Österreichs Fußballerinnen haben bei der Frauen-EM auch im zweiten Spiel für Aufsehen gesorgt: Gegen den Titelkandidaten Frankreich erreichten die ÖFB-Frauen ein erstaunliches 1:1, womit die Tür zum sensationellen Viertelfinal-Einzug nun schon relativ weit offen steht. Wie schon beim Auftakt-Sieg gegen die Schweiz waren auch gegen Frankreich die passende Taktik und das Quäntchen Glück entscheidend.
Mit einer zweigeteilten Taktik gingen die ÖFB-Frauen in ihr zweites EM-Spiel: Abwechselnd tief stehen und hoch Druck ausüben war die Devise. Für diese zwei verschiedenen Spielanlagen kamen auch zwei verschiedene Systeme zum Einsatz.
Zwei Systeme
Wenn Österreich agierte, hoch stand und die französische Eröffnung anpresste, geschah das aus einem 4-2-3-1 heraus, dass auch schnell zu einem 4-4-2 werden konnte (Billa rückte dann von der Zehn nach vorne). So ergaben sich geschickte Anlaufwinkel auf die eindimensionale und vorhersehbare Spieleröffnung des französischen Teams.
Wenn Österreich defensiv agierte, rückte Puntigam aus dem Mittelfeld zurück – allerdings, wie in dieser Variante schon öfter gesehen und üblich, nicht zwischen die beiden Innenverteidigerinnen, sondern zwischen Kirchberger und der Linksverteidigerin Aschauer. Billa nahm dann den Platz im Mittelfeld-Zentrum ein und Österreich machte mit einem 5-4-1 die Räume eng.
Dass die Variante 5-4-1 deutlich mehr Spielzeit bekam als die Variante 4-2-3-1, lag auch am Spielverlauf – und an der Art und Weise, wie das französische Team spielt, wenn es das Spiel gestalten muss.
EINSCHUB: Das französische Team
Dazu muss man etwas ausholen. Frankreich ist grundsätzlich ein Team, das den Ball gerne hat und dem Gegner das Spiel aufdrücken will. Das war schon unter den früheren Trainern Bini und Bergeroo so, das hat sich unter Echouafni – zumindest gegen auf dem Papier unterlegene Teams – nicht geändert. Vor allem aber, wenn Frankreich gegen ein gutes Team spielt, das defensiv agiert, gibt es Probleme bzw. eindeutige Auffälligkeiten.
Hier die Passweg-Grafik von der zweiten Halbzeit gegen England beim SheBelieves-Cup im März – England versuchte da, eine Führung mit einer defensiven Spielweise über die Zeit zu bringen.
Man sieht: Viel Herumgefummel an den Außenbahnen und wenig Ideen, um durch Ketten durch in den Strafraum zu kommen. Unter Echouafni hat sich (anders als beim Spiel gegen England praktiziert) aber eher ein 4-1-4-1 eingebürgert.
Beim Test gegen Südafrika – also ein deutlich unterlegenes Team, gegen das Frankreich sehr viel Ballbesitz hat – spielte zwar Sandrine Toletti statt Amandine Henry auf der Sechs, aber das Prinzip ist auch mit Henry sehr ähnlich. Der Aufbau bei Frankreich funktioniert vornehmlich über die Außenverteidiger, im Zentrum wird das Spiel nur verlagert – von der einen Seite zur anderen und, wenn dort nix weitergeht, wieder zurück zur einen.
Wenn man um diese französischen Eigenheiten weiß – viel Zusammenspiel auf den Flügeln, wenig konkreter Aufbau im Zentrum und, wenn die Ideen ausgehen, eher sinnlose hohe Flanken – kann man sich wunderbar darauf einstellen. Und genau das hat ÖFB-Teamchef Dominik Thalhammer gemacht.
Lass sie ruhig den Ball haben
Frankreichs Trainer Olivier Echouafni brachte ein recht klares 4-3-3 auf das Feld, in dem zunächst Delie (eigentlich Mittelstürmerin) rechts agierte, dafür Thiney (eigentlich auf dem Flügel daheim) im Zentrum. Dieses Trio versuchte, sich zwischen den beiden österreichischen Ketten so zu bewegen, dass sie Löcher rissen und diese dann bearbeiten konnten. Die Österreicherinnen spielten in ihrem 5-4-1 aber extrem diszipliniert und auch kompakt, dass der französische Angriff kaum zur Geltung kam.
Im Gegenteil: Frankreich wurde durch den österreichischen Riegel dazu gezwungen, das Spiel rund 35 bis 40 Meter vor dem Tor von Manuela Zinsberger sehr horizontal anzulegen. Das bedeutete viel Ballbesitz (rund zwei Drittel) bei wenig Raumgewinn. Das Motto schien quasi zu sein: Lass den Französinnen ruhig den Ball, wenn wir diszipliniert stehen, wird nicht viel passieren.
Nadelstiche gegen Panik-anfällige Spielerinnen
Eine Schüttelfrost-Taktik – also tatsächlich alle paar Minuten konsequent zwischen den beiden Spielanlagen hin- und herwechseln – gab es nicht. Eher wurden immer mal wieder Nadelstiche gesetzt, denn noch etwas ist bei Frankreich bekannt: Die Zentralverteidigung (vor allem Renard) und Torhüterin Bouhaddi verfallen schnell in Panik, wenn sie angepresst werden.
Bouhaddi verbockte alleine in der ersten Halbzeit zwei Abstöße, die postwendend wieder gefährlich auf ihr Tor zurück kamen. Das war nicht überraschend. Sehr wohl überraschend war aber, dass sich das bei Standards eigentlich recht gute französische Team nach einer halben Stunde von einem Einwurf übertölpeln ließ. Lisa Makas zog von der Strafraumgrenze ab, traf und brüllte sich den geballten Frust von zwei Seuchenjahren (18 Monate out wegen zwei Kreuzbandrissen) von der Seele.
Kraftschwund nach der Pause
Nach der Halbzeitpause kam Frankreich relativ schnell nach einem Eckball zum Ausgleich (Zinsberger war etwas zu klein, Schnaderbeck stand gegen Henry nicht richtig). Angesichts der Spielanteile nicht ganz unverdient, aber aus österreichischer Sicht natürlich ärgerlich.
In der Folge merkte man bei Österreich so zwischen der 60. und 70. Minute – wie schon gegen die Schweiz – dass das laufintensive und in seiner Diszipliniertheit sehr fordernde Spiel gegen einen starken Gegner seinen Tribut forderte: Die beiden Ketten gingen in einigen Situationen zu weit auf. Das erlaubte es den Französinnen – wo in der Offensive mittlerweile die angestammten Positionen eingenommen wordern waren, also Delie zentral und Le Sommer bzw. Thiney und dann Diani auf den Flügeln – sich konkreter in Richtung österreichisches Tor zu spielen.
Zinsberger. pic.twitter.com/tWGuF0sMi2
— Our Game Magazine (@OurGameMagazine) 22. Juli 2017
Hier zeichnete sich aber einige Male Manuela Zinsberger aus, die gefährliche Schüsse entschärfte. Da die grundsätzliche Taktik allerdings funktionierte, brachte Trainer Thalhammer nur frischen Ersatz, nahm aber keine Verschiebungen vor. Heißt: Pinther ersetzte die müdegelaufene und vorne etwas isolierte Burger. Prohaska löste Makas ab und zog wie gewohnt etwas mehr ins Zentrum als die Torschützin. Und Eder nahm genau die Position der sichtlich kaputten Billa ein.
Mit etwas Glück in der Schlussphase bei einigen französischen Angriffen brachte Österreich das 1:1 dann auch drüber.
Fazit: Guter Plan und das nötige Glück
Natürlich braucht es auch eine Portion Glück, um gegen einen so starken Gegner in einem Pflichtspiel einen Punkt zu holen. Das hatte Österreich durchaus. Aber man neutralisierte auch über weite Strecken, so gut es eben ging, das französische Aufbauspiel. Das Trainerteam erarbeitete gegen Frankreichs Spielanlage die richtige Taktik und das Team setzte diese, so lange es kräftemäßig drin war, auch diszipliniert um.
Der Lohn für die gute Arbeit bisher ist, dass es schon wirklich sehr gut mit dem Viertelfinale aussieht. Dieses ist Östererich nämlich nur noch dann zu nehmen, wenn die Schweiz am letzten Gruppenspieltag gegen Frankreich gewinnt (was sehr unwahrscheinlich ist) und Österreich gleichzeitig noch höher gegen Island verliert. Aktuell ist übrigens Frankreich Tabellenführer: Bei einem Unentschieden im direkten Duell und gleichter Tordifferenz entscheiden die weniger erhaltenen gelben und roten Karten.
Da hat Österreich bisher drei, Frankreich nur zwei. Island, Österreichs Gegner im letzten Gruppenspiel am Mittwoch, ist übrigens nach dem 1:2 gegen die Schweiz bereits fix ausgeschieden.