Die 8-Sekunden-Regel und ihre taktischen Folgen

Lukas Gütlbauer war mutmaßlich der erste Keeper, den es in Österreich in einem Pflichtspiel erwischt hat: Beim ÖFB-Cup-Match in Wallern hielt der WAC-Torhüter den Ball zu lange in den Händen. Als Referee Philipp Maier zum Eckball pfiff, machte sich auf der Tribüne schnell ein allgemeines Schmunzeln breit: Die Zuschauer wussten sofort, was passiert war.

In den sechs Jahren, seit der Ball beim Abstoß nicht mehr den Strafraum verlassen muss, hat die damalige Regeländerung das Spiel deutlich verändert: Lange Abschläge von den Torhütern haben sich (zumindest im Spitzenfußball) praktisch halbiert, das Herausspielen von hinten wurde zunehmend zum üblichen Modus Operandi, gleichzeitig wurde dieses durch Angriffspressing bis in den Strafraum hinein wiederum erschwert.

Welche Auswirkungen kann nun die 8-Sekunden-Regel haben – sofern sie konsequent angewendet wird?

Was die Regel besagt

„Wenn ein Torhüter den Ball länger als acht Sekunden mit einer Hand oder beiden Händen/einem Arm oder beiden Armen kontrolliert, entscheidet der Schiedsrichter nun auf Eckstoss (statt auf indirekten Freistoss) auf der Seite des Spielfelds, die der Position des Torhüters zum Zeitpunkt des Vergehens am nächsten ist. Eine Disziplinarmassnahme wird nur bei einem wiederholten Vergehen des Torhüters verhängt.“

So haben es die obersten Regelhüter beim IFAB verfügt.

Also acht Sekunden statt bisher sechs, dafür konsequent umgesetzt – nicht so wie die Kapitänsregel, die zwar bei der EM 2024 sehr gut angekommen ist, in der Saison 2024/25 aber einen leisen Tod gestorben zu sein scheint. In der Praxis sind die Schiedsrichter nun angehalten, deutlich die acht Sekunden bzw. deren Ablauf anzuzeigen.

Strategien für die angreifende Mannschaft

Die kurzen Abstöße haben Teams dazu eingeladen, schon den allerersten, kurzen Pass vom Torhüter anzulaufen, eben weil man nicht mehr warten musste, bis der Ball den Strafraum verlassen hat. Es ist anzunehmen, dass die 8-Sekunden-Regel diesen Effekt auf gewisse Weise verstärkt. Die Torhüter müssen damit rechnen, verstärkt vom angreifenden Team unter Druck gesetzt zu werden – allerdings nicht zu direkt. Denn wird der Torhüter in seinem Bewegungsablauf oder Handlungsspielraum allzu sehr eingeengt, muss das Zählen der acht Sekunden unterbrochen werden.

Umso mehr bietet es sich an, dass (in einer lustigen Umkehrung der traditionellen Rollen) Angreifer die Abwehrspieler in Manndeckung nehmen – somit hat der Torhüter nicht nur Zeitdruck, sondern noch dazu keine Option, wo er den Ball gefahrlos hinwerfen kann. Die angreifende Mannschaft kann den Zeitdruck damit gleichsam zur Waffe machen. Theoretisch kann der Torhüter natürlich den Ball vor sich auf den Boden legen, nur lädt er damit natürlich die Kontrahenten ein, ihn direkt anzulaufen, weil ja kein Countdown mehr unterbrochen würde.

Die 8-Sekunden-Regel birgt auch Potenzial für eine neue Spielphase zwischen dem Umschaltmoment und aktivem Angriff, in der es auf „kontrolliertes Warten“ ankommt. Dem wohnt aber natürlich auch eine gewisse Gefahr inne, weil man sich damit hinter dieser Warte-Linie – ähnlich wie hinter der vordersten Pressingwelle – durch den sich bietenden Raum angreifbar macht.

Gleichzeitig kann durch das gezielte Zustellen gewisser Zonen wiederum die Richtung des Spielaufbaus gelenkt werden. Zumindest als Plan.

Folgen für die verteidigende Mannschaft

In erster Linie: Weniger Zeit. Schon die ersten Reaktionen der Torhüter in den Testspielen gehen in die Richtung des „man glaubt gar nicht, wie wenig acht Sekunden sind“ – schließlich waren in der Praxis aus 15 Sekunden oder mehr kein Problem gewesen.

Gerade jene Teams, die den Ball fast sklavisch von hinten flach rausspielen wollen, haben sich schon durch die Abstoß-Regel einiges einfallen lassen müssen und die immer ausgefeilteren Strategien der Gegner spielten – neben zahlreichen anderen Faktoren – auch eine gewisse Rolle bei der ungewöhnlich schwachen Saison von Manchester City unter Pep Guardiola.

Da die Torhüter nun schneller gezwungen sind, den Ball loszuwerden, sind auch die Mitspieler gefordert, sich schneller in Position zu bringen. Gleichzeitig erhöht sich (zumindest in der Anfangszeit, das wird sicher verstärkt trainiert) durch den Zeitdruck vermutlich die Ungenauigkeit der Abwürfe. Notwendig dürften nun noch genauere Laufwege schon für den ersten Pass werden bzw. eine Raumaufteilung, wie man sie sonst eher aus dem Angriffsdrittel kennt: Eine kurze Passoption, eine längere in einer anderen Richtung bzw. einige ganz lange Optionen in einem Bereich der Mittellinie oder sogar dahinter.

Interessant wird zu beobachten sein, wer wirklich die Positionierung der Spielertraube für Abschläge kontrollieren wird – die empfangende oder die gegnerische Mannschaft? Und wie wird damit umgegangen, wenn die empfangende Mannschaft die Traube in eine Richtung lenkt, aber ein Spieler bewusst ganz wo anders hinläuft?

Kein Auf-den-Ball-legen mehr?

An sich muss der Acht-Sekunden-Countdown in dem Moment beginnen, in dem der Torhüter den Ball kontrollierend in der Hand hält. Nun ist es Usus, dass sich Torhüter gerade in hektischen Schlussphasen – etwa wenn man einen knappen Vorsprung oder ein Remis über die Zeit retten will – auf einen gefangenen Ball legt und sich mit dem Aufstehen nicht gerade beeilt: Tempo rausnehmen, dem eigenen Team Zeit zum Durchschnaufen und sich nur Stellen geben, ein paar Sekunden von der Uhr nehmen. Und ja, auch den angreifenden Gegner nerven.

Wenn die Acht-Sekunden-Regel konsequent eingehalten wird, ist damit definitiv Schluss.

Der Ball muss rasch wieder ins Spiel, sonst gibt’s gleich wieder einen Eckball und man ist erst recht wieder unter Druck. Im Zweifel wird die Kugel vom Torhüter dann möglichst weit weg ins Seiten-Aus gedroschen. Damit gibt man zwar einen Einwurf her, hat aber auch ein wenig Zeit gewonnen. Dennoch: Zeit schinden wird damit noch schwieriger.

Und, als Folge davon, werden es Außenseiter vermutlich noch schwerer haben, einen Erfolg über die (Nachspiel)-Zeit zu bringen. Wird es mehr ganz später Sieg- bzw. Ausgleichstreffer durch Favoriten geben? Die Vermutung liegt zumindest nahe.

Bild: ChatGPT

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.