Das Ende war doch eher ein Anti-Klimax. Mit einem soliden Heimsieg gegen Polen im 100. Länderspiel von Manuela Zinsberger und einer deutlichen Klatsche in Deutschland trudelte die Gruppenphase der EM-Qualifikation für die ÖFB-Frauen aus – eine realistische Chance auf das Direkt-Ticket gab es ohnehin nicht mehr und die (geringe) Gefahr eines Abstiegs wurde mit dem 3:1 über Polen endgültig gebannt.
Nachdem der vergangene Herbst mit Nations-League-Platz zwei vor Norwegen großen Optimismus versprüht hat, war dieses Frühjahr doch eher eine Ernüchterung. Vor allem die dünnen Vorstellungen in den entscheidenden Duellen gegen Island drücken auf die Stimmung, das 0:4 in Hannover aber ebenso wie auch der Umstand, dass die Auslosung für die erste Playoff-Runde Slowenien gebracht hat – also genau den einen der acht möglichen Gegner, den Teamchefin Irene Fuhrmann ausdrücklich nicht haben wollte.
Das 3:1 gegen Polen
„Bevor wir über taktische Feinheiten reden“, sagte Fuhrmann schon bei der Kaderbekanntgabe für die beiden Matches, „gilt es viel mehr, die Basics wieder auf den Platz zu bringen! Man kann gegen Island was liegen lassen, das ist eine reife Mannschaft. Aber das Wie hat mich enttäuscht und geärgert.“ Die Intensität gegen den Ball und die billigen Fehler im eigenen Aufbau haben sie gestört.
Und: „Die Griffigkeit und den Biss nach Ballverlust braucht es, die wir gegen Island vermissen haben lassen!“ Die Griffigkeit im Spiel gegen den Ball war in Altach jedenfalls da. Nach kurzer Findungsphase – Polen kam in einem 4-4-1-1 statt dem gewohnten 4-3-3 daher – engte Österreich die polnischen Ballführenden rasch ein, das spielerisch ohnehin nicht besonders starke Team kam kaum sinnvoll aus der eigenen Hälfte heraus.
Polen hatte drei echte Torchancen: Bei der ersten wurde ein schlampig-kurzer Querpass von Georgieva abgefangen (beim Stand von 0:0), bei der zweiten nützte Polen einen österreichischen Ballverlust im Angriffsdrittel (beim Stand von 0:1) und die dritte war eine Kopie der zweiten, führte zum polnischen Ehrentreffer (beim Stand von 0:3).
Österreich versuchte, nicht lange hintenrum zu spielen, sondern möglichst rasch den ersten Vorwärtspass zu setzen oder eine Außenverteidigerin hoch zu schicken. Ohne die verletzte Sarah Zadrazil schob Sarah Puntigam weiter nach vorne, während Celina Degen auf der Sechs abdeckte. Ohne Zadrazil fehlten in dieser Zone, auch weil Achcińska und Matysik gut verdichteten, so gut wie jegliche kreativen Impulse. Der vom Starkregen aufgeweichte Platz machte ein auf kurze Pässe aufgebautes Angriffsspiel zusätzlich schwierig.
Ihre besten Momente hatten die Österreicherinnen, wenn sich die Flügelspielerinnen Purtscheller (rechts) und Dunst (links) entweder alleine oder mit Unterstützung einer Mitspielerin – etwa Wienroither oder Höbinger – nach vorne tanken konnten. Mit dieser individuellen Qualität konnten die polnischen Außenspielerinnen nicht mithalten und aus einem über Dunst vorgetragenen Vorstoß resultierte jener Eckball, den Österreich nach 37 Minuten zum längst verdienten 1:0 nützte.
Der einzige echte Vorwurf, den sich die ÖFB-Frauen gefallen lassen müssen ist, nicht schon früher für die Entscheidung gesorgt zu haben – vor allem das Umschalten nach Ballgewinnen klappte nicht wie gewünscht. Ballgewinne gab es grundsätzlich zwar sehr wohl einige, aber sehr selten so kontrolliert, dass unmittelbar ein eigener Angriff aus aussichtsreicher Position gestartet werden konnte. Eine der wenigen Situationen, in denen das gelang, nützte Campbell prompt zum 2:0 und kaum anderthalb Minuten später lenkte Polens Verteidigerin Oliwia Woś eine eigentlich harmlose Flanke der für Degen eingewechselten Schasching zum 3:0 ins eigene Netz.
Das Gegentor zum 3:1 war unnötig, ändert aber nichts daran, dass dies eine angesichts der Personalsituation (Zadrazil out), Gruppenkonstellation (nach vorne ging nix mehr, gegen Polen durfte nicht verloren werden) und Wetter (bäh!) sehr solide Vorstellung war, die mit einem auch in der Höhe mindestens verdienten 3:1-Sieg belohnt wurde.
Das 0:4 in Hannover
Der Klassenerhalt war mit dem 3:1 für Österreich fix, aber weil Deutschland zeitgleich in ein peinliches 0:3 in Reykjavík lief – zwei grobe Schnitze von Torhüterin Merle Frohms inklusive – konnten die ÖFB-Frauen Island selbst bei einem eigenen Sieg in Deutschland nicht mehr überholen. So hatte das Match im mit 44.000 Zusehern ausverkauften Stadion in Hannover nur noch die Bedeutung eines Testspiels unter Wettkampfbedingungen.
Das Personal blieb das selbe und auch die Herangehensweise war recht ähnlich wie gegen Polen: Deutlicher Flügelfokus im Aufbau und gegen den Ball mit Campbell als erster Anläuferin ganz vorne und einem weit aufrückenden Mittelfeld als Absicherung. Bei Deutschland spielte im letzten Test vor Olympia Ann-Katrin Berger statt Frohms im Tor – und das sollte sich als Glücksgriff erweisen.
Denn Österreich schaffte es mit dem bekannten Anlaufen zumeist gar nicht so schlecht, einen gezielten deutschen Aufbau zu verhindern. Mit der spielstarken Berger im Tor aber hatten die angelaufenen Deutschen einen logischen Ausweg und Bergers lange und zentimetergenauen Abschläge hebelten die österreichische Pressing-Absicherung ein ums andere Mal aus. Mit Brand und Bühl sowie Schüller und Freigang, die mit Tempo auf die Restverteidigung zuliefen, hatte Deutschland eine brandgefährliche Waffe – die Österreich nie in den Griff bekam.
Zusätzlich fanden die Deutschen – wenn sie sich ohne Bergers Einbindung um die Pressingwelle herum spielen konnten – mit den in der ersten halben Stunde invers aufgestellten Flügeln (Linksfuß Bühl rechts, Rechtsfuß Brand links) mit schlauen Diagonalpässen auf die Außen immer wieder die Schnittstellen in der österreichischen Abwehrkette. So gelang Deutschland das frühe 1:0, ein langer Berger-Abschlag leitete kurz vor der Halbzeitpause das 2:0 ein.
Der Aufbau über die Flügel, der bei Österreich gegen Polen noch das bestimmende Feature gewesen war, kam in Hannover überhaupt nicht zur Geltung. Purtscheller blieb zumeist an Linder hängen und Barbara Dunst, so aktiv, stark und durchsetzungkräftig gegen Polen, produzierte Fehlpässe am laufenden Band. Wirkliche Torgefahr strahlte Österreich das ganze Spiel hindurch nicht aus.
Fuhrmann brachte für die zweite Halbzeit Feiersinger (statt Höbinger) und Schasching (statt Puntigam) – erstmals teilten sich also Schasching und Degen das zentrale Mittelfeld. Nach dem schnellen 3:0 für die Gastgeber (schnelles Umschalten nach Ballgewinn gegen Georgieva und Degen) war das Match endgültig durch, Deutschland ließ sich ein wenig zurückfallen und lud Österreich vermehrt zum Aufbau ein, störte aber robust und versuchte widerum, hinter die Mittelfeld-Kette zu kommen.
Nach Oberdorfs Verletzung (sie wurde in der 70. Minute ausgewechselt) wollte oder konnte das deutsche Team nicht mehr so konsequent das Spiel umsetzen, dennoch brachten die ÖFB-Frauen Billa (war für Campbell gekommen) nur ein einziges Mal in eine aussichtsreiche Abschlussposition. Das vermeintliche deutsche 4:0 wurde dem DFB-Team von den sagenhaft schlechten niederländischen Schiedsrichter-Assistentin Franca Overtoom vorenthalten – sie und ihre Schwester Marisca an den Linien trafen falsche Abseits-Entscheidungen am laufenden Band, enthielten Deutschland eine ziemlich klare Ecke vor und es wurde eben auch übersehen, dass der Ball in der 91. Minute deutlich hinter der Linie war, ehe Barbara Dunst ihn klären konnte.
Das Frühjahr, eine Ernüchterung
Es gab die bärenstarke erste Hälfte in Linz gegen Deutschland, das wirklich solide Heimspiel gegen Polen – das waren die Höhepunkte eines im Ganzen eher ernüchternden Frühjahres. Wähnte man sich im Herbst, nach Gruppenplatz zwei vor Norwegen, weiter als man wirklich war? Möglich.
Man kommt aber nicht umhin, gerade die Spiele in Reykjavík und Hannover auch inhaltlich unter die Lupe zu nehmen. In Island war der Wind ein großes Thema und ja, auch Deutschland kam damit nicht zurecht. Aber: Man ist zwei Tage vor dem Match angereist, man wusste um die Wetterbedingungen – aber es gab keinerlei Anpassungen im eigenen Spiel, anders als bei Island.
Und in Hannover war der Lieblings-Move der Deutschen mit den langen, exakten Pässen von Ann-Katrin Berger hinter die österreichische Mittelfeldkette schon innerhalb der ersten Minuten erkennbar. Wirklich reagiert wurde darauf nicht, immer und immer und immer wieder kam Deutschland ziemlich billig vor die luftige österreichische Restverteidigung – und noch in der Nachspielzeit fing man sich auf diese Weise das 0:4 ein.
Hier müssen sich auch Irene Fuhrmann, ihr Co-Trainer Markus Hackl und ganz sicher auch die beiden Spielanalysten Julian Lauer und Sven Palinkasch Kritik gefallen lassen.
Die ÖFB-Frauen haben in diesem Frühjahr das Minimalziel – also Platz drei in der Gruppe vor Polen und damit den Klassenerhalt in der A-Gruppe – souverän erreicht. Knackpunkt im Rennen um das direkte EM-Ticket waren, wie erwartet, die beiden Spiel gegen Island – das glückliche 1:1 in Ried und das angesprochene 1:2 in Reykjavík, bei dem das Resultat noch das Beste war.
Woran lag es?
Es hat sicher nicht geholfen, dass Sarah Zadrazil in vier Spielen verletzt passen musste und Katharina Naschenweng in allen sechs, aber das alleine ist es nicht. „Wir müssen im Ballbesitz noch sicherer werden, noch bessere und noch schnellere Lösungen finden“, gab Barbara Dunst nach der Ohrfeige von Hannover zu Protokoll. Norwegen hatte sich im Herbst in drei von vier Halbzeiten vom österreichischen Pressing verrückt machen lassen, gegen das grundsätzlich lieber spielende als kämpfende Team aus Portugal war es ein patentes Mittel.
Island hat sich diesem Spiel komplett entzogen, da fand Österreich keine Lösungen. Dazu kam, dass Deutschland einfach die technische und fußballerische Klasse hat, sich aus dem Anlaufen zu Befreien (auch, wenn keine Berger im Tor steht, wie in Linz). Der isländische Sieg gegen die DFB-Frauen lässt den Abstand in der Tabelle auf Island mit sechs Punkten schon arg wild aussehen.
Etwas alarmierend ist, dass Österreich in den zwölf Pflichtspielen von Nations League und EM-Quali kein einziges Mal ohne Gegentor geblieben ist. Zugegeben, einige davon waren belanglos – die Treffer beim 2:1 gegen Norwegen und beim 2:1 gegen Portugal kassierte man in der Nachspielzeit, das beim 3:1 gegen Polen als man schon mit drei Toren im Vorsprung war. Aber wenn man kein einziges Zu-Null drüber bringt, verliert man halt irgendwann doch wichtige Punkte, wie daheim gegen Island. Niemand erwartet, dass Österreich gegen Frankreich und Deutschland stets den Kasten sauber hält. Gegen Polen oder Island sollte man das aber schon hin und wieder schaffen.
Und zur Wahrheit gehört eben auch, dass einige der aus dem großen Team von 2017 verbliebenen Stützen ihren Zenit halt doch überschritten haben dürften. Sarah Puntigam verleiht nicht mehr ganz die defensive Stabilität früherer Tage und bei ihrem Klub läuft es auch nicht nach Wunsch – Houston hat von den bisher 16 Saisonspielen erst drei gewonnen. Verena Hanshaw sah auch in der Liga-Saison in Frankfurt im defensiven Umschalten mehr als nur einmal eher unglücklich aus, ihr Stellungsspiel war öfters Mal nicht astrein – vielleicht tut ihr der Wechsel zum italienischen Meister AS Roma als Aigbogun-Ersatz auf der linken Seiten gut.
Das zweistufige Playoff
Vermutlich war es auch nicht optimal, dass Fuhrmann explizit Slowenien als den einen Erstrunden-Gegner im Playoff herausgenommen hat, der es bitte nicht sein soll – Murphy’s Law, natürlich wurde es Slowenien. Ja, natürlich ist Slowenien der stärkste der acht möglichen Gegner gewesen. Aber das ist ein wenig so, als würde ein mittelguter Erstligist nach einer Cup-Auslosung gegen einen überlegenen Regionalliga-Meister stöhnen. Naja sicher hätte man sich gegen einen Landescup-Sieger aus der fünften Liga leichter getan, aber das ändert nichts daran, dass auch der Regionalliga-Meister eineinhalb Klassen schwächer ist als man selbst.
Slowenien hat eine Handvoll Qualitätsspielerinnen. Lara Prašnikar natürlich von Eintracht Frankfurt, dazu die grundsolide Kaja Eržen auf der rechten Seite und die umsichtige Sara Agrež. Sechser Kaja Korošec hat mit dem FC Paris letztes Jahr Wolfsburg eliminiert, Zara Kramžar wird großes Talent nachgesagt. Nur: Da ist halt auch die Innenverteidigung mit Spielerinnen aus Belgien und der 2. Liga in Italien; die – bei allem Respekt – alte Mateja Zver vom SKN St. Pölten, Čonč war selbst beim spanischen Beinahe-Absteiger Las Planas nur Wechselspielerin und Špela Kolbl, die ganz vorne spielt, ist in der schwachen eigenen Liga aktiv und war im Herbst noch Linksverteidigerin.
Apropos Herbst: Da ist Slowenien überraschend aus der B-Liga abgestiegen, deshalb war man ja überhaupt erst in der Situation, als C-Ligist gleich gegen ein A-Liga-Team spielen zu müssen. Sloweniens erste Elf kann schon ein zäher Gegner sein, gar keine Frage, aber schon innerhalb der Startformation ist das Leistungsgefälle groß und von den Spielerinnen, die Teamchef Saša Kolman von der Bank bringen kann, reden wir da noch gar nicht.
Slowenien hat die Gruppe mit Lettland, Nordmazedonien und Moldawien mit dem Punktemaximum und 26:0 Toren gewonnen. Zum Vergleich: Österreich hat in der EM-Quali für 2022 gegen Lettland und Nordmazedonien alleine 32:0 Tore angehäuft.
Wird die erste Runde gegen Slowenien im Oktober überstanden, und davon muss man ausgehen, würde im entscheidenden Duell – beide Runden werden in Hin- und Rückspielen ausgetragen – der Sieger aus dem Duell von Polen und Rumänien warten, also höchstwahrscheinlich wieder Polen.
Das sieht unglücklich aus, weil Polen der einzig mögliche Gegner aus der A-Gruppe war. Aber zumindest Portugal und Schottland sind sicher höher einzuschätzen als Polen, gegen die Österreich in den letzten Monaten eben zwei 3:1-Siege eingefahren hat und zwar deutlich sicherer, als man im Herbst zu zwei hart umkämpften 2:1-Siegen gegen Portugal gekommen ist, die beide auch anders ausgehen hätten können.
Die Zuschauerzahlen
In der Zuschauertabelle liegt Österreich auf Platz 12 mit 4.500 Zusehern in den drei Spielen. Das ist zwar ein Minus gegenüber dem Herbst (da waren es 5.400), aber dennoch ist man einen Rang geklettert – weil die Schweiz, Wales und Schottland nach dem Abstieg in die B-Liga jeweils rund die Hälfte der Zuseher eingebüßt haben (Portugal und Finnland haben Österreich im Gegenzug überholt).
Dies verdeutlicht, wie wichtig die weitere Zugehörigkeit für den ÖFB auch ist: Denn natürlich kann man Matches gegen Deutschland und Frankreich besser verkaufen als, wenn man den Vergleich mit der Schweiz zieht, gegen Aserbaidschan und Ungarn. Zuschauer-Krösus über die jeweils sechs Heimspiele in Nations League und EM-Quali ist übrigens England mit 45.000 Zuschauern pro Heimspiel.