heiner-Møller ging es mit großer inhaltlicher Flexibilität (und trotz einer Harder in Horror-Form) ins Halbfinale, vier Jahre später unter Nils Nielsen mit einer Pendelformation zwischen Dreier- und Vierer-Abwehr sogar ins Endspiel. In der Folge machte Lars Søndergaard aus Dänemark eine funktionale, aber weitgehend flair-befreite Mannschaft am Tropf von Harder und sein Nachfolger Andrée Jeglertz hat nicht viel von der Biederkeit beseitigen können. Auch deshalb wird nach der EM wiederum Jeglertz beseitigt. Der Schwede, der einst Umeå zu Europacup-Siegen geführt hat, fällt weich, er übernimmt Manchester City. Jakob Michelsen, zuletzt bei Norwegens Männer-Erstligist Ham-Kam, wird übernehmen.

Dänemark hat in seiner langen Frauenfußball-Geschichte immer wieder gute Generationen hervor gebracht und jene, die sich nun ihren Platz auf dem Feld zu erkämpfen beginnt – Harvard-Absolventin Hasbo und die mit gutem Auge für den Vorwärtspass ausgestatteten Emma Snerle im Mittelfeld, dazu US-Legionärin Obaze hinten – könnte das auch werden. Aus dem alten Dänemark wird natürlich über kurz oder lang ein Neues, die Hoffnung auf das Morgen ist stets gegeben. Die Gegenwart ist aber sehr durchschnittlich und in vielerlei Hinsicht un-bemerkenswert.

Ja, es gibt den Einser-Schmäh mit der aufrückenden Rechtsverteidigerin (Thøgersen in der defensiveren, Thomsen in der offensiveren Variante), bei der sich hinten eine defensive Dreierkette bildet und vorne (mit eben Thomsen oder Vangsgaard vom Flügel, dann spielt Bruun ganz vorne). Aber am Ende ist eben doch wieder Pernille Harder das Um und Auf. Und ob es wirklich gelingt, dass Harder gegen Deutschland und Schweden vorne mehr gutmacht als hinten daneben geht? Keine Wette mit guten Quoten.

Unter deiner Führung vereinen wir uns mit der Nation

Im Herbst 2023 hat sich Polen mit zwei knappen Siegen an Serbien vorbei in die A-Gruppe der Nations League gepresst – ein großer Erfolg für das historisch recht unbedeutende polnische Team. Dann gab’s in der A-Gruppe einiges an Lehrgeld zu bezahlen, sechs Spiele, sechs Niederlagen gegen Deutschland, Island und Österreich. „Wir messen uns mit Gegnern, die viel reifer sind als wir“, wusste auch Teamchefin Nina Patalon. Ihr Team gewann dabei jedoch selbst ungemein an Reife.

Polen in der B-Gruppe der NL: Gruppensieger vor NIR, BIH und ROU

Nach dem problemlosen Weiterkommen gegen ein schwaches rumänisches Team in der ersten Quali-K.o.-Runde spielte Polen in den entscheidenden Playoff-Duellen gegen Österreich nämlich die Stärken extrem cool und beinahe schon routiniert aus. Ja, natürlich kam es Polen entgegen, dass die ÖFB-Frauen mehr mit dem eigenen Versinken im Treibsand beschäftigt waren als mit dem Gegner – aber die Defensive hielt stand und die Konter über Flügelflitzerin Padilla, Relais-Station Kamczyk und die schnelle Star-Stürmerin Ewa Pajor tat, was nötig war.

Diese beiden Spiele im Spätherbst 2024 waren der Durchbruch für Polen und ihre Trainerin, die eine verschworene Einheit darstellen. Im Frühjahr schnitt der EM-Debütant weitgehend problemlos durch seine B-Gruppe, schoss sich für die EM warm: 16 von 18 möglichen Punkten, 16:2 Tore. Und man geht nicht nur mit Selbstvertrauen ins Turnier, sondern auch als lange eingespieltes Kollektiv, im Grunde ist nur die Besetzung der zweiten Flügel-Position offen. Und mit dem Wissen, nichts zu verlieren zu haben: Jeder Punktgewinn wäre wie ein eigener, kleiner EM-Titel. Man geht betont gut gelaunt in das Turnier, weiß um seinen Status und weiß aber auch, dass man jedem Team zumindest sehr unangenehme 90 Minuten bereiten kann.

Polen ist als grundsätzlich defensiv eingestelltes Team zu erwarten, das den Gegner lockt und in den Rücken der aufgerückten Abwehrreihen hinein kontert. Weil diese Gegner aber um die Qualitäten der Weltklasse-Stürmerin Pajor wissen, können diese wiederum nicht alles nach vorne committen, womit sich wiederum Räume für Kamczyk ergeben können – und für die Außenspielerinnen. Für die neue Nummer eins aus Osteuropa ist schon die Teilnahme ein Meilenstein. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Team mit anständiger Grund-Qualität, guter Laune und einer Scheißminix-Einstellung bei einer EM aufzeigt.

Gruppe D (FRA, ENG, NED, WAL)

Der Tag des Ruhmes ist gekommen

Weitgehend geräusch- und dramafrei wurde das französische Traineramt nach Olympia letztes Jahr von Hervé Renard an seinen langjährigen Assistenten Laurent Bonadei weitergegeben. Er machte sich sogleich daran, die alternde, aber intern recht mächtige Fraktion von Olympique Lyon auszusieben – und zwar erheblich geräuschloser als es die als Drache verschriene Corinne Diace vor ihm angegangen ist. Rekord-Teamspielerin Eugénie Le Sommer jedenfalls, aussortiert. Flügelspielerin Amel Majri, kaum noch mehr als Wechselspielerin. Und Wendie Renard, die Riesin in der Abwehr mit dem gefährlichen Kopfbällen – nicht mal mehr im EM-Kader.

Frankreich in der NL: Gruppensieger vor NOR, ISL und SUI

Le Sommer wird angesichts der starken Form von Baltimore und Katoto ohnehin nicht mehr wirklich gebraucht, Majri wurde von Klubkollegin Bacha aus der Stammformation gespielt. Aber der radikale Verzicht auf Renard – so sehr er früher oder später kommen hätte müssen, denn ein technisch sauberer erster Pass war nie die ganz große Stärke der 1,87m großen Bald-35-Jährigen: Die hartnäckige Wadenverletzung von Griedge Mbock-Bathy, die nun eben auch offiziell die Führungsrolle im Abwehrzentrum übernommen hat, darf durchaus für Bauchweh sorgen.

Davon abgesehen gibt es tatsächlich nicht viel, was gegen Frankreich spricht. Das Team spielt unaufgeregter als früher, neigt nicht zur Hektik, kann aber wie kaum eine andere Mannschaft das Tempo blitzartig anziehen und dann wieder herausnehmen. Die Laufwege sind sauber, die Truppe ist – auch weil Bonadei in der Nations League im Frühjahr sehr wenig rotiert hat – gut eingespielt. Frankreich will den Ball am Fuß haben, selbst agieren, dem Spiel den eigenen Stempel aufdrücken.

Der Kader, der sich auf einen großen Block von PSG stützt (auch, weil bei Lyon deutlich mehr Legionärinnen spielen), gibt ein Rating von Frankreich als Turnier-Mitfavorit ohne Zweifel her, zwei Fragezeichen gibt es aber dennoch. Zum einen, dass Frankreich in den letzten drei Jahren unter Renard und Bonadei die Pflichtspiele sehr souverän und oft ohne echten Widerstand gewonnen hat, aber wenn es schwierige Situationen zu überstehen gab – wie gegen Kanada und Brasilien bei Olympia oder dem Nations-League-Finale gegen Spanien – es überhaupt keine Antwort gab.

Und zum anderen, dass es immer noch Frankreich ist. Mit starken Kadern kommen die seit anderthalb Jahrzehnten immer daher, Zählbares ist noch nie dabei herausgekommen. Die französische Hoffnung? Dass es irgendwann eben doch so weit sein muss. So wie bei Spanien 2023.

Auf dass sie lange über uns regieren soll

Titelverteidiger und Vizeweltmeister sind üblicherweise Fixstarter im Kreis der ganz großen Titelkandidaten. Vor allem dann, wenn sie – wie England – die in der Breite stärkste Liga am Kontinent haben, die Spielerinnen aus der ganzen Welt anzieht; wo die Stammkräfte der Lionesses Woche für Woche gefordert sind. Und ja, England hat bei WM- und EM-Endrunden zuletzt vor zwölf Jahren ein Semifinale verpasst.

Verfolgt man die sorgenvollen Diskussionen auf der Insel, könnte man aber glauben, dass man eine Blamage eher erwartet als ein sechstes Semifinale in Folge. Fünf Wochen vor Turnierstart hat die langjähige Stamm-Keeperin Mary Earps ihren Team-Rücktritt bekannt gegeben. Sie ist ine prägende und polarisierende Figur, keine Frage, aber Hannah Hampton hat eine starke Saison für Chelsea gespielt. Fran Kirby ist ebenfalls zurückgetreten, allerdings nachdem sie nicht nominiert worden war. Und Abwehrspielerin Millie Bright – die sich halb verletzt zur WM 2023 einschreiben ließ und deren Knie danach nie mehr ganz heil geworden ist – hat die Waffen gestreckt, fühlte sich nicht zum Spielen der EM in der Lage.

England in der NL: Zweiter hinter ESP, vor BEL und POR

Andererseits ist Georgia Stanway nach überstandener Seitenbandverletzung zurück, sie ist das vertikale Element im Mittelfeld-Zentrum neben der defensiv viel aufräumenden und die generelle Richtung des Aufbauspiels vorgebenden Keira Walsh. Davor ist Ella Toone (schnelle Auffassungsgabe, gutes Auge für den Pass) auf der Zehn die Wunschbesetzung, auch die junge Jess Park kann hier spielen, auf den Flügeln haben zumeist Hemp und James gespielt; vorne ist Alessia Russo von Vizemeister und Europacup-Sieger Arsenal gesetzt.

Und weil Sarina Wiegman zu jenen Trainerinnen gehört, die nicht nur eine klare Anfangs-Elf im Kopf haben, sondern auch eine ziemlich genaue Idee davon, welches Personal zum Schlusspfiff auf dem Feld steht, darf man sich darauf gefasst machen, dass nach einer Stunde Chloe Kelly (für einen der Flügel) und Aggie Beever-Jones (für Russo) kommen werden, dann irgendwann Carter für Charles. Hemp und James werden sich die Minuten auf der linken Seite teilen; Clinton und Stanway werden sich abwechseln, je nachdem wie es Stanways Fitness-Zustand zulässt.

Von der generellen Spielweise hat sich bei England in den letzten Jahren wenig grundlegendes geändert. Man trägt das Spiel gerne selbst nach vorne, versucht die Intensität hochzuhalten. Vor allem Bronze rechts geht viel mit nach vorne und die Lionesses scheuen sich auch nicht, das gegen richtig starke Teams – wie mit Erfolg im Frühjahr auch gegen Spanien – durchzuziehen.

Und worin speist sich nun diese generelle Skepsis in England? Denn das Fehlen von Earps, Kirby und Bright verändert das Team ja nur unwesentlich. Es ist mehr ein Gefühl, das sich aus den sich aus den Ausrutschern speist, welche sich nach dem EM-Titel gehäuft haben. England ist nicht immer überragend, hat aber unter Wiegman zumeist einen Weg gefunden, das nötige Ergebnis zu ziehen. Zweimal setzte es jedoch Nations-League-Niederlagen gegen Belgien (Herbst 2023 und Frühjahr 2025), dann streute man mal ein 1:1 gegen Portugal ein. Und angesichts der harten Gruppe und einem komplizierten Viertelfinale kann ein einzelner mittelguter Tag schon zum Aus führen.

Dem Vaterland getreu bis in den Tod

Die Grenze zwischen flexibel und chaotisch ist schmal. Jene zwischen fluidem und undefinierbarem Positionsspiel auch. Was die Niederlande in den letzten Monaten von Andries Jonkers Amtszeit auf den Platz gebracht haben, ist oft sehr interessant und man muss oft sehr genau aufpassen, was da gerade passiert. Es führt aber auch zu wilden Schwankungen, was Leistungen und Resultate angeht – oder, um es plakativ zu sagen: Ein richtig starkes Spiel, in dem man den Deutschen alles abverlangt und sich ein 2:2 holt, ist jederzeit ebenso möglich wie ein fürchterliches 0:4-Debakel gegen das gleiche deutsche Team, bei dem man am Ende sogar noch gut bedient ist.

Niederlande in der NL: Zweiter hinter GER, vor AUT und SCO

Diese Suche nach einer progressiven Lösung nach dem jeweils richtigen Ansatz für ein Team im Umbruch mag man als „typisch holländisch“ bezeichnen. Die letzten verbliebenen Stützen des 2017er-Titels (Spitse, Van de Donk, auch Groenen sowie die in den letzten Jahren viel verletzte Miedema) haben den Zenit ihrer Karrieren hinter sich und es drängt ein Schwung neuer, junger Talente nach – diese beiden Gruppen zu einer funktionierenden Einheit zu schweißen, ist nicht einfach.

Das niederländische Team ist Frühjahr tatsächlich in jedem Spiel mit einem anderen System angetreten – meist mit Dreierkette, aber nicht immer. Mal mit einer Spitze, mal mit zwei. Mal mit zwei Defensiv-Spielerinnen hinter einer Zehnerin, mal mit einem Sechser hinter zwei Achtern. Zumeist ohne echte Flügelstürmerinnen, und wenn, dann rücken sie weit ein, was auch irgendwie nicht alte holländische Schule ist. Und Wieke Kaptein, die 19-jährige Kurblerin im Mittelfeld, die beim englischen Liga-Dominator Chelsea eine erstaunlich gute Rolle gespielt hat, wirkt zuweilen der komplette Freigeist. An guten Tagen macht sie die Gegner damit wahnsinnig, wie zuletzt gegen Österreich. An schlechten sorgt es vor allem beim eigenen Team für Löcher.

Sich einfach nur hinten reinzustellen, ist nicht die niederländische Komfortzone, das hat sich mit der neuen Generation nicht geändert. Man will agieren, nach vorne Spielen. Die Personalreserve ist aber nicht annähernd so tief wie bei anderen Nationen. Da ist Jonker eben der Meinung, dass diese sehr match-spezifische Raumaufteilung seinem Team in der aktuellen Verfassung die besten Chancen gibt. Grundsätzlich gehören die Oranje Leeuwinnen auch ziemlich sicher immer noch zu den acht besten Teams Europas. Angesichts dieser Gruppe sieht ein Vorrunden-Aus aber dennoch wesentlich wahrscheinlicher aus als ein Semifinal-Einzug

Ihre tapferen Krieger, großartige Patrioten

Als es um die Teilnahme für die EM vor drei Jahren ging, wurde Wales von Nordirland und der Auswärtstor-Regel (0:0 in Belfast, 2:2 daheim in Newport) ausgebremst. Nun hielt sich Wales im Playoff gegen Irland schadlos, presste sich mit einem Kraftakt (1:1 daheim und 2:1 auswärts) an den Irinnen vorbei. Jess Fishlock, die große schillernde Figur des walisischen Frauenfußballs, darf auf ihre alten Tage also doch noch mit ihrem Land auf der großen Bühne auftreten. Auch wenn die 38-Jährige, seit einem Jahrzehnt grundsätzlich bei Seattle Reign in der NWSL beheimatet, nicht mehr ganz die tragende Rolle spielt.

Wales in der NL: Letzter gegen SWE, ITA und DEN

Natürlich, von Potenzial und Qualität fällt Wales nicht nur innerhalb dieser extrem harten Gruppe deutlich ab, sondern sehr wahrscheinlich auch, wenn man das komplette Starterfeld betrachtet – zumal Sophie Ingle, routinierte Defensiv-Allrounderin von Chelsea, mit einem letztes Jahr erlittenen Kreuzbandriss ausfällt. Torhüterin Olivia Clark hat seit ihrem Winter-Wechsel von Holland nach England keine einzige Liga-Spielminute in den Beinen, Josie Green und Lily Woodham sind mit Crystal Palace krachend abgestiegen, Rhiannon Roberts wurde bei Betis in Spanien ebenso Letzte. Ella Powell ist nicht mal bei Zweitligist Bristol klare Stammspielerin, das ist auch Hayley Ladd für Everton nicht gewesen.

Die Herangehensweise ist recht simpel: Hinten verteidigt sich Wales in einer Fünferkette um Gemma Evans von Liverpool, abgeschirmt von den beiden erfahrenen Sechsern Ladd und James-Turner. Nach vorne geht es vornehmlich über schnelle Gegenstöße über die Flügel – Ceri Holland von Liverpool und die talentierte Schweden-Legionärin Carrie Jones vor allem, hier käme auch Fishlock ins Spiel – und Hannah Cain von Leicester oder Elise Hughes von Crystal Palace, beide nicht mega-torgefährlich, sollen verwerten.

Der größte Erfolg für Wales ist die bloße Teilnahme. Programmiert sind drei Niederlagen, womöglich deutliche, und das rasche Ausscheiden. Das ist aber zweitrangig – das Team hat auf der Halbinsel durchaus eine kleine Euphorie ausgelöst, trotz überwiegender Chancenlosigkeit in der A-Gruppe der Nations League kamen im Frühjahr im Schnitt über 6.000 Zuseher zu den drei Heimspielen. Und die walisische Teilnahme ist auch ein Zeichen für den strukturellen Aufschwung in England. Denn elf der 23 Kader-Spielerinnen sind in England geboren und haben von der dortigen Jugendarbeit profitiert.

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.