Kurioses und Erstaunliches: Kurze Bilanz der EM-Gruppenphase

Die Vorrunde der Frauen-EM 2017 in den Niederlanden ist vorüber, die Viertelfinals stehen fest. Zu unser aller Überraschung und Freude ist Österreich sogar Gruppensiger geworden und spielt im Viertelfinale gegen Spanien. Es gab Erstaunliches, Erfreuliches, Kurioses und Überraschendes in diesen ersten zwölf Turniertagen. Das haben wir hier kurz und knackig zusammen gefasst.

Die Kabinenparty der Vorrunde

 

Vor vier Jahren segelte Island auf einer Welle der guten Laune ins Viertelfinale – und Goldfisch Sigurwin war überall mit dabei. Diesmal siegt sich Österreich von einer Kabinenparty zur nächsten. Und immer mit dabei: Jasmin Eders Boombox! Nach dem 3:0 (ausgerechnet) gegen Island wurde der überraschende Gruppensieg des EM-Debütanten Österreich mit einer Polonaise durch die Mixed-Zone von Rotterdam gefeiert.

Der beste Eindruck der Vorrunde

Fast alle Titelkandidaten – von Deutschland über Frankreich bis zu Spanien – sahen irgendwie unüberzeugend aus. Holland spielte gut, aber machte zu wenig daraus. Nur England flog durch die Vorrunde, wie man das früher von allen Titelaspiranten sah. Der Lohn für die starke Vorrunde: Ein Viertelfinale gegen Frankreich. Life’s a bitch.

Die Zitterpartie der Vorrunde (Teil 1)

Abwehr-Riesin Wendie Renard tritt mit Anlauf eine Gegenspielerin um – am gegnerischen Strafraum. Bei einem 0:1-Rückstand. In Unterzahl. Und bereits gelb-verwarnt! Dass Renard in der zweifellos stupidesten Aktion der Vorrunde eine hochverdiente gelb-rote Karte erspart geblieben ist, war sicher auch ein Faktor, dass der permanente Under-Achiever Frankreich die Vorrunde überstand. Ebenso wie der dramatische Fehlgriff der Schweizer Torfrau Thalmann, der den Französinnen den nötigen Ausgleich im letzten Spiel ermöglichte. Und damit den unverdienten Viertelfinal-Einzug rettete.

Die Zitterpartie der Vorrunde (Teil 2)

Spanien war als Geheimtipp auf den Titel gehandelt worden. Und dann das: Nach dem lockeren Sieg über Portugal eine ratlose Vorstellunge beim gegen England und dann ein extra patschertes Gegentor gegen das eigentlich harmlose schottische Team und vorbei war’s mit den Nerven. Im kompletten Panikmodus verbrachte man die zweite Halbzeit gegen Schottland, verlor zwar – aber hatte Glück. Ein zweites schottisches Tor, oder ein zeitgleicher Ausgleich Portugals gegen England, und Spanien wäre raus gewesen.

Der Augenöffner der Vorrunde

Noch nie bei einem Turnier dabei, dazu noch ein sehr junges Team und drei sehr routinierte Gruppengegner: So gut wie jeder internationale Beobachter prognostizierte Österreich den letzten Gruppenplatz, vermutlich mit null Punkten. Das kann nur einen Schluss zulassen: Niemand hat sich vor dem Turnier mit dem ÖFB-Team wirklich beschäftigt. Ganz offensichtlich übrigens auch das Trainerteam der Schweiz nicht.

Das ärgerlichste Tor

Das Spiel zwischen England und Spanien versprach, das attraktivste Match der Vorrunde zu werden: Zwei Teams, die heftig pressen und sich gegenseitig die Zeit am Ball nehmen. Aber nach nur 93 Sekunden war alles im Oasch. Fran Kirby traf für England und die restlichen 88 Minuten war eine einzige, langatmige und -weilige, ideenlose Passstaffette von Spanien – ohne sich gegen die defensiv abriegelnde englische Mannschaft auch nur eine echte Torchance zu erarbeiten.

Das überraschendste Ergebnis

Eigentlich ist das italienische Team ja am Boden und war im Grunde schon nach dem ersten Spiel – der Niederlage gegen das biedere russische Team – ausgeschieden. Aber im letzten Gruppenspiel rang man mit einer wirklich starken Leistung das stolze Schweden 3:2 nieder. Damit gab es auch für Melania Gabbiadini, der letzten Klassespielerin eines Teams am absteigenden Ast, ein schönes Karriereende.

Die härtesten Hunde

Gaëlle Thalmann, Torhüterin der Schweiz, ließ sich nach einem Zusammenprall mit ihrer isländischen Gegnerin Gunnhildur Jónsdóttir ihr Cut noch auf dem Platz nähen und spielte dann sogar noch weiter – Back-up Seraina Friedli, die sich schon warmgemacht hatte, durfte doch nicht rein. Das galt auch für Cecilie Fiskerstand, die Nr. 2 von Norwegen: Ingrid Hjelmseth ließ sich ihre frisch aufgeschlitzten Unterarm ebenso auf dem Platz nähen. Dafür gab’s im Spiel gegen Dänemark zehn Minuten Nachspielzeit.

Die größte Enttäuschung

Apropos Norwegen – der Finalist des letzten Turniers krachte punkt- und sogar torlos aus der EM raus. Das in dieser krassen Form nicht zu erwartende Desaster hat viele Gründe und es werden sicher spannende nächste Monate im norwegischen Verband. Dass es nun zur internen Selbstzerfleischung kommt, klang schon im Flash-Interview mit Stürmerstar Ada Hergeberg durch.

Der bizarrste Schiedsrichter-Fehler

Im Spiel zwischen Portugal und Schottland wurde die portugiesische Verteidigerin Carole Costa von der (eigentlich sehr guten) ungarischen Schiedsrichterin Katalin Kulcsár mit der gelben Karte verwarnt. Warum? Sie hatte die Frechheit besessen, sich von ihrer Teamkollegin über den Haufen rennen zu lassen.

Die fünf Debütanten

Wo wir  schon bei Portugal gegen Schottland sind: Portugal, der laut Ranking (23. in Europa, also in der Quali ein Topf-4-Team) schwächste EM-Teilnehmer aller Zeiten, gewann mit dem 2:1 über die Schottinnen sogar ein Spiel – ebenso wie die Schottinnen später beim 1:0 gegen Spanien. Mit Österreich (1:0 gegen die Schweiz), Schweiz (2:1 gegen Island) und Belgien (2:0 gegen Norwegen) fuhren auch die drei weiteren EM-Debütanten ihren EM-Premierensieg ein.

Die Gemeinheit der Vorrunde

… war der Besuch des Spiels zwischen Italien und Russland. Exakt 669 Zuseher wollten das (zugegeben nicht besonders gute) Match im Stadion Het Kasteel sehen. Nicht einmal bei der praktsich durchgängig schlecht besuchten EM-Endrunde 2009 in Finnland war ein Spiel mit derart wenigen Zusehern dabei. In der Tat muss man 20 Jahre zurückblicken, um ein EM-Endrunden-Spiel mit weniger Betrachtern im Stadion zu finden.

Die Arschkarte der Vorrunde

… hat aber sehr wohl ganz generell Rotterdam gezogen. Die beiden direkten Duelle der vier schlechtesten EM-Teams fanden beide im Sparta-Stadion statt. Dazu der mäßige Auftritt von Holland gegen Dänemark und der nicht wirklich spannende Sieg von Österreich gegen Island. Viele mögliche künftige Frauenfußball-Fans hat man in Rotterdam damit sicher nicht gewonnen.

Die Besucherzahlen der Vorrunde

Insgesamt aber sind die Besucherzahlen durchaus in Ordnung – auch, wenn natürlich gerade das relativ große Stadion in Utrecht oft relativ leer aussah. Der Zuschauerschnitt der Vorrunde beträgt 6.430 Zuseher (das ist praktisch der selbe wie vor vier Jahren in Schweden, dort lag er bei 6.395). Rechnet man die Partien der Heimteams weg und berücksichtigt man nur die Zahlen der 15 bzw 11 Gästeteams, liegt das aktuelle Turnier ebenfalls in Front – und zwar mit rund 5.200 zu rund 5.000. Vor acht Jahren in Finnland waren es in der Vorrunde übrigens 4.300 (mit Finnland-Spielen) bzw. 3.300 (ohne Finnland-Spiele).

Der Sager der Vorrunde

Frankreichs Trainer war nicht gerade glücklich darüber, dass sie Österreich dazu entschieden hatte, seinem Team nicht ins offene Messer zu laufen. Das ließ ihn zu einem erstaunlichen Satz hinreißen: „Österreich ist eben ein neutrales Land. Die greifen nicht an, sie verteidigen sich nur!“

So geht’s weiter

Am Samstag und Sonntag gehen die Viertelfinals über die Bühne – mit England gegen Frankreich ist auch ein echter Kracher dabei. Österreichs Spiel gegen Spanien findet am Sonntag um 18 Uhr statt.

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.